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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 14.01.2004
Aktenzeichen: 7 U 4293/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 291
ZPO § 592 Satz 1
ZPO § 597 Abs. 2
1. Werden in einem mehrgeschossigen Bürogebäude etwa drei Viertel der Geschoßfläche zum Betrieb einer Ganztagsschule mit 450 Schülern der Gymnasialstufe vermietet, so sind nicht unerhebliche Beeinträchtigungen des Mietgebrauchs einer Gesellschaft, die bereits zuvor die weiteren Flächen des Gebäudes angemietet und dort ihren Firmensitz begründet hat, offenkundig im Sinne des § 291 ZPO.

2. Sind schlüssige Einwendungen des Beklagten im Urkundenprozeß unstreitig oder offenkundig, so führen sie bereits im Urkundenprozeß auch dann zur Abweisung der Klage, wenn sie nicht durch Urkunden bewiesen werden.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 7 U 4293/03

Verkündet am 14.01.2004

wegen Forderung

erlässt der 7. Zivilsenat des Oberlandesgericht München durch die Richter am Oberlandesgericht Kotschy, Fiebig und Dr. Barwitz auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2004

folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 23.07.2003 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Wert der Beschwer der Klägerin im Berufungsverfahren übersteigt 20.000,00 EUR.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt - im Urkundenprozess klagend - von der Beklagten Mietzahlung für die Monate März und April 2003. Zwischen den Parteien besteht auf der Grundlage des Mietvertrags vom 11./12. Juli 2001 (Anlage K 1) ein Mietverhältnis über Gewerberäume im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss des Anwesens Schatzbogen 29 in München.

Nach Umbauarbeiten im Oktober 2002 wurden die darüber liegenden Gewerberäume von der Klägerin langfristig an die Republik Griechenland zum Betrieb einer Ganztagsschule für mehr als 400 Schüler vermietet. Die Beklagte machte im März 2003 rückwirkend ab Oktober 2002 eine Mietminderung in Höhe von 50 % geltend und bezahlte für die Monate März und April 2003 die vereinbarte Miete in Höhe von jeweils 21.191,41 EUR nicht.

Wegen der weiteren Feststellungen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig gestellt, dass derzeit ein Anteil von etwa 70 bis 80 % der Geschossfläche des Bürogebäudes Schatzbogen 29 durch die griechische Schule genutzt wird.

Die Klägerin bestreitet von der Beklagten behauptete Beeinträchtigungen des Mietgebrauchs und sieht keine Gründe für eine Mietminderung. Sie verlangt daher Zahlung der ungeminderten Monatsmieten für März und April 2003 in Höhe von insgesamt 42.382,82 EUR.

Die Beklagte hat bereits erstinstanzlich umfangreich Beeinträchtigungen ihres Mietgebrauchs infolge der Umbauarbeiten und des Schulbetriebs vorgetragen und ist der Meinung, dass die Klägerin ihren - geminderten - Mietzahlungsanspruch im Urkundenprozess nicht bewiesen habe.

Das Landgericht hat die Klage als im Urkundenprozess unstatthaft abgewiesen. Der - unstreitige - Betrieb einer Ganztagsschule bedinge einen Fehler der Mietsache, der die Tauglichkeit zur vertragsgemäßen Nutzung beeinträchtige. Die im Urkundenprozess nicht mögliche Aufklärung bezüglich der Höhe der Mietminderung führe nicht zum Erlass eines Vorbehaltsurteils, sondern bedinge die Abweisung der Klage als im Urkundenprozess unstatthaft.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin, die ihr erstinstanzliches Klageziel weiterverfolgt. Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht angenommen, dass sich aus der unstreitigen Tatsache des Schulbetriebs als offenkundige Tatsache i.S.d. § 291 ZPO ergebe, dass die Beklagte in ihrem Mietgebrauch beeinträchtigt sei.

II.

Die Berufung der Klägerin erweist sich als unbegründet. In nicht zu beanstandender Weise hat das Landgericht die Klage als im Urkundenprozess unstatthaft gemäß § 597 Abs. 2 ZPO abgewiesen. Nach entsprechenden Hinweisen des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 25.06.2003 (Bl. 42 d.A.) hat es die Klagepartei verabsäumt, vom Urkundenprozess Abstand zu nehmen.

1. Die Klägerin hat die von der Beklagten geschuldete monatliche Mietzahlung zwar dem Grunde nach durch den als Anlage K 1 vorgelegten Mietvertrag, nicht aber der Höhe nach urkundlich nachgewiesen. Damit sind nicht, wie es § 592 Satz 1 ZPO erfordert, sämtliche anspruchsbegründenden Tatsachen durch Urkunden belegt.

a) Zwar ist in § 3 des Mietvertrags geregelt, dass der Mietzins einschließlich der Zahlungen auf die Nebenkosten monatlich 35,730,00 DM zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer beträgt, woraus sich eine monatliche Mietzahlung von 41.446,80 DM (das sind 21.191,41 EUR) brutto ergibt.

b) Jedoch ist das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der nach Begründung des Mietverhältnisses mit der Beklagten aufgenommene Betrieb einer Ganztagsschule in den weiteren Obergeschossen die Tauglichkeit der Mieträume der Beklagten nicht nur unerheblich mindert. Das Recht auf Minderung des Mietzinses stellt dabei seinem Wesen nach nicht nur einen Anspruch dar, sondern bewirkt kraft Gesetzes eine Änderung der Vertrags pflichten (BGH, Urteil vom 27.02.1991, NJW-RR 1991, 779, 780). Mithin genügt der Mieter seiner Darlegungslast bereits dadurch, dass er einen konkreten Sachverhalt darlegt, der die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch beeinträchtigt. Das Maß der Gebrauchsbeeinträchtigung muss er hingegen nicht dartun. Liegt der behauptete Mangel vor, ist - gegebenenfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen - der Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung zu klären (BGH a.a.O.). Dieser Darlegungslast hat die Beklagte genügt.

aa) Zwar hat die Klägerin - entgegen den Ausführungen auf Seite 3 unten des landgerichtlichen Urteils - bestritten, dass durch Umbaumaßnahmen und anschließenden Schulbetrieb Gebrauchsbeeinträchtigungen bei der Beklagten eingetreten seien. Dies führt hier jedoch nicht dazu, dass das von der Klägerin erstrebte Vorbehaltsurteil ergehen kann, wie auch das Landgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat.

bb) Das Landgericht hat nämlich in nicht zu beanstandender Weise aus der -unstreitigen - Tatsache des Betriebs einer Ganztagsschule entnommen, dass daraus resultierende Beeinträchtigungen der Beklagten als Mieter offenkundig i.S.d. § 291 ZPO seien. Diese Annahme weist Rechtsfehler nicht auf. Sie erschöpft den Sachverhalt, ist frei von Widersprüchen und verstößt weder gegen die Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze (vgl. BGH, Urteil vom 03.02.1998, NJW 1998, 2736/2737; Urteil vom 14.01.1993, NJW 1993, 935/938; Zöller-Gummer, 23. Auflage, RN 13 zu § 546 ZPO; Thomas/Putzo-Reichold, 25. Auflage, RN 11/12 zu § 546 ZPO).

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die griechische Ganztagsschule von ca. 450 Schülern der Gymnasialstufe besucht wird. Gleichfalls ist unstreitig, dass 70 bis 80 % der Geschossfläche Schulzwecken dienen. Daraus folgende Beeinträchtigungen des Mietgebrauchs der Beklagten, die in den Mieträumen ihren Firmensitz und Ausstellungsräume untergebracht hat, liegen auf der Hand: ein solcher Schulbetrieb führt insbesondere vor Schulbeginn und nach Unterrichtsende, aber auch in Pausenzeiten erfahrungsgemäß) zu erheblicher Lärmentfaltung. Dies ist bei den Schülern der unteren Jahrgangsstufen auf deren altersentsprechendes Temperament zurückzuführen, während die Schüler der höheren Jahrgangsstufen, die vielfach bereits eine Fahrerlaubnis besitzen, nicht selten dazu neigen, die Rechtmäßigkeit der Nutzung fremder Parkplätze nicht zu hinterfragen und in Pausenzeiten Entspannung durch den Genuss moderner, vorwiegend stark rhythmisch gestalteter Musikstücke aus leistungsstarken Kfz-Stereoanlagen zu suchen.

Dass der unterrichtstägliche Besuch von 450 jugendlichen Schülern auf dem Grundstück und im Gebäude zu nicht unerheblichen Verunreinigungen, beispielsweise durch Essens- und Getränkeverpackungen, Zigarettenschachteln und - kippen u.a. führt, entspricht ebenfalls der Lebenserfahrung.

Dass darüber hinaus das Temperament des jugendlichen Schülers erfahrungsgemäß häufig zu sogenannten Schülerstreichen führt, die von einem Mieter in der Position der Beklagten als störend empfunden werden, wird nicht nur in bedeutenden Werken der deutschen Literatur beschrieben, sondern ist auch der Lektüre der Tagespresse zu entnehmen.

c) Die Beklagte musste für den unstreitigen Betrieb einer Ganztagsschule auch nicht etwa Urkundenbeweis antreten. Sind schlüssige Einwendungen des Beklagten im Urkundenprozess unstreitig, zugestanden oder offenkundig, so kann nicht zweifelhaft sein, dass sie schon im Urkundenprozess auch dann zur Abweisung der Klage führen müssen, wenn sie nicht durch Urkunden bewiesen werden (BGH, Urteil vom 24.04.1974, NJW 1974, 1199/1200; Zöller-Greger, 24. Auflage, RN 5 zu § 597 ZPO).

2. Steht mithin fest, dass der Klägerin zwar dem Grunde nach ein Mietzinsanspruch zusteht, der jedoch auf Grund der ungeklärten Höhe der eingetretenen Mietminderung seiner Höhe nach ungewiss ist, so geht es nicht an, die Beklagte im Urkundenprozess in vollem Umfang zur Mietzahlung zu verurteilen und ihr lediglich die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorzubehalten. Das Gericht würde in einer solchen Situation den Klageanspruch in vollem Umfang zusprechen, obgleich feststeht, dass dieser - in welcher Höhe auch immer - gemindert ist. Statt dessen ist bei einer solchen Sachlage der Kläger, wenn er wie hier am Urkundenprozess festhält, mit seiner Klage nach § 597 Abs. 2 ZPO abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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