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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 24.04.2002
Aktenzeichen: 7 U 4714/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
Das Befahren einer für den allgemeinen Skibetrieb frei gegebenen Piste mit einem Motorschlitten schafft eine atypische Gefahr, für die Vorkehrungen zur Sicherheit der Skifahrer zu ergreifen sind.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 7 U 4714/01

Verkündet am 24. April 2002

In dem Rechtsstreit

wegen Schmerzensgeld u.a.

erläßt der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Goller und die Richter am Oberlandesgericht Fiebig und Kotschy aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2002 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 26. Juli 2001 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagten tragen die Kosten ihrer Berufung samtverbindlich.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils EUR 65.000,00 abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert des Berufungsverfahren wird auf EUR 59.473,47 festgesetzt.

Tatbestand:

Der am 30.10.1987 geborene Kläger nimmt die Beklagten auf Ersatz seines Schadens aus dem Ski-Unfall vom 05.01.2000 in Anspruch.

Am Vormittag dieses Tages hatte er im Skigebiet X. bei Y. an einem Riesenslalom teilgenommen und hierbei den dritten Platz errungen. Nach Ende des Rennens und vor der Siegerehrung befuhr er noch mehrfach die Rennstrecke am S.-hang. Als er gegen 12.00 Uhr erneut die Rennstrecke hinunterfuhr, sie war zu diesem Zeitpunkt bereits für den allgemeinen Skibetrieb frei gegeben worden, prallte er auf der etwa 30 Meter breiten Piste von oben aus gesehen links im Abstand von 4 bis 5 Metern zum Pistenrand nach einer dort uneinsehbaren Hangkante auf einen vom Beklagten zu 1) gesteuerten und nicht mit akkustischen und optischen Warneinrichtungen versehenen Motorschlitten der Beklagten zu 2). Diese betreibt die Skilifte im dortigen Skigebiet, ihre persönlich haftende Gesellschafterin ist die Beklagte zu 3) und sie beschäftigt den Beklagten zu 1) als Betriebselektriker in ihrem Betrieb.

Der Kläger erlitt ein schweres Schädelhirntrauma dritten Grades, komplexe Mittelgesichtsfrakturen mit einer Orbitabodenfraktur rechts, beidseitige Verletzungen des vorderen Großhirnbereichs sowie Prell- und Schürfwunden an den Beinen. Seine Kleidung und Ausrüstung wurden beschädigt und völlig unbrauchbar. Er wurde bewußtlos mit dem Hubschrauber in die Kinderchirurgie des Schwabinger Krankenhauses in München geflogen, dort am 14.01.2000 operiert und am 27.01.2000 wieder entlassen. Die Schule konnte er erst wieder ab dem 09.03.2000 besuchen. Als dauerhafte Folgen des Unfalls sieht er bei einem Aufblick ab 30 Grad rechts Doppelbilder, ist die Hebung des rechten Augenlids eingeschränkt, dessen Schluss asymetrisch und die Dysmetrie der Augenpartie deutlich sichtbar, hat er den Geruchssinn verloren und ist der Geschmackssinn erheblich eingeschränkt, erleidet er bei geistiger Beanspruchung Kopfschmerzen und Schwindel, treten bei ihm Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen auf und besteht durch die erhöhte neuronale Erregbarkeit die Gefahr einer späteren Epilepsie. Derzeit beträgt die Invalidität 45 %. Der Kläger konnte deshalb auch nicht wie beabsichtigt nach der 6. Klasse auf die Realschule wechseln.

Der Kläger wirft den Beklagten zu 1) und 2) grobe Sorgfaltspflichtverletzungen vor. Der Beklagte zu 1) hätte, da hier eine bessere Sicht gewesen wäre, von oben aus gesehen rechts an der Piste hochfahren müssen. Zudem sei der Motorschlitten nicht mit Warneinrichtungen ausgerüstet gewesen. Die Beklagte zu 2) treffe deshalb auch ein Organisationsverschulden, zumal sie überdies nicht die erforderliche Ausnahmegenehmigung zum Betrieb des Motorschlittens besessen habe. Seine, des Klägers, allfällige eigene Mitverursachung trete dahinter völlig zurück. Er hat daher die Beklagten zum vollen Ersatz seines Schadens aus dem Skiunfall verpflichtet gehalten, Sachschäden in Höhe von DM 2.420,00 geltend gemacht, ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld gefordert, wobei er einen Betrag von DM 120.000,00 als angemessen angesehen hat, und die Feststellung begehrt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner ihm zum Ersatz jeglichen künftigen Schadens aus dem Unfall verpflichtet seien, soweit Ersatzansprüche nicht kraft Gesetzes auf Dritte übergegangen seien.

Die Beklagten sind dagegen der Ansicht, der Unfall sei für sie nicht vorhersehbar und nicht abwendbar gewesen. Der Kläger sei von einer erhöhten Rampe mit Schlittschuhschritten gestartet, in Hocke und Schuss abgefahren, mehr als 6 Meter über die Hangkante gesprungen und direkt auf den Motorschlitten geprallt. Den Weg an dem von oben aus gesehen rechten Pistenrand habe er wegen einer dort befindlichen Skischulgruppe und der dann insgesamt zweimal erforderlichen Hangquerung nicht nehmen können. Ferner habe er zum Unfallzeitpunkt den Bergwachtmann Sch zu einem Verletzten mit Schienbeinbruch bringen wollen. Schließlich bestreiten die Beklagten die Höhe des geltend gemachten Sachschadens.

Das Landgericht München II hat am 26.07.2001 die Beklagten samtverbindlich zur Zahlung von Sachschadensersatz in Höhe von DM 1.320,00 nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 21.02.2001 und eines Schmerzensgeldes in Höhe von DM 100.000,00 verurteilt. Es hat gleichzeitig festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner dem Kläger zum Ersatz von 2/3 des künftig entstehenden Schadens aus dem Unfall vom 05.01.2000 verpflichtet seien, soweit Schadensersatzansprüche nicht kraft Gesetzes auf Dritte übergegangen sind. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Vom Beklagten zu 1) sei es leichtfertig gewesen, den Hang auf der Rennstrecke hochzufahren. Andererseits habe der Kläger den Unfall mitverschuldet. Er sei mit zu hoher Geschwindigkeit in das für ihn nicht einsehbare Gelände hinter der Hangkante eingefahren, so dass er dem Motorschlitten nicht mehr habe ausweichen können. Die Beklagte zu 2) hafte gemäß § 831 BGB für die Unfallfolgen, da der Beklagte zu 1) die zum Unfall führende Fahrt in Ausführung der ihm aufgegebenen Verrichtungen unternommen habe. Die Beklagte zu 3) wiederum hafte als Komplementärin für die Beklagte zu 2).

Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten die Klageabweisung weiter.

Ergänzend wird auf das Ersturteil, die zwischen den Parteien im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft München II und die Sitzungsniederschrift vom 20.03.2002 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht die Beklagten zum Ersatz von 2/3 des Schadens aus dem Unfall vom 05.01.2000 als Gesamtschuldner für verpflichtet gehalten und sie zur Zahlung eines Sachschadens von DM 1.320,00 und eines Schmerzensgeldes von DM 100.000,00 verurteilt.

1. Der Beklagte zu 1) hat dem Kläger nach §823 Abs. 1 BGB den Schaden aus dem Skiunfall vom 05.01.2000 zu ersetzen, wobei sich die Einstandspflicht wegen Mitverschuldens des Klägers gemäß § 254 Abs. 1 BGB um 1/3 auf 2/3 mindert.

a) Das Landgericht hat zu Recht einen Verstoß des Beklagten zu 1) gegen die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht und damit dessen Verschulden zu 1) am Unfall angenommen.

Jeder, der Gefahrenquellen schafft oder unterhält, hat die notwendigen Vorkehrungen zur Sicherheit Dritter zu ergreifen. Maßgebend hierfür sind die Sicherungserwartungen des Verkehrs (BGH NJW 1985, 1076 f.). Zwar können keine Vorkehrungen gegen jede denkbare, nur entfernt liegende Möglichkeit einer Gefährdung verlangt werden, wohl aber gegen offenbare Gefahrenquellen (BGH NJW 1978, 1629). Der Benutzer einer Skipiste, der seinerseits die Fahrweise den wechselnden Geländeverhältnissen, Schwierigkeiten der Wegeführung, Veränderung der Wetterlage und der Schneebeschaffenheit anzupassen hat, darf daher regelmäßig darauf vertrauen, dass er vor heimtückischen Objekten und atypischen Gefahren wirksam geschützt wird. Wann eine derartige Gefahrenstelle und ein entsprechendes Absicherungserfordernis anzunehmen ist, kann allerdings nicht generell beantwortet werden. Es kommt insoweit stets auf die objektiven Gegebenheiten des Einzelfalles und dabei entscheidend auf die Größe der Gefahr, auf den Grad ihrer Erkennbarkeit und auf die für ihre Vermeidung oder Überwindung bestehenden Möglichkeiten an (BGH NJW 1973, 1379, 1380).

Der Beklagte zu 1) hat mit seiner Einfahrt von unten aus gesehen rechts in den für den allgemeinen Skibetrieb frei gegebenen S.-hang eine solche atypische Gefahr geschaffen. Diese Gefahr war von einem Skifahrer oberhalb der Hangkante in der Piste nicht zu erkennen, ihr auszuweichen, daher erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich. Ihre Größe hat sich im streitgegenständlichen Unfall manifestiert. Daraus hatte sich für den Beklagten zu 1) die Pflicht ergeben, angemessene Gegenvorkehrungen zu schaffen. Dieser Pflicht ist er nicht nachgekommen. Er hat keinerlei Sicherungsmaßnahmen ergriffen, zumal der von ihm geführte Motorschlitten auch mit keinerlei optischen oder akkustischen Warneinrichtungen ausgerüstet war. So wäre gerade durch den Umstand, dass er den Bergwachtmann Sch mitgenommen hat, möglich gewesen, diesen zur Hangkante zu Fuß vorauszuschicken und die Piste sichern zu lassen. Der Beklagte zu 1) kann sich hierbei auch nicht damit verteidigen, eine andere Strecke zu wählen, sei ihm nicht zuzumuten gewesen. Sollte der von unten aus gesehen linke Teil der Piste, wie die Beklagten behaupten, nahezu gleich uneinsichtig gewesen sein, so wäre insoweit ebenfalls die beschriebene Pistensicherung vorzunehmen gewesen. Sollte in diesem Teil der Piste jedoch ein Sichtkontakt über die Hangkante möglich gewesen sein, hätte dieser Teil befahren werden können, auch wenn ein Skischulgruppe dort fuhr. Bei einem möglichen Sichtkontakt wäre trotz des dann notwendigen zweimaligen Querens des Hanges die Gefahr eines Zusammenstoßes ganz entscheidend herabgesetzt gewesen. Überdies war die Mitnahme des Bergwachtmannes Sch nach eigenem Bekunden des Beklagten zu 1) gegenüber der Polizei nicht Anlass der Motorschlittenfahrt, noch erforderte der Unfall, zu dem Sch unterwegs war, keinerlei geringe zeitliche Verzögerung. Im Übrigen dürfen nach der Gemeinsamen Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien für Landesentwicklung und Umweltfragen und des Innern vom 30.11.1984 (LUMBl. S. 102) motorisierte Schneefahrzeuge für Versorgungsfahrten grundsätzlich Skiabfahrten und Skiwanderwege nicht benützen und in Ausnahmefällen ist das Fahren auf Pisten oder Loipen nur bei guten Sichtverhältnissen und nur in Zeiten zulässig, in denen wenig Skibetrieb ist (Teil B Nr. 3).

b) Den Kläger trifft ebenfalls ein Verschulden an seinem Unfall vom 05.01.2000.

Aus den inhaltlichen Bestimmungen der allgemeinen Sorgfaltspflichten für den alpinen Skisport, wie sie in den von dem internationalen Skiverband FIS aufgestellten Verhaltensregeln, hier Nrn. 1 und 2, (vgl. Anl. B 3) ihren Ausdruck gefunden haben, ergibt sich, dass jeder Skifahrer sich so verhalten muss, dass er keinen anderen gefährdet oder schädigt, insbesondere auf Sicht fahren und seine Geschwindigkeit und Fahrweise seinem Können, den Gelände-, Schnee- und Witterungsverhältnissen sowie der Verkehrsdichte anpassen muss (BGH VersR 1987, 762, 763). Hiergegen hat der Kläger ersichtlich schon nach seinem eigenen Vortrag verstoßen. Der Kläger nimmt nunmehr auch diese im landgerichtlichen Urteil festgestellte Mitverantwortlichkeit hin.

c) Die vom Landgericht vorgenommene Verschuldensabwägung nach § 254 Abs. 1 BGB ist nicht zu beanstanden.

Es liegt auf der Hand, dass das Schaffen einer atypischen Gefahr wie hier durch den Beklagten zu 1) deutlich schwerer wiegt als die hier zu sportliche Fahrweise des Klägers. Erst recht gilt das aber auch im Hinblick auf die vom Motorschlitten ausgehende höhere Betriebsgefahr gerade bei dem nicht oder nur schwer erkennbaren Bergauffahren.

2. Die Beklagte zu 2) hat für den Schaden, den der Beklagte zu 1) dem Kläger zufügte, schon nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB in gleicher Weise einzustehen wie der Beklagte zu 1), und zwar gemäß § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldnerin, da der Beklagte zu 1) die streitgegenständliche Fahrt in Verrichtung für die Beklagte zu 2) ausführte. Einen Entlastungsbeweis hat die Beklagte zu 2) nicht angetreten. Das Inbetriebstellen des Motorschlittens ohne die erforderliche behördliche Genehmigung und ohne Sicherungseinrichtungen begründet zudem einen eigenen Verstoß der Beklagten zu 2) gegen die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des Einsatzes des Motorschlittens.

3. Die Beklagte zu 3) hat wiederum nach § 161 Abs. 2 in Verbindung mit § 128 Satz 1 HGB für die Beklagte zu 2) voll einzustehen (vgl. BGHZ 87, 286, 288).

4. Das vom Landgericht gemäß § 847 Abs. 1 BGB zuerkannte Schmerzensgeld von DM 100.000,00 ist angesichts des Haftungsumfanges und der Unfallfolgen angemessen. Auf die Ausführungen des Landgerichts in seinem Urteil hierzu wird Bezug genommen.

5. Schließlich begegnet die Schätzung des Sachschadens durch das Landgericht nach § 287 Abs. 1 ZPO keinen Bedenken.

Kosten: § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 4 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Zulassung der Revision: Die Voraussetzungen hierfür nach § 543 Abs. 2 ZPO in der nach § 26 Nr. 7 EGZPO anzuwendenden Fassung des Zivilprozessreformgesetzes vom 27.07.2001 liegen nicht vor.

Streitwert: §§ 3, 5 und 6 ZPO.

Ende der Entscheidung

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