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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 04.07.2001
Aktenzeichen: 7 U 5285/00
Rechtsgebiete: AktG, ZPO


Vorschriften:

AktG § 131
AktG § 131 Abs. 1
AktG § 131 Abs. 3
AktG § 120 Abs. 3
AktG § 243 Abs. 4
AktG § 131 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 711
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2
1. Das Auskunftsrecht des Aktionärs in der Hauptversammlung nach § 131 Absatz 1 AktG ist verletzt, wenn nach Verschmelzung zweier Aktiengesellschaften die Angaben zum Gesamtumfang des problembehafteten Immobilienengagements, der Wertberichtigung und der Risikovorsorge nicht wenigstens der Größenordnung nach den früheren Gesellschaften zugeordnet werden.

2. Verweigert der Vorstand, der sich im Wesentlichen aus dem Vorstand einer der verschmolzenen Aktiengesellschaften zusammensetzt, die Zuordnung des problembehafteten Immobilienengagements, der Wertberichtigung und der Risikovorsorge wenigstens der Größenordnung nach bekannt zu geben, ist Kausalität zwischen der Verletzung des Auskunftsrechts der außenstehenden Aktionäre und den Beschluss auf Entlastung des Vorstands zu bejahen, sofern nicht die beklagte Aktiengesellschaft den Gegenbeweis fuhrt.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 7 U 5285/00

Verkündet am 04. Juli 2001

In dem Rechtsstreit

wegen Beschlussanfechtung

erläßt der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom 04.07.2001 folgendes

ENDURTEIL

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München I vom 21.09.2000 aufgehoben.

Der Beschluß der Hauptversammlung der Beklagten vom 03.05.2000, durch welchen den Mitgliedern des Vorstands für das Geschäftsjahr 1999 Entlassung erteilt wurde (Punkt 3 der Tagesordnung), wird für nichtig erklärt.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung von DM 16.000,- abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

V. Der Wert der Beschwer der Beklagten im Berufungsverfahren übersteigt DM 60.000,--.

Tatbestand:

Der Kläger ist Aktionär der Beklagten und ehemaliges Vorstandsmitglied 01.09.1998 im Wege der Aufnahme mit der Beklagten, der früheren B AG (nachfolgend: BV), verschmolzen worden ist. Mit der vorliegenden Klage ficht der Kläger die von der ordentlichen Hauptversammlung (HV) am 03.05.2000 unter TOP 3 beschlosssene Entlastung des Vorstands für das Geschäftsjahr 1999 an, gegen die er als Teilnehmer an der HV Widerspruch eingelegt hat.

In dem vom Vorstand der Beklagten erstellten Lagebericht (Anlage K 3) ist u.a. ausgeführt:

"... haben wir 1999 eine Kreditrisikovorsorge in Höhe von insgesamt 2.266 Mio. Euro gebildet. Davon entfallen auf ... den 1999 neu formierten Bereich Workout Immobilien 1.581 Mio. Euro.

In den neuen Unternehmensbereich haben wir problembehaftete Immobilienengagements aus der Vergangenheit mit einem Volumen von ca. 9,6 Mrd. Euro aufgenommen. ....

Zur Ergebnisabschottung künftiger Jahre haben wir dieses Sanierungsportfolio nach einer zeit- und mengenmäßig sehr aufwendigen Durchforstung und Sicherheitenneubewertung noch einmal mit einer weiteren abschließenden Wertberichtigung in Höhe von 1 Mrd. Euro abgesichert. Der gesamte Bestand an Wertberichtigungen auf die Engagements im Bereich Workout Immobilien beläuft sich damit auf 3,8 Mrd. Euro, das entspricht einer Wertberichtigungsquote von rund 40 %". (Anlage K 3, Seite 16, 17)

Auf Seite 53 des Lageberichts wird ausgeführt:

"Das Workout-Portfolio umfaßt ein Ausgangsvolumen von ca. 12,4 Mrd. Euro, das sich durch aktives Bestandsmanagement, Abbuchungen sowie nach Kompensation mit Käuferzahlungen zum Jahresende 1 999 auf rund 9,6 Mrd. Euro reduzierte. ....

Das Workout-Portfolio umfaßt im einzelnen:

- Joint Venture Projekte - einschließlich Mietgarantien - mit einem Volumen von 2,7 Mrd. Euro.

- Developer- und Bauträgerfinanzierungen im Umfang von ca. 6,1 Mrd. Euro sowie

- Engagements aus durch Vermittler zugeführtem Geschäft mit einem Volumen von rund 0,8 Mrd. Euro."

Dem Beschluss der Hauptversammlung vom 03.05.2000 über die Entlastung des Vorstands (TOP 3) war eine Generaldebatte vorausgegangen, die sich u.a. auch auf die Vorlage des festgestellten Jahresabschlusses, des Lageberichts und des Berichts des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 1999 (TOP 1) erstreckte. Während dieser Generaldebatte stellte der Kläger u.a. folgende Fragen (Komplex 1):

a) Wieviel vom Bestand des Immobilien-Workout, aufgegliedert auf Seite 53 des Geschäftsberichts, ist auf die H zurückzuführen und wieviel auf die BV?

b) Wieviel von der Risikovorsorge von 1,581 Mrd. Euro ist von der H verursacht und wieviel von der BV, insgesamt und aufgeschlüsselt nach den drei Kategorien auf Seite 53?

c) Auch bei der sogenannten Normalrisikovorsorge von 891 Mio. Euro bitte ich um eine ungefähre Aufteilung nach H und BV.

Die Beantwortung dieser Fragen wurde vom Vorstand der Beklagten verweigert. Auch weitere Fragen des Klägers zu zwei in den Medien erörterten Kreditrisikofällen, nämlich R und P AG (Fragenkomplex 2) sowie zum Kenntnisstand ehemaliger Vorstandsmitglieder der BV vor dem 01.09,1998 über die bei der H bestehenden Kreditrisiken (Fragenkomplex 3) wurden vom Vorstand der Beklagten nicht beantwortet.

Der Kläger hat geltend gemacht, der Vorstand der Beklagten habe durch die Nichtbeantwortung dieser in der Hauptversammlung gestellten Fragen seine Informationspflicht verletzt. Die Fragen seien auch für die Meinungsbildung und Abstimmung der Aktionäre über die Entlastung des Vorstand von erheblicher Bedeutung gewesen. Dass die Hauptversammlung dem Vorstand auch bei zutreffender Beantwortung der gestellten Fragen die Entlastung erteilt hätte, bestreitet der Kläger. Außerdem sei der Entlastungsbeschluss auch deshalb unwirksam, weil der Lagebericht unrichtig sei; darin werde nämlich der unzutreffende Eindruck erweckt, dass der außerordentlich hohe Risikovorsorgebedarf im Bereich Workout Immobilien (WIM) ausschließlich auf die H zurückgehe.

Der Kläger hat beantragt, den Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 03.05.2000, durch welchen den Mitgliedern des Vorstandes für das Geschäftsjahr 1999 Entlastung erteilt wurde (TOP 3), für nichtig zu erklären.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie hat vorgetragen, der Kläger habe mit den in der Hauptversammlung gestellten Fragen nur seine eigene Rehabilitierung als ehemaliges Vorstandsmitglied der H und damit eigennützige Interessen verfolgt. Die Fragen seien auch nicht gezielt zur Entlastung des Vorstands gestellt worden. Dieser sei im übrigen zur Beantwortung der Fragen auch nicht verpflichtet gewesen. Bezüglich des Fragenkomplexes 2 zu den namentlich genannten Kreditnehmern habe sich eine Antwort schon wegen des Bankgeheimnisses verboten; die anderen Fragen hätten nicht das Geschäftsjahr 1999 betroffen. Im übrigen sei der Entlastungsbeschluss auch deshab nicht angreifbar, weil die Entlastung des Vorstands im Ermessen der HV stehe und dieser die vom Kläger gestellten Fragen sowie deren Nichtbeantwortung durch den Vorstand bei der Beschlussfassung bekannt gewesen seien.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 21.09.2000 abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, durch die Nichtbeantwortung der Fragen des Klägers zu den Komplexen 1 und 3 sei dessen Auskunftsrecht nicht verletzt worden, weil diese Fragen nicht das Geschäftsjahr 1999 betroffen hätten. Hinsichtlich der Fragen zum Komplex 2 sei das Auskunftsrecht zwar verletzt; die HV habe aber ihr bei der Entlastung des Vorstandes sehr weites Ermessen nicht überschritten, indem sie in (unterstellter) Kenntnis der Rechtsverletzung gegenüber dem Kläger gleichwohl die Entlastung erteilt hat. Auch der Lagebericht sei nicht unrichtig.

Neben der vorliegenden Anfechtungsklage hat der Kläger auch die Beantwortung der von ihm in der HV vom 03.05.2000 gestellten Fragen im Auskunftserzwingungsverfahren verlangt. In diesem Verfahren ist die Beklagte durch Beschluss des Bayer. Obersten Landesgerichts (BayObLG) vom 21.03.2001 (Az: 3 Z BR 318/00) zur Auskunftserteilung über die zum Komplex 1 gestellten Fragen verpflichtet wurden (Anlage zu Blatt 141/146 der Akte).

Gegen das landgerichtliche Urteil vom 21.09.2000 hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er seine Anfechtungsklage weiterverfolgt. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und hält daran fest, dass der Vorstand sämtliche von ihm in der HV gestellten Fragen zu allen 3 Komplexen hätte beantworten müssen. Soweit das Landgericht auch für den Fall der (zum Fragenkomplex 2) unberechtigten Auskunftsverweigerung die Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses unter Hinweis auf das weite Ermessen der HV verneint habe, habe es verkannt, dass die sachgerechte Ausübung dieses Ermessens durch die HV zunächst deren vollständige und zutreffende Information voraussetze.

Der Kläger beantragt:

I. Das Urteil des Landgerichts München I vom 21.09.2000 wird aufgehoben.

II. Der Beschluss der HV der Beklagten vom 03.05.2000, durch welchen den Mitgliedern des Vorstandes für das Geschäftsjahr 1999 Entlastung erteilt wurde (Punkt 3 der Tagesordnung), wird für nichtig erklärt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen. Insbesondere vertritt sie weiterhin die Auffassung, zur Beantwortung der vom Kläger in der HV gestellten Fragen nicht verpflichtet gewesen zu sein. Soweit das BayObLG in seinem Beschluss vom 21.03.2001 eine Auskunftspflicht hinsichtlich der zum Komplex 1 gestellten Fragen bejaht habe, sei diese Entscheidung für den vorliegenden Rechtsstreit nicht bindend. Eine exakte Beantwortung dieser Fragen während der HV vom 03.05.2000 sei dem Vorstand der Beklagten auch gar nicht möglich gewesen, weil dazu aufwendige Nachforschungen erforderlich gewesen wären.

Im übrigen habe der Vorstand der Beklagten die - aufgrund des Beschlusses des BayObLG vom 21.03.2001 - dem Kläger mit Schreiben vom 11.05.2001 (Anlage B 1) erteilten Auskünfte zum Fragenkomplex 1 auch der HV vom 22.05.2001 bekannt gegeben. Diese habe dem Vorstand gleichwohl Entlastung für das Geschäftsjahr 2000 erteilt. Das zeige, dass ein objektiv denkender Aktionär auch auf der HV vom 03.05.2000 die Beantwortung dieser Fragen nicht als ein Hindernis für die Entlastung des Vorstandes angesehen hätte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften, und den Akteninhalt insgesamt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist begründet. Der Beschluss der HV vorn 03.05.2000 zur Entlastung der Mitglieder des Vorstandes der Beklagten (TOP 3) ist unter Verletzung des Informationsrechts des Klägers (§131 AktG) zustandegekommen und wegen dieser Gesetzesverletzung auf den Antrag des Klägers für nichtig zu erklären (§ 243 Abs. 1 AktG).

1. Der Kläger ist unstreitig als Aktionär in der HV der Beklagten vom 03.05.2000 erschienen und hat gegen den Entlastungsbeschluss zum TOP 3 Widerspruch zu Protokoll erklärt (§ 245 Nr. 1 AktG).

2. Durch die am 02.06.2000 beim Landgericht eingegangene und am 13.06.2000 sowohl an den Vorstandssprecher als auch an den Aufsichtsratvorsitzenden der Beklagten zugestellte Klage ist die Klagefrist von einem Monat gewahrt (§ 246 Abs. 1 AktG, § 270 Abs. 3 ZPO).

3. Auch der Beschluss über die Entlastung des Vorstands (§120 AktG) unterliegt der aktienrechtlichen Anfechtung.

Durch die Entlastung billigt die HV die Verwaltung durch den Vorstand für das abgelaufene Geschäftsjahr, ohne dass damit ein Verzicht auf etwaige Ersatzansprüche verbunden wäre (§ 120 Abs. 2 AktG). Zugleich liegt in der Entlastung auch eine Vertrauenskundgabe gegenüber dem Vorstand für die Zukunft (Hüffer, AktG, 4. Aufl., § 120 RdNr. 2 m.w.N.). Andererseits hat die HV bei der Entlastung des Vorstands ein weites Ermessen, was sie als noch hinnehmbar akzeptieren möchte. Nach h.M. kann die HV auch einer "pflichtvergessenen" Verwaltung Entlastung erteilen, ohne dass dadurch ein Anfechtungsrecht für den einzelnen Aktionär begründet würde (BGH DB 67, 914; OLG Düsseldorf WM 96, 777; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 120 RdNr. 38; Kölner Kommentar, AktG, §120 RdNr. 49; einschränkend Hüffer a.a.O. RdNr. 12).

Anfechtbar ist der Entlastungsbeschluss aber jedenfalls, wenn der Vorstand seiner insoweit bestehenden gesetzlichen Informationspflicht nicht nachgekommen ist (BGH a.a.O. und NJW 74, 855; KG AG 01, 355; OLG Hamburg AG 01, 359). Denn ohne ausreichende Information ist dem Aktionär die sachgerechte Ausübung seines Ermessens bei der Beschlussfassung über die Entlastung nicht möglich.

4. Mit der Verweigerung der Auskunft auf die vom Kläger zur Risikovorsorge im Bereich Workout Immobilien (Komplex 1) gestellten Fragen zu a) und b) hat der Vorstand der Beklagten das Auskunftsrecht des Klägers gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1, AktG verletzt, wie bereits das BayObLG im Auskunftserzwingsungsverfahren mit Beschluss vom 21.03.2001 entschieden hat. Dieser Beschluss bindet den Senat zwar nicht bei der Entscheidung über die vorliegende Anfechtungsklage (BGH NJW 83, 878). Er teilt aber insoweit die Auffassung des BayObLG in dem vorgenannten Beschluss und schließt sich auch dessen überzeugender Begründung an.

Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG ist jedem Aktionär auf Verlangen in der HV - in den Grenzen des § 131 Abs. 3 AktG - Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit diese zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. Zweck des Auskunftsrechts ist es, dem Aktionär diejenige konkrete Information zu verschaffen, die er zur sachgerechten Ausübung seines Rechts auf Teilnahme an der Hauptversammlung benötigt. Ob es sich um ein für die Urteilsfindung des Aktionärs wesentliches Element handelt, ist zum einen im Zusammenhang mit dem konkreten TOP der HV und zum anderem nach objektiven Maßstäben zu beurteilen, wobei auf einen objektiv denkenden Durchschnittsaktionär abzustellen ist, der die Gesellschaftsverhältnisse nur aufgrund allgemein bekannter Tatsachen kennt (BayObLG a.a.O. und BayObLGZ 99, 193). Nach diesen Grundsätzen war das Auskunftsverlangen des Klägers zum Fragenkomplex 1 (Ursprung der Risikovorsorge im Bereich Workout Immobilien) berechtigt.

a) Risikovorsorge im Immobilienbereich ist eine Angelegenheit der Gesellschaft, da es um von der Beklagten geschlossene Geschäfte und die daraus resultierende Risikovorsorge geht.

b) Die gewünschte Auskunft war für die sachgemäße Beurteilung von Gegenständen der Tagesordnung erforderlich. Sie betraf auch nicht nur den TOP 1 (Jahresabschluss und Lagebericht), wie die Beklagte meint, sondern auch TOP 3 (Entlastung des Vorstands). Die Fragen wurden nämlich in der HV im Rahmen einer Generaldebatte zu sämtlichen Tagesordnungspunkten gestellt, so dass bei der Beurteilung der Erforderlichkeit ebenfalls die gesamte Tagesordnung Maßstab ist, insbesondere die Tagesordnungspunkte 1 und 3. Lagebericht und Entlastung des Vorstands werden auch vom Gesetz in engem Zusammenhang gesehen (§120 Abs. 3 AktG), legt doch mit dem Jahresabschluss und dem Lagebericht die Verwaltung gerade Rechenschaft über das vergangene Geschäftsjahr ab.

Zu dem Gegenstand der Frage des Klägers, nämlich der gesteigerten Risikovorsorge im Zusammenhang mit problembehafteten Altfinanzierungen im Immobilienbereich, hat der Vorstand im Lagebericht wiederholt Stellung genommen und dort u.a. ausgeführt, dass "hohe Risiken im Kredit-Portfolio ..... die im Geschäftsjahr 1999 enttäuschende Entwicklung bei der Risikovorsorge .... wesentlich geprägt" hätten (Seite 50 des Geschäftsberichts für 1999). Für einen Aktionär ist damit schon zur Beurteilung des TOP 1 (Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts) bei einem derart gewichtigen Punkt von Interesse, wie das Kreditrisiko im einzelen entstanden ist. Damit verbunden ist auch im Hinblick auf den TOP 3 (Entlastung des Vorstands), ob Vorstandsmitglieder der Beklagten an diesen Vorgängen in irgend einer Weise beteiligt waren. Dass die Geschäftsvorfälle, aus denen die Risiken erwachsen waren, sich in früheren Geschäftsjahren abgespielt hatten, steht dem nicht entgegen. Wie nämlich die Beklagte in ihrem Geschäftsbericht (Seite 51) selbst ausführt, war früher das "Ausmaß der Problematik ... wegen teilweise nicht marktgerechter Sicherheitsbewertungen und unzureichender Dokumentation nicht rasch genug zu erkennen" gewesen und hätte "im Sommer des abgelaufenen Jahres die Ertragsrechnung erneut belastet." Wenn diese Risiken in ihrer gesamten Reichweite erstmals im Geschäftsjahr 1999 aufgedeckt werden konnten, wirken sie auch massiv in dieses Geschäftsjahr hinein und können damit bei den TOP 1 und 3 Gegenstand von Aktionärsfragen sein.

c) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass ihr eine exakte Beantwortung der Fragen zum Komplex 1 (Risikovorsorge/WIM-Bereich) während der HV nicht möglich gewesen sei. Das gilt jedenfalls für die Fragen 1. a) und b). Der Vorstand der Beklagten hat nämlich in seinem Lagebericht (Seite 16 und 51) selbst ausgeführt, dass er die im WIM-Portfolio zusammengefassten Joint-Venture-Projekte, Bauträger- und Developer-Finanzierungen sowie Vermittlergeschäfte "einer systematischen, aufwendigen Detailanalyse unterzogen" habe und dieser Prozess zum Jahresende 1999 abgeschlossen gewesen sei. Aufgrund dessen konnte die Herkunft der Kreditrisiken nicht unaufgeklärt geblieben sein. Die Beklagte hat auch eingeräumt, dass dem Vorstand bei der HV vom 03.05.2000 insoweit Schätzwerte vorgelegen haben. Jedenfalls diese Schätzwerte hätte der Vorstand auf die Frage des Klägers bekannt geben können und müssen. Um eine exakte Aufschlüsselung und Zuordnung sämtlicher Geschäftsvorfälle ist es dem Kläger bei seinen Fragen zum Komplex Risikovorsorge erkennbar nicht gegangen, sondern nur um eine größenordnungsmäßige Aufteilung der Risikoursachen. Dies ergibt sich insbesondere aus der Formulierung der Frage 1.c) ("ungefähre Aufteilung"). Die bloße Erklärung des Vorstandssprechers der Beklagten in der HV vom 03.05.2000, es sei für den Kläger besser, wenn die gewünschten Zahlen (Aufteilung der Risiken auf H und BV) nicht genannt würden, ist aber keine Beantwortung der Fragen, sondern eine Verweigerung der Auskunft gewesen.

d) Ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 131 Abs. 3 AktG wird von der Beklagten weder dargetan noch geltend gemacht.

Das Auskunftsverlangen des Klägers ist auch nicht rechtsmißbräuchlich gewesen (§ 242 BGB). Dass der Kläger mit seinen Fragen zum Komplex 1 (Risikovorsorge/WIM-Bereich) ausschließlich oder überwiegend selbstsüchtige, nicht auf eine sachliche Aufklärung gerichtete Zwecke verfolgt hätte, kann nicht festgestellt werden. Das Auskunftsrecht ist ein eigennütziges mitgliedschaftliches Individualrecht des Aktionärs (Hüffer, AktG, § 131 RdNr. 2). Wenn der Kläger mit seinem nach § 131 Abs. 1 AktG berechtigten Auskunftsverlangen möglicherweise auch den weiteren Zweck verfolgt hat, in Anbetracht der gegen ihn als früheres Vorstandsmitglied der H erhobenen Vorwürfe eine gewisse Rehabilitation zu erlangen, ist dies nicht illegitim. Anhaltspunkte für ein schikanöses oder widersprüchliches Verhalten des Klägers liegen nicht vor.

5. Auf der gesetzwidrig vom Vorstand der Beklagten verweigerten Auskunft zu den Fragen des Klägers zum Komplex Risikovorsorge/WIM-Bereich (Fragen 1. a und b) beruht auch der Entlastungsbeschluss der HV vom 03.05.2000.

a) Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH (NJW 92, 2760; 93, 1976; 95, 3113) ist die Verweigerung einer Auskunft i.S.d. § 131 AktG für das Ergebnis eines Hauptversammlungsbeschlusses dann als kausal anzusehen, wenn ein objektiv urteilender Aktionär in Kenntnis der Umstände, die Gegenstand seines Auskunftsbegehrens sind, anders abgestimmt hätte als das aufgrund der Verweigerung der Auskunft ohne diese Kenntniserlangung geschehen ist.

Nach der von der Beklagten mit Schreiben vom 11.05.2001 erteilten Auskunft entfiel von den problembehafteten Immobilienengagements aus der Vergangenheit (WIM-Bereich) mit einem Volumen von ca. 9,6 Mrd. Euro zum Ende des Jahres 1999 ein Anteil von 7,3 Mrd. Euro (76 %) auf die H und ein Anteil von 2,3 Mrd. Euro (24 %) auf die BV (Frage 1 a); bei der Risikovorsorge von 1,581 Mrd. Euro für den WIM-Bereich(Frage 1 b) belief sich der Anteil der H auf 1,235 Mrd. Euro (78 %) und der Anteil der BV auf 346 Mio. Euro (22 %). Das bedeutet, dass von den im WIM-Bereich zusammengefassten problembehafteten Immobilienengagements aus der Vergangenheit ein nicht unerheblicher Anteil, nämlich fast 1/4 auf die BV entfiel, desgleichen auf die 1999 dafür gebildete hohe Risikovorsorge (22 %). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Vorstandssprecher der Beklagten zuvor langjähriger Vorstandssprecher der BV gewesen ist und auch die übrigen Vorstandsmitglieder der Beklagten unstreitig bereits der BV angehört hatten, teilweise als Mitglieder des Vorstands, teilweise in anderen Führungspositionen. Vor diesem Hintergrund hätte bei einem objektiv denkenden Aktionär der Beklagten, dem der tatsächliche Anteil der BV an den problembehafteten Immobilienengagements aus der Vergangenheit bekannt gewesen wäre, sich der Eindruck aufdrängen müssen, dass der Vorstand der Beklagten durch die unberechtigte Auskunftsverweigerung auf die diesbezüglichen Fragen des Klägers seine eigene Verantwortung für einen erheblichen Teil dieser problembehafteten Kredite und die darauf entfallene hohen Risikovorsorge nicht aufdecken wollte. Da außerdem die Entlastung des Vorstands - ungeachtet des der HV dabei zustehenden weiten Ermessens - auch eine Vertrauenskundgebung für die zukünftige Verwatlung beinhaltet, wäre ein objektiv urteilender Aktionär in Kenntnis des Anteils der BV an den oben genannten problembehafteten Immobilienengagements und an der Risikovorsorge und der Weigerung des Vorstands, diesen Anteil zumindest der Größenordnung nach mitzuteilen, zu dem Ergebnis gelangt, bei der Abstimmung in der HV vom 03.05.2000 zum TOP 3 der Entlastung des Vorstands für 1999 nicht zuzustimmen. Den ihr insoweit obliegenden Gegenbeweis hat die Beklagte nicht geführt.

Dass ein Jahr später die HV vom 06.05.2001 in Kenntnis der von der Beklagten gemäß Schreiben vom 11.05.2001 erteilten Auskunft dem Vorstand Entlastung für das Jahr 2000 erteilt hat, ist unerheblich. Eine Bestätigung der Entlastung für 1999 beinhaltet dieser Beschluss nicht. Ebensowenig läßt er Rückschlüsse auf das Abstimmungsverhalten der HV vom 03.05.2000 zu. Das verbietet schon der Rechtsgedanke des § 243 Abs. 4 AktG, wonach nachträgliche Erklärungen der Aktionäre über ihr Abstimmungsverhalten im Fall einer Auskunftsverweigerung unbeachtlich sind.

6. Da schon aus den vorstehend dargelegten Gründen der angefochtene Hauptversammlungsbeschluss für nichtig zu erklären ist, bedürfen die weiteren vom Kläger geltend gemachten Anfechtungsgründe keiner weiteren Erörterung.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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