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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 22.06.2007
Aktenzeichen: 7 W 1079/07
Rechtsgebiete: ArbGG, HGB, BGB


Vorschriften:

ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3
ArbGG § 5 Abs. 3
HGB § 84 ff.
HGB § 86 Abs. 2
HGB § 86 a
HGB § 92 a
BGB § 662
BGB § 665
BGB § 675 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 7 W 1079/07

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

hier: Beschwerde gegen die Rechtswegentscheidung

erlässt der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die unterzeichnenden Richter ohne mündliche Verhandlung am 22. Juni 2007 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Beschluss des Landgerichts vom 27.12.2006 wird aufgehoben.

II. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist zulässig.

III. Der Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

V. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.083,04 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten nach Beendigung des Vertragsverhältnisses auf Rückzahlung von Provisionsvorschüssen in Anspruch. Der Beklagte war vom 01.01.2003 bis 30.06.2004 für die Klägerin tätig. Er hat in der Zeit vom 01.01.2003 bis 31.03.2004 monatlich 2.800,-- € Provisionsvorschüsse, insgesamt 42.000,-- €, erhalten. Seine Tätigkeit entfaltete der Beklagte aufgrund des zwischen den Parteien abgeschlossenen "M.-Consultant-Vertrages" vom 10.10.2002 (Anlage K 1). Der Beklagte hatte von der Klägerin ein Notebook gemietet, für das er monatlich 189,80 € Miete bezahlen sollte.

Nach den von der Klägerin vorgelegten Kontoblättern sind dem Beklagten für seine Vermittlungstätigkeit für die Zeit vom 01.01.2004 bis 30.06.2004 2.525,74 € und 2.556,08 € auf dessen Konto überwiesen worden.

Die Klägerin trägt vor, der Beklagte sei aufgrund des abgeschlossenen M.-Consultant-Vertrages für sie als Handelsvertreter tätig gewesen. Aufgrund seiner Tätigkeit habe er in der Zeit vom 01.01.2004 bis 30.06.2004 Provisionsansprüche in Höhe von 15.976,02 € erworben, darunter für Februar 2004 Provisionsansprüche in Höhe von 764,06 €. Sie mache einen Rückzahlungsanspruch wegen zuviel bezahlter Provisionsvorschüsse von insgesamt 6.080,89 € sowie Notebook-Miete, Telefon-, Getränke- und Bluecard-Kosten geltend.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben sei. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nach § 5 Abs. 3 ArbGG sei nicht eröffnet, weil der Beklagte während der letzten 6 Monate des Vertragsverhältnisses im Durchschnitt mehr als 1.000,-- € monatlich bezogen habe. Bei der Ermittlung der anzusetzenden Vergütung sei von den tatsächlich ihr gegenüber erworbenen Provisionsansprüchen des Beklagten auszugehen und nicht nur von den Beträgen, die als Provisionszahlungen auf das Konto des Beklagten überwiesen worden seien.

Der Beklagte hat die Auffassung geäußert, der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nach § 5 Abs. 3 ArbGG sei gegeben, weil nur auf den tatsächlichen Mittelzufluss abzustellen sei. Im Übrigen sei er auch als Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG anzusehen. Denn er habe ausschließlich im Unternehmen der Klägerin gearbeitet, die auch die Telefonanschlüsse und die EDV gestellt habe. Er sei auch verpflichtet gewesen, einen Laptop von der Klägerin für einen monatlichen Betrag von 189,80 € anzumieten. Es sei ihm verboten gewesen, mehrere Unternehmen zu vertreten und er habe an Seminaren teilnehmen müssen. Er sei verpflichtet gewesen, nach dem Akquisestandard der Klägerin zu akquirieren und ihm sei untersagt worden, Akquise an bestimmten Universitäten, Fachhochschulen oder Krankenhäusern zu betreiben, an denen bereits andere Geschäftsstellen akquiriert hätten. Von ihm vermittelte Anträge auf Abschluss von Versicherungsverträgen habe er in eine täglich zu aktualisierende Liste eintragen müssen. Er habe eine jährliche Zielplanung erstellen müssen. Er habe an Pflichtveranstaltungen in Form von Schulungen sowie an den jeweils montags zwischen 10.00 Uhr und 12.00 Uhr abgehaltenen sogenannten "Montagsrunden" teilnehmen müssen.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 27.12.2006 den Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht München verwiesen.

Gegen den Beschluss hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, die Summe der für Januar 2004 bis März 2004 an den Beklagten ausgezahlten Beträge belaufe sich auf insgesamt 7.609,31 €. Bei der Berechnung der nach § 5 Abs. 3 ArbGG anzusetzenden Vergütung sei auf die Höhe der tatsächlich entstandenen Provisionsansprüche abzustellen. Eine Bemessung der Vergütung nur nach den tatsächlich dem Beklagten ausgezahlten Beträgen führe zu einer willkürlichen Einflussnahme der Parteien auf die gerichtliche Zuständigkeit. Bei der Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 5 Abs. 3 ArbGG gehe es um eine Gleichstellung wirtschaftlich unselbständiger Handelsvertreter mit einem Arbeitnehmer. Dies sei aber nur bei einem Handelsvertreter anzunehmen, der monatlich weniger als 1.000,-- € an Provisionsansprüchen erworben habe.

Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist eröffnet.

1. Bei der vorliegenden Klage auf Rückzahlung von Vorschüssen handelt es sich um eine zivilrechtliche Streitigkeit aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertragsverhältnis.

2. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nach § 5 Abs. 3 ArbGG ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil der Beklagte in den letzten 6 Monaten vor Beendigung des Vertragsverhältnisses durchschnittlich mehr als 1.000,-- € im Monat vom Unternehmer bezogen hat. Der Beklagte ist der Behauptung der Klagepartei, er habe von Januar 2004 bis einschließlich Juni 2004 Provisionen in Höhe von 15.976,02 € erwirtschaftet, nicht substantiiert entgegengetreten. Er hat im Wesentlichen eingewendet, dass bei der Ermittlung der Vergütung im Sinne von § 5 Abs. 3 ArbGG nur die tatsächlich an ihn aufgrund von Provisionsansprüchen geleisteten Zahlungen zu berücksichtigen und die von der Klägerin vorgenommenen Stornobelastungen in dem angesetzten Umfang unberechtigt seien.

Bei der Ermittlung der nach § 5 Abs. 3 ArbGG anzusetzenden Bezüge sind nicht nur die in diesem Zeitraum an den Beklagten bezahlten Beträge, sondern die unbedingt erwachsenen Provisionsansprüche zu berücksichtigen einschließlich der Provisionsansprüche, mit denen Gegenansprüche wegen bereits bezahlter Vorschüsse verrechnet worden sind. Mit der Verrechnung ist von der Klägerin gegenüber dem Beklagten eine Leistung, nämlich die anteilige Tilgung der darlehensweise gegebenen Vorschüsse gemäß § 6 Nr. 7 des M.-Consultant-Vertrages, erbracht worden. Mit den Provisionszahlungen und den verrechneten Vorschusszahlungen sind dem Kläger auch Mittel mindestens in Höhe der tatsächlich von ihm zu beanspruchenden Provisionen zugeflossen. Das gleiche gilt für Rückforderungen von Provisionen wegen Stornierung der Verträge. Gegen die alleinige Berücksichtigung der in den letzten 6 Monaten geleisteten Provisionszahlungen spricht ferner der Umstand, dass Gefahr der Manipulation des Rechtswegs droht. Zwar kann der Unternehmer nicht durch erhöhte Zahlungen die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte ausschalten, weil als Vergütung im Sinn des § 5 Abs. 3 ArbGG nur die unbedingt entstandenen Provisionsansprüche maßgebend sind (BGH NJW 1964, 457) und darüber hinausgehende Zahlungen als weitere Vorschüsse außer Ansatz bleiben. Es besteht jedoch die Gefahr, dass der Handelsvertreter, der seine Tätigkeit zu beenden beabsichtigt, durch die Vermittlung besonders stornoträchtiger Verträge vor Beginn der 6-Monatsfrist, die zunächst zu Provisionszahlungen an den Handelsvertreter geführt haben und dann zu Stornobelastungen innerhalb der letzten 6 Monate vor Beendigung des Vertragsverhältnisses führen, den tatsächlichen Mittelzufluss an ihn in diesem Zeitraum beeinflussen kann.

Der Schutzzweck des § 5 Abs. 3 ArbGG erfordert nicht das Abstellen allein auf den tatsächlichen Zahlungszufluss. Der Gesetzgeber wollte den sozial schwächeren Handelsvertreter einem Arbeitnehmer gleichstellen, da man diesen als besonders schutzbedürftig angesehen hat. Diese Schutzbedürftigkeit ist aber nur bei einem Handelsvertreter anzunehmen, der durchschnittlich weniger als 1.000,-- € an Provisionsansprüchen erworben hat und seine rechtlichen Angelegenheiten mit nur geringen finanziellen Mitteln regeln muss. Dieser soziale Status liegt bei einem Handelsvertreter, der zuvor über einen längeren Zeitraum Vorschüsse - hier von 2.800,-- € pro Monat - bezogen hat, nicht vor. Es ist einem Handelsvertreter, der im kaufmännischen Verkehr selbständig auftritt, auch zuzumuten, sich bei der Verwendung der ihm über einen längeren Zeitraum gewährten Vorschüsse an den tatsächlich verdienten Provisionen zu orientieren, um zu vermeiden, am Ende des Vertragsverhältnisses mit der Verrechnung seiner Ansprüche mit Vorschusszahlungen konfrontiert zu werden. Die Höhe der Vorschüsse von 2.800,- € monatlich ist nicht zu beanstanden. Sie orientiert sich an dem erwarteten durchschnittlichen Einkommen und ist angesichts ihrer Höhe nicht darauf angelegt, den Handelsvertreter in eine schnelle Abhängigkeit zum Unternehmer zu führen.

3. Der landgerichtliche Beschluss vom 27.12.2006 hat auch nicht aus anderen Gründen Bestand. Denn der Beklagte ist nicht als Arbeitnehmer im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG anzusehen. Nach § 1 des am 10.10.2002 geschlossenen M.-Consultant-Vertrages sollte der Beklagte als selbständiger Gewerbetreibender im Sinne von § 84 ff. HGB tätig sein, die Kunden der Klägerin beraten und ihnen M.-Dienstleistungen sowie Finanzprodukte vermitteln. Für seine Tätigkeit sollte der Beklagte gemäß § 6 des Vertrages Provisionen und Honorare erhalten. Der Beklagte konnte seine Arbeitszeit im Wesentlichen frei gestalten. Im Mitarbeitervertrag wurden insoweit keinerlei Regelungen getroffen. Die Anwesenheitspflicht bei den sogenannten "Montagsrunden" und den Schulungsveranstaltungen des Unternehmers ist dagegen schon quantitativ nicht geeignet, eine zeitliche Bindung zu begründen, welche die Eigenschaft als selbständiger Handelsvertreter entfallen lassen könnte. Die Durchführung von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sind wegen der risikobehafteten Beratung bei der Vermittlung von Versicherungsverträgen und Finanzdienstleistungen nicht zu beanstanden, da die Klägerin im Hinblick auf die Haftung und die Zufriedenheit der Kunden ein Interesse daran hat, nur geschulte Vertreter tätig werden zu lassen. Die vom Beklagten eingewandte Berichtspflicht widerspricht einer Tätigkeit als selbständiger Handelsvertreter nicht. Sie ist in § 86 Abs. 2 HGB ausdrücklich vorgesehen. Dass damit eine umfassende Kontrolle durch die Klägerin vorgenommen wurde, ist dem Vortrag des Beklagten nicht zu entnehmen. Eine ausdrückliche Regelung zum Urlaub haben die Parteien nicht getroffen. Dass eine Abstimmung zwischen den Beratern verlangt wurde, um die jeweilige Vertretung während der Abwesenheit des Beklagten sicherzustellen, berührt die freie Arbeitszeitgestaltung des Beklagten nicht wesentlich. Die Zuordnung zu einer bestimmten Geschäftsstelle stellt eine vom Handelsvertreter zu akzeptierende Entscheidung des Unternehmers im Rahmen der Kundenbetreuung gemäß § 86 a HGB dar (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 23.12.2005, Az.: 19 W 54/05). Sie beinhaltet nicht die Zuweisung eines Arbeitsortes, sondern die Zuordnung eines bestimmten Vertriebsbezirkes. Die von dem Beklagten zu tragenden Fixkosten lassen die Eigenschaft des Beklagten als selbständiger Handelsvertreter ebenfalls nicht entfallen. Insbesondere für die Firmenvertreter im Sinne von § 92 a HGB, die nicht für weitere Unternehmer tätig werden dürfen, ist es typisch, dass sie entsprechend eines bestimmten Gestaltungsmodells des Unternehmens tätig sind und von diesem auch hinsichtlich der Büroorganisation unterstützt werden (OLG Schleswig, Beschluss vom 03.05.2005, Az.: 16 W 119/04). Die Zuweisung eines bestimmten Vertriebsbezirks und die Anweisung, in bestimmten Universitäten, Fachhochschulen oder Krankenhäusern nicht zu akquirieren, läßt die Selbständigkeit des Beklagten als Handelsvertreter nicht entfallen. Dasselbe gilt für die Zuweisung eines bestimmten Vertriebsbezirks und eines bestimmten Kundenstammes. Der Handelsvertreter ist im Rahmen des zugrunde liegenden Geschäftsbesorgungsvertrages gemäß §§ 662, 665, 675 Abs. 1 BGB an Weisungen des Unternehmers, nämlich bezüglich der Vertriebspolitik sowie der Kundenwerbung und Betreuung gebunden. Der Unternehmer kann dem Handelsvertreter Weisungen zur Darstellung des Produkts sowie zu Bezirks- und Kundenbeschränkungen erteilen (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 30. Aufl., § 84 Rn. 38, § 86 Rn. 15 ff.).

Somit ist der Beklagte nicht Arbeitnehmer im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG.

4. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist gegeben. Die Sache ist an das Landgericht München I zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

6. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 ArbGG erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts, nachdem die Oberlandesgerichte Hamm (Az. 18 W 25/05), Schleswig (Az. 16 W 53/06) und Frankfurt (4 Senat Az. 4 W 46/05) die Durchschnittsvergütung der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses nur unter Ansatz der tatsächlichen Zahlungen an den Handelvertreter bemessen haben, während die Oberlandesgericht Karlsruhe (Az. 1 W 18/06), Dresden (Az. 14 W 1161/06), Düsseldorf (I- 16 W 109/06), Frankfurt (23. Senat Az. 23 W 62/06; 17. Senat Az. 17 W 74/04) und Oldenburg (8 W 84/06) allein auf die unbedingt erworbenen Ansprüche abgestellt haben.

7. Der Beschwerdewert beträgt 2.083,04 €. Er ist in Höhe von einem Drittel des Hauptsachestreitwertes festzusetzen, der nach Rücknahme der Klage in Höhe von 870,90 € noch 6.249,14 € beträgt.

Ende der Entscheidung

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