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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 15.05.2009
Aktenzeichen: AR (K) 7/09
Rechtsgebiete: EnWG, BGB


Vorschriften:

EnWG § 102 Abs. 1
BGB § 315
1. Auch in Fragen der Zuständigkeitsbestimmung geht die gesetzliche Zuständigkeit des Kartellsenats derjenigen der allgemeinen Zivilsenate in analoger Anwendung der Vorschriften § 102 Abs. 1, § 106 Abs. 1 EnWG vor.

2. § 102 Abs. 1 EnWG begründet keine ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte für einen Rechtsstreit um Zahlungsansprüche aus einem Gaslieferungsvertrag, denen der Abnehmer entgegenhält, die Festsetzung des Gaspreises entspreche nicht der Billigkeit gemäß § 315 BGB.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN BESCHLUSS

Aktenzeichen: AR (K) 7/09

In dem Verfahren

hat der Kartellsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zwirlein sowie die Richterin am Bundespatentgericht Dr. Mittenberger-Huber und Richter am Oberlandesgericht Cassardt ohne mündliche Verhandlung am 15. Mai 2009

beschlossen:

Tenor:

Zuständig ist das Amtsgericht Passau.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist ein Gasversorgungsunternehmen. Sie klagt eine Forderung von 1.971,98 € für Gaslieferungen an den Beklagten als Endkunden ein, deren Begleichung dieser unter anderem unter Berufung auf die Unbilligkeit der von der Klägerin festgesetzten Preise verweigert.

Das Amtsgericht Passau hat sich mit Beschluss vom 24. März 2009 (Bl. 139 ff. d. A.) unter Berufung auf § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Passau verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich die Prüfung, ob die Entgeltbestimmung der Klägerin billigem Ermessen nach § 315 Abs. 3 BGB entspreche, nach dem Energiewirtschaftsgesetz richte, denn nach § 1 Abs. 1 EnWG sei Zweck des Gesetzes eine möglichst sichere, preisgünstige verbraucherfreundliche, effektive und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas. Damit sei auch für Gaslieferungsverträge und für die Entgeltbestimmung der das gesamte Energiewirtschaftsrecht beherrschende Grundsatz der preisgünstigen Versorgung zu berücksichtigen; deshalb hänge die Entscheidung im Streitfall auch von Entscheidungen ab, die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu treffen seien.

Das Landgericht Passau hat sich mit Beschluss vom 1. April 2009 (Bl. 144 ff. d. A.) ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und das Oberlandesgericht München um Bestimmung des zuständigen Gerichts ersucht.

Der 31. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München, zu dessen Geschäftsaufgaben nach dem Geschäftsverteilungsplan grundsätzlich die Bestimmung des zuständigen Gerichts zählt, hat die Akten unter Hinweis auf die Kompetenzkompetenz des Kartellsenats an diesen abgegeben.

II.

Zuständig für die Zuständigkeitsbestimmung ist der Kartellsenat. Dessen gesetzliche Zuständigkeit geht derjenigen der allgemeinen Zivilsenate in analoger Anwendung der Vorschriften § 102 Abs. 1, § 106 Abs. 1 EnWG auch in Fragen der Zuständigkeitsbestimmung vor (vgl. zur entsprechenden Situation bei Kartellrechtsstreitigkeiten Dicks in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht - Bd. 2 GWB, 2006, § 87 Rz. 29 mit Hinweis auf OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18. Juli 2005 - VI-W [Kart] 6/05).

III.

1. Das für den Rechtsstreit zuständige Gericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen, nachdem sich sowohl das Amtsgericht Passau als auch das Landgericht Passau für unzuständig erklärt haben.

2. Das Amtsgericht Passau ist gemäß § 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig, da eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit mit einem unter 5.000,- € liegenden Streitwert gegeben ist, für die keine besondere Zuständigkeitsregelung gilt. Insbesondere ist die Zuständigkeit des Amtsgerichts weder durch § 102 Abs. 1 EnWG noch durch § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ausgeschlossen.

a) Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 EnWG nicht gegeben.

aa) Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus dem Energiewirtschaftsgesetz ergeben, die Landgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig. Eine sich in diesem Sinn aus dem Energiewirtschaftsgesetz ergebende Rechtsstreitigkeit i. S. d. § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG liegt bei Leistungsklagen dann vor, wenn diese auf eine Norm dieses Gesetzes als Anspruchsgrundlage gestützt sind (vgl. Hölscher in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG 2008, § 102 Rz. 11).

Die ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte besteht nach § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG auch dann, wenn die Entscheidung eines bürgerlichrechtlichen Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu treffen ist. Hierfür muss sie von einer Vorfrage abhängig sein, die - wäre sie Hauptfrage - unter § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG fiele; dabei ist das Merkmal der Vorgreiflichkeit streng zu handhaben (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 24. Oktober 2007 - 8 W 80/07, juris, dort Tz. 6 m. w. N). Nicht ausreichend ist es, wenn in die Streitentscheidung lediglich allgemeine Wertungsmaßstäbe einfließen, die in anderem Zusammenhang auch im Energiewirtschaftsrecht Berücksichtigung finden können, ohne dass eine konkrete energiewirtschaftsrechtliche Vorfrage aufgeworfen wird.

bb) Weder ergibt sich der Streitfall aus dem Energiewirtschaftsgesetz noch hängt seine Entscheidung von einer energiewirtschaftsrechtlichen Vorfrage ab.

(1) Der vorliegende Streit betrifft Zahlungsansprüche, die sich allein aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag ergeben. Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes kommen als Anspruchsgrundlagen nicht in Betracht. Eine Zuständigkeit der Landgerichte gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG kann daher nicht bestehen und ist auch vom Amtsgericht nicht zur Stützung seiner Auffassung herangezogen worden.

(2) Der Rechtsstreit hängt aber entgegen der Auffassung des Amtsgerichts auch nicht von einer nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu treffenden Entscheidung i. S. d. § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG ab.

Der Beklagte wendet gegen die Klage - hilfsweise - ein, die von der Klägerin festgesetzten Preise seien unbillig. Die Rechtsfrage, ob die Preise der Billigkeit entsprechen, findet indes im Energiewirtschaftsgesetz keine Antwort. Sie ist vielmehr auf der Grundlage der berechtigten Interessen beider Parteien an der Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung, etwa durch bloße Weitergabe gestiegener Bezugskosten (vgl. BGH NJW 2009, 502 Tz. 30), zu entscheiden. Allein der Umstand, dass das Energiewirtschaftsgesetz nach der Beschreibung seines Zwecks in § 1 Abs. 1 EnWG eine unter anderem möglichst preisgünstige Versorgung anstrebt, entscheidet keine Rechtsfrage, die für die Beurteilung der Billigkeit der klägerischen Preise vorgreiflich sein könnte (a. A. in einem obiter dictum OLG Koblenz, Einzelrichterbeschl. v. 9. Februar 2007 - W 50/07 Kart [vgl. Anl. B 1]).

Das Energiewirtschaftsgesetz gibt dem Haushaltskunden lediglich einen Anspruch auf Grundversorgung, regelt also im Sinne eines Kontrahierungszwangs das "Ob" des Abschlusses eines Versorgungsvertrages, nicht aber die Einzelheiten der Ausgestaltung des Individualvertrages über die Energielieferung (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 15. April 2008 - 21 AR 15/08, juris, dort Tz. 3 m. w. N.). Die Frage, ob dem Beklagten ein Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrags zusteht, ist indes für den Streitfall nicht entscheidungserheblich.

b) Die Zuständigkeit des Landgerichts Passau ergibt sich auch nicht aus dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts, weil diesem keine Bindungswirkung zukommt.

aa) Die sich grundsätzlich aus § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ergebende Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt, wenn dieser unter Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ergangen ist (vgl. BGH NJW 2008, 1309 Tz. 6 m. w. N.).

Die Vorschrift des Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26. November 2008 - 1 BvR 670/08, juris, dort Tz. 14 m. w. N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Vorbringen einer Partei überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das Gericht ist nicht verpflichtet, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen. Erst wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist, nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen (vgl. BVerfG, a. a. O.; BGH GRUR 2008, 731 - alphaCAM Tz. 18 m. w. N.).

bb) Nach diesen Grundsätzen entfaltet der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Passau keine Bindungswirkung.

Der Beklagte hat auf den Seiten 1 bis 3 der Klageerwiderung vom 27. Januar 2009 (= Bl. 30 -32 d. A.) die sachliche Unzuständigkeit des Amtsgerichts gerügt und dazu ausführlich aus dem als Anlage B 1 vorgelegten Einzelrichterbeschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 9. Februar 2007 - W 50/07 Kart zitiert, wonach sich die Zuständigkeit der Landgerichts gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG daraus ergebe, dass Zweck des Energiewirtschaftsgesetzes nach dessen § 1 Abs. 1 eine unter anderem möglichst preisgünstige Versorgung sei und damit auch für Gaslieferungsverträge der das gesamte Energiewirtschaftsrecht beherrschende Grundsatz der preisgünstigen Versorgung zu berücksichtigen sei. Darauf hat die Klägerin auf Seite 2 f. ihres Schriftsatzes vom 26. Februar 2009 (= Bl. 117 f. d. A.) ausdrücklich erwidert, dass der Zweck des Energiewirtschaftsgesetzes keine "Entscheidung" i. S. d. § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG sei, und näher dargelegt, welcher Art die in § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG genannten Entscheidungen ihrer Auffassung nach sein müssten.

Mit der dadurch von der Klägerin angesprochenen, für die Entscheidung über seine sachliche Zuständigkeit zentralen Frage hat sich das Amtsgericht in seinem Verweisungsbeschluss in keiner Weise auseinandergesetzt, sondern sich darauf beschränkt, die bereits vom Beklagten zitierten Passagen aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz zu wiederholen. Dieses Nichteingehen auf den wesentlichen Kern des klägerischen Vortrags zeigt, dass ihn das Amtsgericht bei seiner Entscheidung nicht erwogen und dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt hat.

Der Verweisungsbeschluss ist daher mangels Bindungswirkung nicht geeignet, die Zuständigkeit des Landgerichts Passau zu begründen.

Ende der Entscheidung

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