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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 27.04.2007
Aktenzeichen: Kart 20/07
Rechtsgebiete: EnWG, ZustWiG, ZPO, ZustWiV, GWB, GZVJu


Vorschriften:

EnWG § 23a
EnWG § 54 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
EnWG § 75 Abs. 1
EnWG § 75 Abs. 4
EnWG § 75 Abs. 4 Satz 1
EnWG § 106
EnWG § 106 Abs. 1
EnWG § 106 Abs. 2
ZustWiG Art. 1 Abs. 1 Satz 1
ZustWiG Art. 1 Abs. 2
ZPO § 281
ZustWiV § 1 Abs. 1 Satz 1
ZustWiV § 1 Abs. 1 Satz 2
GWB § 63 Abs. 1
GWB § 63 Abs. 4
GWB § 91
GWB § 92
GWB § 92 Abs. 1 Satz 1
GWB § 93
GWB § 93 Satz 1
GZVJu § 22 Abs. 1
GZVJu § 22 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN BESCHLUSS

Aktenzeichen: Kart 20/07

In dem Verfahren

hat der Kartellsenat des Oberlandesgerichts München durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zwirlein, Richter am Oberlandesgericht Lehner und Richter am Oberlandesgericht Dr. Kartzke ohne mündliche Verhandlung am 27.04.2007

beschlossen:

Tenor:

Das Oberlandesgericht München erklärt sich für örtlich unzuständig und verweist das Beschwerdeverfahren an das Oberlandesgericht Nürnberg zurück.

Gründe:

I.

Am 18.10.2006 hat die Antragsgegnerin unter dem Aktenzeichen 22-3163.2-Alt einen Bescheid betreffend Genehmigung der Entgelte für den Netzzugang Strom (§ 23 a EnWG) erlassen. Auf diesen Bescheid (Anlage zum Beschwerdeschriftsatz der Antragstellerin vom 14.11.2006) wird Bezug genommen.

Die Rechtsmittelbelehrung zu diesem Bescheid lautet auszugsweise:

"Gegen diese Entscheidung ist nach § 75 Abs. 1 EnWG die Beschwerde zulässig. Sie ist schriftlich binnen einer mit der Bekanntgabe der Entscheidung beginnenden Frist von einem Monat bei der Regierung von Mittelfranken als Regulierungsbehörde, Promenade 27, 91522 Ansbach (Postanschrift: Postfach 6 06, 91511 Ansbach) einzureichen. Zur Fristwahrung genügt jedoch, wenn die Beschwerde innerhalb dieser Frist bei dem zuständigen Beschwerdegericht, dem Oberlandesgericht Nürnberg, eingeht (§ 75 Abs. 4, § 78 Abs. 1 EnWG)..."

Mit Schriftsatz vom 14.11.2006, beim Oberlandesgericht Nürnberg am selben Tag eingegangen, hat die Antragstellerin Beschwerde gemäß § 75 Abs. 1 EnWG gegen den genannten Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.10.2006 eingelegt.

Mit Hinweisbeschluss vom 26.01.2007 hat das Oberlandesgericht Nürnberg die Antragstellerin und die Antragsgegnerin, die bis dahin die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Nürnberg in keiner Weise angezweifelt hatten, darauf hingewiesen, dass es die ausschließliche Zuständigkeit des Kartellsenats des Oberlandesgerichts München für gegeben erachte und in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO eine Verweisung für möglich halte.

Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin haben daraufhin übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Nürnberg gegeben ist. Lediglich hilfsweise hat die Antragstellerin die Verweisung des Verfahrens an das Oberlandesgericht München nach § 281 ZPO beantragt.

Mit Beschluss vom 09.03.2007 hat sich das Oberlandesgericht Nürnberg für unzuständig erklärt und das Beschwerdeverfahren auf den Hilfsantrag der Antragstellerin an den Kartellsenat des Oberlandesgerichts München verwiesen. Auf diesen Beschluss wird Bezug genommen.

Nach Eingang der Akten bei dem Oberlandesgericht München wurden die Antragstellerin und die Antragsgegnerin mit gerichtlicher Verfügung vom 30.03.2007 darauf hingewiesen, dass das Oberlandesgericht München unzuständig ist und dass beabsichtigt ist, das Beschwerdeverfahren an das Oberlandesgericht Nürnberg zurückzuverweisen.

Die Antragsgegnerin und die Antragsgegnerin haben daraufhin an ihren vorstehend genannten übereinstimmenden Auffassungen, dass die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Nürnberg gegeben ist, festgehalten. Die Antragstellerin hat höchstvorsorglich die Verweisung an das Oberlandesgericht Nürnberg beantragt.

Ergänzend wird auf die im gerichtlichen Verfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Im Streitfall kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil sowohl die Antragstellerin als auch die Antragsgegnerin ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt haben (vgl. § 81 Abs. 1 EnWG) und weil keine Entscheidung in der Sache ergeht (vgl. Salje, Energiewirtschaftsgesetz, § 81, Rdn. 4). III.

Das Oberlandesgericht Nürnberg ist für die Entscheidung über die von der Antragstellerin eingelegte Beschwerde gemäß § 75 Abs. 1 EnWG gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.10.2006 das zuständige Oberlandesgericht (§ 75 Abs. 4 EnWG); es handelt sich um eine ausschließliche Zuständigkeit. Der Verweisungsbeschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 09.03.2007 entfernt sich so weit von den gesetzlichen Grundlagen für eine Verweisung, dass diesem Beschluss im Hinblick auf das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes keine Bindungswirkung zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 10.09.2002 - X ARZ 299/02 = BGHReport 2003, 42, 43 f., in juris dokumentiert, m.w.N.; BGHZ 102, 338, 341; BGHZ 71, 69, 72; BayObLGZ 2003, 187, 190; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 281, Rdn. 17); deshalb war das Beschwerdeverfahren an das Oberlandesgericht Nürnberg zurückzuverweisen.

1. Über die Beschwerde gemäß § 75 Abs. 1 EnWG gegen Entscheidungen der Regulierungsbehörde entscheidet nach § 75 Abs. 4 Satz 1 EnWG ausschließlich das für den Sitz der Regulierungsbehörde zuständige Oberlandesgericht; das ist hier das Oberlandesgericht Nürnberg.

a) Für die von der Antragstellerin beantragte Genehmigung nach § 23a EnWG ist gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EnWG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 des Gesetzes über die Zuständigkeit zum Vollzug wirtschaftsrechtlicher Vorschriften (ZustWiG) i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 der Verordnung zum Vollzug wirtschaftsrechtlicher Vorschriften (ZustWiV) die Regierung von Mittelfranken die zuständige Regulierungsbehörde. Sitz der Regierung von Mittelfranken ist Ansbach, das im Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg liegt (vgl. Art. 2 Nr. 3 des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte im Freistaat Bayern (GerOrgG)), weshalb das Oberlandesgericht Nürnberg nach § 75 Abs. 4 Satz 1 EnWG als Beschwerdegericht ausschließlich zuständig ist.

b) Durch die Regelung des § 106 EnWG (Zuständiger Senat beim Oberlandesgericht) wird die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts München als Beschwerdegericht im Streitfall nicht begründet, und zwar weder durch § 106 Abs. 1 EnWG noch durch § 106 Abs. 2 EnWG i.V.m. § 92, § 93 GWB.

aa) Vorbild für § 106 Abs. 1 EnWG ist die Vorschrift des § 91 GWB (vgl. Salje aaO § 106, Rdn. 1; Begründung zum Entwurf der Bundesregierung betreffend Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, BT-Drucks. 15/3917, S. 75 (zu § 106 EnWG)). § 91 GWB regelt nur die Spruchkörperzuständigkeit innerhalb der Oberlandesgerichte; § 91 GWB hat lediglich gerichtsinterne Bedeutung (vgl. Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 91 GWB, Rdn. 1); die Vorschrift regelt nicht, welches Oberlandesgericht bei Beschwerden nach § 63 Abs. 1 GWB in Kartellverwaltungssachen als Beschwerdegericht zuständig ist.

Die Zuständigkeit in Kartellverwaltungssachen ergibt sich vielmehr aus § 63 Abs.4 GWB, wonach das für den Sitz der Kartellbehörde zuständige Oberlandesgericht zur Entscheidung berufen ist. Von der Ermächtigung zur Zuständigkeitsübertragung gemäß § 93 Satz 1 GWB i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 1 GWB wurde in Bayern nur hinsichtlich Entscheidungen über die Berufung gegen Endurteile und über die Beschwerde gegen sonstige Entscheidungen der Landgerichte Gebrauch gemacht (vgl. § 22 Abs. 2 der Verordnung über gerichtliche Zuständigkeiten im Bereich des Staatsministeriums der Justiz (Gerichtliche Zuständigkeitsverordnung Justiz - GZVJu vom 16.11.2004 (BayGVBl. 2004, S. 471), zuletzt geändert durch Verordnung vom 08.12.2005 (BayGVBl. 2005, S. 695)). Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 22 Abs. 2 GZVJu betrifft diese Zuständigkeitsübertragung auf das Oberlandesgericht München nur Kartellzivilsachen, d.h. Rechtsmittel gegen zivilrechtliche Entscheidungen der Landgerichte, nicht jedoch Kartellverwaltungssachen wie Beschwerden gegen Entscheidungen der Kartellbehörden.

Für § 106 Abs. 1 EnWG gilt Entsprechendes. Auch diese Vorschrift hat nur gerichtsinterne Bedeutung. Keinesfalls kann aus dem Umstand, dass das Präsidium eines bestimmten Oberlandesgerichts dort einen Kartellsenat nicht errichtet hat, geschlossen werden, dass infolgedessen die gesetzliche Zuständigkeit dieses Oberlandesgerichts für die den Kartellsenaten zugewiesenen Rechtssachen entfalle. Die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts für die Entscheidung über Beschwerden nach § 75 Abs. 1 EnWG in Energiewirtschaftsverwaltungssachen ergibt sich - und zwar als ausschließliche Zuständigkeit - aus § 75 Abs. 4 EnWG. Nichts anderes ergibt sich aus der Begründung zum Entwurf der Bundesregierung betreffend Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, BT-Drucks. 15/3917, S. 71 (Zu § 75 EnWG).

bb) Von der den Landesregierungen bzw. Landesjustizverwaltungen durch § 106 Abs. 2 EnWG i.V.m. § 92 Abs. 1 EnWG eingeräumten Möglichkeit, Rechtssachen, über die nach § 75 Abs. 4 EnWG ausschließlich die für den jeweiligen Sitz der Regulierungsbehörde zuständigen Oberlandesgerichte zu entscheiden haben, durch Rechtsverordnung einem anderen Oberlandesgericht zu übertragen, hat die Bayerische Staatsregierung bzw. die Bayerische Landesjustizverwaltung bisher keinen Gebrauch gemacht. Die Zuständigkeitsübertragung gemäß § 22 GZVJu ist im Streitfall eindeutig nicht einschlägig. Durch § 22 Abs. 2 GZVJu wird aufgrund des § 93 Satz 1 GWB i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 1 GWB die Entscheidung über die Berufung gegen Endurteile und über die Beschwerde gegen sonstige Entscheidungen der nach § 22 Abs. 1 GZVJu zuständigen Landgerichte dem Oberlandesgericht München übertragen. Diese Übertragung bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut, nämlich der Bezugnahme auf § 93 GWB, lediglich auf Kartellzivilsachen (vgl. Bracher in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, § 92 GWB 2005, Rdn. 7), nicht auf Kartellverwaltungssachen und erst recht nicht auf Energiewirtschaftsverwaltungssachen wie im Streitfall.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Oberlandesgericht Bamberg, für das als bayerisches Oberlandesgericht die Rechtslage, welche die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Nürnberg begründet, entsprechend gilt, in Beschwerdeverfahren nach § 75 Abs. 1 EnWG seine Zuständigkeit als Beschwerdegericht nach § 75 Abs. 4 EnWG ohne weiteres bejaht hat (vgl. Beschluss des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 21.02.2007 - VA 5/06 (Kart)).

2. Der Verweisungsbeschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 09.03.2007 entfernt sich, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, so weit von den gesetzlichen Grundlagen für eine Verweisung, dass diesem Beschluss im Hinblick auf das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes keine Bindungswirkung zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 10.09.2002 - X ARZ 299/02 = BGHReport 2003, 42, 43 f., in juris dokumentiert, m.w.N.; BGHZ 102, 338, 341; BGHZ 71, 69, 72; BayObLGZ 2003, 187, 190; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 281, Rdn. 17). Der Umstand, dass die Antragstellerin hilfsweise einen Verweisungsantrag gestellt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Bundesgerichtshof hat sogar für Fälle, in denen ein rechtsfehlerhaft zustande gekommener Verweisungsbeschluss einem übereinstimmenden Verlangen beider Parteien entsprach, ausgesprochen (vgl. BGH, Beschluss vom 10.09.2002 - X ARZ 299/02, in juris dokumentiert, dort Rdn. 17), dass gleichwohl von Willkür auszugehen ist, wenn ein unzweifelhaft zuständiges Gericht die Parteien, die sich bislang zur Frage einer Verweisung noch nicht geäußert haben, von sich aus auf die angeblich bestehende Möglichkeit einer Verweisung hinweist. Wenn die Parteien daraufhin die Verweisung beantragen bzw. sich mit ihr einverstanden erklären, liegt die Annahme nicht fern, dass sie durch die rechtlich unzutreffende Information dazu veranlasst worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 10.09.2002 aaO Rdn. 17). Schon aus diesem Grund sind die Erklärungen der Parteien nicht geeignet, der rechtswidrigen Verweisung den Willkürcharakter zu nehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 10.09.2002 aaO Rdn. 17). Dies muss erst recht im vorliegenden Fall gelten, in dem beide Parteien sich bis zuletzt gegen die vom Oberlandesgericht Nürnberg beabsichtigte Verweisung gewandt haben und nur die Antragstellerin auf Grund der Hinweise des Oberlandesgerichts Nürnberg lediglich hilfsweise Verweisung beantragt hat. Somit war das Beschwerdeverfahren an das Oberlandesgericht Nürnberg zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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