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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 20.12.2001
Aktenzeichen: U (K) 4429/01
Rechtsgebiete: ZPO, UWG


Vorschriften:

ZPO § 935
ZPO § 940
UWG § 25
1. Ein Zuwarten von Seiten des Antragstellers kann nur dann als dringlichkeitsschädlich angesehen werden, wenn er von den anspruchsbegründenden Umständen (Verletzungshandlung, Verletzer) positive Kenntnis hat. Etwas anderes gilt nur dann, wenn er Kenntnis von Umständen erlangt hat, die die Möglichkeit einer Verletzung nahelegen und es ihm ohne erheblichen Aufwand möglich ist, noch vorhandene Unsicherheiten zu beseitigen. In diesem Fall muss von ihm erwartet werden, dass er sich zur Unterbindung der Verletzungshandlung die erforderliche Kenntnis verschafft und nicht tatenlos zuwartet, bis sich die ihm aufdrängende Vermutung mehr oder weniger zufällig zu einem erheblich späteren Zeitpunkt bestätigt. Die Kenntnis von Umständen, aus denen auf eine (Erst-) Begehungsge-fahr geschlossen werden kann, sind einer positiven Kenntnis von einer begangenen Verletzungshandlung nicht ohne weiteres gleichzustellen (Bestätigung der Rechtsprechung des OLG München).

2. Die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um 2 Wochen, die zudem nicht voll ausgeschöpft wird, kann nicht als dringlichkeitsschädlich angesehen werden, wenn die Monatsfrist zur Berufungseinlegung nicht ausgeschöpft wurde und deshalb die Berufungsbegründung vor Ablauf einer Frist von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils bei Gericht eingeht.


Geschäftsnummer: U (K) 4429/01

Verkündet am 20.12.2001

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat der Kartellsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter Wörle und die Richter Jackson und Retzer aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22.11.2001

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.7.2001 - 3 O 4502/01 - wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Die Antragstellerin, ein Unternehmen der Elektroindustrie, nimmt die Antragsgegnerin, ein regional (Oberpfalz, Niederbayern und Teilen von Oberbayern) tätiges Stromversorgungsunternehmen (Versorgungsgebiet von ca. 21.000 km2, 700.000 Kunden), auf Unterlassung in Anspruch mit der Behauptung, sie diskriminiere, behindere bzw. boykottiere die Antragstellerin beim Vertrieb eines Produktes.

Im Frühjahr 2001 gab der Verband X, in dem die Antragsgegnerin Mitglied ist, ein neues "Merkblatt für Zählerschränke" (Ausgabe 03/2001, Bestandteil von Anlage AS 12) heraus, von dem die Antragstellerin am 11.4.2001 Kenntnis erlangte. In dessen Abschnitt 5. Ausrüstung (5.1 Unter Anschlussraum) wird ausgeführt:

Entsprechend der TAB 2000 werden selektive Haupt-Leitungsschutzschalter (SH-Schalter) nach den geltenden Normen je Zähler eingebaut. Da SH-Schalter als Trennvorrichtung für die Kundenanlage verwendet werden (früher: Hausanschlusssicherung als Trennvorrichtung) sind diese für eine Stoßüberspannung von 8 kV (gekennzeichnet mit *) ausgelegt.

Die Antragstellerin beanstandet die Angaben in dem Merkblatt als grob falsch und irreführend. ...

Am 3.5.2001 beantragte die Antragstellern beim Landgericht München I den Erlass einer einstweiligen Verfügung (Anlage AS 12) gegen den Verband X, worauf diesem mit einstweiliger Verfügung vom 4.5.2001 (7 O 8024/01; Anlage AS 14), zugestellt am 7.5.2001, verboten wurde, zu behaupten, selektive Haupt-Leitungsschutzschalter seien, da sie als Trennvorrichtung für die Kundenanlage verwendet würden, für eine Stoßüberspannung von 8 kV (gekennzeichnet mit *) ausgelegt.

In vorliegendem Verfahren wendet sich die Antragstellerin gegen den Vertrieb der CD-ROM "Handbuch Technische Anschlussbedingungen - TAB" des Verbandes X, die auch das fragliche Merkblatt enthält, zusammen mit der nachfolgend in Kopie wiedergegebenen "Information zur CD-ROM ...", datierend vom 16.5.2001 (Anlage AS 17).

Die Antragstellerin sieht in der Verbreitung der CD-ROM, von der sie am 21.5.2001 Kenntnis erhalten habe, eine Diskriminierung durch die Antragsgegnerin in deren Versorgungsgebiet. Die Antragsgegnerin mache sich die Ausführungen im Merkblatt zu eigen. ...

Ihr Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 25.5.2001 ging am 28.5.2001 beim Langericht Regensburg ein. Mit Beschluss vom selben Tage wurde das Verfahren an das Landgericht Nürnberg-Fürth (Eingang 30.5.2001) verwiesen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

der Antragsgegnerin wird bei Meidung näher bezeichneter Ordnungsmittel untersagt,

- schriftlich, in elektronischer Form - etwa auf der Internet-Homepage der Antragsgegnerinn oder auf CD-ROM -, mündlich - etwa auf Schulungsveranstaltungen - oder in sonstiger Weise - etwa durch Verteilung CD-ROM "Handbuch Technische Anschlußbedingungen - TAB" des Verbandes X-wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, selektive Haupt-Leitungsschutzschalter seien, da sie als Trennvorrichtung für die Kundenanlage verwendet würden, für eine Stoßüberspannung von 8 kV (gekennzeichnet mit "*") ausgelegt;

- den Einsatz von mit "*" gekennzeichneten selektiven Haupt-Leitungsschutzschalter zu empfehlen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, es fehle bereits an der erforderlichen Dringlichkeit, da die Antragstellerin bereits am 11.4.2001 von dem Merkblatt gewusst und zudem seit dem 30.4.2001 im Besitz der CD-ROM gewesen sei. ...

Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Urteil vom 25.7.2001 zurückgewiesen. Da die Antragstellerin nicht davon habe ausgehen können, dass einzelne Mitglieder ebenfalls das Merkblatt vertreiben würden, sei die Dringlichkeit gegeben, nachdem sie von der Verteilung des CD-ROM erst am 21.5.2001 Kenntnis erlangt habe. Ein Missbrauch i.S. von § 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 bzw. eine Behinderung i.S. von § 20 Abs. 1 GWB sei jedoch nicht gegeben.

In der Sache hat das Landgericht einen Unterlassungsanspruch verneint.

Gegen das ihr am 1.8.2001 zugestellte Urteil hat die Antragstellerin am 8.8.2001 Berufung beim OLG Nürnberg eingelegt, das die Berufungsschrift formlos an das OLG München übersandt hat, wo sie am 17.8.2001 einging. Mit Schriftsatz vom 13.8.2001 machten sich die anwaltlichen Vertreter der Antragstellerin die Berufung zum OLG Nürnberg zu eigen. Nachdem ihrem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom 10.9.2001 bis zum 24.9.2001 stattgegeben worden war, ging die Berufungsbegründung am 20.9.2001 ein.

Die Antragstellerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und nach den Anträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin vertritt weiterhin die Auffassung, dass es bereits an der Dringlichkeit fehle, zumal auch die Berufungsbegründungsfrist verlängert worden sei.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Antragstellerin bleibt in der Sache ohne Erfolg, da ein Verfügungsanspruch nicht besteht bzw. nicht glaubhaft gemacht ist.

A.

Die Berufung ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass die Berufung beim OLG Nürnberg eingelegt und von diesem nicht entsprechend § 281 ZPO an das OLG München verwiesen (vgl. hierzu K. Schmidt, in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 93 Rdn. 7 f), sondern nur zuständigkeitshalber übersandt wurde, da jedenfalls der Schriftsatz der Antragstellerin vom 10.8.2001 (Eingang beim OLG München am 13.8.2001) als Berufungseinlegung beim zuständigen Gericht anzusehen ist, da aus dem Schriftsatz selbst eindeutig hervorgeht, dass und gegen welches Urteil Berufung eingelegt wird (§ 518 Abs. 2 ZPO).

B.

I. Verfügungsgrund (§ 935 ZPO)

Ohne Erfolg bleibt der Einwand der Antragsgegnerin, für ein Vorgehen im Wege der einstweiligen Verfügung fehle es bereits an der erforderlichen Dringlichkeit, da nicht dargetan ist, dass die Antragstellerin länger als einen Monat nach positiver Kenntnis der beanstandeten Handlungen und des "Verletzers" untätig geblieben ist (vgl. hierzu OLG München Mitt. 2001, 85, 89 f; WRP 1993,49 - Fahrpreiserstattung; GRUR 1992, 328; WRP 1991, 51, 53). Auch eine der Antragstellerin anzulastende Verzögerung im Rahmen des Berufungsverfahrens ist nicht festzustellen.

1. Es ist unstreitig, dass die Antragstellerin am 21.5.2001 davon Kenntnis erhalten hat, dass die Antragsgegnerin die CD-ROM zusammen mit dem Informationsblatt verteilt.

a. Soweit sich der Antrag gegen die "Empfehlung" in Form des Informationsschreibens richtet, ist die Kenntnis von dem Inhalt der CD-ROM und deren Vertrieb durch den Verband X seit dem 11.4.2001 bzw. der Existenz der CD-ROM des Y-Konzerns, auf der die Antragsgegnerin als Mitherausgeberin angegeben ist, schon deshalb ohne Bedeutung, weil es das Informationsblatt der Antragsgegnerin, als Reaktion auf die gegen den VBEW ergangene einstweilige Verfügung, vor dem 16.5.2001 offensichtlich noch gar nicht gab.

b. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin war die Antragstellerin über das gerichtliche Vorgehen gegen den Verband X hinaus nicht gehalten, weitere (mögliche) Verteiler des Merkblattes zu ermitteln, vielmehr ist daran festzuhalten, dass ein Zuwarten von Seiten eines Antragstellers nur dann dringlichkeitsschädlich sein kann, wenn er von den maßgeblichen Umständen (Verletzungshandlung, Verletzer) positive Kenntnis hat. Hat der Antragsteller konkret Kenntnis von Umständen erlangt, die die Möglichkeit einer Verletzung seiner Rechte nahelegen, und ist es ihm ohne erheblichen Aufwand möglich, noch vorhandene Unsicherheiten zu beseitigen, so muss von ihm erwartet werden, dass er sich zur Unterbindung der Verletzungshandlung die erforderliche Kenntnis verschafft und nicht tatenlos zuwartet, bis sich die ihm aufdrängende Vermutung mehr oder weniger zufällig zu einem erheblich späteren Zeitpunkt bestätigt (vgl. OLG München, Urt. v. 16.12.1993 - 6 U 5390/93, OLG-Report 1994, 136 = MDR 1994,1202 = Magazindienst 1994, 1022, 1024; Senat, Urt. v. 25.2.1998 - 29 U 6463/98). Ein derartiges zögerliches Vorgehen von Seiten der Antragstellerin kann allein schon deshalb nicht festgestellt werden, weil die Antragsgegnerin nicht behauptet, dass sie die CD-ROM bereits länger als einen Monat vor Eingang des Antrags bei Gericht verteilt hat. Dies gilt auch dann, wenn man das Vorbringen der Antragsgegnerin (Schriftsatz vom 3.7.2001 S. 1 i.V.m. der eidesstattlichen Versicherung von Herrn S., Anlage B 1 unter 3.) dahingehend versteht, dass die anlässlich der Besprechung vom 30.4.2001 der Antragstellerin übergebene CD-ROM damals bereits verbreitet wurde und dies der Antragstellerin auch bekannt war, da der Antrag am 28.5.2001 beim Landgericht Regensburg (und nach Verweisung noch am 30.5.2001 beim Landgericht Nürnberg-Fürth) einging.

c. Ob die Antragstellerin ohne Kenntnis von einer bereits erfolgten Verbreitung von Seiten der Antragsgegnerin wegen drohender (Erst-)Begehungsgefahr mit hinreichender Erfolgsaussicht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hätte stellen können, ist nicht entscheidungserheblich. Denn die Antragstellerin konnte sich - nachdem sie zudem bereits erfolgreich gegen den Verband X vorgegangen war - darauf beschränken, nach Kenntnis von einer anderweitigen Verbreitung des beanstandeten Merkblattes hiergegen innerhalb der nach der Rechtsprechung des OLG München zu beachtenden Monatsfrist vorzugehen (vgl. OLG München, Urt. v. 6.11.1997 - 6 U 4477/97, Mitt. 1999, 223, 227).

2. Mit dem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hat die Antragstellerin nicht zu erkennen gegeben, dass ihr die Geltendmachung der behaupteten Ansprüche doch nicht so dringlich ist. Dabei kann dahinstehen, ob aus den im Schriftsatz vom 21.11.2001 (S. 19 f) vorgetragenen Gründen, eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist für die Antragstellerin unvermeidbar war, da die Verlängerung unter Berücksichtigung der "vorzeitigen" Berufungseinlegung gesehen werden muss. Die Nichtausschöpfung der Frist des § 516 ZPO würde sich ansonsten zu Lasten der Antragstellerin auswirken, obwohl es ihr nach der Rechtsprechung des OLG München (GRUR 1992, 328 = MDR 1991, 157 =NJW-RR 1991, 624) unbenommen gewesen wäre, die Berufungseinlegungs- und Berufungsbegründungsfrist jeweils voll auszuschöpfen. Unabhängig davon, ob man auf die Berufungseinlegung am 8.8.2001 (beim OLG Nürnberg) oder vom 13.8.2001 (beim OLG München) abstellt, hat die Antragstellerin gezeigt, dass sie an einer beschleunigten Durchführung des Berufungsverfahrens interessiert ist. Dementsprechend hat sie auch die bis zum 24.9.2001 verlängerte Frist nicht voll ausgeschöpft, sondern die Berufungsbegründung bereits am 20.9.2001 eingereicht. Dass es bei dieser Sachlage nicht gerechtfertigt ist, "isoliert" auf die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist abzustellen, findet eine zusätzliche Rechtfertigung in der a62m 1.1.2002 in Kraft tretenden gesetzlichen Neuregelung, wonach die Berufung innerhalb einer zweimonatigen Frist ab Urteilszustellung zu begründen ist (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F.).

II. Verfügungsanspruch

...

Ende der Entscheidung

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