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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 12.06.2001
Aktenzeichen: 1 AR 10/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281
ZPO § 29 a
1. Der Senat bejaht eine objektive willkürliche Verweisung regelmäßig in den Fällen, in denen ein zuständiges Gericht unter Verstoß gegen eindeutige gesetzliche Vorschriften die eigene Zuständigkeit verneint.

2. Ist der Klageantrag auf mehrere Klagegründe gestützt, aus denen sich eine "gespaltene örtliche Zuständigkeit" ergibt, so wäre das angerufene Amtsgericht gehalten, sich zu entscheiden, ob es nur den Anspruch aus dem Mietverhältnis selbst entscheidet oder entsprechend einer im Vordringen befindlichen Meinung einen einheitlichen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs annimmt.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 AR 10/01 OLG Naumburg

In dem Rechtsstreit

...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 12. Juni 2001 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Zink, den Richter am Oberlandesgericht Geib und den Richter am Landgericht Wiedemann

beschlossen:

Tenor:

Örtlich zuständiges Gericht für die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist das Amtsgericht Dessau.

Gründe:

Das Amtsgericht Dessau ist zur Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe berufen, da die Klägerin das Hauptsacheverfahren vor dem Amtsgericht Dessau durchzuführen beabsichtigt und dieses unzweifelhaft auch dafür (örtlich) zuständig ist.

1. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung der Zuständigkeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.

Sowohl das Amtsgericht Dessau wie das Amtsgericht Magdeburg haben sich i. S. von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt; ersteres durch regelmäßig unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 22. März 2001 (GA Bl. 37), letzteres durch Beschluss vom 2. Mai 2001 (GA Bl. 41), durch welchen es die Übernahme des Verfahrens ablehnte, was sachlich als Rückverweisung anzusehen ist und als solche den Anforderungen genügt, die an das Tatbestandsmerkmal "rechtskräftig" der vorgenannten Vorschriften zu stellen sind (vgl. BGHZ 71, 15, 17; 102, 338, 340).

2. In der Sache bleibt es bei der örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Dessau. Dessen Verweisungsbeschluss vom 22.03.2001 kommt keine bindende Wirkung nach § 281 ZPO zu. Zwar ist § 281 ZPO grundsätzlich anwendbar. Obschon die Vorschrift unmittelbar nur für das Urteilsverfahren gilt, ist sie auf andere Verfahren der ZPO, namentlich das Verfahren der Prozesskostenhilfe, analog heranzuziehen (BGH NJW-RR 1994, 706). Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt jedoch dann, wenn dieser jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und objektiv willkürlich erscheint (vgl. BGH BB 1995, 2029; NJW 1993, 1273; BGH FamRZ 1988, 155). Dies ist hier der Fall.

a) Der Senat bejaht eine objektiv willkürliche Verweisung regelmäßig in den Fällen, in denen ein zuständiges Gericht unter Verstoß gegen eindeutige gesetzliche Vorschriften die eigene Zuständigkeit verneint.

b) Zuständig für die Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist das Gericht, bei welchem der Rechtsstreit schwebt oder anhängig gemacht werden soll (Zöller- Philippi, ZPO, 22. Aufl., § 117 Rn. 1). Dies ist in Literatur und Rechtsprechung nicht umstritten und wird auch durch das Amtsgericht Dessau nicht - de iure - in Frage gestellt, sondern nur verkannt (vgl. unten). Bei Eintritt der Antragsschrift war völlig zweifelsfrei, dass die Klägerin beabsichtigt, die Klage vor dem Amtsgericht Dessau anhängig zu machen, welches daher auch über den PKH-Antrag zu befinden hatte.

c) Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Dessau beruht demgegenüber darauf, dass die eigene Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren rechtsfehlerhaft und objektiv willkürlich verneint wurde. Diese ergibt sich indes aus § 29a ZPO.

aa) Soweit das Amtsgericht demgegenüber darauf abstellt, dass der Anspruch auf ein Anerkenntnis gestützt sei, ist dies weder zutreffend noch vertretbar. Ausweislich der Antragsschrift vom 22. Januar 2001 wird ein Schadensersatzanspruch, der "aus einem Mietverhältnis" (sic!) resultiert, geltend gemacht; in der Antragsschrift wird dieser unzweifelhaft mietrechtliche Anspruch - für dessen Entscheidung des Amtsgericht Dessau ausschließlich (!) zuständig ist, im Einzelnen begründet.

bb) Zwar ist in der Antragsschrift ebenfalls ausgeführt, dass der Anspruch anerkannt und hierüber eine Ratenzahlungsvereinbarung geschlossen wurde; dies steht jedoch der Zuständigkeit des Amtsgerichts Dessau nicht entgegen. Der Zahlungsanspruch wird zwar auf drei Sachverhalte gestützt, nämlich zum einen den Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des (Wohnraum)Mietvertrages, das Anerkenntnis sowie die Ratenzahlungsvereinbarung.

Dass die Klage (auch) "auf das Anerkenntnis" gestützt wird, bedeutet aber nicht, dass ein möglicher Anspruch aus anderen Gründen nicht betrieben bzw. weiterverfolgt wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das "Anerkenntnis" - entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Dessau - kaum als konstitutives, sondern allenfalls als deklaratorisches Schuldanerkenntnis anzusehen sein wird, so dass es sich nach wie vor um einen Anspruch "aus dem Mietverhältnis" i. S. des § 29 a ZPO handeln würde. Auch das Amtsgericht Dessau hat im Übrigen durchaus zutreffend erkannt, dass sich die Klage nicht "nur" auf das Anerkenntnis stützt, wie sich aus den sachlichen Hinweisen der Verfügung vom 29.01.2001 (GA Bl. 29) entnehmen lässt; die diesbezüglich materiellrechtlichen Ausführungen zu einzelnen Schadenspositionen sind mit der jetzt vertretenen Ansicht, es liege ein "abstraktes Anerkenntnis" vor, schwer vereinbar.

cc) Selbst wenn man jedoch ein konstitutives Schuldanerkenntnis annähme und damit einen vom Mietverhältnis losgelösten selbständigen Schuldgrund, stünden beide Ansprüche nebeneinander. Dies würde an der Zuständigkeit des Amtsgerichts Dessau für den Schadensersatzanspruch aus dem Mietverhältnis nichts ändern. Ist der Klageantrag auf mehrere Klagegründe gestützt, aus denen sich eine "gespaltene örtliche Zuständigkeit" ergibt, so wäre das Amtsgericht Dessau gehalten, sich zu entscheiden, ob es nur den Anspruch aus dem Mietverhältnis selbst entscheidet oder entsprechend einer im Vordringen befindlichen Meinung einen einheitlichen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs annimmt (vgl. zu der Problematik des "gespaltenen" Gerichtsstandes ausführlich Zöller-Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 12 Rn. 20, 21). Eine Verweisung oder auch nur Teilverweisung scheidet auch in diesem Fall aus.

d) Der in dem Schriftsatz vom 26.02.2001 enthaltene Verweisungsantrag führt zu keiner anderen Beurteilung. Es bedarf dabei keiner Entscheidung, ob sich der Antrag nur auf das Prozesskostenhilfeverfahren oder auch das (beabsichtigte) Klageverfahren bezieht, nachdem der Verweisungsantrag mit Schriftsatz vom 07.06.2001 zurückgenommen wurde. Zwar erfolgte die Zurücknahme des Antrages erst auf Hinweis des Senats, mithin nach dem Verweisungsbeschluss; dies ist jedoch unerheblich, nachdem das Amtsgericht Dessau das PKH-Verfahren aufgrund der objektiv willkürlichen Reduzierung des Klägervortrages auf ein Schuldanerkenntnis verwiesen hat, also der (für das PKH-Verfahren) entscheidenden Frage, wo die Klage in der Hauptsache erhoben werden soll, keine Relevanz beigemessen hat.

Ende der Entscheidung

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