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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 07.01.2004
Aktenzeichen: 1 Ss (Bz) 212/03
Rechtsgebiete: OWiG, GVG


Vorschriften:

OWiG § 74 Abs. 2
OWiG § 79 Abs. 1 S. 1
OWiG § 79 Abs. 1 S. 2
OWiG § 80 a
OWiG § 80 Abs. 1 Ziff. 1
OWiG § 80 a Abs. 2 Ziff. 1
GVG § 121 Abs. 2
Vorlage an den Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage: "Entscheidet in Fällen, in denen die Rechtsbeschwerde zugelassen worden ist, weil das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben sein wird, der Bußgeldsenat auch über die Begründetheit der Rechtsbeschwerde in der Besetzung mit einem Richter?
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1. Senat für Bußgeldsachen

1 Ss (Bz) 212/03 OLG Naumburg

In dem Bußgeldverfahren

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit,

hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Naumburg

am 07. Januar 2004

durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hennig, die Richterin am Oberlandesgericht Henze-von Staden und den Richter am Oberlandesgericht Sternberg

beschlossen:

Tenor:

Die Sache wird dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

Gründe:

Die Zentrale Bußgeldstelle im Technischen Polizeiamt des Landes Sachsen-Anhalt hat mit Bußgeldbescheid vom 29.04.2002 gegen den Betroffenen wegen zweier Verkehrsordnungswidrigkeiten zwei Geldbußen in Höhe von jeweils 40 Euro festgesetzt.

Den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Halle-Saalkreis mit Urteil vom 10.03.2003 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ohne Verhandlung zur Sache verworfen, weil der Betroffene - ohne von der Verpflichtung zum Erscheinen entbunden worden zu sein - in der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen sei. Das Fax vom 28.02.2003 (= Entbindungsantrag) sei nicht geeignet, das Ausbleiben des Betroffenen zu entschuldigen. Das Gericht habe den Betroffenen nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden, da es seine Anwesenheit für erforderlich gehalten habe. Dies sei dem Verteidiger vorab telefonisch am 07.03.2003 mitgeteilt worden.

Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts sowie die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Er macht geltend, seinem vor der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen sei vom Amtsgericht zu Unrecht nicht stattgegeben worden. Dadurch sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen und das Urteil des Amtsgerichts Halle-Saalkreis aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Halle-Saalkreis zurück zu verweisen.

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, weil es aus nachfolgenden Gründen geboten sein wird, das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

Die ordnungsgemäß ausgeführte Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe unter Verkennung der Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG den Einspruch des Betroffenen zu Unrecht nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen und dadurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, ist begründet.

Das Amtsgericht hat die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG verkannt. Nach dieser Vorschrift entbindet das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Pflicht zum Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass im Gegensatz zur früheren Rechtslage die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist (vgl. Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 73, Rdn. 5). Vielmehr ist das Gericht verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.

Das war hier der Fall. Der Betroffene, dem die Nichteinhaltung von Ruhe- und Lenkzeiten sowie die Nichtbefolgung einer vollziehbaren Auflage einer Ausnahmegenehmigung (Nichtkenntlichmachung überbreiter Ladung) zur Last lag, hatte in dem Entbindungsantrag eingeräumt, das im Bußgeldbescheid genannte Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt zu haben, im übrigen aber von seinem Schweigerecht Gebrauch machen zu wollen. Darüber hinaus war die Anwesenheit des Betroffenen zur Aufklärung des Sachverhalts auch nicht geboten. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit bei der hier gegebenen Sachlage der persönliche Eindruck vom Betroffenen zur Sachaufklärung hätte beitragen können. Somit hätte aber das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen nicht nach § 74 Abs. 2 OWiG wegen unentschuldigten Ausbleibens verwerfen dürfen.

Hierdurch ist der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt worden. Wenn sich nämlich - wie hier - der Betroffene zur Sache geäußert hat und sein Vorbringen nicht völlig unerheblich ist, verbietet es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, dieses Vorbringen aufgrund einer vom Gesetz nicht gedeckten Verfahrenweise unberücksichtigt zu lassen (vgl. BayObLG, Beschluß vom 9.1.2001, 1 ObOWi 684/00 und Beschluß vom 20.3.2001, 1 ObOWi 107/01 jeweils recherchiert in JURIS; OLG Stuttgart, ZfS 2002, 253; OLG Frankfurt/Main, ZfS 2000, 226).

Nach Auffassung des Senats ist hier auch über die Begründetheit der Rechtsbeschwerde durch den Einzelrichter zu entscheiden (§ 80 a Abs. 2 OWiG).

Ob auch über die zugelassene Rechtsbeschwerde der Einzelrichter entscheidet, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf führt dazu in seinem Beschluss vom 27.07.2001 (DAR 2001, 515 f.) aus:

"a) Ob über die einmal zugelassene Rechtsbeschwerde immer der Senat in Vollbesetzung entscheidet oder auch der Einzelrichter zuständig ist, wird in Literatur und Rechtsprechung nicht einhellig beantwortet. Eine ausdrückliche Regelung findet sich dazu im Gesetz nicht.

aa) Nach einer Auffassung (so etwa Rebmann/Roth/Herrmann, a. a. O., Rdn. 6; Göhler, a. a. O., Rdn. 4) entscheidet der Senat immer in der Besetzung mit drei Richtern. Begründet wird dies mit dem gesetzgeberischen Willen unter Heranziehung der Begründung zu § 80 a OWiG in BT-Drucksache 13/5418 S.10. Darin heißt es wörtlich: " Nach Nummer 2 entscheidet über die Zulassung der Rechtsbeschwerde stets nur ein Richter. Über die einmal zugelassene Rechtsbeschwerde entscheidet der Senat dagegen immer in Dreierbesetzung."

bb) Anderer Ansicht zufolge hängt die fortbestehende Zuständigkeit des Einzelrichters auch bei den nach § 80 OWiG zugelassenen Rechtsbeschwerden von dem Wert der Geldbuße ab (Katholnigg in NJW 1998, 568, 572; Lemke, a. a. O., § 80 a, Rdn.3). Übersteigt diese den Betrag von 10.000 DM nicht, so verbleibe es bei der Entscheidungsbefugnis des Einzelrichters nach § 80 a Abs. 2 Ziff. 1 OWiG. Dies ergebe sich daraus, dass gem. § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG die zugelassenen Rechtsbeschwerden den nach § 79 Abs. 1 S. 1 OWiG zulässigen Rechtsbeschwerden gleichstehen."

cc) Eine differenzierende Betrachtungsweise nimmt das OLG Köln vor (vgl. VRS 96, 451, 455; NStZ-RR 1998, 345). Für den Fall der Zulassung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG) verbleibt es nach dessen Auffassung bei der Zuständigkeit des Einzelrichters.

Der letztgenannten Ansicht ist zu folgen. Sie wird am ehesten den Bedürfnissen der Praxis gerecht. Der gesetzgeberische Wille wird dabei nicht mißachtet. So heißt es in der Begründung zu § 80 a OWiG (BT-Drucks. 13/5418 S.11):

"Der Entwurf sieht ... vor, dass der an sich nach § 80 a Abs. 2 zuständige Richter dem mit drei Richtern besetzten Senat überträgt, wenn die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen, die sich an die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde in § 80 Abs. 1 Nr. 1 anlehnen, muss die Übertragung erfolgen."

Daraus wird ersichtlich, dass der Gesetzgeber lediglich in den Fällen des § 80 Abs. 1 Ziff. 1 OWiG die Entscheidung des vollen Senats geboten hielt. Dies ist auch sinnvoll, da in Fällen grundsätzlicher Bedeutung und der Fortbildung des Rechts der Senatsentscheidung rechtssetzender Charakter zukommt. Anders verhält es sich beim Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs. Dabei geht es vornehmlich um Einzelfallgerechtigkeit unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gebotes des Art. 103 GG.

Für die Ansicht des OLG Köln spricht weiter, dass die Verletzung des rechtlichen Gehörs bereits im Zulassungsverfahren zu prüfen ist (vgl. BVerfG, NJW 1992, 2811, 2812; OLG Köln, VRS 95, 383;96, 451, 452). Ist die Rechtsbeschwerde wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen, wird sie auch begründet sein. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Senat in diesem Fall nochmals in voller Besetzung darüber befinden sollte."

Der Senat sieht sich jedoch an der beabsichtigten Entscheidung durch den Einzelrichter über die Begründetheit der Rechtsbeschwerde gehindert durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 8. März 2000 (zfs 2000, 226), das in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden die Zuständigkeit des Senats in Dreierbesetzung angenommen hat, ohne dies jedoch näher zu begründen.

Die Sache wird daher entsprechend § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

Entscheidet in Fällen, in denen die Rechtsbeschwerde zugelassen worden ist, weil das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben sein wird, der Bußgeldsenat auch über die Begründetheit der Rechtsbeschwerde in der Besetzung mit einem Richter?

Ende der Entscheidung

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