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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 21.05.2007
Aktenzeichen: 1 Ss (Bz) 91/07
Rechtsgebiete: OwiG, StPO


Vorschriften:

OwiG § 77 b Abs. 1 Satz 1
OwiG § 79 Abs. 3 S. 1
OwiG § 80 Abs. 3 S. 1
OwiG § 80 Abs. 4 S. 2
StPO § 346 Abs. 2
StPO § 347
Hat das Amtsgericht den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen nicht formgerechter Begründung zu einem Zeitpunkt als unzulässig verworfen und dem Betroffenen zugestellt, zu dem die Rechtsmittelbegründungsfrist noch nicht abgelaufen war, muss dieser Mangel der amtsgerichtlichen Entscheidung dazu führen, dass die Rechtsmittelbegründungsfrist erst mit Aufhebung des amtsgerichtlichen Verwerfungsbeschlusses in Lauf gesetzt wird (ebenso BayObLG, VRS 86, 337, 338 f. für den - im Ergebnis gleichstehenden - Fall der Verwerfung wegen nicht fristgerechter Begründung).
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Ss (Bz) 91/07 OLG Naumburg

In der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Naumburg am 21. Mai 2007 durch den Richter am Oberlandesgericht Sternberg als Einzelrichter

beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Stendal vom 12. Oktober 2006 wird aufgehoben.

2. Der Beschluss des Amtsgerichts Stendal vom 24. November 2006, mit welchem das Amtsgericht den Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Stendal vom "24.10.2006" als unzulässig verworfen hat, ist gegenstandslos.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Stendal hat den Betroffenen mit Urteil vom 28. September 2006 wegen fahrlässigen Befahrens eines Radweges als Radfahrer in der Rotlichtphase der Lichtzeichensignalanlage zu einer Geldbuße von 25 Euro verurteilt.

Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Betroffene mit Schreiben vom 2. Oktober 2006, bei dem Amtsgericht eingegangen am 4. Oktober 2006, "Antrag auf Rechtsbeschwerde" gestellt.

Mit Beschluss vom 12. Oktober 2006 hat das Amtsgericht den Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 28. September 2006 zuzulassen, mit der Begründung, der Betroffene habe die für die Beschwerdeanträge vorgeschriebene Form nicht gewahrt, als unzulässig verworfen. Die Leseabschrift des Beschlusses vom 12. Oktober 2006 enthält in den Gründen abweichend vom Original die als Satz drei eingefügte Formulierung: "Das Rechtsmittel ist damit verspätet." Eine Beschlussausfertigung wurde dem Betroffenen am 17. Oktober 2006 zugestellt.

Am 24. Oktober 2006 erschien der Betroffene bei dem Rechtspfleger des Amtsgerichts und beantragte, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben und den Betroffenen auf Kosten der Landeskasse freizusprechen. Hilfsweise beantragte er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung verwies der Betroffene auf sein Schreiben vom 02. Oktober 2006, welches er dem Protokoll des Rechtspflegers beifügte. Im übrigen trug der Betroffene vor, er wolle sich anwaltlich vertreten lassen und die genaue Begründung binnen sieben Tagen nachreichen.

Mit Beschlüssen vom 24. November 2006 hat das Amtsgericht (1.) den Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen sowie (2.) den Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Stendal vom "24.10.2006" - richtig: 28. September 2006 - zuzulassen, als unzulässig verworfen. Die Beschlüsse wurden dem Betroffenen am 30. November 2006 zugestellt.

Aufgrund Verfügung des Amtsrichters vom 18. Januar 2007 wurde das Urteil vom 28. September 2006 dahin gefasst, dass der letzte Satz des Urteils lautet: "Ohne Begründung gemäß § 77 b Abs. 1 Satz 1 OwiG". Der Tenor dieses Urteils enthält die Formulierung, der Betroffene werde wegen "fahrlässigen vorsätzlichen" Befahrens eines Radweges als Radfahrer in der Rotlichtphase der Lichtzeichensignalanlage zu einer Geldbuße in Höhe von 25 Euro verurteilt. Eine Ausfertigung des vom Amtsrichter unterschriebenen Urteils wurde dem Betroffenen am 20. Januar 2007 zugestellt.

II.

Der Antrag des Betroffenen vom 24. Oktober 2006 ist (auch) als Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stendal vom 12. Oktober 2006 auszulegen. Der nach § 346 Abs. 2 StPO i. V. m. § 80 Abs. 4 S. 2 OWiG zulässige Antrag ist begründet.

Der Betroffene hat mit am 4. Oktober 2006 eingegangenen Schreiben vom 02. Oktober 2006 rechtzeitig einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Stendal vom 28. September 2006 eingelegt (§§ 80 Abs. 3 S. 1, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 341 Abs. 1 StPO). Dadurch wurde die Rechtskraft des Urteils gehemmt (§§ 80 Abs. 3 S. 1, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 343 Abs. 1 StPO), und die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde begann nicht vor Zustellung des Urteils zu laufen (§§ 80 Abs. 3 S. 1, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 345 Abs. 1 S. 2 StPO).

Da das angefochtene Urteil dem Betroffenen erst am 20. Januar 2007 wirksam zugestellt wurde, durfte das Amtsgericht den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde deshalb nicht am 12. Oktober 2006 als unzulässig verwerfen. Vielmehr war zu diesem Zeitpunkt aufgrund der noch nicht in Gang gesetzten Rechtsmittelbegründungsfrist offen, ob der Verurteilte das Rechtsmittel noch frist- und formgerecht begründet. Wenn das Gesetz - wie hier - eine Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde vorsieht, muss das Gericht mit seiner Entscheidung bis zum Fristablauf warten; selbst wenn ihm die Sache entscheidungsreif erscheint, darf es nicht vorher entscheiden (BayObLG VRS 86, 337, 338 m. w. Nachw.; Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, § 346 Rdn. 4 m. w. Nachw.). Das gegenteilige Vorgehen des Amtsgerichts verstößt gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), was zur Folge hat, dass der angefochtene, vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist zugestellte Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben werden muss (vgl. BayObLG a. a. O.).

Hat das Amtsgericht den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen nicht formgerechter Begründung zu einem Zeitpunkt als unzulässig verworfen und dem Betroffenen zugestellt, zu dem die Rechtsmittelbegründungsfrist noch nicht abgelaufen war, muss dieser Mangel der amtsgerichtlichen Entscheidung dazu führen, dass die Rechtsmittelbegründungsfrist erst mit Aufhebung des amtsgerichtlichen Verwerfungsbeschlusses in Lauf gesetzt wird (ebenso BayObLG a. a. O. für den - im Ergebnis gleichstehenden - Fall der Verwerfung wegen nicht fristgerechter Begründung). Dem Betroffenen kann nicht zugemutet werden, in Kenntnis der negativen Entscheidung des Amtsgerichts rein vorsorglich innerhalb der noch verbleibenden Frist den eingelegten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu begründen. Vom Betroffenen kann sinnvollerweise die Einreichung einer (formgerechten) Rechtsmittelbegründung erst dann verlangt werden, wenn der seinen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde verwerfende Beschluss des Amtsgerichts durch das Rechtsbeschwerdegericht aufgehoben wurde (vgl. BayObLG a. a. O.). Die Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde beginnt somit erst mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses des Senats an den Betroffenen.

Dem Senatsbeschluss stehen die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 13. Januar 1994 - 4 StR 730/93 - (bei Kusch NStZ 1995, 20), des Oberlandesgerichts Frankfurt a. M. vom 25. Februar 2003 - 3 Ss 386/02 - (NStZ-RR 2003, 204 f.), des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 28. Juli 1994 - 3 ObOWi 63/94 - (NStZ 1995, 142 f.) und des Kammergerichts Berlin vom 5. Dezember 1955 - 2 Ws 257/55 (I Ss 516/55) - (JR 1956, 111 f.) nicht entgegen. Anders als im hier vorliegenden Fall wurde in jenen Verfahren der Verwerfungsbeschluss des Tatgerichts jeweils erst nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist zugestellt.

Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts ist auch nicht etwa dadurch rechtskräftig geworden, dass das Amtsgericht den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mit - weiterem - Beschluss vom 24. November 2006 als unzulässig verworfen hat und der Betroffene gegen diesen ihm am 30. November 2006 zugestellten Beschluss keinen Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gestellt hat. Mit diesem zweiten Verwerfungsbeschluss hat das Amtsgericht konkludent seinen Verwerfungsbeschluss vom 12. Oktober 2006 aufgehoben und ihn durch den neuen Beschluss vom 24. November 2006 ersetzt. Eine Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses durch den Richter, der ihn erlassen hat, ist jedoch unzulässig; ein gleichwohl erlassener Aufhebungsbeschluss ist gegenstandslos und hat keine rechtliche Wirkung (Löwe/Rosenberg-Hanack, StPO, 25. Aufl., § 346 Rdn. 20 m. w. Nachw.; Meyer-Goßner, § 346 Rdn. 6 m. w. Nachw.). Der Senat hat deshalb den Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts vom 24. November 2006 zur Klarstellung für gegenstandslos erklärt. Die hinsichtlich des vorgenannten Beschlusses vom 24. November 2006 und des Urteils vom 28. September 2006 angebrachten Rechtskraftvermerke werden daher zu löschen sein.

Die weitere Behandlung der Sache obliegt dem Amtsgericht, das nach Ablauf der Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 80 Abs. 3 S. 1, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 347 StPO zu verfahren haben wird.

Ende der Entscheidung

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