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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 11.07.2006
Aktenzeichen: 1 U 10/06
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 36
1. Zur Amtshaftung einer Gemeinde für die rechtswidrige Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB im immissionsschutzrechtlichen Verfahren zur Genehmigung der Errichtung und des Betriebs einer Putenmastanlage im unbeplanten städtebaulichen Außenbereich.

2. Stehen einem Bauvorhaben objektive, zum Zeitpunkt des Einvernehmensersuchens der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde bereits bestehende bauplanungsrechtliche Einwendungen nicht entgegen, so ist das gemeindliche Einvernehmen zu erteilen. Bauplanerische Einwendungen setzen grundsätzlich zumindest ansatzweise entgegen stehende positive städtebauliche Vorstellungen voraus.

3. Die pauschale Ablehnung der Massentierhaltung kann nicht mit den Mitteln des Baurechts bewirkt werden.

4. Maßgeblich ist, welche Gründe die Gemeinde zu ihrer Versagung des Einvernehmens bewogen haben, nicht dagegen später nachgeschobene Gründe zur Rechtfertigung dieser Entscheidung.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 10/06 OLG Naumburg

Verkündet am 11. Juli 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Trojan und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm auf die mündliche Verhandlung

vom 11. Juli 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 4. Januar 2006 verkündete Grundurteil der Zivilkammer 1 des Landgerichts Stendal wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden bzw. des tatsächlich vollstreckten Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die beklagte Gemeinde auf Zahlung von Schadenersatz wegen der rechtswidrigen Versagung des gemeindlichen Einvernehmens mit zwei Bauvorhaben in Anspruch und hat insoweit als Teilklage entgangenen Gewinn in Höhe von jeweils 100.000 EUR pro Bauvorhaben geltend gemacht.

Sie beabsichtigte, in der Gemarkung der Beklagten, dort im städtebaurechtlichen Außenbereich, zwei Putenmastanlagen mit je vier Stallgebäuden für insgesamt je 40.000 Puten zu errichten (Anlage I in der Gemarkung R. , Flur 7, Flurstück 8/1; Anlage II in der Gemarkung R. , Flur 8, Flurstück 94/21). Die Entfernung zwischen dem Immissionsschwerpunkt beider beabsichtigter Anlagen und der nächstgelegenen Wohnbebauung der Ortslage R. betrug ca. 580 m. Hierzu hatte sie am 30. Dezember 1998 die Erteilung einer Genehmigung nach § 4 BImSchG (künftig: immissionsschutzrechtliche Genehmigung) beim damals zuständigen Regierungspräsidium Magdeburg beantragt. Das Regierungspräsidium Magdeburg ersuchte die Beklagte um die Erklärung ihres gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 1 Satz 2 BauGB für beide Bauvorhaben. Die Beklagte verweigerte dieses für die Anlage I am 14. April 1999 und für die Anlage II am 12. Juli 1999. In einer ergänzenden Stellungnahme gegenüber der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde vom 23. September 1999 bekräftigte sie ihre Verweigerung. Darin heißt es u. a.:

"... teilen wir Ihnen mit, dass die Gemeinde R. nach erneuter Beschlussfassung durch den Gemeinderat am 21. September 1999 bei der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens zum Bau und zur Betreibung einer Putenmastanlage in R. bleibt.

Es wurde versucht, in einer Einwohnerversammlung am 15. September 1999 ... die Konsequenzen für die Gemeinde aufzuzeigen, die eine unrechtmäßige oder falsche Versagung zur Folge hätte. Bisher gab es nach BauGB keine objektiven Gründe seitens der Gemeinde, die diese Versagung rechtfertigen würde.

In einer nachfolgenden öffentlichen Gemeinderatssitzung am 21. September 1999 wurde dann die o. g. Beschlussfassung des Gemeinderats durchgeführt. Nachdem drei Bürger besonders der Bürgermeisterin vorgeworfen haben, sie würde mit dem Hinweis auf eventuelle finanzielle Belastungen und Schadenersatzforderungen für die Gemeinde ... die Bürger erpressen, verängstigen und manipulieren wollen zugunsten der Antragstellerin ..., stimmte der Gemeinderat ... gegen den Bau der o. g. Anlage.

... Wir bitten Sie, diese erneute Versagung des gemeindlichen Einvernehmens als letzte und endgültige Entscheidung der Gemeinde in diesem Genehmigungsverfahren zu werten. ..."

Die Kommunalaufsicht des Landkreises A. ersetzte das gemeindliche Einvernehmen für beide Bauvorhaben. Hiergegen ging die Beklagte im Wege des Widerspruchs und sodann durch Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg und dem Oberverwaltungsgericht vor. Letztlich wurden beide Ersetzungsbescheide bestätigt. In den Urteilen des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 25. Februar 2003 (Gesch.Nr.: 4 A 387/00 und Gesch.Nr.: 4 A 386/00 MD) wurde rechtskräftig festgestellt, dass beiden Bauvorhaben keine städtebaurechtlichen oder bauordnungsrechtlichen Vorschriften entgegen stehen.

Am 18. September 1999 fand eine öffentliche Erörterung der Bauvorhaben nach §§ 9, 14 BImSchG statt. Die Beklagte hat behauptet, sie hätte bereits in dieser Erörterung 29 Einwendungen gegen eine immissionsschutzrechtliche Zulässigkeit der beiden Bauvorhaben vorgebracht; einen Beweis hierfür hat sie nicht angetreten. Das Regierungspräsidium Magdeburg erteilte die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für die Anlage I am 10. März 2000 und für die Anlage II am 24. März 2000. Die Beklagte selbst, aber auch Nachbarn der geplanten Anlagen, erhoben Widerspruch bzw. Drittwiderspruch und später Anfechtungsklagen gegen beide Genehmigungen. Im Verwaltungsprozess der Beklagten gegen die Genehmigungsbehörde wurde die aufschiebende Wirkung der Klage zur Gewährleistung eines effektiven Rechtschutzes für die gemeindliche Planungshoheit angeordnet. Schließlich hat das Verwaltungsgericht die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen aufgehoben, weil zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung weder das gemeindliche Einvernehmen vorlag noch der Ersetzungsbescheid bestandskräftig oder für sofort vollziehbar erklärt worden war. Darauf erteilte am 20. Juni 2005 das inzwischen zuständige Landesverwaltungsamt die beiden immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen auf der Grundlage der Anträge der Klägerin vom 31. August 1999.

Die Klägerin hat behauptet, dass sich durch die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens der Bau und der Betrieb der beiden Putenmastanlagen erheblich verzögert habe und ihr dadurch Gewinn entgangen sei.

Die Beklagte hat die Rechtswidrigkeit der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens unter Hinweis darauf bestritten, dass ihr kein Gutachten über die gesundheitlichen Auswirkungen der geplanten Anlage vorgelegen habe, zu deren Beibringung die Klägerin verpflichtet gewesen wäre. Jedenfalls sei die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nicht schuldhaft gewesen, weil sachliche Einwendungen gegen die immissionsschutzrechtliche Zulässigkeit beider Anlagen vorgelegen hätten; im Übrigen habe sie frühzeitig anwaltlichen Rat eingeholt. Ferner sei die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens für die Verzögerung der Bauarbeiten auch nicht kausal geworden. An den Gemeinderatsentscheidungen habe jeweils eine kraft Gesetzes ausgeschlossene Person mitgewirkt. Die notwendige öffentliche Erörterung nach BImSchG habe erst nach der Gemeinderatssitzung stattgefunden. Die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sei auch durch ihre - rechtmäßige - Anfechtung durch einige Nachbarn der Anlagen verzögert worden, so dass sich die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nicht ausgewirkt habe. Die Klägerin habe darüber hinaus selbst Ursachen für eine verzögerte Entscheidung der Genehmigungsbehörde gesetzt, indem sie ihren Antrag mehrfach abgeändert hat. Die Verzögerung sei vor allem auch darauf zurückzuführen, dass diese keinen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ersetzungsbescheide gestellt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen der widerstreitenden Rechtsauffassungen der Parteien des Rechtsstreits und wegen des Verlaufs des Verfahrens in erster Instanz, nimmt der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach mit der Einschränkung für gerechtfertigt erklärt, dass der Beginn und die Dauer des Zeitraums, für den die Beklagte Schadensersatz zu leisten habe, dem Betragsverfahren vorbehalten bleibe. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass die beklagte Gemeinde für die Entscheidung ihres Gemeinderates über die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG einzustehen habe. Diese Versagung sei rechtswidrig gewesen, wie sich aus den für die Zivilgerichte bindenden Urteilen des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 25. Februar 2003 ergebe. Aus der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens habe sich ein materieller Schaden noch unbekannter Höhe ergeben. Jedenfalls habe dies zu einer Verzögerung der Inbetriebnahme beider Mastanlagen und mithin zu einem Gewinnausfall geführt. Insoweit sei unbeachtlich, dass die Verzögerung des Baubeginns der Putenmastanlage weiter dadurch verlängert worden sei, dass der Landkreis bei der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens versäumt habe, die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts anzuordnen. Denn die Beklagte habe die Ursache dafür gesetzt, dass der Landkreis überhaupt habe eingreifen müssen; etwaige Fehler dieses Eingreifens seien ihr auch zurechenbar. Sie könne dem Anspruch auch nicht entgegen halten, dass gleiche Verzögerungen auch durch Anfechtungsklagen von Nachbarn bewirkt worden wären.

Gegen diese ihr am 5. Januar 2006 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 31. Januar 2006 beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangen ist und innerhalb der bis zum 5. April 2006 verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet wurde.

Sie behauptet eine Verletzung rechtlichen Gehörs zum Schriftsatz der Klägerin vom 7. Dezember 2005 und eine unzureichende Berücksichtigung ihres eigenen Vorbringens in den Schriftsätzen vom 14. Dezember 2005 und vom 2. Januar 2006. Sie ist ferner der Auffassung, dass der Erlass des Grundurteils unzulässig sei, weil der Klägerin u. U. der Nachweis misslingen werde, dass ihr überhaupt ein materieller Schaden entstanden ist. Zudem habe kein bedingter Vorsatz für die rechtswidrige Versagung des gemeindlichen Einvernehmens vorgelegen. Die beiden Urteile des Verwaltungsgerichts Magdeburg hätten lediglich auf die Rechtswidrigkeit der Versagung erkannt und zum Verschulden nicht Stellung genommen. Die Beklagte habe in dem Anfechtungsverfahren wegen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vor dem Verwaltungsgericht eine Vielzahl von Einwendungen aus den Bereich Immissionsschutz-, Naturschutz- und Landschaftspflege, Umweltschutz und Wasserwirtschaft erhoben, die ohne sachverständige Beratung nicht zu entscheiden gewesen seien. Schließlich habe sie Rechtsrat eingeholt. Sie bestreite weiter die haftungsbegründende Kausalität der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens für die Bauverzögerungen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Der Senat hat am 11. Juli 2006 mündlich zur Sache verhandelt; wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls des Senats von diesem Tage (vgl. GA Bd. II Bl. 210 f.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht darauf erkannt, dass der Klägerin gegen die Beklagte dem Grunde nach ein Anspruch auf Ersatz ihrer materiellen Schäden aus der Verzögerung des Baus und Betriebs von zwei Putenmastanlagen in R. wegen der rechtswidrigen und bedingt vorsätzlichen Versagung des gemeindlichen Einvernehmens zu diesen beiden Bauvorhaben zusteht.

1. Soweit die Beklagte die Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Verfahren vor dem Landgericht gerügt hat, ist dem - ungeachtet der Berechtigung dieser Rüge - jedenfalls durch das Berufungsverfahren abgeholfen worden.

2. Die Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin aus § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG liegen vor. Denn die Mitglieder des Gemeinderates der Beklagten haben mit ihrer Entscheidung über die Erteilung bzw. Versagung des gemeindlichen Einvernehmens eine hoheitliche Tätigkeit ausgeübt und sind damit als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen (z. B. BGH, BGHZ 65, 182; NJW 1984, 2516). Die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens für die beiden Bauvorhaben durch den Gemeinderat der Beklagten im April bzw. Juli 1999 sowie erneut im September 1999 war rechtswidrig. Für den Amtshaftungsprozess steht die Rechtswidrigkeit durch die beiden insoweit bindenden Urteile des Verwaltungsgericht Magdeburg vom 25. Februar 2003 fest. (Gesch.Nr.: 4 A 386/00 und 4 A 387/00; Anlagen K 2 und K 1, GA Bd. I Bl. 25 ff, 15 ff).

Die verletzte Amtspflicht hat auch eine drittschützende - hier die Klägerin schützende - Wirkung. Dem steht nicht entgegen, dass die Erklärung der Gemeinde über das Einvernehmen ein verwaltungsinterner Vorgang ohne unmittelbare Außenwirkung darstellt. Denn die Versagung bindet die Genehmigungsbehörde im immissionsschutzrechtlichen Verfahren, da in diesen Fällen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ebenfalls zwingend zu versagen ist (vgl. zum Drittschutz BVerwG NJW 1966, 513; BVerwG NVwZ 1986, 556; BGHZ 65, 182; BGH NJW 1992, 2691; NJW 1993, 3065). Diese Versagung ist für die Verzögerung des Baus und der Inbetriebnahme der beiden Putenmastställe auch kausal geworden. Zwar hat die Kommunalaufsicht das gemeindliche Einvernehmen der Beklagten ersetzt, damit aber den Kausalverlauf nicht unterbrochen, weil die Ersetzungsbescheide nicht für sofort vollziehbar erklärt worden sind. Das Versäumnis der Kommunalaufsicht muss sich die Beklagte als adäquat kausal zurechnen lassen. Denn ohne die Versagung wäre ein Verfahren auf Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens nicht notwendig geworden (z. B. BGH, Beschluss v. 25. Februar 1988, III ZR 118/87).

Entgegen der Ansicht der Beklagten musste bzw. konnte die Klägerin im Rahmen ihrer Pflicht zur Schadensabwendung in diesen Verfahren auch nicht die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ersetzungsbescheide beantragen. Denn sie war in diesem Verfahren nicht Verfahrensbeteiligte.

Der tatsächliche Verlauf des immissionsschutzrechtlichen Verfahrens nach der (nicht sofort vollziehbar erklärten) Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens zeigt, dass die Klägerin die beantragten Genehmigungen jedenfalls bis zum 10. März 2000 erhalten hätte, aber ohne den Makel eines als fehlend geltenden gemeindlichen Einvernehmens. Es ist auch weder vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich, dass das immissionsschutzrechtliche Verfahren bei Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens länger gedauert hätte als im Falle des Versagens dieses Einvernehmens. Für den Fall des Abschlusses der beiden immissionsschutzrechtlichen Verfahren wären Änderungen der beiden Anträge der Klägerin, wie sie später ab 2001 vorgenommen worden sind, nicht erforderlich gewesen. Dem Antrag der Beklagten auf Beiziehung der Akten der verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie der Akten der beiden immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren war danach weder erforderlich noch sonst geboten.

Der Zurechnungszusammenhang zwischen der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens für beide Bauvorhaben und der zeitlichen Verzögerung entfällt schließlich auch nicht im Hinblick auf die Widersprüche von Dritten gegen die Erteilung der beiden immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für die Klägerin und die nachfolgenden verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren. Anders als der Widerspruch und die Klage der Beklagten gegen die Ersetzung ihres gemeindlichen Einvernehmens durch die Kommunalaufsicht entfalten Widersprüche und Anfechtungsklagen eines Dritten gegen die Zulassung eines Bauvorhabens nach § 212 a BauGB keine aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes. Die Nachbarwidersprüche gegen die Genehmigungen für die Bauvorhaben der Klägerin in R. nach § 4 BImSchG hätten demnach den Baubeginn nicht unmittelbar in Frage gestellt. Anhaltspunkte dafür, dass die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde bzw. das Verwaltungsgericht auf den Antrag eines Dritten ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung angeordnet hätten, sind weder schlüssig vorgetragen noch sonst ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Beklagten hatten die Nachbarwidersprüche ohnehin von Anfang an keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn bei beiden Bauvorhaben handelte es sich um privilegierte Vorhaben im Außenbereich i. S. v. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB in der hier anwendbaren Fassung vom 27. August 1997 (künftig: BauGB 1997), da Geflügelzuchtanlagen, die überwiegend auf fremder Futterbasis betrieben werden und daher keine landwirtschaftlichen Betriebe sind, wegen der von ihnen ausgehenden Immissionen überhaupt nur im Außenbereich errichtet und betrieben werden können. Beide Bauvorhaben sollten im unbeplanten Außenbereich verwirklicht werden. Die betroffenen Grundstücke wurden weder von einem Flächennutzungsplan der Beklagten erfasst noch gab es irgendwelche bauplanerischen Vorbehalte für die Grundstücke (vgl. hierzu auch die zitierten Urteile des Verwaltungsgerichts Magdeburg, UA S. 4 f. m. N.). Danach konnte eine Versagung der Genehmigung auf eine anders nicht zu vermeidende Verletzung des baurechtlichen Rücksichtnamegebotes, wie es u. a. in § 35 Abs. 1 und 3 BauGB 1997 seine Ausgestaltung gefunden hat, und nur dann gerechtfertigt sein, wenn dadurch Rechte der Gemeinde verletzt würden, insbesondere durch einen Eingriff in ihre Planungshoheit (z. B. VGH München NVwZ 1987, 1089; NVwZ 1984, 740 m. w. N.). Einen enteignenden Eingriff in das Eigentum eines Nachbarn hat die Beklagte nicht behauptet. Hinsichtlich der zu erwartenden Immissionen sprach zunächst für die Zulässigkeit der Vorhaben, dass sich die geplanten Putenmastanlagen jedenfalls weit außerhalb des räumlichen Bereiches befanden, in dem nach der TA Luft und der VDI 3472 Tierhaltung - Hühner mit unzumutbaren Geruchsimmissionen zu rechnen war (z. B. OVG Lüneburg NdsRPfl 1998, 252 <zu Louisiana-Ställen>). Soweit die Nachbarn hier Besonderheiten der Bauvorhaben, insbesondere die offene Bauweise und die Entlüftungsart über die Öffnung der Seitenwände ("Louisiana-Ställe") sowie die weitläufigeren Entmistungsintervalle, geltend machten, war eine hiervon ausgehende Gefährdung in 1999 rein spekulativ. Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Klägerin auch nicht verpflichtet, ihren Antragsunterlagen ein Gutachten über die zu erwartenden Immissionen beizufügen und dieses der Beklagten zur Verfügung zu stellen. Denn die Pflicht zur unaufgeforderten Umweltverträglichkeitsprüfung wurde erst 2001 normiert. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde hat von der Klägerin die Vorlage eines solchen Gutachtens nicht verlangt. Selbst wenn jedoch zu besorgen war, dass die zu erwartenden Immissionen das nach § 5 Nr. 1 BImSchG zulässige Maß überschreiten oder andere öffentliche Belange entgegenstehen könnten, war vorrangig nach geeigneten Beschränkungen der Zulassung der Bauvorhaben, z. Bsp. durch Nebenbestimmungen zur Genehmigung sowie durch die Anordnung von Ausgleichsmaßnahmen, zu erwägen, nicht jedoch von vornherein die vollständige Versagung der Genehmigungen (z. B. BVerwGE 68, 58; 52, 122). Dieser Weg ist von der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde beschritten worden, er hätte auch der Gemeinde bei der Erklärung des gemeindlichen Einvernehmens offen gestanden (z. B. Sötker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Lsbl. Stand 1. März 2006, § 36 Rn. 20 und 36; Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 9. Aufl. 2005, § 36 Rn. 12 m. w. N.). Schließlich hätte es der Beklagten auch offen gestanden, ihr Einvernehmen zu erklären und anschließend eine den Vorhaben widersprechende Bauleitplanung zu betreiben und sie durch eine Veränderungssperre zu sichern (vgl. BVerwG ZfBR 2004, 460).

3. Die Beklagte hat ihr gemeindliches Einvernehmen mit beiden Bauvorhaben auch schuldhaft versagt. Denn von einem Verschulden ist in diesen Fällen grundsätzlich schon dann auszugehen, wenn die Gemeinde das Einvernehmen objektiv zu Unrecht versagt hat. Die Mitglieder von Gemeinderäten müssen sich auf ihre Entschließungen nach § 36 Abs. 1 BauGB 1997 sorgfältig vorbereiten und, soweit ihnen die Sach- und Rechtskenntnis fehlt, den Rat ihrer Verwaltung oder sonstiger Fachbehörden bzw. notfalls sogar von außerhalb der Verwaltung einholen (z. B. BGH BauR 1984, 498; BGH BauR 2003, 364; zuletzt BGH ZfBR 2006, 181). Die Gemeinderäte der Beklagten haben hier objektiv eine materiell-rechtlich fehlerhafte Entscheidung getroffen. Sie haben den internen Rat ihrer Bürgermeisterin übergangen und externen juristischen Rat nach ihrem eigenen Vorbringen erst nach ihrer Entschließung vom 21. September 1999 eingeholt. Sie können sich insoweit nicht mit Erfolg auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Magdeburg in den Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz von Nachbarn gegen die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung berufen, weil diese Entscheidungen auf einem anderen Grund beruhte, nämlich der fehlenden Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens (z. B. BGH NJW 1982, 36 und Beschluss v. 29. Oktober 1987, III ZR 251/86).

Die Gemeinderäte der Beklagten haben mindestens bedingt vorsätzlich gehandelt. Denn sie haben die ihnen obliegende Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der beiden Bauvorhaben bewusst nicht durchgeführt, sondern sogar das Ergebnis einer solchen Prüfung durch ihre Verwaltung und den Rechtsanspruch der Klägerin auf eine unvoreingenommene Prüfung ihres Anliegens ignoriert, obwohl sie mit der Möglichkeit einer Verletzung ihrer Amtspflichten zumindest rechnen mussten, wenn sie ihnen nicht gar bewusst war.

Das Erfordernis der Einholung des gemeindlichen Einvernehmens im Verfahren auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung dient der Wahrung der gemeindlichen Planungshoheit i. S. des Bauplanungsrechts. Die Gemeinde soll nicht nur Gelegenheit haben, bereits bestehende bauplanerischen Vorgaben aus Bebauungs- und Flächennutzungsplänen anzuführen, sondern auch dort mitentscheiden, wo sie noch nicht geplant hat oder wo mit dem Bauvorhaben von der Planung abgewichen werden soll. Sie hat jedoch kein Ermessen, sondern die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens ist eine gebundene Entscheidung. Stehen dem Bauvorhaben objektive, zum Zeitpunkt des Einvernehmensersuchens der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde bereits bestehende bauplanungsrechtliche Einwendungen nicht entgegen, so ist das gemeindliche Einvernehmen zu erteilen. Bauplanerische Einwendungen setzen grundsätzlich zumindest ansatzweise entgegen stehende positive städtebauliche Vorstellungen voraus, sei es im Rahmen eines bereits bestehenden Flächennutzungsplanes, sei es zumindest i. S. eines Planungsvorbehalts. Eine reine Verhinderungsplanung genügt nicht, d. h. die Gemeinde muss bei Einwendungen gegen den Standort einer Anlage entweder Vorstellungen über Maßnahmen haben, die zur Genehmigungsfähigkeit führen könnten, oder einen anderen geeigneten Standort im Gemeindegebiet ausweisen (z. B. BVerwG BauR 1997, 444; BGHZ 65, 182; BGH BauR 2003, 364; BGH ZfBR 2006, 181; vgl. auch Sötker, a. a. O., § 36 Rn. 30; Krautzberger, a.a.O. § 36 Rn. 12; Graupeter ZfBR 2005, 432, 434). An solchen planerischen Überlegungen der Beklagten fehlte es hier vollständig. Sie hat schon nicht vorgetragen, dass und welche konkreten Überlegungen sie bis zu ihrer letzten Entscheidung am 21. September 1999 angestellt hat. Sie hat auch nicht etwa ein Protokoll der Gemeinderatssitzung vorgelegt, aus dem sich eine Darstellung und Erläuterung von schädlichen Umwelteinwirkungen und eine sorgfältige Abwägung der Interessen der Klägerin an der Verwirklichung ihrer Bauvorhaben mit bauplanerischen Aspekten bzw. einer möglichen Verletzung des baurechtlichen Rücksichtnamegebots erkennen ließe. Nach dem unstreitigen Sachvortrag der Parteien haben die Gemeinderäte der Beklagten die Bauvorhaben vielmehr "in Bausch und Bogen" abgelehnt, ohne sich mit den Einzelheiten überhaupt zu beschäftigen. Die Ablehnung der Massentierhaltung in toto kann aber nicht mit den Mitteln des Baurechts bewirkt werden (z. B. OVG Magdeburg JMBl. LSA 2002, 154). Die Gemeinderäte der Beklagten haben darüber hinaus sogar wider besseren Wissens gehandelt. Denn die Beklagte hat den durch Urkundsbeweis belegte Sachvortrag der Klägerin nicht erheblich bestritten, wonach ihre Bürgermeisterin in der Gemeinderatssitzung vom 21. September 1999 ihren Gemeinderäten vorgetragen habe, dass den beiden Bauvorhaben aus ihrer Sicht keine bauplanerischen Gründe entgegen stünden und diese daher rechtlich verpflichtet waren, ihr Einvernehmen zu erklären. Die Gemeinderäte sind diesen Feststellungen ihrer Bürgermeisterin inhaltlich nicht entgegen getreten, sondern haben sich bewusst darüber hinweggesetzt und damit auch in Kauf genommen, dass ihre Entscheidung die Klägerin in ihren subjektiven Rechten verletzen kann.

Der Feststellung des bedingten Vorsatzes der Gemeinderatsmitglieder der Beklagten bei der rechtswidrigen Versagung des gemeindlichen Einvernehmens steht schließlich nicht entgegen, dass die Beklagte später im immissionsschutzrechtlichen Verfahren eine Vielzahl von konkreten Bedenken gegen die Bauvorhaben vorgebracht hat. Maßgeblich ist, welche Gründe die Beklagte zu ihrer Versagung des Einvernehmens bewogen haben, nicht dagegen nachgeschobene Gründe. Die vorgenannten Gründe hat die Beklagte erstmals mit ihrem an das Verwaltungsgericht Magdeburg gerichteten Schriftsatz vom 4. Februar 2001 benannt. Selbst der Widerspruch der Beklagten vom 13. März 2000 gegen die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung war noch unbegründet geblieben. Soweit sie behauptet hat, dass sie bereits in der Erörterung der Vorhaben am 18. September 1999 Einwendungen vorgetragen hat, ist sie hierfür beweisfällig geblieben. Darauf kommt es aber ohnehin auch nicht an. Denn die später schriftlich in beide immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren eingeführten Gründe waren jedenfalls nicht Grundlage der tatsächlich getroffenen Entscheidungen vom 14. April 1999, vom 12. Juli 1999 und vom 21. September 1999.

4. Der Erlass eines Grundurteils war nach § 304 ZPO zulässig. Die Ermessensausübung des Landgerichts hierzu ist nicht zu beanstanden.

Es steht fest, dass die Klägerin jedenfalls einen materiellen Schaden dadurch erlitten hat, dass der Bau und die Inbetriebnahme beider Putenmastanlagen durch die vorsätzliche rechtswidrige Versagung des gemeindlichen Einvernehmens erheblich verzögert wurde. Für diese Feststellung kommt es auf die exakte Ermittlung des Beginns und der Dauer der Verzögerung im Einzelnen noch nicht an. Jeder einzelne Tag der Verzögerung hat zu einem finanziellen Schaden der Klägerin geführt. Fragen der haftungsausfüllenden Kausalität können der Entscheidung im Betragsverfahren vorbehalten bleiben. Der Erlass eines Grundurteils war hier auch geeignet, die Erledigung des Rechtsstreits zu fördern. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt eine Divergenz zwischen dem Urteilsausspruch und den Entscheidungsgründen der erstinstanzlichen Entscheidung nicht vor. Die Entscheidungsgründe nehmen vielmehr ausdrücklich auf die Formulierung im Tenor Bezug.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 7 und 8 EGZPO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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