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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 11.12.2008
Aktenzeichen: 1 U 12/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 253 Abs. 2
1. Ist eine ärztliche Befunderhebung selbst nicht fehlerhaft, sondern beanstandet der Patient lediglich, dass der Arzt weitere Befunde nicht erhoben hat, so kann der Arzt für die durchgeführten Befunderhebungen auch Honorar beanspruchen.

2. Der Schmerzensgeldanspruch steht gemäß § 253 Abs. 2 BGB nur dem Verletzten zu. Einen indirekten Schmerzensgeldanspruch der nicht selbst vom Behandlungsfehler betroffenen Mutter des Patienten, die gleichsam als Reflex mit ihrem Kind mitgelitten hat, kennt das Gesetz dagegen nicht.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 12/08 OLG Naumburg

Verkündet am 11.12.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann, Grimm und Prof. Dr. Gruber auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten und Widerklägerin gegen das am 19.12.2007 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer der Beklagten übersteigt 20.000,00 EUR nicht.

Gründe:

A.

Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

B.

Die Berufung ist zulässig, hat jedoch im Ergebnis keinen Erfolg.

I.

Die Berufung ist ohne Weiteres unbegründet, soweit sie sich auf die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Arzthonorar in Höhe von 54,55 EUR und weiteren 53,09 EUR nebst Mahnkosten und Zinsen richtet.

1. Die zugrunde liegende Klageforderung als solche ist unstreitig. Die Beklagte greift die Verurteilung nur insoweit an, als sie meint, wegen der von ihr behaupteten unzureichenden Diagnosemaßnahmen könne die Klägerin keine Vergütung für die erbrachte Leistung verlangen. Der Honoraranspruch für die fehlerhafte Leistung müsse entfallen, ohne dass es der Aufrechnung mit einem konkreten Schadensersatzanspruch bedürfe.

2. Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor.

a) Der Beklagten ist zwar zuzustimmen, dass ein Arzt nach der Rechtsprechung für eine mangelhafte Leistung als solche unter bestimmten Voraussetzungen kein Honorar beanspruchen kann (vgl. OLG Zweibrücken, MedR 2002, 201; OLG Köln, VersR 1987, 620 f.; OLG Düsseldorf, VersR 1985, 456). Dies setzt aber voraus, dass die in Rechnung gestellte Leistung selbst fehlerhaft ist. Denn der Ersatzanspruch ist darauf gerichtet, wegen der festgestellten Behandlungsmängel für diese Dienstleistung keine Vergütung zahlen zu müssen. Der Schaden des Patienten besteht in einem solchen Fall nach der zitierten Rechtsprechung darin, dass er für eine unbrauchbare ärztliche Behandlung eine Vergütung zahlen soll.

b) Das trifft für die hier abgerechneten Untersuchungen aber nicht zu. Sowohl die körperliche Untersuchung, die Gegenstand der Rechnung Nr. 92408647 ist, als auch die Sonographie, abgerechnet unter Nr. 92409279, waren notwendige oder zumindest sinnvolle Untersuchungsmaßnahmen. Die Sonographie hat die Beklagte sogar ausdrücklich verlangt, wie sie selbst betont. Diese Untersuchungen wurden auch nicht fehlerhaft durchgeführt, wie die erstinstanzliche Beweisaufnahme klar ergeben hat. Soweit die Beklagte dies indirekt bezweifelt und nunmehr Beweis anbietet für ihre Behauptung, eine Volvulus, d. h. eine Achsdrehung des Darms, sei in 50 % der Fälle schon im Sonogramm sichtbar, besteht keine Veranlassung, den angebotenen Beweis zu erheben. Vielmehr kann diese Behauptung als wahr unterstellt werden, bedeutet sie doch nichts anderes, als dass in den übrigen 50 % der Fälle die Achsdrehung eben nicht sichtbar ist.

c) Auch die Beklagte verlangt von den Ärzten nicht, dass sie allein auf Grund der Sonographie und der körperlichen Untersuchung den von der Beklagten von Anfang an vermuteten Darmverschluss hätten erkennen müssen. Sie wirft ihnen nur vor, es bei der Sonographie belassen, und nicht noch eine Röntgenuntersuchung o.ä. angeordnet zu haben. Der Kernvorwurf der Beklagten gegen die Klägerin und den Drittwiderbeklagten zu 1) besteht gerade darin, dass nicht noch weitere diagnostische Maßnahmen durchgeführt wurden, mit deren Hilfe die Notwendigkeit einer Operation wegen eines bestehenden Darmverschlusses eventuell früher hätte erkannt werden können. Selbst wenn man der Beklagten hierin folgen wollte, wäre damit aber die tatsächlich durchgeführte Untersuchung nicht als fehlerhaft, sondern allenfalls als unvollständig anzusehen.

d) Ist aber die in Rechnung gestellte Leistung selbst nicht fehlerhaft, bleibt der Honoraranspruch des Arztes bestehen. Er könnte allenfalls im Wege der Aufrechnung mit einem anderen Schadensersatzanspruch zu Fall gebracht werden. Hiervon hat die Beklagte aber ausdrücklich Abstand genommen.

II.

Die Widerklage ist ebenfalls unbegründet. Auch insoweit kommt es auf die Frage eines Behandlungsfehlers letztlich nicht an, weil die Beklagte keinen ersatzfähigen Schäden geltend macht.

1. Bei der Beklagten handelt es sich nicht um die Patientin. Die streitgegenständliche ärztliche Behandlung betraf nur ihren Sohn. Die Beklagte macht auch nicht etwa aus fremdem Recht Schmerzensgeldansprüche ihres Kindes geltend, sondern hat diese ausdrücklich vorbehalten und die Klage insoweit auch teilweise zurückgenommen. Gegenstand des Verfahrens sind daher nur etwaige eigene Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche der Beklagten wegen der nach ihrer Ansicht fehlerhaften Behandlung ihres Kindes.

Solche Ansprüche Dritter bestehen jedoch hier nicht, selbst wenn man die von der Beklagten behauptete Unzulänglichkeit der Untersuchung durch die behandelnden Ärzte unterstellt.

2. Dies betrifft in erster Linie den eigenen Schmerzensgeldanspruch der Beklagten als Mutter des kranken Kindes, den der Senat nicht zuzusprechen vermag.

a) Da die Beklagte immer wieder betont, wie sehr die Erkrankung des Neugeborenen und die notwendige Operation sie selbst und das Kind physisch und psychisch belastet habe, muss zunächst klargestellt werden, dass die beklagten Ärzte den Darmverschluss des Neugeborenen nicht verursacht haben. Auch die Notwendigkeit einer Operation zur Beseitigung des Darmverschlusses ergab sich unstreitig nicht aufgrund eines Verhaltens der Drittwiderbeklagten, denn die Operation hätte nach der eigenen Darstellung der Beklagten in jedem Fall durchgeführt werden müssen.

Der relevante Vorwurf der Beklagten gegen die Klägerin und den Drittwiderbeklagten zu 1) besteht letztlich darin, dass die behandelnden Ärzte bei einer Untersuchung des Kindes am 16.11.2004 gegen 12:30 Uhr nicht alle notwendigen diagnostischen Maßnahmen durchgeführt, und deshalb die Notwendigkeit einer Operation wegen eines bestehenden Darmverschlusses nicht erkannt hätten. Als Folge dieses Diagnosefehlers sei die Entscheidung zur Operation des Kindes erst später, in den frühen Morgenstunden des Folgetages, getroffen worden. Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Schmerzensgeldes käme es also allenfalls darauf an, welches zusätzliche Leiden der Mutter durch die bestehende Ungewissheit und dadurch entstanden ist, dass sich die Operation ihres Kindes um einige Stunden verzögert hat.

b) Ein solcher Schmerzensgeldanspruch dritter Personen ist jedoch aus Rechtsgründen nicht gegeben.

aa) Grundsätzlich hat nur der Geschädigte selbst Anspruch auf Schmerzensgeld. Unterstellt man den behaupteten Behandlungsfehler, so könnte sich möglicherweise für das behandelte Kind ein Anspruch ergeben, der darauf beruht, dass sich sein Leiden durch die verzögerte Diagnose um einige Stunden verlängert hat. Ein solcher Anspruch ist aber nicht Gegenstand des Verfahrens.

bb) Nach § 253 Abs. 1 BGB kann eine Entschädigung wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden. Der Schmerzensgeldanspruch steht gemäß § 253 Abs. 2 BGB nur dem Verletzten zu. Einen indirekten Schmerzensgeldanspruch der nicht selbst vom Behandlungsfehler betroffenen Mutter, die gleichsam als Reflex mit ihrem Kind mitgelitten hat, kennt das Gesetz dagegen nicht. Denn Voraussetzung für den Schmerzensgeldanspruch ist die Verletzung eines der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter, also insbesondere des eigenen Körpers, der eigenen Gesundheit oder der eigenen Freiheit. Schmerzensgeld steht also nur dem Verletzten zu.

Ein Dritter, der selbst nicht verletzt wurde, kann deshalb keine eigenen Schmerzensgeldansprüche geltend machen, wenn er mit dem Verletzten mitleidet. Das gilt auch, wenn der Dritte wegen der Verletzung des Geschädigten große eigene Ängste ausstehen muss, wie es bei der Mutter eines schwer kranken Kindes regelmäßig der Fall sein wird.

c) Die Beklagte könnte deshalb nur dann einen eigenen Schmerzensgeldanspruch erheben, wenn sie selbst durch den behaupteten Diagnosefehler bei der Behandlung ihres Kindes derart und außergewöhnlich psychisch belastet worden wäre, dass der erlittene Schock eine eigene Verletzung der Gesundheit der Beklagten darstellte. Anerkannt sind solche Ansprüche der Angehörigen in der Rechtsprechung vor allem bei einer seelischen Erschütterung ("Schockschaden") durch die Nachricht vom Tod eines Angehörigen. Aber selbst bei derart schlimmen Fällen begründet das Leiden der Eltern einen Schadensersatzanspruch nicht schon dann, wenn es zwar medizinisch erfassbare Auswirkungen hat, diese aber nicht über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. Der Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB deckt nur Gesundheitsbeschädigungen, die nach Art und Schwere diesen Rahmen überschreiten (BGHZ 56, 173; BGH NJW 1976, 673; OLG Celle, OLGR Celle 2007, 548-551).

Diese Voraussetzungen liegen hier bei Weitem nicht vor.

3. Ein Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens der Eltern, der als Schaden der Unterhaltspflichtigen dem Grunde nach in Betracht käme, scheitert jedenfalls an der fehlenden Kausalität eines etwaigen Diagnosefehlers für die geltend gemachten Kosten.

a) Der Beklagten ist bewusst, dass die Operation in jedem Fall notwendig war und die Kosten der Operation daher nicht als Schaden anzusehen sind. Die Beklagte macht deshalb nur Mehraufwendungen geltend, die ihr und ihrem Ehemann dadurch entstanden sind, dass ihr Kind in B. operiert wurde. Insofern fehlt es aber an der Kausalität des behaupteten Diagnosefehlers für die Entstehung dieser Kosten, denn diese Entscheidung haben die Eltern selbst getroffen, weil ihnen die Zeugin Dr. K. ihren Kollegen von der C. , Prof. Dr. M. , unstreitig "als äußerst kompetent empfohlen" hatte.

b) Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob und unter welchen Umständen Patienten, denen die Behandlung in einem nahe gelegenen Krankenhaus verweigert wird, gegen den Betreiber Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten zu einer anderen Klinik haben können. Denn es liegt schon die behauptete einseitige Verweigerung der Behandlung durch die Ärzte der Klägerin liegt nicht vor. Den noch in erster Instanz erhobenen Vorwurf gegen den Drittwiderbeklagten zu 2), er habe sich am Abend des 16.11.2004 gegen 21 Uhr unter Verletzung des § 323 c StGB geweigert, das Kind zu behandeln, obwohl er durch die Zeugin Dr. K. auf die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes hingewiesen worden sei, verfolgt die Beklagte in zweiter Instanz nicht weiter. Dementsprechend hat sie auch die Berufung gegen den Drittwiderbeklagten zu 2) zurückgenommen. Der insoweit gegen ihn und die Klägerin erhobene Vorwurf war auch, wie die Beweisaufnahme des Landgerichts ergeben hat, nicht gerechtfertigt. Denn nach der plausiblen Schilderung der Zeugin Dr. K. war der Drittwiderbeklagte zu 2) sehr wohl bereit, das Kind in seiner Klinik zu behandeln.

c) Letztlich waren es die Eltern des Kindes, die sich gegen eine Verlegung nach H. und für die Fahrt nach B. entschieden haben. Dass sie im Rahmen der freien Arztwahl diese Entscheidung mit gutem Recht und in der Überzeugung getroffen haben, zum Wohle ihres Kindes zu handeln, kann unterstellt werden. Es ist auch nachvollziehbar, dass die Beklagte auf Grund des von ihr behaupteten und hier als wahr unterstellten Diagnosefehlers des Drittwiderbeklagten zu 1) enttäuscht war und das Vertrauen in die Ärzte der Klägerin verloren hatte. Einen Kostenerstattungsanspruch begründet dieser Vertrauensverlust jedoch nicht.

4. Da weder Schmerzensgeldansprüche noch zukünftige materielle Schäden der Beklagten selbst in Betracht kommen, muss auch der Feststellungsantrag der Beklagten erfolglos bleiben.

5. Für diesen Rechtsstreit kommt es auf die Frage, ob ein Behandlungsfehler zu Lasten des Kindes vorliegt, nicht an. Der Senat hatte dieser Frage deshalb nicht weiter nachzugehen. Es sei aber darauf hingewiesen, dass der Senat die bisher durchgeführte Beweisaufnahme nicht als ausreichend erachtet hätte. Das Landgericht hatte der Sachverständigen zwar im Beschluss vom 03.03.2006 aufgegeben, bei der Begutachtung von dem streitigen Vortrag der Beklagten auszugehen. Die Gutachterin hat diese Weisung jedoch nicht beachtet und ihren Ausführungen ersichtlich nur den Inhalt der Krankenunterlagen zu Grunde gelegt. Die Beweisaufnahme erfolgte also auf streitiger Grundlage, ohne dass zuvor die tatsächlichen Symptome festgestellt worden waren.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 sowie 543, 544 Abs. 1 ZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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