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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 29.04.2008
Aktenzeichen: 1 U 19/07
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 831 Abs. 1
BGB § 847 Abs. 1 a.F.
ZPO § 256
1. Fehlerhafte Therapiewahl bei Verdacht auf Morbus Hodgkin (hier: maximalinvasive Operation statt kombinierte Chemo- und Strahlentherapie).

2. Wird ein Patient von einem Krankenhaus an eine Spezialklinik zur Durchführung einer Operation überwiesen, die der überweisende Arzt nicht erbringen kann, so bestimmt der hinzugezogene Arzt in eigener Verantwortung nicht nur die Art und Weise der Leistungserbringung (hier der Operation), sondern er muss auch prüfen, ob die von ihm erbetene Leistung den Regeln der ärztlichen Kunst entspricht und nicht etwa kontraindiziert ist, sowie, ob die von ihm erbetene Leistung ärztlich sinnvoll ist, ob also der Auftrag von dem überweisenden Arzt richtig gestellt ist und dem Krankheitsbild entspricht.

3. Feststellung eines groben Behandlungsfehlers bei der Durchführung der Operation, wenn bei Verdacht auf ein Hodgkin-Lymphom der cervikale Lymphknoten nicht entfernt wird, statt dessen aber eine maximal aggresive Tumorextirpation ohne weitere Ausbreitungsdiagnostik und Konsultation eines in der Behandlung dieser Erkrankung versierten Spezialisten durchgeführt wird.

4. Schmerzensgeld in Höhe von 60.000 EUR für eine medizinisch nicht indizierte Operation, die zur einer Verletzung des N. phrenicus, einer Durchtrennung des N. laryngeus recurrens, einem Zwerchfellhochstand, einer Stimmbandlähmung, zu Komplikationen an der Bronchius-Absatzstelle sowie zu rezidivierenden Infektionen und zahlreichen weiteren Krankenhausaufenthalten und Folgebehandlungen geführt hat.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 19/07 OLG Naumburg

verkündet am: 29. April 2008

In dem Berufungsverfahren

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel sowie die Richter am Oberlandesgericht Grimm und Prof. Dr. Gruber auf die mündliche Verhandlung vom 28. Februar 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 31.01.2007 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 60.000 € zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin allen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, welcher der Klägerin auf Grund der fehlerhaften Operation vom 10.09.1991 noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist oder noch übergehen wird.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 1/5 und das beklagte Land 4/5.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem beklagten Land wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer des beklagten Landes übersteigt 20.000,00 EUR, diejenige der Klägerin nicht.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 85.000 € festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Klägerin macht gegen das beklagte Land (im Folgenden kurz: die Beklagte) als Rechtsnachfolger des Krankenhauses V. Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche geltend. Sie wurde im September 1991 in der Thorax-chirurgischen Abteilung des Krankenhauses V. untersucht und operiert, nachdem sie wegen des Verdachts auf Morbus Hodgkin eingewiesen worden war. Im Rahmen des Eingriffs vom 10.09.1991 wurde neben einem faustgroßen Mediastinaltumor u.a. auch der linke Lungenoberlappen entfernt, wobei der linke Stimmbandnerv verletzt wurde. Nach der Operation trat im linken Arm eine Thrombose auf. Die Klägerin litt unter anderem an einer chronischen Bronchitis und Pilzbefall in Teilen des Oberkörpers. Fäden, die bei dieser Operation 1991 verwendet wurden und ins Gewebe gedrängt worden waren, wurden durch zwei Operationen im Jahre 1997 entfernt. Anlässlich einer Bronchoskopie wurde 1998 ein Metallclip entfernt, der ebenfalls noch von dem Eingriff im Krankenhauses V. stammte.

Im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens bei der Gutachterkommission der Ärztekammer kam der dortige Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die Operation im Krankenhaus V. am 10.09.1991 unnötig gewesen sei, und die hieraus resultierende Verminderung der Lungenfunktion der Klägerin, die erhöhte Infektneigung und die Stimmbandverletzung vermeidbar gewesen seien. Der ärztliche Dienst der Krankenkassen hat später ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben, das ein anderer Sachverständiger am 08.06.2001 erstattete. Er kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass den Ärzten des Krankenhauses V. - auch nach den Maßstäben der Medizin in der DDR - Behandlungsfehler vorzuwerfen seien.

Die Klägerin hat sich auf diese Gutachten berufen und behauptet, sie leide bis heute unter den Folgen der Behandlungsfehler. Sie hat ein Schmerzensgeld in Höhe von 150.000,00 DM für angemessen erachtet und die Feststellung begehrt, dass die Beklagte zum Ersatz allen zukünftigen materiellen und immateriellen Schadens verpflichtet sei, der ihr aus der Fehlbehandlung vom 03.09. bis 09.10.1991 noch entstehen werde.

Das Landgericht hat die Klage zunächst mit Urteil vom 14.01.2003 wegen Verjährung der Ansprüche abgewiesen. Der erkennende Senat hat die Verjährung verneint, die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und die Sache mit Urteil vom 13.05.2003 zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Kammer zurückverwiesen.

Im weiteren Verfahren hat das Landgericht die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Urteil vom 02.03.2005 erneut abgewiesen. Die Behandlung sei nicht fehlerhaft und die Aufklärung der Kläger sei ausreichend gewesen.

Die hiergegen erneut eingelegte Berufung führte wiederum zur Zurückweisung der Sache an das Landgericht durch Senatsurteil vom 12.07.2005. Das Landgericht hatte entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin nicht berücksichtigt. Es hatte zwar einen diagnostischen Eingriff als erforderlich und sachgerecht angesehen, dabei aber verkannt, dass die Ärzte gerade nicht einen diagnostischen Eingriff vorgenommen haben und - nach dem Vortrag der Klägerin - einen solchen auch nie geplant hätten. Nur weil die Ärzte anstelle einer diagnostische Teilresektion von vorn herein zu einer Totalresektion angesetzt hätten, sei es zu dem invasiven Eingriff und dessen schweren Folgen gekommen. Gerade das expansive Vorgehen der Ärzte hielt die Klägerin für völlig unnötig. Hierzu fehlte die erforderliche Sachaufklärung.

Die Kammer hat nach der erneuten Zurückverweisung die Beweisaufnahme ergänzt und insbesondere ein weiteres Sachverständigengutachten des damaligen gerichtlichen Sachverständigen Prof. H. eingeholt, der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2006 ergänzende mündliche Ausführungen gemacht hat.

Noch während dieser Verhandlung hat die Klägerin den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, nachdem sich herausgestellt hatte, dass dieser nicht nur bei der Beklagten beschäftigt war, sondern außerdem Kontakte zu dem beschuldigten Operateur unterhielt, auf die er nicht hingewiesen hatte.

Die Kammer wies das Befangenheitsgesuch der Klägerin am 31.01.2007 als unbegründet zurück. Mit Urteil vom selben Tage wies das Landgericht die Klage erneut ab. Zur Begründung stützte sich die Kammer auf die gutachterlichen Feststellungen des abgelehnten Sachverständigen, der glaubhaft und widerspruchsfrei festgestellt habe, dass die Ärzte des Krankenhauses V. im Rahmen der Behandlung der Klägerin im September und Oktober 1991 nicht gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Mit Beschluss vom 07.05.2007 (10 W 19/07) hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts auf die sofortige Beschwerde der Klägerin deren Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen für begründet erklärt.

Ihre Berufung hat die Klägerin vor allem darauf gestützt, dass der vom Gericht hinzugezogene Sachverständige Prof. Dr. H. befangen sei und andererseits seine Ausführungen in sich widersprüchlich seien. Diese Widersprüche, die die Klägerin im Einzelnen darstellt, habe das Gericht nur deshalb nicht erkannt, weil es die Ausführungen des Sachverständigen unkritisch übernommen habe. In der Sache wiederholt die Klägerin ihre Behauptung, die Totalresektion des linken Lungenoberlappens sei unnötig gewesen. Auch die Feststellung des Landgerichts, die Aufklärung der Patientin sei ausreichend gewesen, weil eine hinreichende mündliche Aufklärung stattgefunden habe, greift die Klägerin an.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils vom 31.01.2007,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin und Berufungsklägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin aus der Fehlbehandlung im Krankenhaus V. , V. , vom 03.09. bis 09.10.1991, allen sonstigen materiellen und den künftigen immateriellen Schaden zu ersetzen hat, soweit dieser Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist oder noch übergeht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im jüngsten Berufungsverfahren verteidigt sich die Beklagte im Wesentlichen mit einem Hinweis auf die damalige Aufgabenverteilung zwischen den Kliniken L. und V. .

Bei dem Krankenhaus L. handele es sich um eine mehr als 100 Jahre alte Lungenklinik, die jedoch in den 90er Jahren nicht über eine Thoraxchirurgie verfügt habe. Aus diesem Grunde habe das Lungenfachkrankenhaus L. bis 1999 diejenigen Patienten, die chirurgisch zu behandeln gewesen seien, an das Krankenhaus V. überwiesen, das jedoch nur die chirurgische Therapie ausdiagnostizierter Erkrankungen durchgeführt habe. Auch im Falle der Klägerin habe das Krankenhaus L. eine klare Arbeitsanweisung an die Klinik V. erteilt, die auf Durchführung einer diagnostischen Thorakotomie gelautet habe. Nachdem der Operateur der Klinik V. , Dr. N. , mit dem zuständigen Kollegen der Lungenklinik L. über den Fall der Klägerin telefonisch gesprochen habe, habe das für die Diagnose allein zuständige Krankenhaus L. dem Krankenhaus V. mitgeteilt, dass eine Diagnose ohne Thorakotomie nicht möglich und die Operation daher erforderlich sei. Auch aus diesem Grund habe keinerlei Veranlassung für das Krankenhaus V. bestanden, weitere diagnostische Maßnahmen vor einer Thorakotomie durchzuführen, für die es ohnehin nicht ausgestattet gewesen sei.

Die Beklagte führt weiter aus, dass die einmal angeordnete Thorakotomie zu einer vollständigen Entfernung des Tumors habe führen müssen, denn eine Thorakotomie werde niemals zweimal durchgeführt. Insofern verbiete es sich, zunächst lediglich eine Tumorprobe zu diagnostischen Zwecken zu entnehmen, um den Thorax bei Nachweis eines Bronchialkarzinoms erneut zu eröffnen. Bei der Entscheidung des Operateurs, den Tumor vollständig zu entfernen, sei aus chirurgischer Sicht auch die Größe des Tumors und der Umstand zu berücksichtigen gewesen, dass dieser aufgrund seiner Größe schon auf die umliegenden Organe gedrückt habe. Allein dieser Umstand habe die vollständige Resektion zum damaligen Zeitpunkt schon gerechtfertigt.

Im Hinblick auf die Frage der Aufklärung der Patientin verteidigt die Beklagte die angefochtene Entscheidung und betont, dass schriftliche Einwilligungserklärungen im Jahre 1991 auf dem Gebiet der neuen Bundesländer noch nicht üblich gewesen seien. Am 05.09.1991 sei eine individuelle mündliche Aufklärung durch den Operateur durchgeführt worden. Eine Verpflichtung, auf Behandlungsalternativen hinzuweisen, habe schon deshalb nicht bestanden, weil es Alternativen nach seinem Erkenntnishorizont nicht gegeben habe.

Der Senat hat mit Beweisbeschluss vom 22.05.2007 die Einholung eines neuen Gutachtens zur Frage eines Behandlungsfehlers angeordnet und schließlich Prof. Dr. A. E. mit der Erstattung des Gutachtens beauftragt. Wegen des Ergebnisses der neuerlichen Beweisaufnahme wird auf dessen Sachverständigengutachten vom 05.12.2007 (Bd. V Bl. 157 - 172 d. A.) und auf seine mündlichen Ausführungen zu Protokoll der Verhandlung vom 28.02.2009 (Bd. VI, Bl. 41 bis 43 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und überwiegend begründet.

I.

Der Schmerzensgeldanspruch der Klägerin ist gemäß §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB a.F. in Höhe von 60.000 € begründet.

1. Der Anspruch ist dem Grunde nach gegeben, denn die Operation vom 10.09.1991 war medizinisch nicht indiziert und damit insgesamt fehlerhaft.

a) Davon ist der Senat nach Würdigung des gesamten verwertbaren Beweisergebnisses auf Grund des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. E. vom 05.12.2007 und dessen ergänzenden mündlichen Ausführungen überzeugt.

aa) In seinem schriftlichen Gutachten vom 05.12.2007 (Bd. V Bl. 157 - 172 d. A.) hat der Sachverständige zusammenfassend festgestellt, dass bei der Klägerin damals die klinische Verdachtsdiagnose eines malignen Lymphoms bestanden habe. Punktionen betroffener Lymphknoten hätten zu der Verdachtsdiagnose Hodgkin-Lymphom geführt. Diese Erkrankung sei auch in fortgeschrittenen Fällen zu über 80 % durch eine Chemotherapie oder kombinierte Chemo-/Strahlentherapie heilbar. Anstatt zu diesem Zeitpunkt einen vergrößerten zervikalen Lymphknoten zur Diagnosesicherung zu entfernen, sei aber im Krankenhaus V. eine radikale Thorakotomie mit bewusster Resektion des nervus pherenicus, nervus laryngeus recurrens, des Herzbeutels sowie des linken Lungenoberlappens durchgeführt worden.

Diese Operation sei vom Operateur, Dr. N. , so intendiert und durchgeführt worden, ohne schonendere Alternativen erwogen oder zumindest deren Erwägung dokumentiert zu haben. Bei der Verdachtsdiagnose Hodgkin-Lymphom sei eine derartig invasive diagnostische Prozedur in keiner Weise zu rechtfertigen.

bb) Diese eindeutige Aussage zur Fehlerhaftigkeit der Operation hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 28.02.2008 wiederholt und ergänzend erläutert. Er hat erklärt, dass die Krankheit der Klägerin nur durch Chemotherapie und zum Teil durch Strahlentherapie heilbar sei. Durch chirurgische Eingriffe könne ein Heilungserfolg nicht herbeigeführt werden. Diese Kenntnis, die schon seit vielen Jahrzehnten bestehe, sei auch im Gebiet der ehemaligen DDR vorhanden gewesen. Auch Dr. N. , der die Klägerin operiert habe, habe dies wissen müssen. Insgesamt sei die Medizin der DDR auf einem hohen Wissensstand gewesen. Es hätten lediglich die apparativen Möglichkeiten gefehlt. Auch wenn die Diagnose morbus Hodgkin nicht zu 100 Prozent eindeutig gewesen sei, habe jedenfalls der Verdacht auf ein Hodgkin-Lymphom bestanden. Schon deshalb sei die Entscheidung zur Maximaloperation falsch gewesen. Aber selbst bei der irrtümlichen Annahme eines Bronchialkarzinoms wäre die Entscheidung für eine Operation falsch gewesen, wie der Sachverständige ergänzend erläutert hat. Denn dieses hätte dann bereits Metastasen im Hals gebildet und wäre in diesem Stadium nicht mehr chirurgisch heilbar gewesen.

Dem Einwand der Beklagten, die Entfernung eines so großen Tumors müsse doch einen therapeutischen Nutzen haben oder zumindest einen Vorteil für die weitere Behandlung bieten, ist der Sachverständige ausdrücklich entgegengetreten. Er hat betont, dass dies den möglichen Beginn der allein indizierten Chemotherapie durch die Notwendigkeit der Wundheilung nur verzögert habe. Umgekehrt lasse sich auch ein großer Tumor durch die Chemotherapie gut auflösen und über die Nieren ausscheiden.

Die vereinfacht dargestellte, von der Beklagten geäußerte Ansicht des Operateurs, "wenn man operiert, dann richtig" hat der Gutachter mit deutlichen Worten zurückgewiesen. Dieser Grundsatz wäre selbst bei dem - hier nicht intendierten - Versuch einer diagnostischen Öffnung des Brustkorbes falsch gewesen.

b) Soweit die Beklagte ihre Rechtsverteidigung in Kenntnis des schriftlichen Gutachtens von Prof. Dr. E. auf die Arbeitsteilung zwischen der Lungenklinik und dem Krankenhaus V. stützt, kann ihre Argumentation keinen Erfolg haben.

aa) Die Bindung des hinzugezogenen Arztes an einen Überweisungsauftrag bedeutet nicht, dass dessen Tätigkeit lediglich auf die technische Ausführung des Auftrages begrenzt, die Funktion des zugezogenen Arztes also lediglich in der eines Werkzeuges ohne eigene Verantwortung zu sehen wäre. Der hinzugezogene Arzt übernimmt vielmehr im Rahmen des Überweisungsauftrages in gewissem Umfang auch eigenständige Pflichten. Er bestimmt in eigener Verantwortung nicht nur die Art und Weise der Leistungserbringung (hier der Operation), sondern er muss auch prüfen, ob die von ihm erbetene Leistung den Regeln der ärztlichen Kunst entspricht und nicht etwa kontraindiziert ist (so BGH, NJW 1994, 797 ff.; BSG, ArztR 1981, 314 f.). Ebenso muss er prüfen, ob die von ihm erbetene Leistung ärztlich sinnvoll ist, ob also der Auftrag von dem überweisenden Arzt richtig gestellt ist und dem Krankheitsbild entspricht. Das gilt insbesondere dann, wenn sich der überweisende Arzt an einen Spezialisten oder, wie hier, an eine Klinik wegen einer Leistung wendet, die er selbst nicht erbringen kann (BGH, a.a.O.).

bb) Auch insoweit hat der Gutachter bestätigt, dass in erster Linie der Operateur die Verantwortung für die von ihm durchgeführte Operation hat. Er hätte daher wissen müssen, dass die Operation nicht indiziert war, und hätte sie nicht durchführen dürfen. Auch eine fehlende Apparatediagnostik könne das Vorgehen des Operateurs zu Diagnosezwecken nicht rechtfertigen, so der Sachverständige. Die zweifache Punktion habe den Verdacht auf morbus Hogkin bestätigt. Eine Computertomografie sei danach nicht notwendig gewesen, weil der Lymphknoten tastbar gewesen sei.

c) Der festgestellte Fehler ist als grober Behandlungsfehler anzusehen.

aa) Ein grober Behandlungsfehler ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH anzunehmen, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. BGH NJW 1997, 798 m.w.N). Bei der Frage, ob ein Behandlungsfehler vorliegt und ob dieser als "grob" zu beurteilen ist, handelt es sich um eine Rechtsfrage (vgl. BGH VersR 1983, 729; BGH VersR 1995, 46; BGH VersR 1996, 1148), die jedoch auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruht, welche sich regelmäßig nur aus der medizinischen Bewertung des Behandlungsgeschehens durch einen Sachverständigen ergeben können. (BGH a.a.O.). Der Senat hat deshalb den Sachverständigen auch hierzu befragt.

bb) Das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers erschien dem Senat bereits in seinem letzten Urteil vom 12.07.2005 nicht gänzlich ausgeschlossen, weil schon der Schlichtungsgutachter deutlich hervorgehoben hatte, dass man "bei Morbus Hodgkin nicht operiert". Inzwischen liegt aber auch hierzu ein Beweisergebnis vor, denn der Sachverständige Prof. Dr. E. hat in seinem Gutachten vom 05.12.2007 einen groben Behandlungsfehler ausdrücklich bejaht. Bei der Verdachtsdiagnose eines Hodgkin-Lymphoms sei eine derartig invasive diagnostische Prozedur in keinster Weise zu rechtfertigen. Die versuchte Rechtfertigung durch den Hinweis auf die damaligen medizinischen Möglichkeiten in den neuen Bundesländern würden der Schwere des Fehlers und den Folgeschäden der betreffenden Patientin in keiner Weise gerecht. Es sei schlicht unverständlich, dass ein thoraxchirurgischer Chefarzt, dem Erfahrung in der Diagnostik und Behandlung von unklaren mediastinalen Tumoren unterstellt werden müsse, zum einen den cervikalen Lymphknoten bei Verdacht auf ein Hodgkin-Lymphom nicht zunächst entfernt, und zum anderen auch noch statt dessen eine maximal aggressive Tumorextirpation ohne weitere Ausbreitungsdiagnostik und Konsultation eines in der Behandlung dieser Erkrankung versierten Spezialisten durchgeführt hat.

c) Liegt demnach ein grober Behandlungsfehler vor, so hat die Beklagte zu beweisen, dass die festgestellten Schäden auch dann eingetreten wären, wenn der Arzt die Thorakotomie nicht durchgeführt hätte.

aa) Dieser Nachweis ist aufgrund des vorliegenden Gutachtens allenfalls für die fibrotische Lungenveränderung erbracht, die Folge der Strahlentherapie ist.

Für eine Vielzahl von Gesundheitsbeeinträchtigungen, die bei der Klägerin aufgetreten sind und durch Ärzte dokumentiert wurden, konnte der Gutachter sogar positiv feststellen, dass sie bei richtigem Verhalten der Ärzte nicht eingetreten wären. Dies gilt für die operative Verletzung des N. phrenicus, die Durchtrennung des N. laryngeus recurrens, den operationsbedingten Zwerchfellhochstand, die Stimmbandlähmung sowie für Komplikationen an der Bronchius-Absatzstelle, die zu rezidivierenden Infektionen und zahlreichen weiteren Krankenhausaufenthalten und Folgebehandlungen führten. Wesentliche, von der Klägerin geltend gemachte Gesundheitsschäden sind damit erwiesen.

bb) Für andere von der Klägerin genannte Folgeschäden ist die kausale Zuordnung zu der erfolgten unnötigen Thorakotomie nicht eindeutig. Hierzu zählt nach Angaben des Sachverständigen die postoperative Thrombose, die insgesamt vermehrte Infektneigung sowie die allgemeine Leistungsschwäche. Diese Symptome können unabhängig von der Thorakotomie durch die Grunderkrankung sowie die durchgeführte Chemostrahlentherapie bedingt oder durch diese verstärkt worden seien.

cc) Auf diese weiteren Gesundheitsschäden kommt es jedoch für die Entscheidung über den Anspruchsgrund letztlich nicht an. Schon die medizinisch nicht indizierte Operation als solche und ihre unbestreitbaren direkten Folgen rechtfertigen den Schmerzensgeldanspruch dem Grunde nach.

2. Die Höhe des zugesprochenen Schmerzensgeldes ergibt sich aus dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien, das im Zivilverfahren maßgeblich ist. Zuletzt haben sie einen Schmerzensgeldbetrag von 60.000 € unstreitig gestellt. Dieser Betrag gilt für alle bisher eingetretenen Beeinträchtigungen der Klägerin, die auf die streitgegenständliche Operation zurückzuführen sind, auch soweit sie ursprünglich teilweise streitig waren. Ausgenommen sind nur zukünftig eintretende Schäden, die allerdings vom Feststellungsantrag erfasst sind.

II.

Auch der Feststellungsantrag der Klägerin ist ohne Weiteres begründet gemäß §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB a.F, § 256 ZPO.

1. Dabei geht der Senat im Wege der Auslegung davon aus, dass dieser Antrag nach wie vor allein auf zukünftige Schäden gerichtet sein soll. Bei der Formulierung des Feststellungsantrages im Berufungsverfahren dürfte es sich um ein Versehen handeln, soweit auch bisheriger materieller Schaden vom Wortlaut umfasst ist. Schon mit Schriftsatz vom 08.02.2002 hatte die Klägerin einen identischen Schreibfehler korrigiert und klargestellt, dass der Feststellungsantrag nur zukünftige materielle und immaterielle Schäden umfassten soll. Andernfalls wäre der Feststellungsantrag ohnehin insoweit unzulässig, als er vergangene und damit zu beziffernde materielle Schäden erfasst.

2. Ohne dass es auf eine abschließende Bestimmung des tatsächlichen Umfangs der eingetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen ankäme, ist der Feststellungsantrag der Kläger zulässig und begründet. Denn die Möglichkeit, dass es in der Zukunft aufgrund der fehlerhaften Thorakotomie mit irreversiblen Verlusten von Organteilen zu weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deshalb zu zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden kommen kann, liegt nicht fern. Insoweit wird auf die oben dargestellten Ausführungen zum Behandlungsfehler und seinen Folgen verwiesen.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 1, ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, sowie 543, 544 Abs. 1 ZPO.

1. Eine Niederschlagung der Sachverständigenkosten des Prof. H. gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 GKG analog, die die Klägerin beantragt hat, kommt nicht in Betracht. Die Befangenheit des Gutachters war für das Gericht vor der Beauftragung des Gutachters und vor der Erstattung des Gutachtens nicht erkennbar, sondern hat sie erst im Laufe seiner Anhörung herausgestellt. Die Kosten des letztlich nicht verwertbaren Gutachtens beruhen daher nicht auf einer unrichtigen Sachbehandlung durch die Kammer. Es stellt sich daher nur die Frage, ob der Sachverständige auf Grund der vom 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts für begründet erachteten Besorgnis der Befangenheit seinen Gebührenanspruch ganz oder teilweise verloren hat. Diese Frage ist aber nicht Gegenstand einer richterlichen Kostenentscheidung zur Hauptsache, sondern kann nur durch das Landgericht als Auftraggeber des Gutachters gesondert geprüft werden.

2. Die ebenfalls beantragte Niederschlagung der Kosten der vorausgegangenen Berufungsverfahren, die jeweils zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht geführt haben, scheidet ebenfalls aus.

a) Nicht jeder Verfahrensfehler erfüllt per se die Voraussetzungen des § 21 GKG. Vielmehr setzt § 21 GKG ein erkennbares Versehen oder offensichtliche Verstöße gegen eindeutige Vorschriften voraus (vgl. BGH, zuletzt Beschluss v. 21.02.2008, X E 2/08; ebenso BFH/NV 2006, 326). Ein leichter Verfahrensverstoß reicht deshalb in der Regel nicht, um von der Erhebung der Kosten nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG abzusehen. Dagegen ist es nicht Zweck des Kostenniederschlagungsverfahrens, die richterlich Sachentscheidung und das dabei eingeschlagenen Verfahren zu überprüfen (vgl. OLGR Karlsruhe 2008, 242 f.; OLG Stuttgart, NZBau 2005, 640; OLG München, NJW-RR 2003, 1294).

b) Sowohl die Annahme einer Verjährung in dem ersten Urteil der Kammer vom 14.01.2003, als auch die Verkennung des Klägervortrages im Rahmen der zweiten landgerichtlichen Klageabweisung vom 02.03.2005 beruhten nicht auf einer unrichtigen Sachbehandlung i.S.d. § 21 GKG, sondern auf einer unzutreffenden bzw. unvollständigen Würdigung der Tatsachen durch das erstinstanzliche Gericht, die allein die Kostenniederschlagung nicht rechtfertigt.

3. Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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