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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 17.09.2009
Aktenzeichen: 1 U 23/09
Rechtsgebiete: BGB, AVBFernwärme


Vorschriften:

BGB § 305 Abs. 1 Satz 3
AVBFernwärmeV § 24 Abs. 3
1. Für ein Aushandeln i.S. von § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB genügt nicht, dass das von einer Vertragspartei gestellte Vertragsformular der anderen Partei bekannt ist und nicht auf Bedenken stößt, sondern der Formularverwender muss sich zumindest deutlich und ernsthaft zu einer Änderung des vorgeschlagenen Textes der einzelnen Vertragsregelung bereit erklärt haben (hier verneint).

2. Die Vorschrift des § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV steht einer Inhaltskontrolle einer hierauf gestützten Preisnebenabrede nicht entgegen; sie konkretisiert vielmehr den Maßstab der Inhaltskontrolle.

3. Die Kopplung einer Preisänderung in einem Fernwärmelieferungsvertrag an die Preisentwicklung für leichtes Heizöl im Bereich der sog. "Rheinschiene" benachteiligt einen Sonderkunden unangemessen, wenn die Energieerzeugung des Fernwärmelieferanten ausschließlich mithilfe von Erdgas erfolgt und zudem die Auswahl des Bezugsindexes willkürlich erscheint.

4. Eine unangemessene Benachteiligung des Sonderkunden ergibt sich auch, wenn die Formulierung der Preisänderungsklausel die Auslegung zulässt, dass der Fernwärmelieferant zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, nach gleichmäßigen Maßstäben zu bestimmten Zeitpunkten eine Preisanpassung unabhängig davon vorzunehmen, in welche Richtung sich die Preise im Bezugszeitraum entwickelt haben.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 23/09 OLG Naumburg

Verkündet am: 17. September 2009

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 13.8.2009 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel, den Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Tiemann

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29.12.2008 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau (2 O 633/06) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 10.000,-- Euro abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 75.256,36 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt restliche Zahlung für die Lieferung von Fernwärme an die Beklagte für den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2006.

Die Parteien unterzeichneten am 18.10.2003 bzw. am 6.11.2003 einen Fernwärmeliefervertrag (Bl. 12 - 16 I), der eine frühere Vereinbarung (vom 1.9.1994 - Bl. 182ff. III -) ersetzte. Der Vertrag hat eine Laufzeit bis zum 30.9.2013 (§ 11 Abs.1). Als höchste Wärmeleistung sind 4.500 KW vereinbart (§ 2 Abs. 2). In § 5 des Vertrages heißt es:

1. Der Kunde zahlt SWZ [= Klägerin] für die gelieferte Wärmemenge einen Wärmepreis. Der Wärmepreis setzt sich zusammen aus

a) einem Wärmegrundpreis

b) einem Wärmearbeitspreis

c) einem Verrechnungspreis und

d) einem Mietpreis für Hausübergabestationen

Die jeweils gültigen Preise sowie die Preisänderungsbestimmungen ergeben sich aus dem als Anlage 1 beigefügten Preisblatt. Zu dem Wärmepreis wird die gesetzliche Umsatzsteuer in der jeweils gültigen Höhe (...) hinzugerechnet.

2. SWZ ist berechtigt, die Preise nach der in Anlage 1 angegebenen Preisänderungsklausel anzupassen. Preisänderungen werden nach Übersendung eines neuen Preisblattes an die Kunden und Angabe des Zeitpunktes der Preisänderung wirksam.

3. ...

Die Parteien streiten im vorliegenden Rechtsstreit vorrangig um die Frage, ob die von der Klägerin vorgenommenen Änderungen des Wärmearbeitspreises wirksam sind. Zur Änderung dieses Wärmearbeitspreises heißt es unter Nr. 3 der Anlage 1 zum Fernwärmeliefervertrag (Bl. 17/18 I):

3. Der Arbeitspreis für die zu verrechnenden Mengen ändert sich entsprechend nachstehender Formel:

WAP = WAP° + 1,26 x (HEL - 31,24) €/MWh

Es bedeuten:

WAP = Wärmearbeitspreis in €/MWh

WAP° = 41,33 in €/MWh

HEL = veröffentlichter Heizölpreis in €/MWH (extra leichtes Heizöl gemäß Ziffer 4)

31,24 = veröffentlichter Heizölpreis

für das IV: Quartal 2003 in €/MWh

Die Anpassung erfolgt vierteljährlich. Preise zuzüglich Mehrwertsteuer.

4. ...

5. Der Arbeitspreis gemäß Ziffer 3 ändert sich entsprechend der Preisformel mit Wirkung zum 01. Januar, 01. April, 01. Juli und 01. Oktober eines jeden Jahres. Dabei wird jeweils zugrundegelegt ...

Bei dem mit HEL bezeichneten Faktor handelt es sich unstreitig um die vom Statistischen Bundesamt, Fachserie 17, R2 monatlich veröffentlichten Erzeugerpreise ausgewählter gewerblicher Produkte (Inlandsabsatz), konkret für leichtes Heizöl bei Lieferung im TKW an Verbraucher, 40 - 50 hl pro Auftrag. Der Hinweis auf Ziffer 4 (= Fußnote 4 der Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes) meint - ebenfalls unstreitig - die Preise der sog. Rheinschiene (= Durchschnitt aus den Preisen für Düsseldorf, Frankfurt am Main und Mannheim/Ludwigshafen).

Zum Faktor 1,26 hat die Klägerin erläutert (zuletzt: BE S. 3 - Bl. 65 IV -/ebenfalls unstreitig): Der Faktor 1,26 diene zur kostenneutralen Umrechnung eines alternativen Brennstoffpreises (üblicherweise leichtes Heizöl als markbeherrschender Energieträger) in einen erdgasabhängigen Wärmepreis. Die gelieferte Fernwärme werde im Blockheizwerk der Klägerin hergestellt. Die Erzeugungskosten richteten sich nach dem Energieträger Erdgas. Das Blockheizwerk werde mit Erdgas betrieben. In dem Faktor 1,26

1 : 0,88 x 0,903

sind enthalten:

- der Jahresnutzungsgrad einer durchschnittlichen Wärmeerzeugungsanlage gemäß VDI 2067 (0,88)

- das Verhältnis von Heizwert zu Brennwert des Erdgases (0,903 für Erdgas H).

In § 13 des Fernwärmeliefervertrages heißt es (Bl. 15/16 I):

Tritt während der Vertragslaufzeit eine wesentliche Änderung derjenigen wirtschaftlichen Verhältnisse ein, die bei Abschluss dieses Vertrages maßgebend waren, und sind folge dessen die gegenseitigen Verpflichtungen von SWZ und des Kunden unter Berücksichtigung der vereinbarten Vertragsdauer in ein grobes Missverhältnis geraten, so kann sowohl der Kunde als auch SWZ eine angemessene Anpassung des Vertrages an die geänderten Verhältnisse verlangen.

Die Vertragsschließenden verpflichten sich, Meinungsverschiedenheiten, die sich aus diesem Vertrag ergeben, zunächst durch persönliche Verhandlungen zu bereinigen. Sie können zu diesem Zweck fachkundige Personen hinzuziehen.

Bis einschließlich 31.12.2005 hat die Beklagte die Preise der Klägerin akzeptiert (zuletzt bei einem Wärmearbeitspreis von 52,13 €/MWh. Für das - streitgegenständliche - Jahr 2006 hat die Klägerin der Beklagten vier Preisanpassungsmitteilungen übermittelt, mit denen sie den Wärmearbeitspreis angepasst hat (Bl. 160 - 163 I):

23.11.2005 zum 1.01.2006 Wärmearbeitspreis: 59,76 €/MWh

21.02.2006 zum 1.04.2006 Wärmearbeitspreis: 64,32 €/MWh

22.05.2006 zum 1.07.2006 Wärmearbeitspreis: 63,66 €/MWh

08.08.2006 zum 1.10.2006 Wärmearbeitspreis: 65,32 €/MWh

Mit Anwaltsschreiben vom 2.3.2006 (Bl. 23 - 25 I) ist die Beklagte den von der Klägerin vorgenommenen Preisanpassungen entgegengetreten. In dem Schreiben verlangt die Beklagte unter Hinweis auf § 13 des Fernwärmeliefervertrages die Anpassung des Vertrages. Sie kündigt an, in der Folgezeit Zahlungen nur auf der Basis eines Wärmearbeitspreises von 52,13 €/MWh (= Stand 31.12.2005) zu leisten. Auf dieser Basis sind Zahlungen erfolgt. Streitgegenständlich ist die Differenz zwischen den Zahlungen auf dieser Basis und den angepassten Preisen gemäß den vier Preisanpassungsmitteilungen in - rechnerisch unstreitiger - Höhe der Klageforderung (= 75.256,36 Euro). Die Klägerin hat das Schreiben der Beklagten vom 2.3.2006 mit - ebenfalls - Anwaltsschreiben vom 15.3.2006 (Bl. 26 I) beantwortet und darin die Ansicht vertreten, dass die angepassten Preise angemessen seien. Mit Schreiben vom 20.3.2006 (Bl. 27/28 I) hat die Beklagte den Fernwärmeliefervertrag außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30.9.2013 gekündigt. Die Klägerin ist der Kündigung mit Schreiben vom 29.3.2006 (Bl. 29/30 I) entgegengetreten. In der Folgezeit kam es zwischen Vertretern der Parteien zu zwei Besprechungen (24.4.2006 und 12.5.2006), wobei insbesondere der Inhalt des Gesprächs vom 12.5.2006 zwischen den Parteien streitig ist. Der Vertreter der Beklagten hat über das Gespräch ein Protokoll erstellt (Bl. 21 II), das auch der Klägerin übermittelt wurde. Diese hat das Protokoll nicht gegengezeichnet aber dem Inhalt auch nicht widersprochen. Die Parteien streiten in diesem Zusammenhang über die Frage, ob diesem Protokoll die Qualität eines kaufmännischen Bestätigungsschreiben zukommt.

Die Beklagte hat (hilfsweise) i.H.v. 3.013,25 Euro die Aufrechnung gegen die Klageforderung erklärt (Schriftsatz vom 9.11.2007, S. 7/8 - Bl. 64/65 III -). Sie trägt dazu vor, dass sich die Parteien in der Besprechung vom 12.5.2006 darauf verständigt hätten, dass die Klägerin die Anschlusswerte für die Wohnblöcke reduzieren sollte, in denen die Heizungsanlagen in den 5. Etagen abgeklemmt worden seien. Den entsprechenden Rückbau habe man der Klägerin mit Schreiben vom 1.8.2006 (Bl. 32 II) für die Objekte B. 12 - 18 und 22 - 28 und mit Schreiben 1.11.2006 (Bl. 66 III) für die Objekte

L. Straße 07 - 11 und 13 - 17

B. 23 - 33

W. 1; 2; 4 - 8

F. 1; 3 - 7; 15 - 17

H. 1

mitgeteilt. Eine Reduzierung der Anschlusswerte sei nicht erfolgt. Zur Berechnung der Forderung verweist die Beklagte auf die Aufstellung des Ingenieurbüros Schröder vom 6.9.2005 (Bl. 140 - 142 II) und die Anlage 5 zum Fernwärmeliefervertrag (Bl. 92 IV). Die Klägerin bestreitet, dass am 12.5.2006 eine entsprechende Vereinbarung getroffen worden sei.

Die Parteien streiten hinsichtlich des Wärmearbeitspreises vorrangig darum, ob der Fernwärmeliefervertrag zwischen den Parteien individuell ausgehandelt wurde oder es sich gänzlich oder hinsichtlich einzelner Teile um AGB-Klauseln handelt. Die Beklagte ist der Ansicht, dass es sich bei der Preisanpassungsklausel um eine AGB-Klausel handele und diese unter Berücksichtigung von § 307 BGB und § 24 Abs.3 AVBFernwärmeV insgesamt unwirksam sei. Die Klausel unterliege jedenfalls der Inhaltskontrolle des § 315 Abs. 3 BGB. Die angepassten Preise entsprächen nicht der Billigkeit. Die Klägerin ist diesen Rechtsstandpunkten entgegengetreten.

Das Landgericht hat den Geschäftsführer der Klägerin und ein Vorstandsmitglied der Beklagten als Partei angehört (Protokoll vom 27.3.2008 - Bl. 115 - 120 III -) und gemäß Beweisbeschluss vom 15.7.2008 (Bl. 169/170 III) Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf den Inhalt des Protokolls vom 9.9.2008 (Bl. 197 - 204 III).

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrages der Parteien und der in erster Instanz gestellten Anträge wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl. 230 - 245 III).

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Die Kündigung der Beklagten vom 20.3.2006 habe den Fernwärmeliefervertrag nicht fristlos beendet, weil kein Kündigungsgrund vorliege. Einen Kündigungsgrund stelle es nicht dar, wenn die Klägerin der Forderung der Beklagten nach Anpassung der Anschlusswerte nicht entsprochen habe. § 13 des Fernwärmeliefervertrages sehe zunächst Verhandlungen der Vertragspartner vor. Da die Klägerin diese abgelehnt habe, sei eine gerichtliche Klärung angezeigt gewesen. Es läge auch deshalb kein Kündigungsgrund vor, weil der Beklagten hinsichtlich der Anschlusswerte bei ungekündigtem Vertrag kein Anpassungsrecht zustehe. Ein solches folge weder aus § 15 AVBFernwärmeV, noch aus § 3 AVBFernwärmeV. Es sei zwar möglich, Kündigungsgründe nachzuschieben, die Preisanpassungsklausel verstoße aber nicht gegen das Transparenzgebot. Wärmegrundpreis und Arbeitspreis seien ausgehandelt worden, die einzelnen Preisbestimmungsfaktoren würden in der Anlage 1 zum Fernwärmeliefervertrag ausreichend erläutert. Die Preise für leichtes Heizöl könnten auf der Internetseite des Statistischen Bundesamtes eingesehen werden. Da die Preisklausel - nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme - ausgehandelt worden sei, könne in der Preisanpassung durch die Klägerin nicht die Ausübung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts gesehen werden. Es liege kein Verstoß gegen § 24 AVBFernwärmeV vor. Die von der Klägerin abgerechneten Anschlusswerte seien nicht zu beanstanden, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststehe, dass am 12.5.2006 eine Vereinbarung darüber getroffen worden sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie ihre erstinstanzlichen Rechtsstandpunkte wiederholt und vertieft. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 23.4.2009 (Bl. 35 - 49 IV) und des Schriftsatzes vom 11.8.2009 (Bl. 108/109 IV).

Die Beklagte beantragt,

das am 29.12.2008 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau (2 O 633/06) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihren Vortrag aus erster Instanz. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungserwiderung vom 10.6.2009 (Bl. 63 - 71 IV).

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg. Die Preisanpassungsklausel entsprechend § 5 Nr. 2 Fernwärmeliefervertrag i.V.m. der Anlage 1 zum Fernwärmeliefervertrag verstößt gegen § 307 Abs. 1 BGB und ist damit unwirksam. Entgegen der Ansicht des Landgerichts handelt es sich bei § 5 des Fernwärmeliefervertrages und der Anlage 1 dazu um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Zwar muss derjenige, der sich auf den Schutz der §§ 305ff. BGB beruft, beweisen, dass die zum Vertragsinhalt gemachten Klauseln AGB i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB sind. Dies ist prima facie aber anzunehmen, wenn ein gedruckter oder sonst vervielfältigter Text des anderen Teils verwandt worden ist, oder wenn sich aus der Fassung der Klauseln die Absicht einer mehrfachen Verwendung ergibt (Palandt/Grüneberg BGB, 68. Aufl., § 305, Rn. 24 m.w.N.). Abgesehen davon, dass die Klägerin nicht ernsthaft bestreitet, dass der Vertragstext auch gegenüber anderen Kunden verwandt wurde, folgt dies auch aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. So hat der Zeuge J. bekundet (Bl. 202 III), dass die Vertragsbestimmungen als Textbausteine im Computer vorhanden gewesen seien und je nach Bedarf der eine oder andere Textbaustein gestrichen oder ergänzt worden sei. Auch die äußere Gestalt sowohl von § 5 als auch der Anlage 1 zum Fernwärmeliefervertrag enthält keinerlei Besonderheit in Bezug auf die Beklagte. Die Vertragsklauseln könnten unverändert jeder Zeit auch gegenüber anderen Kunden verwandt werden. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich grundsätzlich um AGB-Klauseln handelt. Macht der Verwender (= Klägerin) in einem solchen Fall geltend, dass die Klauseln nicht bloß einbezogen, sondern ausgehandelt wurden (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB), so trifft ihn dafür die Beweislast (Palandt/Grüneberg a.a.O. m.w.N.). Diesen Beweis hat die Klägerin entgegen der Ansicht des Landgerichts nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht geführt.

Aushandeln i.S.v. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB (§ 1 Abs. 2 AGBG a.F.) bedeutet mehr als verhandeln. Es genügt nicht, dass das gestellte Formular dem Verhandlungspartner bekannt ist und nicht auf Bedenken stößt, dass der Inhalt lediglich erläutert oder erörtert wird und den Vorstellungen des Partners entspricht. Von einem Aushandeln in diesem Sinne kann vielmehr nur dann gesprochen werden, wenn der Verwender zunächst den in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen "gesetzesfremden Kerngehalt", also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen ernsthaft zur Disposition stellt und dem Vertragspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Er muss sich also deutlich und ernsthaft zur gewünschten Änderung einzelner Klauseln bereit erklären. In aller Regel schlägt sich eine solche Bereitschaft auch in erkennbaren Änderungen des vorformulierten Textes nieder. Allenfalls unter besonderen Umständen kann ein Vertrag auch dann als Ergebnis eines "Aushandelns" gewertet werden, wenn es schließlich nach gründlicher Erörterung bei dem gestellten Entwurf verbleibt (BGH Urteil vom 3.11.1999 - VIII ZR 269/98 - [z.B. BGHZ 143, 104]; hier: zitiert nach juris). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann keiner der vorgenannten Punkte festgestellt werden, die auf ein Aushandeln i.S.v. § 305 Abs.1 S. 3 BGB (§ 1 Abs. 2 AGBGB a.F.) hindeuten würden.

So ist es unerheblich, ob der Zeuge S. (Bl. 198/199 III) vor Unterzeichnung der Vertragsurkunde Kenntnis vom gesamten Vertragsinhalt hatte oder ihm (nur) der Inhalt des Schreibens vom 2.10.2003 (Bl. 156/157 III) bekannt war, oder ob er im Verlauf der Gespräche mit den Vertretern der Klägerin auch über die Möglichkeit einer vierteljährlichen Preisanpassung informiert wurde. Der Zeuge S. hat ausgesagt, dass eine Aushandlung nicht möglich gewesen sei: Es stand ja alles fest. Auch den Aussagen der Zeugen J. (Bl. 200 - 202 III) und Bf. (Bl. 202 - 204 III) kann allenfalls entnommen werden, dass über den Arbeitspreis (sprich den Faktor WAPO° aus der Preisanpassungsformel) gesprochen wurde. Die Preisfrage war ja überhaupt der Anlass für die Beklagte gewesen, den ursprünglichen Vertrag aus dem Jahr 1994 zu kündigen. Keiner der drei Aussagen kann auch nur im Ansatz entnommen werden, dass die Preisanpassungsklausel an sich auch nur angesprochen (immerhin haben die Vertreter der Parteien nach Aussage des Zeugen J. vor Vertragsschluss 7 - 8 mal zusammen gesessen), geschweige denn ergebnisoffen diskutiert wurde. Die Klausel hat vielmehr mit dem von der Klägerin vorgegebenen Inhalt unverändert Eingang in den Vertragstext gefunden. Das Ergebnis der Beweisaufnahme lässt die Feststellung zu, dass die Behauptung der Klägerin, dass die Klausel ausgehandelt worden sei, widerlegt ist, was angesichts der Verteilung der Beweislast nicht einmal erforderlich ist, weil bereits ein non liquet zu ihren Lasten geht.

Der Senat kann ohne Wiederholung der Beweisaufnahme eine Beweiswürdigung vornehmen. Zum einen spielt die Frage der Glaubwürdigkeit der Zeugen keine Rolle. Zum anderen widerspricht die vom Senat den Aussagen entnommene Tatsachengrundlage nicht den Feststellungen des Landgerichts. Das Landgericht (LGU S. 13 - Bl. 258 III -) ist lediglich der rechtlich unzutreffenden Ansicht, dass der Umstand, dass überhaupt verhandelt wurde, dem Vertrag insgesamt die Qualität von AGB-Klauseln nehme. Werden aber nur einzelne Vertragsbedingungen ausgehandelt, ändert dies grundsätzlich nichts daran, dass die übrigen Bestimmungen Allgemeine Geschäftsbedingungen bleiben (Palandt/Grüneberg a.a.O., Rn. 23 m.w.N.).

Letztlich steht der Annahme von AGB-Klauseln nicht entgegen, dass es sich auch bei der Beklagten um ein Unternehmen handelt. Zwar sollen dann an das Kriterium des Aushandelns weniger strenge Anforderungen als beim Verbrauchervertrag gestellt werden. Zu fordern ist aber immer noch, dass der Verwender dem anderen Teil eine angemessene Verhandlungsmöglichkeit eingeräumt hat (Palandt/Grüneberg a.a.O., Rn. 22). Davon kann aber nur dann die Rede sein, wenn die Klausel überhaupt angesprochen wurde, was nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht der Fall war. Insbesondere der Zeuge S. hat bekundet: Eine einzelne Aushandlung war ja nicht möglich. Es stand ja alles fest. Damit hat die Klägerin jedenfalls keine Verhandlungssituation dargelegt oder bewiesen, die auch bei Anlegung eines weniger strengen Maßstabes auf ein Aushandeln der Klausel auch nur hindeuten würde.

Die Preisanpassungsklausel gemäß der Anlage 1 zum Fernwärmeliefervertrag unterliegt der Inhaltskontrolle aus § 307 Abs. 1 BGB. Vorab ist anzumerken, dass in der Berufungserwiderung dieses Problem mit der Frage vermischt wird, ob die Klausel auch an § 315 Abs. 3 BGB zu messen ist. Insoweit hat der Bundesgerichtshof in der von der Berufungserwiderung genannten Entscheidung vom 11.10.2006 (VIII ZR 270/05 [z.B. WuM 2006, 689]; hier zitiert nach juris) ausgeführt, dass auch bei Fernwärmelieferverträgen eine Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB nur dann in Betracht kommt, wenn dem Versorger ein Ermessenspielraum für die Preisänderung zusteht. Ob dies auf die streitgegenständliche Klausel zutrifft, bedarf indes keiner Entscheidung, weil die Klausel jedenfalls gegen § 307 Abs. 1 BGB verstößt und somit unwirksam ist. Der Bundesgerichthof (Urteil vom 21.9.2005 - VIII ZR 38/05 - [z.B. WuM 2005, 710]; hier: zitiert nach juris) hat in der sog. Flüssiggasentscheidung ausdrücklich festgestellt, dass Preisanpassungsklauseln als Preisnebenabreden der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB unterliegen. Dass dies jedenfalls für Fernwärmelieferverträge im Hinblick auf § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV nicht gelten soll (BE S. 6 - Bl. 68 IV -), vermag der Senat nicht anzunehmen. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV die §§ 305ff. BGB verdrängen soll. § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV ist vielmehr bei der Inhaltskontrolle im Rahmen von § 307 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen. Dabei ist festzuhalten, dass nicht erkennbar ist, dass durch § 24 Abs. 3 AVBFerwärmeV Kunden von Fernwärmelieferanten ein geringerer Verbraucherschutz zuteil werden sollte, als den Abnehmern anderer Energieträger.

Der Rechtsprechung zu Preisanpassungsklauseln gemeinsam ist im Grundsatz, dass lediglich - reale - Kostensteigerungen des Lieferanten an die Kunden weitergegeben werden können, um auch bei langfristigen Lieferverträgen das vor Vertragsbeginn kalkulierte Gewinnniveau halten zu können. D.h.: Zulässig können im Grundsatz nur solche Klauseln sein, die den Bezug zu realen Kostensteigerungen des Lieferanten beibehalten. Umgekehrt gesprochen sind solche Klauseln unwirksam, die diesen Bezug aufgeben und die Möglichkeit beinhalten, dass der Lieferant seine Gewinnspanne vergrößert (zuletzt: BGH Urteil vom 15.7.2009 - VIII ZR 225/07 -; hier: zitiert nach juris, Rn. 26/27). Vor diesem Hintergrund ist die Kopplung der Preisanpassung an den Preis für die Lieferung leichten Heizöls im Bereich der sog. Rheinschiene völlig ungeeignet. Dazu ist bereits zu berücksichtigen, dass die Klägerin das Blockheizwerk, in dem die Fernwärme erzeugt wird, nach eigenem Vortrag (BE S. 3 - Bl. 65 IV -) überhaupt nicht mit Öl betreibt, sondern ausschließlich mit Erdgas. Da der Berechnungsfaktor leichtes Heizöl mithin überhaupt nicht an die konkreten Bezugspreise der Klägerin anknüpft, steht nicht fest, dass eine Änderung ihrer Bezugspreise entsprechend der Entwicklung des HEL-Preises tatsächlich eintritt. Insbesondere steht nicht fest, ob und in welchem Umfang die Vorlieferanten Preisänderungen an die Klägerin weitergeben. Dabei verkennt der Senat das Phänomen der sog. Ölpreisbindung (z.B. Wikipedia: Stichwort Ölpreisbindung) nicht. Die bloße Möglichkeit, dass der Erdgaspreis aus diesem Grund mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit (und mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung) dem Ölpreis folgt, reicht aber für den konkreten Einzelfall nicht für die Feststellung aus, dass dies stets auch für die Preise der Vorlieferanten der Klägerin gilt. Da die Klägerin damit eine Preisanpassung nicht von einer Preiserhöhung bzw. -senkung ihrer Vorlieferanten abhängig macht, sondern nur an die Entwicklung des HEL-Preises im Referenzzeitraum anknüpft, unabhängig davon, ob mit dieser Preisentwicklung tatsächlich Kostensteigerungen für die Klägerin verbunden sind, benachteiligt die Klausel die Beklagte unangemessen und ist daher unwirksam (OLG Frankfurt Urteil vom 4.11.2008 - 11 U 60/07 - [z.B. IR 2009, 14]; hier: zitiert nach juris). Den entgegenstehenden Entscheidungen des BrandenburgischenOLG (Urteil vom 21.6.2006 - 7 U 175/05 - [z.B. OLGR 2006, 785]; hier: zitiert nach juris) und des OLG Köln (Urteil vom 6.6.2008 - 6 U 203/07 - [z.B. OLGR 2008, 777]; hier: zitiert nach juris) vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Der Senat verkennt nicht, dass die Preise für Öl und Gas voneinander abhängig sein können (OLG Köln, Rn. 21 in der Zitierung nach juris). Dies kann aber nicht zu der Schlussfolgerung führen, dass es lediglich eine theoretische Möglichkeit darstelle, dass der Lieferant mit seinem Vorlieferanten eine vom Ölpreis unabhängige Preisgestaltung aushandeln könne (OLG Köln a.a.O.). Ob aus § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV folgt, dass die Preisänderungsklausel nicht "kostenecht" (BE S. 6 - Bl. 68 IV -) sein muss, bedarf keiner Entscheidung. Es muss aber überprüfbar sein, dass sich in der Klausel dieser Gesichtspunkt überhaupt hinreichend deutlich widerspiegelt. Davon kann bei einem Index, der mit den Bezugskosten der Klägerin (für Erdgas) zumindest unmittelbar in keinem Zusammenhang steht, nicht gesprochen werden. Zur Abrundung ist noch anzumerken, dass auch innerhalb des Index das Abstellen auf Bezugskosten in der sog. Rheinschiene völlig willkürlich erscheint. Das Statistische Bundesamt erhebt die Preise für leichtes Heizöl z.B. auch für Magdeburg, was dann, wenn sowohl Lieferant als auch Abnehmer ihren Sitz in Zerbst haben, eher geeignet sein dürfte, die Kosten realistischer abzubilden.

Weiter verstößt auch § 5 Nr. 2 des Fernwärmeliefervertrages gegen § 307 Abs. 1 BGB. Soweit es dort heißt, dass die Klägerin berechtigt ist, die Preise gemäß der Anlage 1 anzupassen, lässt diese Formulierung die Auslegung zu, nach der die Klägerin zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet ist, nach gleichmäßigen Maßstäben zu bestimmten Zeitpunkten eine Preisanpassung unabhängig davon vorzunehmen, in welche Richtung sich die Preise für leichtes Heizöl seit Vertragsschluss oder seit der letzten Preisanhebung entwickelt haben. Insbesondere ist der Klausel nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die Klägerin auch im Falle einer Absenkung ihrer Bezugskosten verpflichtet ist, nach gleichmäßigen Maßstäben zu bestimmten Zeitpunkten eine Preisanpassung vorzunehmen (BGH a.a.O., Rn. 29 in der Zitierung nach juris). Dieser Gesichtspunkt tritt in § 5 Nr. 2 S. 2 des Fernwärmeliefervertrages zudem dadurch deutlich hervor, dass die Anpassung erst dann wirksam wird (was zumindest die Auslegung zulässt, dass damit der Fälligkeitszeitpunkt gemeint ist), wenn die Klägerin das neue Preisblatt an die Beklagte übersandt hat. Damit hat es die Klägerin in der Hand, den Anpassungszeitpunkt willkürlich zu bestimmen.

Da die Preisanpassungsklausel gemäß § 5 Nr. 2 i.V.m. der Anlage 1 zum Fernwärmeliefervertrag wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist, fehlt es an einer Anspruchsgrundlage, auf die die Klägerin die streitgegenständlichen Preisanpassungen stützen könnte. Auf die Frage, ob der Vertrag durch die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung fristlos beendet wurde, kommt es damit im Ergebnis ebenso wenig an, wie auf die Frage, ob die Preisanpassungsklausel auch anhand von § 315 Abs. 3 BGB überprüft werden könnte. Es bedarf weiter keiner Entscheidung, ob die mit der Hilfsaufrechnung geltend gemachte Forderung der Beklagten besteht. Die Klage ist in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist zuzulassen, weil es zu der entscheidungserheblichen Frage, ob eine Klausel, in der die Preisanpassung an die Änderung des HEL-Preises gekoppelt wird, gegen § 307 BGB verstößt, unterschiedliche Entscheidungen von Obergerichten gibt.

Der Streitwert bemißt sich nach § 3 ZPO i. V. m. §§ 47, 48 GKG.

Ende der Entscheidung

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