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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 10.06.2003
Aktenzeichen: 1 U 4/02
Rechtsgebiete: EGZPO, ZPO


Vorschriften:

EGZPO § 26 Nr. 7
EGZPO § 26 Nr. 8
ZPO § 263 a. F.
ZPO § 523
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1 n. F.
ZPO § 543 Abs. 2 n. F.
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711 S. 1
1. Zur Pflicht zur Aufklärung über die Möglichkeit einer Operationserweiterung (hier: Totalentfernung des Schilddrüsengewebes statt teilweiser Entfernung).

1.1 In den Fällen, in denen präoperativ keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine konkrete intraoperative Operationserweiterung vorhanden sind, ist der pauschale Hinweis auf das Risiko von Operationserweiterungen bzw. Nachoperationen für eine pflichtgemäße Eingrifss- und Risikoaufklärung ausreichend.

1.2 Je naheliegender eine bestimmte Operationserweiterung bzw. eine Nachoperation ist, desto konkreter muss der Patient auch über Art, Umfang und besondere Risiken dieser in Betracht kommenden weiteren Behandlungsmaßnahmen aufgeklärt werden.

2. Jedenfalls dann, wenn der behandelnde Arzt davon ausgeht, dass das geringfügig höhere Behandlungsrisiko einer Totalresektion durch das wegfallende Risiko eines zweiten Eingriffs zur Entfernung von Schilddrüsengewebe aufgewogen wird und damit die Totalresektion aus seiner Sicht eine echte Behandlungsalternative darstellt, muss er den betroffenen Patienten über beide Behandlungsmethoden und deren Vor- und Nachteile aufklären.

3. Hat der Patient (nur) in eine Teilentfernung von Schilddrüsengewebe wirksam eingewilligt, der behandelnde Arzt jedoch während dieser Operation das gesamte Schilddrüsengewebe entfernt, so ist für die Kausalitätsbetrachtungen auf einen Vergleich zwischen dem fiktiven Verlauf der ursprünglich beabsichtigten und von der wirksamen Einwilligung des Patienten gedeckten Teilresektion des Schilddrüsengewebes und dem Verlauf der tatsächlich durchgeführten Operation abzustellen.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 4/02

verkündet am: 10.06.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Zink und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten zu 3) wird das am 12. Dezember 2001 verkündete Urteil des Landgerichts Halle, 3 O 563/98, unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin teilweise abgeändert und auch die gegen den Beklagten zu 3) gerichtete Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen, soweit hierüber nicht bereits rechtskräftig entschieden worden ist, zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch den Beklagten zu 3) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden bzw. des tatsächlich vollstreckten Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte zu 3) Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer der Klägerin übersteigt 20.000 EUR.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten als Träger des Kreiskrankenhauses E. Schmerzensgeld, den Ersatz materiellen Schadens sowie die Feststellung des Vorbehalts der Geltendmachung künftigen materiellen und immateriellen Schadens wegen einer vermeintlich rechtswidrigen und angeblich fehlerhaft durchgeführten Schilddrüsenoperation am 29. Mai 1997.

Bei der Klägerin wurde im Jahre 1997 eine beiderseitige Vergrößerung der Schilddrüse mit einem Knoten im Isthmus-Bereich der Schilddrüse sowie zwei Knoten im rechten Bereich der Schilddrüse (so genannte Knotenstruma III. Grades) festgestellt. Sie wurde zur operativen Behandlung der Schilddrüse im Kreiskrankenhaus E. , dessen Träger der Beklagte zu 3) ist, aufgenommen. Am Vortag der Operation wurde der Klägerin zunächst ein Perimed-Aufklärungsbogen für Kropfoperationen ausgehändigt. In diesem Aufklärungsbogen wird der Verlauf einer teilweisen Entfernung der Schilddrüse sowie die daraus resultierenden Risiken erläutert, insbesondere wird auf das Risiko von Nachblutungen und deutlich auf das Risiko einer Recurrensparese (einer Lähmung der Stimmbandnerven) hingewiesen. Der Aufklärungsbogen enthält desweiteren einen deutlichen Hinweis auf die Möglichkeit einer intraoperativen Indikation für eine Operationserweiterung. Im weiteren Tagesverlauf besprach die diensthabende Ärztin der Station, Dr. S. H. , mit der Klägerin den Verlauf und die Risiken der beabsichtigten Teilentfernung der Schilddrüse, ausweislich des von der Klägerin unterzeichneten Gesprächsprotokolls unter nochmaligem deutlichen Hinweis auf die Auswirkungen einer Recurrensparese.

Am Morgen des 29. Mai 1997 wurde die Schilddrüse der Klägerin operativ unter Darstellung der Stimmbandnerven vollständig entfernt. Nach der Beendigung der Operation zeigten sich beide Stimmbandnerven beweglich. In den Nachmittagsstunden des Operationstages traten bei der Klägerin ein Engegefühl im Hals und Atemnot ein; es wurde eine erhebliche Nachblutung im Operationsbereich festgestellt. Im Rahmen einer Nachoperation wurde als Blutungsquelle eine Vene unterhalb der bei der Erstoperation eröffneten Grenzlamelle links lokalisiert und ärztlich versorgt.

Die Klägerin erlitt eine beidseitige Stimmbandlähmung, die dazu führt, dass die Klägerin bereits im Ruhezustand Atembeschwerden hat, die sich bei körperlichen Aktivitäten verstärken, und nur noch flüsternd sprechen kann. Die Klägerin behauptet, dass sie infolge der beidseitigen Stimmbandlähmung in ihrer Erwerbsfähigkeit um 50 % gemindert sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen der widerstreitenden Rechtsauffassungen der Parteien des Rechtsstreits und wegen des Verlaufs des Verfahrens in erster Instanz, nimmt der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n. F.

Das Landgericht Halle hat mit seinem am 12. Dezember 2001 verkündeten Urteil der Klage gegen den Beklagten zu 3) in Höhe von 31.544,40 DM teilweise stattgegeben, wovon 30.000,00 DM auf das geltend gemachten Schmerzensgeld und der überschießende Betrag auf entgangenes Unterhaltsgeld durch die Absage einer vom Arbeitsamt geförderten Weiterbildung entfallen. Die Kammer hat ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass die die Erstoperation durchführenden Ärzte des Beklagten zu 3) sich aufgrund einer ungeeigneten Befunderhebung für eine Totalresektion des Schilddrüsengewebes bei der Klägerin entschieden hätten, und dass zu Lasten des Beklagten zu 3) die Vermutung bestehe, dass eine ausreichende Befunderhebung die Notwendigkeit einer Totalresektion nicht bestätigt hätte. Die Kammer hat den von ihr festgestellten Behandlungsfehler als groben Behandlungsfehler bewertet. Soweit der gerichtliche chirurgische Sachverständige die postoperative Blutung und die durch den Hämatomdruck auf die Stimmbandnerven eingetretene Lähmung als schicksalhaft angesehen habe, beruhte diese Einschätzung ersichtlich auf einer Verkennung der zivilrechtlichen Beweislastverteilung. Die Kammer hat die Erstoperation vom 29. Mai 1997 zudem als rechtswidrig, weil vom Umfang der Einwilligung der Klägerin nicht gedeckt, erachtet.

Der Beklagte zu 3) hat gegen das ihm am 18. Dezember 2001 zugestellte Urteil mit einem am 17. Januar 2002 beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und begehrt die vollständige Abweisung der Klageansprüche. Die Klägerin hat gegen das ihr am 1. Januar 2002 zugestellte Urteil mit einem am 31. Januar 2002 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt; diese Berufung ist auf die Zuerkennung eines höheren Schmerzensgeldanspruches sowie - die Klage objektiv erweiternd - auf weiteren materiellen Schadenersatz in Gestalt von Verdienstausfall, jeweils gegen den Beklagten zu 3), gerichtet. Soweit die Klägerin darüber hinaus eine subjektive Klageerweiterung angekündigt hatte, hat sie diese Anträge auf gerichtlichen Hinweis vor Zustellung des Schriftsatzes an die weiteren Beklagten zurückgenommen. Beide Parteien haben ihre Berufungen jeweils innerhalb der gesetzlichen bzw. der für den Beklagten zu 3) verlängerten Berufungsbegründungsfrist auch begründet.

Die Klägerin macht mit ihrer Berufung geltend, dass das vom Landgericht erkannte Schmerzensgeld unangemessen niedrig sei; das Landgericht habe insbesondere die akute Atemnot der Klägerin im Juni 1997, die verspätete Tracheostoma sowie das Ausmaß der Nachbehandlungen (zweieinhalbjähiges Tragen der Tracheotomiekanüle, zwei Nachoperationen - am 8. August 2000 zur Stimmritzerweiterung und am 12. September 2000 zur Entfernung der Tracheotomiekanüle, 16 Termine der logopädischen Therapie) ungenügend berücksichtigt.

Die Klägerin verlangt zudem zusätzlichen materiellen Schadenersatz wegen einer angeblich infolge der beiderseitigen Stimmbandlähmung im Jahre 1998 aufgegebenen Nebenerwerbstätigkeit. Hierzu behauptet sie, dass sie seit 1993 in ihrem Wohnhaus einen Handel mit Getränken einschließlich Spirituosen, Tabakwaren und Süßigkeiten betrieben habe, aus dem sie einen jährlichen Gewinn von ca. 11.000,00 DM gezogen habe. Der Jahresgewinn habe sich in den Jahren 1997 und 1998 minimiert und sei in den Folgejahren wegen Geschäftsaufgabe gänzlich entfallen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils den Beklagten zu 3) zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Scherzensgeld (mindestens 60.000,00 DM) nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 17. Dezember 1998 zu zahlen,

sowie

den Beklagten zu 3) zu verurteilen, an die Klägerin weitere insgesamt 18.950,21 EUR nebst jeweils 4 % Zinsen aus 789,64 EUR seit dem 17. Dezember 1998 und aus weiteren 18.160,57 EUR seit dem 4. März 2002 zu zahlen,

sowie

die Berufung des Beklagten zu 3) zurückzuweisen.

Der Beklagte zu 3) beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen

sowie

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Der Beklagte zu 3) greift die Verurteilung zum Schadenersatz vor allem dem Grunde nach an.

Er meint, dass eine Verletzung der Pflicht zur Risikoaufklärung vor der ersten Operation nicht vorliege, weil die Aufklärung auf die Herbeiführung einer Einwilligung zu einer Teilentfernung des Schilddrüsengewebes gerichtet war und die Möglichkeit einer intraoperativen Erweiterung der Operation umfasste. Insoweit behauptet er hilfsweise, dass die Klägerin auch nach ordnungsgemäßer Aufklärung in die Operation einschließlich möglicher Operationserweiterung eingewilligt hätte.

Der Beklagte zu 3) bestreitet einen Behandlungsfehler anlässlich der Entscheidung zur Totalresektion und behauptet dagegen unter Beweisantritt, dass die Entscheidung des Operateurs zur Totalresektion zutreffend bzw. angesichts des Risikos der Neubildung von Knoten sowie einer Bösartigkeit mindestens vertretbar war. Hilfsweise meint er, dass ein etwaiger Behandlungsfehler in Gestalt verfrühter Entscheidung zur Totalresektion jedenfalls nicht als grober Behandlungsfehler zu bewerten sei.

Der Beklagte zu 3) bestreitet weiter die Kausalität der Entscheidung zur Totalresektion für die s. E. schicksalhafte Nachblutung, die letztlich die Stimmbandlähmung bei der Klägerin auslöst hat.

Der Beklagte zu 3) meint hilfsweise, dass eine Erhöhung des Schmerzensgeldes nicht in Betracht komme; dem Vorbringen der Klägerin zur Begründung ihres Klage erweiternden Antrages tritt er in der Sache entgegen; zudem hat er der Klageerweiterung nicht zugestimmt.

Der Senat hat am 5. Mai 2003 mündlich zur Sache verhandelt und Beweis erhoben; wegen des Inhalts der Zeugenvernehmung und der Anhörung des Sachverständigen wird auf den Senatsbeschluss und die Verfügung jeweils vom 24. Februar 2003, auf die schriftliche Aussage des Zeugen Dr. Meffert vom 3. März 2003 sowie auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls des Senats vom 5. Mai 2003 Bezug genommen.

II.

Die Berufungen beider Parteien sind jeweils zulässig; insbesondere wurden sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Die objektive Klageerweiterung durch die Klägerin in der Berufungsinstanz ist hier ausnahmsweise sachdienlich, weil der Rechtsstreit insgesamt entscheidungsreif ist, §§ 523, 263 ZPO a. F. In der Sache hat jedoch nur die Berufung des Beklagten zu 3) Erfolg; die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Die Klägerin hat auch gegen den Beklagten zu 3) keinen Anspruch auf Schadenersatz wegen rechtwidriger bzw. fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf vertrags- oder deliktsrechtlicher Grundlage. Ein solcher Schadenersatzanspruch ist schon dem Grunde nach nicht gegeben; er scheitert jedenfalls daran, dass die Klägerin den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einem pflichtwidrigen Verhalten der sie behandelnden Ärzte im Krankenhaus der Beklagten zu 3) (künftig: behandelnde Ärzte) und der bei ihr eingetretenen beidseitigen Stimmbandlähmung nicht führen kann. Auf die Streitpunkte zur Höhe der geltend gemachten Schadenersatzansprüche kommt es danach nicht mehr an.

1. Allerdings haben die behandelnden Ärzte die Klägerin inhaltlich nicht ausreichend über den beabsichtigten operativen Eingriff und dessen Risiken aufgeklärt.

Im Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere des schriftlichen Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. med. He. D. , Direktor der Klinik und Poliklinik für Allgemeinchirurgie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, sowie dessen Anhörung im Termin der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme vor dem Senat am 5. Mai 2003, geht der Senat davon aus, dass der der Klägerin im Rahmen der Eingriffs- und Risikoaufklärung gegebene pauschale Hinweis auf eine Operationserweiterung während der Operation hier nicht genügte.

1.1. Präoperativ war die Durchführung einer Teilresektion der Schilddrüse indiziert. An der Wahl dieser indizierten Behandlungsmaßnahme war die Aufklärung zunächst auszurichten; insoweit ist die Aufklärung auch inhaltlich ausreichend erfolgt. Soweit die Klägerin erstinstanzlich bestritten hatte, über das Risiko einer Stimmbandlähmung aufgeklärt worden zu sein, hat der Beklagte zu 3) den Nachweis durch die vorgelegten Krankenunterlagen geführt. Einer ergänzenden Vernehmung der als Zeugin angebotenen Dr. H. bedurfte es danach nicht mehr.

1.2. Der Senat folgt der Auffassung des Beklagten zu 3), dass in Fällen, in denen präoperativ keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine konkrete intraoperative Operationserweiterung vorhanden sind, der pauschale Hinweis auf das Risiko von Operationserweiterungen bzw. Nachoperationen für eine pflichtgemäße Eingriffs- und Risikoaufklärung ausreichend ist. Je naheliegender eine bestimmte Operationserweiterung bzw. eine Nachoperation jedoch ist, desto konkreter muss der Patient auch hierüber aufgeklärt werden. Denn die Eingriffs- und Risikoaufklärung soll gewährleisten, dass die ärztliche Entscheidung neben medizinischen Aspekten auch den Entschluss des Patienten als personalen Faktor einbezieht, d. h. dass der Patient nicht Objekt, sondern Subjekt der Behandlung ist. Im vorliegenden Fall kam eine intraoperative Operationserweiterung hin zu einer Totalresektion des Schilddrüsengewebes auch aus präoperativer Sicht der behandelnden Ärzte ernsthaft in Betracht, weshalb die Klägerin in eine solche konkrete Option auch eingeweiht werden musste.

Wie der Zeuge Dipl.-med. U. N. , Facharzt für Chirurgie und Oberarzt im Krankenhaus des Beklagten zu 3), im Rahmen seiner Zeugenvernehmung ausgeführt hat, wurden und werden noch heute im Krankenhaus des Beklagten zu 3) Totalresektionen der Schilddrüse im nennenswerten Umfang durchgeführt - der Zeuge nannte einen Umfang von ca. 10 % aller Schilddrüsenoperationen. Im Krankenhaus des Beklagten zu 3) wird eine nur subtotale Schilddrüsenentfernung als funktionskritisch angesehen, weil dem geringfügig höheren Risiko der Totalresektion gegenüber der Teilresektion im Einzelfall ein höheres Risiko der unzureichenden Ausdehnung der Behandlung gegenüber stehe. Bezogen auf den vorliegenden Behandlungsfall gaben die Vergrößerung der Schilddrüse auch im linken Bereich, in dem mit der bildgebenden Diagnostik keine Knoten aufgefunden werden konnten, die tastbaren "kalten" Knoten im Schilddrüsengewebe der Klägerin, insbesondere auch des Knotens im Isthmus-Bereich, also im Übergangsbereich von der rechten zur linken Schilddrüse, sowie der im Raum stehende Malignitätsverdacht der aufgefundenen Knoten angesichts der vorgenannten hausinternen Behandlungsgrundsätze genügende Anhaltspunkte dafür, dass intraoperativ auch hier über eine Erweiterung der Operation hin zur Totalresektion zu entscheiden sein würde.

Der Senat hat bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass zwar das Behandlungsrisiko, insbesondere dasjenige von Nachblutungen bzw. der Verletzung eines oder beider Stimmbandnerven, sowohl bei einer Teil- als auch bei einer Totalresektion des Schilddrüsengewebes jeweils als gering einzuschätzen ist, dass aber die Risiken einer Totalresektion signifikant höher sind als bei einer Teilresektion des Schilddrüsengewebes. Der Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass trotz des Umstandes, dass die Komplikationsraten der Teil- und der Totalresektion sich in einem sehr kleinen prozentualen Bereich bewegen, Unterschiede zwischen beiden auch statistisch erkennbar sind. Diese Unterschiede sind darauf zurückzuführen, dass nur bei einer totalen Ausräumung der Schilddrüse kritische Strukturen im Bereich hinter der Schilddrüse (Nebenschilddrüse, Stimmbandnerven, Hauptblutgefäße) tangiert werden. Gerade dann, wenn die behandelnden Ärzte des Beklagten zu 3) dem gegenüber davon ausgehen, dass das geringfügig höhere Behandlungsrisiko einer Totalresektion durch das wegfallende Risiko eines zweiten Eingriffs zur Entfernung von Schilddrüsengewebe aufgewogen wird und damit die Totalresektion aus ihrer Sicht eine echte Behandlungsalternative darstellt, müssen sie den betroffenen Patienten über beide Behandlungsmethoden und deren Vor- und Nachteile aufklären.

1.3. Die behandelnden Ärzte haben ihre Verpflichtung, die Klägerin auch konkret über die Möglichkeit einer Erweiterung der Operation zur Totalresektion einschließlich der hieraus resultierenden veränderten Risikositutation aufzuklären, schon nach dem Sachvorbringen des Beklagten zu 3) nicht erfüllt.

Der Beklagte zu 3) beruft sich zwar zu Recht darauf, dass hinsichtlich des beabsichtigten Eingriffs und dessen Risiken nur eine Pflicht zur Aufklärung "im Großen und Ganzen" besteht, und dass grundsätzlich insbesondere keine Pflicht zur Angabe statistischer Häufigkeiten bestimmter Risiken besteht. Eine Aufklärung über die Häufigkeit des Auftretens einer irreversiblen doppelseitigen Recurrensparese beispielsweise war auch hier nicht erforderlich.

Der Beklagte zu 3) verkennt jedoch, dass zwischen der Teilresektion eines Funktionsgewebes und dessen vollständiger Entfernung bereits unter dem Aspekt des Umfangs des Eingriffs ein qualitativer Unterschied besteht und dass im Falle der totalen oder subtotalen Entfernung des Schilddrüsengewebes, wie oben ausgeführt, auch eine unterschiedliche Struktur des jeweiligen Gesamtbehandlungsrisikos besteht, und zwar unabhängig von prozentualen Häufigkeiten bestimmter Einzelrisiken. Diese qualitativen Unterschiede muss der behandelnde Arzt "im Großen und Ganzen" seinem Patienten deutlich machen, um dem personalen Anspruch der medizinischen Heilbehandlung gerecht zu werden.

2. Es kann offen bleiben, ob die die Klägerin am 29. Mai 1997 behandelnden Ärzte die Indikation für eine Totalresektion des Schilddrüsengewebes während der Operation verfrüht, d. h. auf unzureichender Entscheidungsgrundlage, getroffen haben oder nicht.

Legte der Senat den von den Zeugen N. und B. im Rahmen der Zeugenvernehmungen am 5. Mai 2003 geschilderten Operationsverlauf einschließlich der dort benannten intraoperativen Befunde zugrunde, so war die Entscheidung zur totalen Ausräumung des Schilddrüsengewebes aus fachärztlicher Sicht geboten. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, denen der Senat folgt. Allerdings hat der gerichtliche Sachverständige zutreffend darauf verwiesen, dass diese Schilderung erhebliche, nicht erklärbare Diskrepanzen zu dem zeitnah nach der Operation erstellten Operationsbericht und auch zu den präoperativ erhobenen und dokumentierten Befunden aufweist. Der Senat hat weiter zu berücksichtigen, dass beide Zeugen als die behandelnden Ärzte auch ein gewisses Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits haben könnten, wenngleich der Senat während seiner Vernehmung keine Anzeichen dafür festgestellt hat, dass die Zeugen sich bei ihrer Aussage hiervon hätten leiten lassen.

Legte der Senat hingegen die Richtigkeit des Berichtes über die Operation vom 29. Mai 1997 zugrunde, so hätten die behandelnden Ärzte die Indikation für eine Totalresektion zumindest verfrüht gestellt. Da der Operationsbericht keine ausreichenden Hinweise auf intraoperative Befunde enthält, wäre weiter davon auszugehen, dass entsprechende, eine Indikation der Totalresektion rechtfertigende Befunde auch später nicht vorgefunden worden sind.

Selbst wenn der Senat - zugunsten der Klägerin - die letztgenannte Sachverhaltsversion als wahr unterstellte, ist ein Arzthaftungsanspruch der Klägerin nicht begründet.

3. Der Klägerin ist der Nachweis nicht gelungen, dass die bei ihr eingetretene beidseitige Stimmbandlähmung allein darauf zurückzuführen ist, dass die medizinisch indizierte und mit insoweit wirksamer Einwilligung als Teilresektion des Schilddrüsengewebes begonnene Operation am 29. Mai 1997 intraoperativ zu einer totalen Entfernung des Schilddrüsengewebes erweitert wurde.

3.1. Für die Kausalitätsbetrachtungen ist auf einen Vergleich zwischen dem fiktiven Verlauf der ursprünglich beabsichtigten und von der wirksamen Einwilligung der Klägerin gedeckten Teilresektion des Schilddrüsengewebes und dem Verlauf der tatsächlich durchgeführten Operation abzustellen.

Wie bereits das erstinstanzliche Gericht auf der Grundlage sachverständiger Beratung zutreffend festgestellt hat, war eine Teilentfernung des Schilddrüsengewebes der Klägerin, nämlich zumindest im rechten und im Isthmus-Bereich, sowohl aus chirurgischer als auch aus internistischer und nuklearmedizinischer Sicht absolut indiziert. Kontraindikationen für eine solche Operation waren sicher nicht gegeben; eine nuklearmedizinische Behandlung bot keine gleichwertigen Heilungschancen. Die Klägerin hat in die Durchführung einer Operation zur teilweisen Entfernung des Schilddrüsengewebes auch wirksam, d. h. auf der Grundlage hinreichender Eingriffs- und Risikoaufklärung, eingewilligt.

3.2. Im Ergebnis der Beweisaufnahme geht der Senat mit dem gerichtlichen Sachverständigen davon aus, dass die beidseitige Stimmbandlähmung der Klägerin dadurch entstanden ist, dass sich in der Nähe des Operationsgebietes eine Nachblutung eingestellt und entweder zur Herausbildung eines Hämatoms oder zur Einblutung in das Nervenhüllgewebe geführt hat; in beiden Fällen wird dadurch Druck auf die Stimmbandnerven ausgeübt, der zu deren Lähmung führt. Hierfür sprechen nicht nur die Befunde der Nachoperation der Klägerin am Abend des 29. Mai 1997, sondern auch der Umstand, dass beide Stimmbandnerven bei Abschluss der Erstoperation noch frei beweglich waren.

3.3. Hinsichtlich der Ursache der Nachblutung, einer kontinuierlich blutenden Vene unterhalb der bei der Erstoperation eröffneten Grenzlamelle, ist nach den nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, die den Senat überzeugt haben, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu beantworten, ob diese auch bei einer nur teilweisen Entfernung der Schilddrüse eingetreten wäre. Diese nicht überwindbare Unsicherheit bei der Aufklärung des tatsächlichen Behandlungsverlaufs geht nach den zivilrechtlichen Grundsätzen der Beweislastverteilung im Arzthaftungsprozess zu Lasten der Klägerin, die aus der behaupteten Kausalität einen Schadenersatzanspruch herleiten möchte.

3.3.1. Zwar hat der Sachverständige ausgeführt, dass die vorbeschriebene Nachblutung bei einer Teilresektion "nicht so wahrscheinlich" ist, wie bei dem umfangreicheren Eingriff in Gestalt einer Totalresektion. Eine weitere Festlegung hat er jedoch als spekulativ abgelehnt. In seinem schriftlichen Gutachten hat er hierzu ausgeführt, dass die Eröffnung der Vene u. U. indirekt, z. Bsp. durch Zugwirkung an der Schilddrüse, eingetreten sein könnte. Eine solche Zugwirkung jedoch kann sowohl bei einer Teilresektion als auch bei einer Totalresektion auftreten. Letztlich hat er den Eintritt der bilateralen Recurrensparese hier als ein schicksalhaftes, für beide Operationsmaßnahmen auch bei facharztgerechter Behandlung typisches Ereignis bewertet. Dieser Einschätzung folgt der Senat.

3.3.2. Die Klägerin trägt die Beweislast für die Kausalität der wegen des festgestellten Aufklärungsmangels rechtswidrigen Operationserweiterung bzw. des als wahr unterstellten Behandlungsfehlers für die beidseitige Stimmbandlähmung. Das bedeutet, dass die Klägerin im Prozess schon dann unterliegt, wenn sie nicht beweisen kann, dass die Pflichtverletzung den Schaden verursacht hat bzw. dass der Schadenseintritt ohne die Pflichtverletzung zumindest sehr unwahrscheinlich gewesen wäre. So liegt der Fall hier nach dem Vorausgeführten.

3.3.3. Der Klägerin kommen unter keinem Gesichtspunkt Beweiserleichterungen zugute. Insbesondere kann sich die Klägerin - entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts - nicht erfolgreich auf einen so genannten groben Behandlungsfehler berufen, der nach der ständigen Rechtsprechung auch des erkennenden Senats zu einer Beweislastumkehr führen kann. Selbst wenn der Senat, wie unter Abschnitt II. 2. dieser Gründe geschehen, zugunsten der Klägerin das Vorliegen eines Behandlungsfehlers unterstellt, so liegt auch dann jedenfalls kein grober Behandlungsfehler vor.

Der gerichtliche Sachverständige hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass der verfrühte Entschluss der behandelnden Ärzte der Erstoperation der Klägerin, eine Totalresektion des Schilddrüsengewebes vorzunehmen, aus fachärztlicher Sicht als ein "Sorgfaltsmangel" einzuordnen ist (vgl. GA Bd. I Bl. 113 und Bd. II Bl. 12); als "gravierenden" Mangel i. S. v. "nicht vernachlässigbar" hat er - anders als das erstinstanzliche Gericht in seinem angefochtenen Urteil ausführt - lediglich den Dokumentationsmangel im Operationsbericht bewertet (vgl. GA Bd. I Bl. 118).

Im Rahmen der Beweisaufnahme durch den Senat direkt auf diese Frage angesprochen, hat der gerichtliche Sachverständige den Fehler ebenfalls nicht als einen nicht mehr verständlichen Behandlungsfehler, der einem Facharzt nicht unterlaufen darf, bezeichnet, sondern vielmehr ausgeführt, dass ein Facharzt eine solche - s. E. fehlerhafte - Entscheidung treffen kann, insbesondere unter Berücksichtigung des im Raum stehenden Malignitätsverdachtes. Diese Ausführungen sind nachvollziehbar vor dem - vom Sachverständigen erläuterten - Hintergrund, dass für eine intraoperative Entscheidung zur Totalresektion drei Befunde sprechen können: der Umstand, dass keinerlei gesundes Gewebe mehr angetroffen wird; derjenige, dass ein fundierter Malignitätsverdacht besteht, oder der Umstand, dass nach der klinischen Einschätzung des Operateurs ein erhebliches Risiko für eine erneute Knotenbildung besteht. Eine verfrühte Festlegung und Fehleinschätzung über das Vorliegen solcher Befunde ist hier - trotz eines Abweichens vom fachärztlichen Standard - ein aus juristischer Sicht einfach fahrlässiger Fehler.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nrn. 7 und 8 EGZPO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO n. F. Da die mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren nach dem 01.01.2002 erfolgte, richtet sich die Zulässigkeit von Rechtsmitteln gegen diese Entscheidung nach der nunmehr geltenden Fassung der ZPO, was bereits bei Abfassung des Berufungsurteils zu berücksichtigen war.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO n. F. war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung ein er einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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