Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 27.11.2008
Aktenzeichen: 1 U 43/08
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 36
BauGB § 36 Abs. 2 Satz 2
1. Wird eine Gemeinde i. S. v. § 36 BauGB am Baugenehmigungsverfahren beteiligt, so hat sie ihr Einvernehmen mit dem Bauvorhaben zu erteilen, wenn sie innerhalb der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB einen Versagungsgrund nicht feststellen kann.

2. Zum Verschuldensmaßstab und zur Feststellung des Verschuldens von Gemeinderatsmitgliedern (hier: bei rechtswidriger Versagung des gemeindlichen Einvernehmens mit der Errichtung von Putenmastanlagen im unbeplanten Außenbereich).


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 43/08 Oberlandesgericht Naumburg

verkündet am: 27. November 2008

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Prof. Dr. Gruber auf die mündliche Verhandlung

vom 16. Oktober 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 2. April 2008 verkündete Urteil des Landgerichts Stendal, 21 O 53/06, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Hauptforderung lediglich in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18. April 2006 zu verzinsen ist.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren bzw. des tatsächlich vollstreckten Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer der Beklagten übersteigt 20.000 €.

und beschlossen:

Der Kostenwert für das Berufungsverfahren wird auf 531.820 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der beklagten Gemeinde Schadenersatz aus Amtshaftung wegen der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens für die im Jahre 1997 beantragten Genehmigungen der Errichtung von drei Putenmastanlagen auf dem Gemeindegebiet. Die Klage ist als Teilklage beschränkt auf behauptete Erwerbsausfälle im Zeitraum vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 2004.

Die Klägerin beabsichtigte seit Mitte der 90er Jahre die Errichtung und das Betreiben von Putenmastanlagen auf dem Gemeindegebiet der Beklagten. Es sollten reine Hahnmastanlagen zu je vier Ställen im sog. "Louisiana"-Stil (halboffene Bauweise mit der Möglichkeit der Öffnung aller vier Seitenwände) errichtet werden. Die Standorte hierfür lagen im bauplanungsrechtlichen Außenbereich, für den zumindest bis Ende 1997 kein Flächennutzungsplan aufgestellt war. Nachdem die Klägerin ihre ursprünglichen Planungen von 1995 nicht weiter verfolgt hatte, reichte sie im März 1997 drei neue Anträge auf Erteilung von Baugenehmigungen für jeweils eine Putenmastanlage mit jeweils 19.200 Tierplätzen auf den in der Gemarkung R. , Flur 6, Flurstück 498/218, und Flur 7, Flurstücke 91/2, 133 und 220/131, belegenen Grundstücken beim zuständigen Landkreis St. ein.

Der Landkreis holte im Genehmigungsverfahren u.a. die Stellungnahmen der Unteren Naturschutz-, Wasser- und Immissionsschutzbehörden ein, die übereinstimmend die Unbedenklichkeit der beantragten Anlagen aus ihrer jeweiligen fachlichen Sicht bestätigten.

Der Landkreis ersuchte die Beklagte um die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens. Der Gemeinderat hatte sich bereits in seiner Sitzung vom 28. Januar 1997 mit den beabsichtigten Bauvorhaben beschäftigt. Nachdem ein Vertreter des Bauamtes den Gemeindevertretern das Prüfungsprogramm der §§ 36 i.V.m. 35 BauGB erläutert und insbesondere darauf hingewiesen hatte, dass zu prüfen sei, ob bauplanerische Vorhaben der Gemeinde den Bauvorhaben der Klägerin entgegen stünden, wurde in der anschließenden Diskussion der Gemeinderäte lt. Protokoll "herausgearbeitet", dass jedenfalls keine solche Bebauung im Außenbereich gewollt sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gemeinderatsprotokolls vom 29. Januar 1997 (Anlage E 1, GA Bd. I Bl. 211 f.), dort zu TOP Ziffer 2, Bezug genommen.

In seiner Sitzung vom 29. Mai 1997 befasste sich der Gemeinderat mit der Aufforderung des Landkreises zur Entschließung über die Erteilung oder Versagung des gemeindlichen Einvernehmens. Den Beratungen ging eine Belehrung darüber voraus, dass die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens eine gebundene, keine Ermessensentscheidung sei, und dass die Versagung nur zulässig sei, wenn die Bauvorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig seien. Der Gemeinderat beschloss - lt. Protokoll "nach eingehender Beratung" - , sein gemeindliches Einvernehmen zu allen drei Bauvorhaben zu versagen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gemeinderatsprotokolls vom 3. Juni 1997 (Anlage E 2, GA Bd. I Bl. 213 f.), dort zu TOP 4, verwiesen. Gemäß dieser Entschließung versagte die Beklagte mit Schreiben vom 2. Juni 1997 an den Landkreis ihr gemeindliches Einvernehmen. Zur Begründung führte die Beklagte darin u.a. an, dass sie negative Auswirkungen auf den Fremdenverkehr in der Region, insbesondere eine Störung des Landschaftsbildes und auch eine Zersiedelung des Territoriums besorge. Die beabsichtigte Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe hinter den eigenen Erwartungen zurück. Durch die aufkommenden Futtermittel- und Tiertransporte werde zudem eine Überlastung der gemeindlichen Straßen eintreten. Schließlich gebe es Bürgerproteste gegen das Gesamtprojekt.

Der Landkreis berief am 27. Juni 1997 eine Besprechung in seinem Bauordnungsamt unter Beteiligung der Fachbehörden und der Beklagten ein. Darin wurden die Einwendungen der Beklagten diskutiert; abschließend wies die Baugenehmigungsbehörde darauf hin, dass aus ihrer Sicht den drei Bauvorhaben der Klägerin in R. bauplanungsrechtliche und sonstige Einwendungen nicht entgegenstünden, so dass ein Anspruch auf deren Erteilung bestehe. Im Falle der Aufrechterhaltung der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens bestehe die Gefahr der Entstehung von Schadenersatzansprüchen der Klägerin gegen die Beklagte. Der Landkreis setzte der Beklagten eine Frist von zwei Wochen zur nochmaligen Prüfung der eigenen Entscheidung. Wegen des Inhalts der vorgenannten Besprechung wird auf die Niederschrift hierzu vom 3. Juli 1997 (Anlage K 13, GA Bd. II Bl. 22 bis 24) Bezug genommen.

In ihrer Sitzung vom 10. Juli 1997 befassten sich die Gemeinderäte der Beklagten erneut mit den Bauvorhaben der Klägerin. Die Rechtsauffassung des Landkreises und dessen Hinweise an die Beklagte wurden bekannt gegeben. Die Gemeinderäte wurden auch über die Einwendungen des H. Sch. gegen das Projekt der Klägerin in R. als Ganzes informiert. Sodann beschlossen sie, die von Sch. formulierte Begründung der Ablehnung der Bauvorhaben der Klägerin in die Stellungnahme der Beklagten "einzuarbeiten" und in das Protokoll der Gemeinderatssitzung "als Begründung zur Versagung" aufzunehmen. Im Protokoll wird auch angeführt, dass die Bürger der Gemeinde bereit seien, alles zu unternehmen, um den Bau der Putenmastanlagen zu verhindern. Ein erneuter Hinweis auf mögliche Amtshaftungsansprüche blieb nach Angaben der Beklagten ohne weitere Reaktion. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgenannten Niederschrift vom 14. Juli 1997 (Anlage E 3, GA Bd. I Bl. 215 bis 218), dort zu TOP 4, Bezug genommen.

Mit Bescheiden jeweils vom 29. Juli 1997 lehnte der Landkreis die drei Anträge der Klägerin jeweils auf Erteilung einer Baugenehmigung für eine Putemastanlage in R. ab; zur Begründung verwies er auf das jeweils versagte gemeindliche Einvernehmen. Hiergegen legte die Klägerin jeweils Widerspruch ein und regte eine Anweisung der Kommunalaufsicht an die Gemeinde zur Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens an.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens konsultierte die Beklagte einen Rechtsanwalt in dieser Angelegenheit, der im Ergebnis seiner Prüfungen u.a. darauf hinwies, dass nicht absehbar sei, ob die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens einer verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung standhalten werde.

Das Regierungspräsidium Magdeburg, die damalige Widerspruchsbehörde, wies die Widersprüche der Klägerin gegen die ablehnenden Bescheide des Landkreises mit Bescheid vom 2. Dezember 1997 zurück.

Die Klägerin erhob am 11. Dezember 1997 jeweils Klage vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg auf Erteilung der begehrten Baugenehmigungen. Die Verfahren wurden unter den Geschäftszeichen A4K 513/97, A4K 519/97 und A4K 520/97 geführt. Das Verwaltungsgericht gab allen drei Klagen mit Urteilen jeweils vom 19. Oktober 1999 statt und stützte sich zur Begründung seiner Entscheidungen jeweils darauf, dass öffentlich-rechtliche Vorschriften den drei Bauvorhaben nicht entgegenstünden.

Die Beklagte beantragte in allen drei Rechtsstreitigkeiten die Zulassung der Berufung und berief sich in ihren Anträgen erstmals auch darauf, dass die halboffene Bauweise der "Louisiana-Ställe" zur Unanwendbarkeit der bisher bestehenden technischen Vorschriften mit Abstandsempfehlungen zur Wohnbebauung führe. Das Oberverwaltungsgericht ließ die Berufung der Beklagten jeweils zu und holte im Rahmen des Berufungsverfahrens ein gerichtliches Gutachten zur Umweltverträglichkeit der Bauvorhaben mit dieser neuartigen Entlüftungsmethode ein. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass von den geplanten Putenmastanlagen keine schädlichen Umwelteinwirkungen ausgingen. Während des Verlaufes des Berufungsverfahrens trat eine Gesetzesänderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes in Kraft, wonach der Antrag auf Genehmigung der Errichtung von Stallanlagen ab einem geplanten Tierbestand von 15.000 Tieren nunmehr bei der Immissionsschutzbehörde zu stellen sei und hieran erhöhte inhaltliche Anforderungen gestellt wurden. Daher stellte die Klägerin im Berufungsverfahren ihre Anträge auf Erteilung einer Baugenehmigung dahin um, dass sie im Wege der Verpflichtung nunmehr lediglich 14.999 Tierplätze pro Anlage betreiben wolle; die weitergehende Klage wandelte sie in eine Fortsetzungsfeststellungsklage um. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt wies mit Urteilen jeweils vom 6. Februar 2004 - Geschäftszeichen: 2L 5/00, 2L 6/00 und 2L 7/00 - die Berufungen der hiesigen Beklagten zurück und ließ die Rechtsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht jeweils nicht zu. Die hiergegen von der hiesigen Beklagten erhobenen Nichtzulassungsbeschwerden verwarf das Bundesverwaltungsgericht mit seinen Beschlüssen jeweils vom 26. Mai 2004.

Letztlich wurden der Klägerin am 10. Februar 2005 drei Baugenehmigungen für die Errichtung von Putenmastanlagen in R. mit je 14.999 Tierplätzen vom Landkreis St. erteilt.

Die Klägerin hat behauptet, dass die Beklagte das gemeindliche Einvernehmen versagt habe, obwohl ihr bekannt gewesen sei, dass ein Versagungsgrund nicht vorgelegen habe. Insbesondere habe auch keine sorgfältige Prüfung der Sach- und Rechtslage vor der Beschlussfassung stattgefunden. Das Verhalten der Beklagten habe zu einer Verzögerung der Erteilung der Baugenehmigungen geführt, und zwar vom 29. Juli 1997 bis zum 10. Februar 2005. Wären die Putenmastanlagen im Jahre 1997, so wie beantragt, errichtet worden, so hätte die Klägerin mindestens seit dem 1. Januar 1998 gewinnbringend wirtschaften können. Sie hat im Wege einer Teilklage einen angeblich entgangenen Gewinn für den Zeitraum vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 2004 in Höhe von 531.820 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit geltend gemacht. Zur Darlegung der Höhe des Schadens hat sie ein privat eingeholtes Gutachten des Dipl.-Ing. agr. J. E. vom 11. September 2005 (Anlage K 10, GA Bd. I Bl. 124 bis 143) vorgelegt.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass ihr schon keine Pflichtverletzung zur Last falle, weil die Entscheidung über die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nach Belehrung der Gemeinderäte über die Rechtslage und nach eingehender Diskussion in der Gemeinderatssitzung getroffen worden sei. Eine abschließende Klärung der Genehmigungsfähigkeit der Anlagen sei ihr innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB nicht möglich gewesen. Unter diesen Umständen habe die Beklagte das Einvernehmen verweigern und es auf eine gerichtliche Klärung der Angelegenheit ankommen lassen dürfen. In den Verwaltungsrechtsstreiten seien die Entscheidungen erst nach Ortsbesichtigung bzw. nach Einholung eines Gutachtens gefallen.

Jedenfalls aber sei eine etwaige Pflichtverletzung nicht auf ein Verschulden der Gemeinderäte zurückzuführen. Zudem sei die haftungsausfüllende Kausalität nicht gegeben, weil der betroffene Nachbar H. Sch. im Falle einer Erteilung der Baugenehmigungen hiergegen Drittwiderspruch eingelegt und einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch genommen hätte.

Das Landgericht hat der Klage mit seinem am 2. April 2008 verkündeten Urteil stattgegeben. Es hat die Voraussetzungen für einen Amtshaftungsanspruch dem Grunde nach als gegeben angesehen und hierzu insbesondere auch Erkenntnisse aus den von der Beklagten selbst vorgelegten Ablichtungen der Protokolle einiger Gemeinderatssitzungen sowie aus den beigezogenen Akten des Verwaltungsgerichts Magdeburg zu den Geschäftszeichen A4K 513/97, A4K 519/97 und A4K 520/97 verwertet. Die Höhe des geltend gemachten Teilanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte hat das Landgericht auf der Grundlage eines selbst eingeholten gerichtlichen Sachverständigengutachtens des Dipl.-Ing. agr. T. K. vom 19. Juli 2007 (GA Bd. III hinter Bl. 71), dessen Ergänzung vom 6. November 2007 (GA Bd. III Bl. 112 bis 115) sowie der mündlichen Erläuterung dieser Gutachten durch den Sachverständigen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 12. März 2008, GA Bd. III Bl. 146 bis 148) nach § 287 ZPO geschätzt.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 8. April 2008 zugestellte Urteil des Landgerichts Stendal mit einem am 8. Mai 2008 vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese Berufung innerhalb der ihr insgesamt bis zum 30. Juli 2008 verlängerten Begründungsfrist auch begründet.

Sie ist der Auffassung, dass der Schadenersatzanspruch der Klägerin gegen sie schon dem Grunde nach nicht gerechtfertigt sei.

Sie meint, dass bereits objektiv eine Pflichtverletzung nicht vorliege, weil bei rechtlichen Zweifelsfragen (von deren Vorliegen sie hier ohne nähere Darlegung ausgeht) nicht jede getroffene Entscheidung pflichtwidrig sei, die späterer gerichtlicher Prüfung nicht standhält. Jedenfalls sei ein Verschulden der Gemeinderäte bei ihrer Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nicht feststellbar. Der vom Landgericht angelegte objektivierte Verschuldensmaßstab sei rechtsfehlerhaft, weil er letztlich zu einer gesetzlich nicht gewollten verschuldensunabhängigen Haftung der Gemeinde führte. Eine Feststellung fahrlässigen Verhaltens setzte zudem die Vernehmung der einzelnen bei den Gemeinderatssitzungen anwesenden Personen über den Inhalt der Beratungen vor den jeweiligen Entschließungen voraus.

Die Beklagte bestreitet weiterhin, dass die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens für die Verzögerung der Erteilung der drei Baugenehmigungen kausal geworden sei. Sie beruft sich darauf, dass dieselben Verzögerungen auch eingetreten wären, wenn die Gemeinde ihr Einvernehmen zwar erklärt, jedoch der Nachbar H. Sch. Drittwiderspruch gegen die Erteilung der Baugenehmigungen eingelegt hätte. Sie hatte bereits in erster Instanz Beweis durch das Zeugnis des H. Sch. dafür angetreten, dass dieser jeweils Widerspruchsverfahren und notfalls Rechtsstreite zur Verhinderung der Erteilung der Baugenehmigungen für die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht geführt hätte. Die Beklagte hat zudem die Einholung einer amtlichen Auskunft vom Verwaltungsgericht Magdeburg angeregt, durch die bestätigt werden solle, dass das Verwaltungsgericht im Falle eines Widerspruchs gegen die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer Putenmastanlage dessen aufschiebende Wirkung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren angeordnet hätte.

Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte sei schließlich auch deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin nicht ausreichend Gebrauch von möglichen Rechtsmitteln i.S.v. § 839 Abs. 3 BGB gemacht habe. Sie habe versäumt, nach Inkrafttreten der entsprechenden Regelungen in Sachsen-Anhalt ab Mai 2001 eine Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens bzw. einen Eingriff der Kommunalaufsicht zu bewirken.

Die Beklagte wendet sich zudem hilfsweise gegen die Höhe ihrer Verurteilung.

Der Klägerin sei gar kein finanzieller Erwerbsausfall entstanden, weil sie zur Finanzierung der Errichtung aller drei Putenmastanlagen gar nicht in der Lage gewesen sei. Dafür spreche, dass die Anlagen bis heute nicht errichtet worden seien.

Selbst wenn sie, die Beklagte, ihr gemeindliches Einvernehmen erklärt hätte, wäre sie berechtigt gewesen, ihre Einwendungen, insbesondere zur Umweltverträglichkeit der zu errichtenden Anlagen, gegenüber der Genehmigungsbehörde, dem Landkreis, vorzubringen. Dies hätte zur Einholung eines Gutachtens geführt, was Verzögerungen von etwa vierzehn Monaten verursacht hätte. Diese Zeitspanne habe die Gutachtenerstattung in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Anspruch genommen.

Im Übrigen erhalte sie ihre Einwendungen gegen das gerichtliche Gutachten zur Schadenshöhe aus den Schriftsätzen vom 17. Oktober 2007 und vom 7. Januar 2008 aufrecht.

Die Beklagte greift auch die Höhe der ausgeurteilten Prozesszinsen an und meint, dass für Schadenersatzansprüche eines gewerblichen Unternehmens gegen die Gemeinde nur der geringere gesetzliche Zinssatz des § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB Anwendung finde.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Sie wiederholt und vertieft die Argumente des Landgerichts. Zur Frage des Gebrauchmachens von Rechtsmitteln verweist sie erneut auf Seite 4 ihrer Widerspruchsbegründung vom 3. September 1997 (Anlage K 27, GA Bd. II Bl. 161 bis 163, insbes. Bl. 162 Rs.), in der sie die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens durch die Kommunalaufsicht angeregt habe. Zur Finanzierbarkeit des Bauvorhabens verweist sie auf die Bestätigung der Finanzierungszusage ihrer Hausbank vom 20. Juni 1995 (Anlage K 28, GA Bd. II Bl. 164).

Der Senat hat am 16. Oktober 2008 mündlich verhandelt. Im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage hat der Senat seine vorläufige Bewertung der Angelegenheit bekannt gegeben, die mit Ausnahme der damals noch offenen Bewertung der Begründetheit der Zinsforderung mit den Entscheidungsgründen dieses Urteils identisch war. Beide Parteien hatten Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom selben Tage verwiesen (vgl. GA Bd. IV Bl. 82).

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg mit Ausnahme ihres Angriffs gegen die Höhe der Nebenforderung.

Die Zivilkammer 1 des Landgerichts Stendal hat zu Recht darauf erkannt, dass die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadenersatz nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Höhe von 531.820 € hat. Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch liegen hier vor. Der Anspruch ist auch in der geltend gemachten Höhe gerechtfertigt mit Ausnahme der Prozesszinsen, welche lediglich in Höhe des allgemeinen gesetzlichen Zinssatzes begründet sind.

1. Die Mitglieder des Gemeinderates der Beklagten haben mit ihrer Entscheidung vom 29. Mai 1997 das gemeindliche Einvernehmen zu den Bauvorhaben der Klägerin objektiv pflichtwidrig versagt und damit ihnen obliegende Amtspflichten verletzt.

1.1. Die Gemeinderäte haben mit der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 1 BauGB eine städtebauplanungsrechtliche Entscheidung getroffen und sind mithin hoheitlich tätig geworden. Sie sind daher als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen.

1.2. Die Rechtswidrigkeit ihrer Entscheidung, der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens, steht - für die Zivilgerichte im Haftungsrecht bindend - fest, weil hierüber im Verwaltungsrechtswege bereits rechtskräftig befunden worden ist. Danach waren die von der Klägerin im Jahre 1997 beantragten Bauvorhaben planungsrechtlich zulässig. Entgegenstehende öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB lagen nicht vor. Insbesondere stellte das Oberverwaltungsgericht fest, dass eine abweichende wirksame Flächennutzung nicht geplant und die vorhandene Erschließung für die Putenmastanlagen ausreichend war, sowie, dass weder zum Zeitpunkt der Entschließung der Gemeinderäte im Mai 1997 noch später unzulässige Beeinträchtigungen Dritter durch die geplanten Anlagen zu besorgen waren. Unter diesen Voraussetzungen durfte das gemeindliche Einvernehmen nicht versagt werden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten lag hier keine rechtliche Zweifelsfrage vor, die die Gemeinderäte am 29. Mai 1997 zu beantworten gehabt hätten. Für solche Konstellationen hat auch der erkennende Senat bereits angenommen, dass ausnahmsweise in der Versagung einer Genehmigung keine Pflichtverletzung liegt, obwohl in einem späteren Rechtsstreit vor den Verwaltungsgerichten eine Verpflichtung zur Erteilung der Genehmigung ausgesprochen worden ist (vgl. Urteil vom 30. Juni 2006, 1 U 4/06 "Rodungsgenehmigung" - OLGR Naumburg 2007, 820 <nur Ls.>; nachgehend: BGH, Beschluss v. 19. April 2007, III ZR 187/06: Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde). Im vorliegenden Fall ging es hingegen um tatsächliche Bewertungen, nämlich ob solche den Bauvorhaben entgegenstehende öffentliche Belange tatsächlich vorhanden waren. Die anwendbaren Rechtsvorschriften, insbesondere § 35 BauGB, waren weder neu noch in ihrem Regelungsgehalt ungewiss; es existierte vielmehr eine gefestigte Rechtsprechung zur Privilegierung von Anlagen, die nur im Außenbereich ausgeführt werden können (§ 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB; vgl. nur beispielhaft: BGH, Urteil vom 14. Juni 1984, III ZR 68/83 - u.a. BauR 1984, 489 = ZfBR 1984, 298, die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens für die Errichtung einer Schweinemastanlage betreffend), wie es hier auf die geplanten Putenmastanlagen der Klägerin zutraf.

Die Beklagte kann sich schließlich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es für sie innerhalb der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB eine abschließende tatsächliche Prüfung nicht möglich gewesen sei. Die gesetzliche Fiktion soll gerade die Beschleunigung von Baugenehmigungsverfahren sichern. Es soll keine Blockadesituation entstehen können. Das bedeutet auch, wie die Kammer zu Recht ausgeführt hat, dass immer dann, wenn die Gemeinde innerhalb dieser Frist keinen Versagungsgrund feststellen kann, sie ihr Einvernehmen zu erklären hat. Eine Versagung im Hinblick auf möglicherweise später zu Tage tretende Versagungsgründe soll ihr nach der gesetzgeberischen Entscheidung gerade verwehrt sein. Sie ist dadurch rechtlich nicht gehindert, Einwendungen später in einem Rechtsstreit geltend zu machen bzw. sogar bei späterem Vorliegen entsprechender Voraussetzungen eine Veränderungssperre anzuordnen.

1.3. Die verletzte Amtspflicht - Versagung statt gebotener Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens - hat eine Außenwirkung auf den durch sie geschützten Bauwilligen, hier die Klägerin (vgl. zu allem Urteil des erkennenden Senats vom 11. Juli 2006, 1 U 10/06 "Putenmastanlage I" - OLGR Naumburg 2007, 344 <nur Ls.>; nachgehend: BGH, Beschluss v. 28. November 2007, III ZR 266/06: Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde; auch OLG Naumburg, Urteil vom 14. September 2005, 6 U 130/03 - OLGR Naumburg 2007, 271 f., die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens für die Errichtung einer Schweinemastanlage betreffend).

2. Die Kammer ist entgegen der Auffassung der Beklagten zutreffend auch von einem Verschulden der Mitglieder des Gemeinderates ausgegangen. Der Senat ist auf der Grundlage eigener Bewertungen insbesondere der vorgelegten Protokolle der Gemeinderatssitzungen vom 28. Januar, 29. Mai und 10. Juli 1997 sowie des Sachvorbringens der Beklagten davon überzeugt, dass die Gemeinderäte der Beklagten sogar bedingt vorsätzlich eine pflichtwidrige Entscheidung getroffen haben.

2.1. Der von der Kammer angewandte und von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung teilweise auch ungenau wiedergegebene Sorgfaltsmaßstab ist zutreffend.

Für die Verschuldensfrage kommt es auf die Kenntnisse und Einsichten an, die für die Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind, d.h. auf eine stark objektivierte Sicht, nicht darauf, über welche Fähigkeiten die einzelnen Gemeinderäte der Beklagten im Jahre 1997 wirklich verfügten. Insoweit gilt, dass jeder Beamte i.S.v. § 839 BGB, auch ein ehrenamtlicher Gemeinderat, die zur Führung seines Amtes notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besitzen bzw. sich vor seiner Entschließung verschaffen muss. Anderenfalls würde das Schadensrisiko bei Entscheidungen kommunaler Vertretungskörperschaften in unzumutbarer Weise auf den einzelnen Bürger verlagert werden. Die Mitglieder von Gemeinde- und Stadträten müssen sich daher auf ihre Entschließungen nach § 36 Abs. 1 BauGB sorgfältig vorbereiten und, soweit ihnen die eigene Sachkunde, z. Bsp. zu etwaigen umweltschädlichen Auswirkungen eines Bauvorhabens i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB fehlt, den Rat ihrer Verwaltung oder die Empfehlung von sonstigen Fachleuten einholen bzw. notfalls sogar außerhalb der Verwaltung stehende Sachverständige zu Rate ziehen. Letzteres gilt insbesondere dann, wenn sie - wie hier - von den Empfehlungen mehrerer Fachbehörden abweichen wollen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 1984, a.a.O. - in juris: Rn. 14 f.; aber auch BGH, Urteil vom 8. Oktober 1992, III ZR 220/90 - BGHZ 119, 365; Urteil vom 13. Oktober 2005, III ZR 234/04 - BauR 2006, 353 - in juris Rn. 10). In einem solchen Falle muss aus dem Sachvortrag der Gebietskörperschaft im Amtshaftungsprozess hervorgehen, woraus sich die überlegene Sachkunde der Gemeinderatsmitglieder gegenüber der Sachkunde ihrer Fachverwaltungen ergibt.

2.2. Die Gemeinderäte der Beklagten haben ihre Entscheidung vom 29. Mai 1997 schon nicht unvoreingenommen getroffen.

Wie das Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 28. Januar 1997 deutlich zeigt, war bereits vor Vorlage des vollständigen Bauantrages eine Vorentscheidung gegen das Bauvorhaben der Klägerin getroffen worden. Die Gemeinderäte waren sich in der Verhinderung eines solchen Bauvorhabens in ihrem Gemeindegebiet schon einig. Eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Begründung sollte noch gefunden werden.

Auch in den weiteren Befassungen des Gemeinderates mit dem Bauvorhaben fand das billigenswerte Interesse der Klägerin an einer wirtschaftlichen Betätigung keinerlei Erwähnung bzw. Berücksichtigung im Entscheidungsprozess. Dies wiegt umso schwerer, als die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens für die Errichtung von Putenmastanlagen die beabsichtigten Investitionen blockierte und eine wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin auf dem Gemeindegebiet verhinderte, also sehr weitreichende Folgen für die Klägerin hatte. Die Gemeinderäte beschäftigten sich bei ihren Beratungen allein mit möglichen negativen Auswirkungen auf die Gemeinde. Diese Grundeinstellung spiegelt sich auch darin wieder, dass über alternative Standorte oder notwendige Auflagen im Rahmen der Baugenehmigungen gar nicht nachgedacht und diskutiert wurde. Gegenstand "eingehender" Diskussionen war lediglich, die Ablehnung in möglichst rechtssichere Worte zu fassen.

2.3. Dem Sachvorbringen und insbesondere den vorgelegten Gemeinderatssitzungsprotokollen ist auch eine gründliche Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der zu treffenden Entscheidung nicht zu entnehmen.

Hierfür genügt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht, dass die Gemeinderäte diesen Tagesordnungspunkt zeitlich länger und intensiver ("eingehend") diskutiert haben. Maßgeblich ist, auf welcher Grundlage was diskutiert worden ist. Hierzu konnte die Beklagte im Verlaufe des gesamten Rechtsstreits und auch in der Sitzung des Senats keine befriedigende Darstellung abgeben.

Unstreitig ist, dass der Gemeinderat andere sachkundige Beratung, als diejenige durch die Fachbehörden des Landkreises und diejenige durch den Mitarbeiter des Planungsbüros der Verwaltungsgemeinschaft, H. Sch. , nicht in Anspruch genommen hatte. Letzterer wäre als unmittelbar Betroffener von der Entscheidung, nämlich als einziger Nachbar der geplanten Anlagen, von der Entscheidungsfindung eher auszuschließen gewesen. Die Fachbehörden des Landkreises hatten das Bauvorhaben jedoch einstimmig als zulässig beurteilt. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, auf Grund welcher Erkenntnisse sie die Bewertungen der Fachbehörden auch nur in Frage stellen konnte. Solche Erkenntnisse sind auch nicht etwa ersichtlich: Die Erschließung der künftigen Produktionsstätten der Klägerin war offensichtlich gesichert. Der Abstand zwischen den geplanten Putenmastanlagen und der bestehenden dörflichen Wohnbebauung betrug zwischen 450 bis 500 Meter bei einem damals technisch vorgeschriebenen Mindestabstand von 183 Metern, so dass eine Verletzung der damaligen immissionsschutzrechtlichen Vorschriften zumindest sehr unwahrscheinlich war. Dies gilt selbst dann, wenn man die abweichende Bauweise der Ställe in die Bewertung einbezieht, obwohl es im Prozess-Stoff keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Beklagte sich im Sommer 1997 schon mit der Bauweise der Ställe befasst hätte. Näher gelegen war lediglich das etwa 216 Meter entfernte ehemalige Bahnhofsgebäude Klein-R. , dessen wohnliche Nutzung der H. Sch. trotz bauplanungsrechtlicher Unzulässigkeit durchzusetzen hoffte. Dieses Gebäude war bauplanungsrechtlich jedoch gerade nicht als Wohn-, sondern als gewerblich genutztes Gebäude zu bewerten.

Unstreitig hat die Gemeinde vor ihrer Entscheidung vom 29. Mai 1997 und vor deren Bekräftigung vom 10. Juli 1997 keinerlei anderweitigen Rechtsrat eingeholt als denjenigen durch den Landrat. Sie hat sich im vorliegenden Amtshaftungsprozess nicht dazu erklären können, auf Grundlage welcher Erwägungen sie zu der Einschätzung gelangt ist, dass wirtschaftliche Belange, wie Auswirkungen auf den Tourismus bzw. die Schaffung von Arbeitsplätzen, oder kommunalpolitische Aspekte, wie erwartete Bürgerproteste, bauplanungsrechtliche Relevanz entfalten sollten.

Unstreitig bestand schließlich für den Außenbereich der Gemeinde keinerlei wirksame Beplanung, insbesondere kein Flächennutzungsplan, so dass für bauplanungsrechtliche Einwendungen ohnehin wenig Raum war. Die Beklagte hat im vorliegenden Rechtsstreit auch keinerlei Erklärung dafür abgeben können, ob und ggfs. welche konstruktiven planenden Überlegungen die Gemeinde für ihr Außengebiet angestellt haben will.

Dem gegenüber trifft das Protokoll Aussagen dazu, worüber tatsächlich "eingehend" beraten worden ist: über Formulierungen der Versagungsgründe. So heißt es im Protokoll vom 14. Juli 1997 u.a.:

"... Als Begründung zur Versagung ... wird in das Protokoll aufgenommen ..."

bzw.

"... die Begründung des Bürger Sch. soll ... eingearbeitet werden ...".

Angesichts der vorgenannten erheblichen Darlegungsdefizite der Beklagten kam eine Beweiserhebung durch Vernehmung der Gemeinderatsmitglieder oder sonstiger Teilnehmer an den Sitzungen über deren Inhalt im Einzelnen nicht in Betracht.

Im Hinblick auf das Vorstehende kommt es im Übrigen nicht darauf an, dass die Gemeinderatsmitglieder der Beklagten das Protokoll dieser Sitzung als juristische Laien abgefasst haben, wie die Beklagte im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemacht hat. Die Protokolleintragungen sind u.U. von "entwaffnender Offenheit" geprägt, sie sind aber in ihrem Aussagegehalt eindeutig. Zu ihrer Abfassung bedurfte es jedenfalls keiner umfangreicheren Rechtskenntnisse, als zur Entscheidungsfindung selbst.

2.4. Die Mitglieder des Gemeinderates der Beklagten handelten im Mai und Juli 1997 nicht nur bewusst leichtfertig, sondern sogar bedingt vorsätzlich.

Sowohl vor der Beratung am 29. Mai 1997 als auch vor und während der Beratung am 10. Juli 1997 wurden die Gemeinderatsmitglieder ausführlich und zutreffend über die rechtlichen Grundlagen der von ihnen zu treffenden Entscheidung informiert; in der letzteren Veranstaltung wurden sie ausdrücklich auf das Risiko erheblicher Vermögensschäden der Klägerin sowie auf die Möglichkeit der Entstehung von Schadenersatzansprüchen im Falle einer objektiv unberechtigten Versagung des gemeindlichen Einvernehmens hingewiesen. Am 10. Juli 1997 lag ihnen die erneute, diesmal schriftliche Bewertung der Bauvorhaben der Klägerin durch die Fachbehörden des Landkreises als zulässig vor. Die Gemeinderatsmitglieder haben sich der darin enthaltenen offenkundigen Erkenntnis ohne bessere eigene Erkenntnisgrundlagen verschlossen und die Schädigung der Klägerin billigend in Kauf genommen. Sie haben der bloßen Verhinderung der Bauvorhaben der Klägerin in ihrer Gemeinde absoluten Vorrang vor jeglichen anderen Interessen eingeräumt.

Die Beklagte verkennt in ihrer Argumentation im Amtshaftungsprozess, dass bloße Zweifel an der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Bauvorhabens eine Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nicht zu rechtfertigen vermochten, und zwar auch nicht im Sinne einer "vertretbaren" Entscheidung. Vielmehr war das gemeindliche Einvernehmen schon dann zu erteilen, wenn die Mitglieder des Gemeinderates einen Versagungsgrund nicht positiv feststellen können, weil ein Bauwilliger, wie die Klägerin, einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung innehat. Eben dies ist den Gemeinderatsmitgliedern in der Sitzung vom 29. Mai 1997 belehrend vor Augen geführt worden.

3. Die übrigen Einwendungen der Beklagten gegen den Anspruchsgrund sind unbegründet. Der Anspruch ist insbesondere nicht nach § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, weil die Klägerin etwa keinen Gebrauch von zulässigen Rechtsbehelfen gemacht hätte.

Die Beklagte wiederholt insoweit in der Berufungsbegründung lediglich ihre erstinstanzlichen Argumente, ohne auf den zeitlich nachfolgenden Vortrag der Klägerin hierzu einzugehen. Es ist unbestritten und gerichtsbekannt, dass die Klägerin weder im Jahre 1997 noch nach Einführung einer entsprechenden rechtlichen Regelung im Jahre 2001 eine Antragsbefugnis im Hinblick auf die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens durch den Landkreis hatte. Es besteht bis heute kein durchsetzbarer Anspruch auf ein kommunalaufsichtsrechtliches Einschreiten (vgl. nur Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 29. Juni 2000, 11 U 137/98 - NordÖR 2000, 411).

Im Übrigen hat die Klägerin unwidersprochen vorgetragen und urkundlich belegt, dass sie mit ihrem Schriftsatz vom 3. September 1997 die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens durch die Kommunalaufsicht angeregt hat (vgl. Anlage K 27, GA Bd. II Bl. 161 ff., dort S. 4 = GA Bd. II Bl. 162 Rs.).

4. Die Kammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine hypothetische Schadensursache - hier der Drittwiderspruch des H. Sch. gegen fiktive Baugenehmigungen der Klägerin im Jahre 1997 - die haftungsbegründende Kausalität der Amtspflichtverletzung für die Verzögerung bzw. Vereitelung des Bauvorhabens hier gar nicht berühren kann. Dieser Einwand kann allenfalls im Zusammenhang mit der haftungsausfüllenden Kausalität Bedeutung erlangen (vgl. nur Thüringer OLG, Urteil vom 30. Januar 2008, 4 U 1230/05 - OLGR Jena 2008, 494 m.w.N.).

Im vorliegenden Falle bleibt die Einwendung unerheblich. Denn ein Drittwiderspruch eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung entfaltet keine aufschiebende Wirkung. Insoweit kann die von der Beklagten unter Zeugenbeweis gestellte Behauptung als wahr unterstellt werden, dass H. Sch. alle zulässigen Rechtsbehelfe zur Verhinderung der Bauvorhaben der Klägerin ausgeschöpft hätte. Er hatte von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg mit seinem Rechtsanliegen, wie es die tatsächlich durchgeführten Rechtsstreite um die Erteilung der Baugenehmigung gezeigt haben. Als Nachbar hätte er auch lediglich Beeinträchtigungen des ehemaligen Bahnhofsgebäudes, dessen wohnliche Nutzung untersagt war, geltend machen können. Diese hätten in jedem Falle hinter dem nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegierten Vorhaben zurückstehen müssen; eine Beweisaufnahme wäre in diesem fiktiven Verwaltungsrechtsstreit wohl nicht erforderlich gewesen. Nach der vom Senat auf Grundlage eigener Bewertungen anzustellenden Prognose hätte das Verwaltungsgericht jedenfalls keine Anordnung einer aufschiebenden Wirkung des Drittwiderspruchs getroffen.

5. Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt der Umstand, dass die Klägerin ihr Bauvorhaben trotz inzwischen erteilter partieller Baugenehmigungen nicht ausgeführt hat, keinen sicheren Rückschluss darauf zu, dass die Klägerin im Falle der Erteilung der Baugenehmigungen im Jahre 1997 das Vorhaben nicht unverzüglich umgesetzt und ab dem 1. Januar 1998 auch produziert hätte.

5.1. Es ist schon nicht auszuschließen, dass sich im Februar 2005, dem Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigungen für Putenmastanlagen mit jeweils geringerer Tierzahl, die Marktbedingungen bereits erheblich verschlechtert hatten, insbesondere, dass die Nachfrage nach Putenfleisch inzwischen anderweitig befriedigt worden ist. Jedenfalls ergibt sich aber aus dem gerichtlichen Gutachten vom 19. Juli 2007, dort am Ende, dass eine nur mit 14.999 Puten ausgelastete Mastanlage keine Gewinne, sondern wegen der die direktkostenfreien Leistungen übersteigenden Festkosten alljährlich Verluste erwarten lässt.

5.2. Soweit die Beklagte sich pauschal auf fehlende Finanzierungsmittel beruft, lässt sie unbeachtet, dass die Klägerin eine Bestätigung der Finanzierung des Bauvorhabens vorgelegt hat (vgl. Anlage K 28, GA Bd. II Bl. 164 ff.). Die Beklagte selbst hat diese Zusage in anderem Zusammenhang als eine solche bewertet, die die voraussichtlichen Investitionskosten weit übersteigt.

5.3. Die Kammer ist schließlich zutreffend davon ausgegangen, dass ein fiktiver Produktionsbeginn am 1. Januar 1998 im Rahmen einer nach § 287 ZPO anzustellenden Prognose des weiteren fiktiven Geschehensablaufes ohne Schadensursache realistisch ist. Insbesondere bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Landkreis die Baugenehmigung nicht umgehend nach einer fiktiven Erklärung des gemeindlichen Einvernehmens durch die Beklagte am 29. Mai 1997 erteilt hätte. Dies gilt selbst dann, wenn die Gemeinde parallel hierzu die mit Schreiben vom 2. Juni 1997 erhobenen Einwendungen gegen die Bauvorhaben informatorisch an den Landkreis weitergeleitet und um deren Prüfung gebeten hätte. Denn die dort genannten Aspekte waren durch die Fachbehörden des Landkreises bereits vorab geprüft worden.

6. Die Berufung bleibt ohne Erfolg, soweit mit ihr Einwendungen gegen die Höhe der Hauptforderung der Klägerin erhoben werden.

6.1. Es kann offen bleiben, ob die Berufung insoweit nicht sogar unzulässig ist.

Die Beklagte hat sich pauschal auf ihre Einwendungen im Schriftsatz vom 17. Oktober 2007 gestützt. Diese Einwendungen hat die Kammer jedoch zum Anlass für die Einholung des Ergänzungsgutachtens vom 6. November 2007 (vgl. GA Bd. III Bl. 112 ff.) genommen.

Die Beklagte hat sich weiter auf ihre Einwendungen im Schriftsatz vom 7. Januar 2008 bezogen, welche zu einer Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen im Termin der mündlichen Verhandlung vom 12. März 2008 geführt haben (vgl. GA Bd. III Bl. 146 ff.).

Mit diesen ergänzenden Beweiserhebungen der Kammer, die auch Niederschlag im angefochtenen Urteil gefunden haben und dort z.T. zitiert werden, hat sich die Beklagte nicht auseinandergesetzt.

6.2. Die Einwendungen der Beklagten sind jedenfalls offensichtlich unbegründet.

Die Zahl der Mastdurchgänge pro Produktionsjahr, die die Kammer ihrer Schätzung zugrunde gelegt hat, ist problemlos nachvollziehbar. Der gerichtliche Sachverständige hat angegeben, dass die Mastperioden den statistischen Werten entsprechen und die angesetzten Reinigungsperioden eher zu großzügig bemessen sind. Substantiierte Einwendungen hiergegen hat die Beklagte nicht mehr vorgebracht.

Die durchschnittlichen Finanzierungskosten der Klägerin bei einer statistischen Finanzierungsdauer von 23,4 Jahren hat der gerichtliche Sachverständige nachvollziehbar ermittelt und kontrolliert. Das Gericht ist bei seiner Schätzung nicht daran gebunden, dass die Klägerin selbst höhere jährliche Finanzierungskosten - hier 8,5 % statt 6 % - angegeben hatte; dies kann z. Bsp. darauf beruhen, dass sie nicht von der statistischen Finanzierungsdauer, sondern von einem kürzeren Finanzierungszeitraum ausgegangen ist. Ausreichend ist im Rahmen der Anforderungen des § 287 ZPO, dass die Prognose des Gerichts realistisch ist. Insoweit ist anzuführen, dass der gerichtliche Sachverständige die Grundlagen seiner Ermittlung der fiktiven Finanzierungskosten ausführlich aufgeführt hat und diese Darstellung in sich schlüssig ist. Allein der Umstand, dass die Klägerin von ihrer Hausbank eine Zusage für umfangreichere Gesamtkreditmittel erhalten hat, stellt diese Schätzungen nicht in Frage, weil die Zusage nichts über den Umfang der fiktiv in Anspruch genommenen Finanzierungsmittel aussagt.

7. Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Verzinsung der Hauptforderung ab deren Rechtshängigkeit nach §§ 291, 288 BGB. Der Anspruch besteht entgegen der Auffassung der Kammer jedoch nur in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes des § 288 Abs.1 Satz 2 BGB, d.h. in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. Die Vorschrift des § 288 Abs. 2 BGB, die einen höheren Zinssatz für bestimmte Rechtsgeschäftevorsieht, ist nicht anwendbar. Sie kommt zwar von ihrem persönlichen Anwendungsbereich her in Betracht, ist sachlich aber beschränkt auf Entgeltforderungen. Darunter versteht das Gesetz regelmäßig nur Geldforderungen aus Austauschverhältnissen, jedenfalls nicht deliktische Ansprüche auf Schadenersatz (vgl. nur J. Hager in: Erman, BGB, 12. Auflage 2008, § 286 Rn. 52; und Schulte-Nölke in: Anwaltskommentar z. BGB, § 286 Rn. 46 f., jeweils m.w.N.).

III.

1. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Zuvielforderung der Klägerin im Bereich der Nebenforderung hat keine höheren Prozesskosten verursacht.

2. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 8 EGZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 713 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Die Festsetzung des Kostenwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück