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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 27.10.2003
Aktenzeichen: 1 U 58/03
Rechtsgebiete: ZPO, SachenRBerG, StrG-LSA, StrVO-DDR, BGB


Vorschriften:

ZPO § 540 Abs. 2
ZPO § 313 a Abs. 1 Satz 1
SachenRBerG § 1
SachenRBerG § 116 Abs. 1
StrG-LSA § 51 Abs. 4 Satz 1
StrVO-DDR § 3 Abs. 2 Satz 1
BGB § 1004
1. Ein Anspruch auf Bewilligung einer privaten Grunddienstbarkeit für ein gewohnheitsrechtliches Nutzungsrecht an einer Straße besteht nicht, wenn es sich um eine der öffentlichen Nutzung gewidmete Straße handelt.

2. Zur Vermutung der öffentlichen Widmung einer Straße nach den Grundsätzen der "unvordenklichen Verjährung".


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 58/03 OLG Naumburg

verkündet am: 27.10.2003

In dem Rechtsstreit

...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Zink sowie die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm auf die mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das am 16.05.2003 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Halle wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer der Kläger übersteigt 20.000,00 EUR nicht.

Gründe:

I.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Die Kläger haben keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung der erstinstanzlichen Kosten der Verfahren 96 C 7833/99, 97 C 7834/99 und 98 C 7835/99 des Amtsgerichts Halle/Saalkreis, denn die Entstehung dieser Kostenlast beruht nicht auf einem Fehler des Beklagten, sondern auf falschen Entscheidungen des Amtsgerichts. Dass der Beklagte den Klägern, die er damals in erster Instanz vertreten hat, nicht zu einem Anerkenntnis der gegen sie gerichteten Forderungen geraten hat, war richtig, da die gegen die hiesigen Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Bewilligung von Grunddienstbarkeiten nicht bestanden.

1. Ein Anspruch auf Bewilligung einer Grunddienstbarkeit nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG kommt nicht in Betracht. Eine unmittelbare Anwendung der Regelungen dieses Gesetzes schied ohnehin aus, da kein Fall des § 1 SachenRBerG vorlag. Aber auch eine analoge Anwendung der Vorschriften des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes wäre nicht in Betracht gekommen, wie die Kläger selbst einräumen. Die Regelungen des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes, das der Überführung DDR-spezifischer Rechtsgestaltungen in das heute geltende Zivilrecht dient, treffen auch nach Sinn und Zweck auf die im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Rechtsverhältnisse nicht zu. Denn die zugrunde liegende Konstellation ergab sich nicht aus den besonderen rechtlichen Bedingungen in der DDR, sondern bestand schon zuvor und ist auch in den alten Bundesländern anzutreffen.

2. Ob die tatsächlichen Voraussetzungen für ein gewohnheitsrechtliches Nutzungsrecht an der Straße aufgrund des Rechtsinstituts der "unvordenklichen Verjährung" vorliegen, wie die Kläger meinen, kann letztlich offen bleiben. Denn wenn man insoweit das Vorbringen der Kläger als wahr unterstellt, hätten die Anlieger erst recht keinen Anspruch auf Eintragung einer Grunddienstbarkeit gehabt, weil es sich um eine öffentliche Straße handelte.

a) Nach den Grundsätzen der "unvordenklichen Verjährung" kann sich nicht nur ein individuelles dingliches Wegerecht ergeben (vgl. z. B. OLG Frankfurt, OLGZ 1989, 88 ff), sondern auch eine Vermutung der Widmung als öffentliche Straße. Maßgeblich sind die vorgebrachten tatsächlichen Umstände.

aa) Gemäß § 51 Abs. 4 Satz 1 StrG-LSA bleiben alle Straßen, die nach bisherigem Recht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße besaßen, öffentliche Straßen im Sinne des Gesetzes. Bei der Prüfung, ob eine Straße nach bisherigem Recht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße besitzt, ist jeweils für den maßgebenden historischen Zeitpunkt zu ermitteln, welche Anforderungen nach damals geltendem Recht zu erfüllen waren. Denn es handelt sich hier um abgeschlossene Rechtsverhältnisse, die nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts nach den seinerzeit geltenden Rechtsvorschriften unter Berücksichtigung der seinerzeitigen Rechtspraxis zu beurteilen sind (vgl. Sauthoff, Alte Straßen in neuen Ländern, LKV 1998, 472, 473 m. w. N.).

bb) Die Vermutung einer Widmung besteht, wenn ein Weg seit Menschengedenken als öffentlicher Weg tatsächlich besteht und im Bewusstsein der Ausübung eines öffentlichen Rechts begangen bzw. benutzt worden ist. Dabei muss das Recht seit 40 Jahren - zurückgerechnet vom Inkrafttreten des ersten Straßengesetzes - ständig ausgeübt worden sein. Darüber hinaus darf eine gegenteilige Erinnerung aus den vorangegangenen 40 Jahren nicht bestehen (vgl. zu den Voraussetzungen OVG Magdeburg, Urt. v. 09.04.1997, A 4 S 5/97, LKV 1998, 278; OLG München, OLGZ 1990, 100 ff; VGH Mannheim, Beschl. v. 03.10.1983, 5 S 2143/82, BWGZ 1984, 477).

cc) Dem steht auch das vor Inkrafttreten des StrG-LSA geltende Recht nicht entgegen. Für bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Straßenverordnung 1957 am 31.07.1957 bestehende kommunale Straßen galt § 3 Abs. 2 Satz 1 StrVO-DDR 1957. Danach sind kommunale Straßen (und Wege) öffentlich, wenn bisher ihrer Benutzung durch die Verkehrsteilnehmer seitens der Rechtsträger bzw. Eigentümer nicht widersprochen wurde. Das entscheidende Indiz für die Öffentlichkeit einer Straße war danach deren öffentliche Nutzung (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss v. 13.02.2002, 1 L 151/00, LKV 2003, 143 ff; Zörner, Alte Straßen in den neuen Bundesländern im Spiegel der Rechtsprechung, LKV 2000, 526, 527; Wiese, "Rückständiger Grunderwerb, GuG 1998, 1, 2 f. m. w. N.). Maßgeblich für die Abgrenzung öffentlicher Straßen von nicht öffentlichen Straßen war das Recht der Rechtsträger oder Eigentümer der nicht öffentlichen Straßen, entscheiden zu können, von wem und zu welchem Zweck die Straße genutzt wurde (Zörner, a. a. O.).

b) Die Kläger tragen vor, dass ihr Grundstück von den Anliegern nunmehr seit über 100 Jahren genutzt werde und die Gemeinde das Grundstück als Straßenfläche behandelt und diesbezüglich sogar die Pflichten des Straßenbaulastträgers übernommen habe, so dass im Ergebnis von einer Widmung als öffentliche Straße auszugehen sei. Nicht nur die Anlieger hätten die Straße als Zuwegung benutzt, sondern jedermann sei davon ausgegangen, dass es sich um einen öffentlichen Weg handele.

c) Nach dieser Darstellung der Kläger liegt also entweder eine öffentliche Straße gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 StrVO-DDR 1957 vor oder zumindest eine Widmungsvermutung nach den Grundsätzen der "unvordenklichen Verjährung". Wird aber ein Weg oder eine Straße seit "unvordenklicher Zeit" von jedermann wie ein öffentlicher Weg benutzt, so hat das streitige Straßenstück den Charakter eines öffentlichen Weges im Rechtssinne (vgl. OVG Magdeburg, a. a. O.; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 01.08.2002, 7 B 892/02, zitiert nach JURIS). An einem solchen Grundstück kann keine privatrechtliche Grunddienstbarkeit eingeräumt werden, die inhaltlich der Nutzung als öffentliche Straße entspricht, weil es schon eine öffentlich-rechtliche Nutzungsberechtigung zum Gehen und Fahren für jedermann gibt (vgl. arg. ex BGH, MDR 1996, 1292 f.). Dabei kommt es nicht darauf an, wer Eigentümer des Straßengrundstücks ist. Das Recht der Anlieger eines öffentlichen Weges, das Straßengrundstück als öffentlichen Straßenraum zu nutzen (§§ 14 Abs. 1, 22 StrG-LSA), kann nicht ins Grundbuch eingetragen werden. Im Zivilrechtswege können sie allenfalls etwaige Zugangsbehinderungen in entsprechender Anwendung des § 1004 BGB abwehren (vgl. BGH, NJW 1998, 2058 ff.).

d) In den amtsgerichtlichen Verfahren, die dem hiesigen Rechtsstreit zu Grunde liegen, war daher die Einräumung einer Grunddienstbarkeit an der öffentlichen Straße von Rechts wegen ausgeschlossen und im Übrigen auch nicht erforderlich.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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