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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 18.06.2002
Aktenzeichen: 1 U 73/00
Rechtsgebiete: BGB, EGBGB, ZGB, ZGB-DDR, EGZPO, ZPO


Vorschriften:

BGB § 203
BGB § 291
BGB § 288
BGB § 847
BGB § 847 Abs. 1
BGB § 852 Abs. 1
BGB § 852 Abs. 2
EGBGB § 1
EGBGB § 10
ZGB § 92
ZGB § 336
ZGB § 337
ZGB § 330
ZGB § 11 Abs. 3
ZGB § 331 S. 1
ZGB § 330 Abs. 1
ZGB § 338 Abs. 1
ZGB § 338 Abs. 3
ZGB § 474 Abs. 1 Nr. 3
ZGB-DDR § 338 Abs. 3
EGZPO § 26 Nr. 7
ZPO § 203
ZPO § 543
ZPO § 711 S. 1
ZPO § 711 S. 2
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 543 Abs. 2 n.F.
1. Zur Bemessung eines Ausgleichsanspruchs nach § 338 Abs. 3 ZGB-DDR (hier: 200.000 EURO zzgl. monatl. Geldrente 950 EURO)

1.1. § 338 Abs. 3 ZGB der DDR unterscheidet sich von § 847 Abs. 1 BGB insoweit, als eine Genugtuungsfunktion, wie sie § 847 BGB inne wohnt, § 338 Abs. 3 ZGB fremd ist. Dementsprechend ist der Grad des Verschuldens des Schädigers ebenso wie die wirtschaftlichen Verhältnisse von Schädiger und Geschädigten für die Bemessung des Ausgleichsanspruchs bedeutungslos.

1.2. Es ist nicht an der Spruchpraxis der früheren DDR-Gerichte haften zu bleiben. Vielmehr bedarf der Ausgleichsbetrag einer Anhebung, die der Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse entspricht, die im Lebensbereich des Geschädigten zwischen dem Zeitpunkt der Schädigung und dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung eingetreten sind.

2. Zur Hemmung der Anspruchsverjährung nach § 852 Abs. 2 BGB.

2.1. Der Träger eines Krankenhauses muss sich das Verhalten der Versicherung, hier deren Einverständnis mit der Einschaltung der ärztlichen Schlichtungsstelle zurechnen lassen, ohne dass es darauf ankäme, ob er Kenntnis von der Durchführung des Schlichtungsverfahrens hatte oder nicht.

2.2. Um eine Benachteiligung der bedürftigen Partei zu vermeiden, was bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist, ist der Eingang eines ordnungsgemäß begründeten und vollständigen PKH-Gesuchs geeignet, eine Hemmung der Verjährung nach § 203 ZPO herbeizuführen. Für die Ordnungsgemäßheit eines Prozesskostenhilfegesuches muss es dabei ausreichen, wenn ein Gericht, ohne weitere Unterlagen nachzufordern, anhand der eingereichten Unterlagen die Bedürftigkeit bejaht.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 73/00 OLG Naumburg

verkündet am: 18.06.2002

In dem Rechtsstreit

...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 03. Juni 2002 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Zink und die Richter am Oberlandesgericht Geib und Wiedemann

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 17. Juli 2000 verkündete Urteil des Landgerichts Halle unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger 14.006,78 Euro nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 24.02.1999 zu zahlen.

Der Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 200.000,00 Euro nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 24.02.1999 zu zahlen.

Der Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger für die Monate März 1999 bis einschließlich Juni 2002 rückständige Schmerzensgeldrente in Höhe von insgesamt 38.000 Euro (40 Monate x 950 Euro pro Monat) sowie ab Juli 2002 eine laufende monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 950,00 Euro zu zahlen. Die Zahlungen haben jeweils vierteljährlich im Voraus zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli sowie 1. Oktober eines jeden Jahres zu erfolgen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger jeden weiteren materiellen Schaden, der diesem in Zukunft aus der fehlerhaften ärztlichen Behandlung im Kreiskrankenhaus Z. in der Zeit vom 03. Februar 1990 bis zum 04. Februar 1990 entstehen wird, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Kläger und der Beklagte zu 1) jeweils zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) trägt dieser selbst. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten zu 1) wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte zu 2) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,00 Euro abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zu 2) vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer des Klägers sowie des Beklagten zu 1) übersteigt jeweils 20.000,00 Euro.

und beschlossen:

Der Streitwert für die Gebührenberechnung im Berufungsverfahren beträgt 314.006,78 Euro, wobei neben den bezifferten Beträgen die künftige Schmerzensgeldrente mit 57.000 Euro (§ 17 Abs. 2 S. 1 GKG) und der Feststellungsantrag mit 5.000,00 Euro anzusetzen waren.

Tatbestand:

Der am 13.05.1988 geborene Kläger nimmt die Beklagte zu 2) als behandelnde Ärztin und den Beklagten zu 1) als Träger des Kreiskrankenhauses Z. im Wege der Arzthaftung auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch, nachdem er infolge eines Atem- und Kreislaufstillstandes in der Nacht vom 03. auf den 04.02.1990 schwerste Hirnschäden erlitten hat.

Der damals noch nicht ganz zwei Jahre alte Kläger litt vom 15.01.1990 bis zum 29.01.1990 unter einer Erkältung, die mit Husten- und Nasentropfen behandelt wurde. Am 29.01.1990 wies er keine entsprechenden Symptome mehr auf. Am Abend des 02. Februar 1990 bekam er allerdings erneut wieder nur sehr schwer Luft, weshalb seine Eltern ihn am Vormittag des 03.02.1990 bei der Beklagten zu 2) vorstellten. Diese war zum damaligen Zeitpunkt in der Poliklinik Z. angestellt. Nach Untersuchung des Klägers diagnostizierte sie "Pseudo-Krupp" und ordnete eine ambulante Behandlung mit Medikamenten an. Sie wies die Eltern des Klägers darauf hin, dass sie diesen für den Fall, dass sich sein Zustand bis zum Abend nicht bessere, im Kreiskrankenhaus Z. vorstellen sollten. Dort tat sie an diesem Abend Dienst, wozu sie als Angestellte der Poliklinik Z. einmal pro Woche verpflichtet war.

Am Nachmittag des gleichen Tages - wieder zu Hause - litt der Kläger an schwerer Atemnot. Seine Eltern brachten ihn deshalb erneut in das Kreiskrankenhaus. Die Beklagte zu 2) untersuchte den Kläger wiederum körperlich und mittels eines Stethoskops. Bildgebende Untersuchungsmethoden oder die Erhebung von Laborbefunden veranlasste sie nicht. Die Beklagte zu 2) ordnete sodann seine Unterbringung auf der Kinderstation an, wo er mit Prednisolon, Berlocombin, Prothacin, Adrenalin-Inhalationen und Cordicoiden behandelt wurde. Der Kläger lag in seinem Zimmer allein, was die Beklagte zu 2) im Hinblick darauf veranlasste, dass in der von ihm besuchten Kinderkrippe eine Kinderkrankheit aufgetreten war.

Der Zustand des Klägers zwischen der Einlieferung ins Krankenhaus und dem schadensbegründenden Ereignis ist zwischen den Parteien streitig. Die Beklagten haben insoweit behauptet, weder zum Zeitpunkt der Einweisung des Klägers in das Krankenhaus noch in der Nacht habe bis zu dem Atemstillstand ein lebensbedrohlicher Zustand vorgelegen. Eine besondere Überwachung sei daher nicht notwendig gewesen. Die Zeugin W. als diensthabende Nachtschwester habe - wie von ihr protokolliert - alle 20 Minuten nach dem Kläger gesehen. Dabei habe der Kläger nicht etwa nach Atem gerungen, sondern ruhig geschlafen. Gegen 23.00 Uhr habe er einmal im Bett gestanden. Eine Inhalation, welche die Zeugin W. mit dem Kläger durchgeführt habe, sei problemlos erfolgt.

Unstreitig erlitt der Kläger am 04.02.1990 zwischen 01.15 Uhr und 01.20 Uhr zumindest einen Atem- und Herzstillstand. Nachdem die Zeugin W. dies bemerkte, führte das Krankenhauspersonal Reanimationsmaßnahmen durch, die insoweit Erfolg hatten, als der Kläger überlebte. Als Folge des Herz- und Atemstillstandes trug er allerdings schwerste Hirnschäden davon. Der Kläger kann - bis heute - weder laufen, sehen, noch sprechen. Er ist spastisch gelähmt und zu 100 % schwerstbehindert. Er muss gewickelt, gefüttert und rund um die Uhr betreut werden. Der Kläger saß bei den Verhandlungen des Senats jeweils völlig teilnahmslos im Rollstuhl. Eine Besserung des Zustandes ist nicht zu erwarten.

Am 25.10.1990 fand auf Einladung des Amtsarztes eine Aussprache mit den Eltern des Klägers über den Vorfall statt. Das Kreiskrankenhaus Z. hielt in einem Schreiben vom 19.04.1991 (GA Bd. 2 Bl. 70) fest, dass bei dieser Aussprache, an der neben den Eltern des Klägers und der Beklagten zu 2) auch der Ärztliche Direktor und zwei Chefärzte des Kreiskrankenhauses Z. teilnahmen, verabredet wurde, "alle Behandlungsunterlagen zur Erstellung eines unabhängigen Gutachtens ... an den Bezirksgutachter Halle, Herrn OMR Dr. G. " zu übersenden. Auf eine "Gutachtenanforderung des Herrn OMR Dr. sc. med G. " erstellte der Direktor der Kinderklinik der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg, Herr Prof Dr. sc. med R. gemeinsam mit dem Kinder- und Nervenfacharzt Dr. Gl. am 10. April 1991 ein entsprechendes Gutachten (GA Bd. 1 Bl. 81 ff) und übersendete es an die (später mit der A. AG verschmolzene) "D. ", die im Auftrag der Staatlichen Versicherung der DDR in Abwicklung Versicherer des Kreiskrankenhauses Z. war (im Folgenden nur "Versicherung" genannt). Diese lehnte mit an die Eltern des Klägers gerichtetem Schreiben vom 23. April 1991 (Gerichtsakte Bd. II Bl. 42) ab, eine "Regulierung Ihrer Ersatzansprüchen" vorzunehmen.

Mit Schreiben vom 26. September 1991 (GA Bd. 2 Bl. 43) wandten sich die vorgerichtlich für den Kläger tätigen Rechtsanwälte Dr. R. und Partner an die Versicherung. Sie teilten dieser mit, dass sie beabsichtigten, "Klage wegen Schadensverursachung durch Behandlungsfehler zu erheben" und baten die Versicherung mitzuteilen, ob das Kreiskrankenhaus Z. noch bei ihr versichert sei, was diese mit Schreiben vom 07.10.1991 (Gerichtsakte Bd. II Bl. 93) - für den Schadenszeitpunkt - bejahte. In gleichem Schreiben wies sie die Rechtsanwälte des Klägers darauf hin, dass diese, sofern sie Einsicht "in die Gutachten" wünschten, sich mit ihrem Anliegen an ihre Kreisdirektion W. wenden sollten. Mit weiterem Schreiben vom 11.11.1991 (GA Bd. 1 Bl. 80) übersandte die Versicherung an den Rechtsanwalt des Klägers eine "Kopie des ärztlichen Gutachtens". Für den Fall, dass der Kläger seine "Ansprüche aufrechterhalten", bat die Versicherung "um die Herreichung eines Gegengutachtens".

Schließlich wandte sich die Ärztekammer Sachsen-Anhalt mit Schreiben vom 14.10.1992 (Gerichtsakte Bd. II Bl. 95) an die Versicherung und teilte mit, dass die Rechtsanwälte des Klägers darum gebeten hätten, ein Schlichtungsverfahren durchzuführen. Die Ärztekammer forderte die Versicherung auf, mitzuteilen, ob diese daran interessiert sei, ein Verfahren vor der Gutachterkommission der Ärztekammer Sachsen-Anhalt durchzuführen oder ob sie den Anwälten nahelegen sollte, unmittelbar den geltend gemachten Schadensersatzanspruch einzuklagen. Die Versicherung antwortete hierauf mit Schreiben vom 04.11.1992 (Gerichtsakte Bd. II Bl. 96), worin sie ausführte, sie sei "zur Klärung des Sachverhaltes ... bereit, einem Schlichtungsverfahren zuzustimmen".

Das Schlichtungsverfahren dauerte bis zum 03.03.1997 an. Nach Einholung eines Gutachtens durch den Chefarzt der Kinderabteilung "Albert Schweitzer" des Kreiskrankenhauses G. vom 11.03.1996 (Gerichtsakte Bl. 110 Bd. I), welches am 12.06.1996 ergänzt wurde (Gerichtsakte Bd. I Bl. 112), lehnte die Ärztekammer Sachsen-Anhalt mit "Schlussvotum" vom 03. März 1997 (Gerichtsakte Bd. I Bl. 85 f.) einen "zur Entschädigung verpflichtenden Behandlungsfehler" ab.

Mit am 30. Januar 1998 eingegangenem Schriftsatz beantragte der Kläger Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung, welche zunächst mit Beschluss des Landgerichts Halle vom 02.07.1998 (Gerichtsakte Bd. I Bl. 114) versagt wurde. Gegen den am 03.08.1998 zugestellten Beschluss (Gerichtsakte Bd. I Bl. 113) richtete sich die am 14.08.1998 eingegangene Beschwerde (Gerichtsakte Bd. I Bl. 127), auf die durch Beschluss des Senates vom 18.12.1998 Prozesskostenhilfe bewilligt wurde. Nachdem das Landgericht mit dem ihm vorbehaltenen Beschluss vom 12.02.1999 feststellte, dass der Kläger keine Raten zu zahlen hat, erfolgte am 24.02.1999 die Zustellung der Klage an den Beklagten zu 1) (Gerichtsakte Bd. I Bl. 146).

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, die Beklagte zu 2) habe trotz Anzeichen einer schweren Erkrankung keine Maßnahmen zur Überwachung seines Gesundheitszustandes vorgenommen, obwohl die lebensbedrohliche Situation spätestens am Abend des 03.02.1990 erkennbar gewesen sei. Sie habe es insbesondere unterlassen, eine Sitzwache zu organisieren, obwohl sie dies dem Vater des Klägers versprochen habe. Zwischen 0.00 und 01.15 Uhr sei er, der Kläger, mindestens 75 Minuten lang vollkommen unbeobachtet allein gelassen worden. Die im Nachhinein erfolgte Eintragung, man habe ihn "alle 20 Minuten beobachtet" sei falsch; die Protokollierung sei erkennbar lückenhaft und unvollständig.

Die Beklagten erheben - was unstreitig ist - die Einrede der Verjährung und bestreiten das Vorliegen von Behandlungsfehlern. Die Diagnose der Beklagten "Pseudo-Krupp" sei korrekt gewesen und indiziere keine anderen Behandlungsmaßnahmen als die, welche von der Beklagten zu 2) veranlasst worden seien.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Gerichtsakte Bd. I Bl. 152 ff.) verwiesen.

Das Landgericht hat durch Vernehmung der Zeugin W. sowie durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens Beweis erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.08.1998 (Gerichtsakte Bd. II Bl. 71 ff) sowie das Gutachten des Chefarztes der Klinik für Kinderheilkunde des Städtischen Krankenhauses Martha-Maria Halle-Döhlau, Dr. L. , vom 19.03.2000 (Gerichtsakte Bd. II Bl. 114 ff.) verwiesen.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 17.07.2000 die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme der Kläger alle 20 Minuten überwacht worden sei, wie sich aus der Aussage der Zeugin W. ergebe. Nach dem Inhalt des durch den Sachverständigen Dr. L. erstatteten Gutachtens sei der Zustand des Kindes bei Einlieferung nicht erkennbar lebensbedrohlich gewesen. Die Diagnose Pseudo-Krupp, Schweregrad 2, entspreche den Krankheitserscheinungen. Bei diesem Schweregrad sei eine intensiv-medizinische Behandlung und Überwachung unter Berücksichtigung der vorliegenden Symptome nicht erforderlich gewesen.

Der Behauptung des Klägers, die Beklagte zu 2) habe eine Sitzwache versprochen, ist das Landgericht nicht nachgegangen, da es der Auffassung war, dies stehe im Widerspruch zu dem bisherigen Vortrag; im Übrigen sei hierfür kein taugliches Beweismittel angeboten worden, da eine Parteivernehmung der Eltern des Klägers nicht in Betracht komme.

Der Kläger hat gegen das ihm am 24. Juli 2000 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 22.08.2000, eingegangen am 24.08.2000 Berufung eingelegt (Gerichtsakte Bd. III Bl. 1) und mit am 22.09.2000 eingegangenem Schriftsatz vom 19.09.2000 begründet.

Er rügt, dass die erstinstanzliche Beweisaufnahme unzureichend gewesen sei. So hätte die Vernehmung der Zeugin W. in Anwesenheit des Sachverständigen erfolgen müssen; im Übrigen wäre eine Anhörung des Sachverständigen geboten gewesen, um zu klären, ob die Diagnose Pseudo-Krupp angesichts einer fehlenden Dokumentation des Hustens zutreffend sei oder andere Erkrankungen (Epiglottitis, eitrige Bronchitis) hätten in Betracht gezogen werden müssen. Weiterhin sei zu klären, ob bei einer Beobachtung in einem Intervall von 20 Minuten nicht eine Verschlechterung des Klägers hätte auffallen müssen. Schließlich sei auch zu fragen, ob nicht eine Sitzwache auch bei einem Pseudo-Krupp der Stufe 2 obligatorisch gewesen wäre.

Der Kläger trägt in der Berufung ergänzend zu seinem Gesundheitszustand am 03.02.1990 vor. Schon am Morgen habe seine Temperatur über 38 oC betragen, es habe ein deutlicher Stridor vorgelegen, allerdings kein Husten. Im Laufe des Tages sei die Temperatur auf 40 oC gestiegen. Der Stridor sei kontinuierlich gewesen. Zum Zeitpunkt der Einlieferung in das Krankenhaus sei er, der Kläger, apathisch und nicht mehr ansprechbar, also quasi bewusstlos gewesen. Der Kläger wiederholt seine Behauptung, die Beklagte zu 2) habe gegenüber dem Vater des Klägers eine Sitzwache versprochen.

Der Kläger beantragt,

1. unter Aufhebung des Urteils des Landgerichtes Halle vom 17. Juli 2000, 8 O 47/98, die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger 27.394,89 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 300.000,00 DM nicht unterschreiten sollte, nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger eine monatliche Schmerzensgeldrente, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 600,00 DM monatlich nicht unterschreiten sollte, beginnend ab dem auf die Rechtshängigkeit folgenden Monat, jeweils vierteljährlich im voraus zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli sowie 1. Oktober eines jeden Jahres zu zahlen;

4. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner dem Kläger weitere materielle Schäden, welche ihm in Zukunft aus dem schädigenden Ereignis in Form der fehlerhaften ärztlichen Behandlung in der Zeit vom 03. Februar 1990 bis 04. Februar 1990 entstehen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstiger Dritter übergegangen sind.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten tragen vor, dass das Gutachten des Sachverständigen Dr. L. zutreffend sei. Die Ursachen des Herzstillstandes seien letztlich nicht mehr aufzuklären. Sie bestreiten den behaupteten Zustand des Klägers zum Zeitpunkt der Einlieferung. Dieser sei nicht bewusstlos gewesen. Die Temperatur, die um 15.20 Uhr noch 40 oC betragen habe, sei durch Gabe fiebersenkender Medikamente gesunken und habe zum Zeitpunkt der Einlieferung nur noch 38,3 oC betragen.

Der Senat hat gemäß Beweisbeschluss vom 08.02.2001 in der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2001 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen O. und W. sowie durch sachverständige Erläuterung des erstinstanzlichen Gutachtens. Der Senat hat die Beklagte zu 2) informatorisch angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2001 (Gerichtsakte Bd. III Bl. 100 ff.) verwiesen. Mit Beschluss vom gleichen Tage (Gerichtsakte Bd. III Bl. 119) hat der Senat die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens angeordnet. Hinsichtlich des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. F. vom 22.02.2002 (Gerichtsakte Bd. V Bl. 3 ff.) verwiesen. Auf Grund weiteren Beweisbeschlusses vom 09.04.2002 hat der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 03.06.2002 weiter Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin S. Sch. sowie durch nochmalige - nunmehr eidliche - Vernehmung der Zeuginnen W. und O. in Anwesenheit des vom Senat bestellten Gutachters Prof. Dr. F. . Dieser hat sodann sein Gutachten unter Berücksichtigung der Vorgaben und Ergebnisse der Zeugenvernehmung mündlich erläutert. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 03.06.2002 (Gerichtsakte Bd. V Bl. 65 ff.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und wurde insbesondere frist- und formgerecht eingelegt. Sie hat in der Sache Erfolg, soweit er die Verurteilung des Beklagten zu 1) begehrt (unten 1.). In Ansehung der Beklagten zu 2) war die Berufung dagegen zurückzuweisen (unten 2.).

1. Der Kläger hat gegen den Beklagten zu 1) einen Anspruch auf Zahlung der zuerkannten materiellen und immateriellen Ansprüche aus §§ 92, 330 Abs. 1, 336, 337, 338 Abs. 1, 3 ZGB, sowie der zuerkannten Prozesszinsen [§§ 291, 288 BGB in der vor dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.03.2000 (Bundesgesetzblatt I S. 330) geltenden Fassung, vgl. EGBGB Art. 229 Abs. 1 S. 3]. Da weitere materielle Schäden angesichts des Gesundheitszustandes des Klägers mit Sicherheit zu erwarten sind, hat dieser auch ein Interesse daran, dass festgestellt wird, dass der Beklagte zu 1) zum Ersatz derselben verpflichtet ist.

1.1. Auf das vorliegende Rechtsverhältnis sind die Vorschriften der §§ 92, 330 ff. ZGB der DDR (im Folgenden: ZGB) anzuwenden. Nach Art. 232 § 1 EGBGB bleibt für ein Schuldverhältnis, das vor dem Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland am 03. Oktober 1990 entstanden ist, das bisherige für das in Art. 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet geltende Recht maßgebend. In Art. 232 § 10 EGBGB ist zudem bestimmt, dass die §§ 823 bis 853 BGB nur auf Handlungen anzuwenden sind, die am Tag des Wirksamwerdens des Beitritts oder danach begangen worden sind. Für den streitgegenständlichen Anspruch, der am 03. bzw. 04.02.1990 entstanden ist und sich im Beitrittsgebiet ereignete, bleibt es daher bei der Maßgeblichkeit des Zivilgesetzbuches der DDR (vgl. BGH VersR 1995, 973; BGHZ 123, 65 <67ff>).

1.2. Die Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch sowie einen Ausgleichsanspruch nach §§ 92, 330, 338 Abs. 3 ZGB liegen vor. Der Beklagte zu 1) ist als Träger des Kreiskrankenhauses Z. zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den dieser "Betrieb" dem Kläger unter Verletzung der ihm obliegenden Pflichten rechtswidrig zugefügt hat.

1.2.1. Das Kreiskrankenhaus Z. ist als Betrieb im Sinne des § 330 ZGB anzusehen; gem. § 11 Abs. 3 ZGB gelten die Bestimmungen für Betriebe auch für staatliche Organe und rechtlich selbstständige staatliche Einrichtungen, soweit sie zivilrechtliche Beziehungen eingehen. Als staatliche Einrichtung in diesem Sinne kommen insbesondere Krankenhäuser in Betracht (vgl. Kollektivkommentar zum Zivilgesetzbuch, 1983, § 12 Anmerkung 3).

1.2.2. Mit der Einlieferung des Klägers in das Kreiskrankenhaus Z. oblag diesem die Pflicht, den Kläger durch fachgerechte ärztliche und pflegerische Behandlung und Betreuung vor Gesundheitsschäden zu bewahren. Diese Pflicht hat die für das Kreiskrankenhaus Z. handelnde Beklagte zu 2) rechtswidrig und schuldhaft verletzt, was diesem - und damit dem Beklagten zu 1) - zuzurechnen ist (§ 331 S. 1 ZGB). Nach dem damaligen Stand der medizinischen Wissenschaft war für eine angemessene Versorgung des Klägers dessen intensivmedizinische Überwachung unabdingbar geboten. Die Beklagte zu 2) hat eine solche Versorgung nicht veranlasst - was angesichts der insoweit fehlenden Möglichkeiten im Kreiskrankenhaus Z. durch Überweisung des Klägers in ein dafür eingerichtetes Krankenhaus hätte erfolgen müssen - und so die Ursache dafür gesetzt, dass der Kläger durch einen Atem- und Kreislaufstillstand die bei ihm verbliebenen schwersten Hirnschäden davontrug. Im Einzelnen:

1.2.2.1. Der Sachverständige Prof. Dr. F. führt in seinem in jeder Hinsicht nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten vom 22. Februar 2002 aus, dass unter Berücksichtigung der ihm im Beweisbeschluss vom 13.03.2001 gemachten Vorgaben "in jedem Fall eine kontinuierliche intensivmedizinische Überwachung indiziert gewesen" ist (S. 18 des Gutachtens, Gerichtsakte Bd. V, Bl. 20). Dabei ist es unerheblich, welche Krankheit bei dem Kläger tatsächlich vorlag. Bei Vorliegen der von der Beklagten diagnostizierten Krankheit "Pseudokrupp" wäre diese im Hinblick auf die vorliegenden Symptome dem Schweregrad 3 zuzuordnen gewesen. Entsprechend den Empfehlungen der AG Bronchopneumologie der Gesellschaft der DDR war in diesem Falle eine Behandlung unter Intensivtherapiebedingungen erforderlich. Der Sachverständige geht allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass der Kläger nicht unter Pseudokrupp, sondern unter einer bakteriellen Tracheitis litt (vgl. S. 8 des Gutachtens, Gerichtsakte Bd. V, Bl. 10). Auch dies hätte indes eine intensivmedizinische Überwachung notwendig gemacht. Der Sachverständige hat dies in seiner Anhörung bestätigt. Er führte aus (S. 5 des Sitzungsprotokolls Gerichtsakte Bd. V, Bl. 69):

"Wenn man auf Grund der Zustandsbeschreibung der Frau O. von 15.00 Uhr und 17.00 Uhr die Verdachtsdiagnose Pseudokrupp für annehmbar erachtet, so wäre hier in diesem Fall von der Schwerestufe 3 auszugehen. Das heißt nichts anderes, als dass das Kind sofort auf die Intensivstation hätte verlegt werden müssen. M. E. hätte man aber auch an die Möglichkeit einer bakteriellen Tracheitis denken können und müssen. Dies hätte als Maßnahme wiederum die Einweisung auf die Intensivstation notwendig gemacht."

1.2.2.2. Der Senat hat keinerlei Zweifel an der Richtigkeit des von dem Sachverständigen Prof. Dr. F. erstatteten Gutachtens. Es steht auch nicht etwa in einem Widerspruch zu den bisher (gerichtlich und außergerichtlich) eingeholten Gutachten. Soweit der Beklagtenvertreter in seinem Schriftsatz vom 26.03.2002 ausführt, der Gutachter führe "eine weitere Diagnose in die Diskussion" ein, ist dies fehlerhaft und zeugt von einer unzureichenden Auseinandersetzung mit den sachverständigen Äußerungen. Der Sachverständige hat die in Betracht kommenden Erkrankungen eingehend dargestellt, beschrieben und den vorliegenden Fall daraufhin untersucht, inwieweit die aufgetretenen Symptome mit den jeweiligen Krankheitsbildern vereinbar sind. Er hat hierbei dem "viralen Krupp", die "bakterielle Tracheitis" sowie die "Epiglottitis" gegenübergestellt. Nichts anderes hat der vom Landgericht bestellte Gutachter Dr. L. getan, wenngleich er statt von Tracheitis von Trachiobronchitis sprach. Im Kern ändert dies nichts. Die wesentliche Gefährdung, die von dieser Erkrankung ausgeht, besteht darin, dass sich ein Schleimpfropf löst und zu einer spontanen Verlegung der Atemwege - und damit einer unmittelbar lebensbedrohlichen Situation - führen kann (vgl. die Anhörung des Sachverständigen L. durch den Senat, S. 7 des Sitzungsprotokolls vom 13.03.2001, Gerichtsakte Bd. III, Bl. 106). Hierdurch unterscheidet sich die Erkrankung von dem viralen Krupp, der zu einer allmählichen Verengung der Atemwege führt. Im Übrigen ist bereits in dem handschriftlichen Verlegungsbericht des Kreiskrankenhauses Z. an die Universitätskinderklinik Halle vom 04.02.1990, also unmittelbar nach dem Vorfall, vom Verdacht auf "Tracheitis Maligna" die Rede (vgl. Gerichtsakte Bd. II, Bl. 13). Von einer "weiteren Diagnose" kann daher keine Rede sein.

1.2.2.3. Allerdings kommt der Sachverständige Prof. Dr. F. zu einem gänzlich anderen Ergebnis als der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige Dr. L. (in dessen schriftlichem Gutachten) sowie die vorgerichtlich tätigen Gutachter, die allesamt einen ärztlichen Fehler verneinten. Dies ist allerdings nicht darauf zurückzuführen, dass Differenzen in der sachverständigen Einschätzung bestehen, sondern darauf, dass der Sachverständige Prof. Dr. F. - anders als die bisher tätig gewesenen Gutachter - seinen Ausführungen weitere Anknüpfungstatsachen zugrundelegen konnte, die den Vorgutachtern so nicht bekannt waren. Ihm standen, anders als den Vorgutachtern, nicht lediglich die (wenig ergiebigen) Patientenunterlagen zur Verfügung, sondern auch das vom Senat festgestellte und unter Berücksichtigung der sachverständigen Wertungen gewonnene Ergebnis der Zeugenvernehmung, namentlich der Vernehmung der Zeugin O. . Zwar konnte auch der bereits erstinstanzlich tätig gewesene Sachverständige Dr. L. die Erläuterung seines Gutachtens vor dem Senat bereits im Lichte der Aussage der Zeugin O. vornehmen. Er blieb jedoch dabei - nach dem Eindruck des Senats - nach wie vor in wesentlichen Punkten seinem erstinstanzlich erstatteten, schriftlichen Gutachten verhaftet, welches auf den oben genannten eingeschränkten Anknüpfungstatsachen beruhte. Dies, sowie darauf zurückführbare Widersprüche anlässlich der mündlichen Erläuterung des Gutachtens, veranlasste den Senat, einen weiteren Sachverständigen hinzuzuziehen.

1.2.2.4. Der Senat hält - entsprechend seinem Hinweis in der letzten mündlichen Verhandlung - daran fest, dass zum Zeitpunkt der Vorstellung des Klägers im Kreiskrankenhaus Z. der von der Zeugin O. beschriebene Zustand des Kindes gegeben war und dieser der sachverständigen Begutachtung zugrunde zu legen ist. Die Zeugin O. beschrieb diesen Zustand sowohl in ihrer Vernehmung am 13.03.2001 (vgl. das Sitzungsprotokoll Gerichtsakte Bd. II, Bl. 100) als auch bei ihrer Vernehmung am 03.06.2002 (vgl. das Sitzungsprotokoll Gerichtsakten Bd. V, Bl. 65 ff.) wie folgt: der Kläger sei bereits um 15.00 Uhr kraftlos und apathisch gewesen. Er habe nur dagesessen und die Arme hängen lassen und - infolge fehlender Kraft - nicht einmal mehr weinen können. Die Zeugin habe nur immer das pfeifende Atemgeräusch des Kindes gehört. Dieser Zustand habe sich bis zur Einlieferung in das Krankenhaus weiter verschlimmert. An dem Kind habe alles nur noch kraftlos heruntergehangen. Das pfeifende Geräusch sei stärker und schneller geworden; das Kind habe einfach immer weiter "abgebaut".

Der Senat hat an der Glaubwürdigkeit der Zeugin O. nicht den geringsten Zweifel, und das nicht nur, weil diese die Richtigkeit ihrer Aussage durch ihren Eid noch einmal zusätzlich bekräftigt hat. Trotz der verwandtschaftlichen Nähe und der - nachvollziehbaren - Erschütterung über das Schicksal des Jungen hatte der Senat nie den Eindruck, dass sie den Zustand unbewusst gravierend darstellt oder gar bewusst falsch wiedergibt. Die Aussage war detailreich; in Anbetracht der Schwere des Vorfalles ist dies auch nachvollziehbar, da es der Lebenserfahrung entspricht, dass sich die Zeugin - trotz des zwischenzeitlich vergangenen langen Zeitraums - an Details noch bestens erinnern kann. Auch unter Berücksichtigung der feststehenden medizinischen Fakten gibt es keinerlei Gesichtspunkte, welche die Darstellung aus medizinischer Sicht als zweifelhaft oder gar unrichtig ausweisen würde. Der Sachverständige führte in diesem Zusammenhang wörtlich aus, er könne "in der Aussage der Frau O. keinerlei medizinisch nicht haltbare Widersprüche erkennen". Die Angaben der Beklagten zu 2) in ihrer informatorischen Anhörung am 13.03.2001 geben dem Senat ebenfalls keinen Anlass, die Richtigkeit der Aussage O. in Zweifel zu ziehen. Zwar bestätigte die Beklagte zu 2) die Schilderung der Zeugin O. nicht etwa. Ihre Angaben sind jedoch - gerade im Hinblick auf die für medizinische Diagnose und Therapie so wichtige Beschreibung des Allgemeinzustandes - derart unscharf und unergiebig, dass der Senat ihnen keinen wesentlichen Erkenntniswert beimisst. So bekundete die Beklagte, sie habe keine Anzeichen für eine Zyanose festgestellt, schränkte dies jedoch unmittelbar darauf dahingehend ein, dass sie eine genaue Erinnerung, ob Zyanosemerkmale da gewesen sind, nicht mehr habe. Desweiteren bekundete sie, das Kind sei ihrer Erinnerung nach bei Bewusstsein gewesen, obwohl sie unmittelbar zuvor aussagte, zum Bewusstseinszustand nichts Genaueres mehr sagen zu können. Insgesamt verwundert es, dass die Aussage im Hinblick auf die medizinisch relevanten Fragen weitestgehend genauso unergiebig ist, wie die von der Beklagten zu 2) gefertigte Dokumentation, in der ebenfalls wichtige Anhaltspunkte zum Allgemeinzustand des Kindes fehlen. Andererseits verwundert auch, dass sie - im Gegensatz hierzu - noch mit Sicherheit meinte ausschließen zu können, dass eine Sitzwache versprochen worden sei.

Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Aufnahme auch nicht etwa eine Temperatur von lediglich 38,3° C, was der von der Zeugin beschriebenen Verschlechterung des Zustandes widersprechen würde. Die diesbezügliche Behauptung der Beklagten (S. 3 des Schriftsatzes vom 30.04.1999, GA Bd. I, Bl. 154) ist ausweislich des Krankenblattes (GA Bd. II Bl. 5) sowie des Verlegungsberichtes (GA Bd. II Bl. 13) unrichtig. Vielmehr lag die Temperatur bei 40° C.

Schließlich ist auch die - ebenfalls beeidete - Aussage der Zeugin W. , die bereits vor dem Landgericht und sodann zweifach von dem Senat vernommen wurde, nicht geeignet, die Richtigkeit der Aussage von Frau O. in Zweifel zu ziehen. Ein unmittelbarer Widerspruch beider Aussagen kann sich schon deshalb nicht ergeben, weil Frau W. das Kind erst Stunden nach der Zeugin O. wahrgenommen hat. Die Zeugin W. war als Nachtschwester tätig und konnte daher zu dem Zustand des Kindes bei Einlieferung keine Angaben machen. Soweit die Zeugin W. Umstände bekundete, die einen - zwischenzeitlich - deutlich gebesserten Gesundheitszustand des Kindes nahe legen, mag es dahinstehen, ob diese Angaben zutreffen. Der Sachverständige äußerte hieran jedenfalls insoweit Zweifel, als die Zeugin das problemlose Inhalieren des Kindes beschrieben hat. Dies erachtete der Sachverständige als "schwer nachvollziehbar", was dem Senat im Übrigen einleuchtet. Letztendlich lag jedoch nach Ausführung des Sachverständigen kein unüberbrückbarer Widerspruch zwischen dem von Frau O. und dem von Frau W. geschilderten Zustand des Kindes vor. Der Sachverständige führte - für den Senat ebenfalls nachvollziehbar - aus, dass derartige Krankheitsbilder, wie sie bei dem Kläger vorlagen, von einem Auf und Ab gekennzeichnet sind, welches es durchaus als möglich erscheinen lässt, dass nach der gravierenden Beeinträchtigung, die die Zeugin O. schilderte, eine Besserung wie von der Zeugin W. beschrieben, eingetreten ist, dann aber die Krankheit gleichwohl den bedauernswerten foudroyanten Verlauf genommen hat.

1.2.2.5. Die unterlassene intensivmedizinische Überwachung des Klägers war auch ursächlich für den bei diesem eingetretenen Gesundheitsschaden. Der Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass bei intensivmedizinischer Überwachung des Klägers der Eintritt des Atem- und Kreislaufstillstandes unverzüglich bemerkt worden wäre und entsprechende Rettungsmaßnahmen hätten eingeleitet werden können. Ungeachtet des bei derartigen Notfallmaßnahmen immer bestehenden Risikos ging der Sachverständige davon aus, dass mit großer Wahrscheinlichkeit eine Sauerstoffversorgung innerhalb der kritischen Zeit, bis zu der infolge der Unterversorgung des Gehirns bleibende Schäden auftreten, hätte erreicht werden können. Soweit der Sachverständige Einschränkungen machte, handelte es sich lediglich um das - Notfallmaßnahmen immer inhärente - Restrisiko, etwa in der Form, dass die Intubation nicht gelingt. Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen. Immerhin ist die Intubation auch nach dem tatsächlich eingetretenen Atemstillstand gelungen.

Verbleibende Zweifel an der Kausalität gingen im Übrigen ohnehin zu Lasten der Beklagten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass das von dem Sachverständigen als "grob fahrlässig" bzw. "unverantwortbar, d.h. grob fehlerhaft" (S. des Sitzungsprotokolls, GA Bd.V Bl. 75) eingeschätzte Unterlassen intensivmedizinischer Überwachung durch die Beklagte zu 2) einhergehend mit dem völligen Unterlassen weiterer, vom Sachverständigen als "unabdingbar erforderlich" angesehener Diagnosemaßnahmen (namentlich einer Blutgasanalyse) als ein Behandlungsfehler anzusehen ist, der eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln verstößt und aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Bei einem derartig groben Behandlungsfehler kommen dem Kläger Beweiserleichterungen - hier bis hin zur Beweislastumkehr - zugute (vgl. BGH NJW 1995, 778; 1996, 2428; 1997, 794 und 796; NJW 1998, 814, 1780 und 1782; Müller, DRiZ 2000, 259 <266>).

Die Kausalität der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden entfällt schließlich auch nicht deshalb, weil nach Aussage der Zeugin W. zwischenzeitlich eine Besserung des Zustandes eingetreten ist. Auch wenn die Schilderung zutrifft, hätte dies keinen Anlass gegeben, mitten in der Nacht von einer zuvor angeordneten intensivmedizinischen Überwachung Abstand zu nehmen. Auch dies hat der Sachverständige nachvollziehbar begründet: Gerade in Anbetracht des wechselhaften Verlaufs derartiger Erkrankungen kann eine kurzfristig eingetretene Besserung nicht dazu führen, die Überwachung abzubrechen.

1.2.3. Der Beklagte zu 1) hat den Kläger daher den entstandenen materiellen Schaden zu ersetzen. Der Senat schätzt die Schadenshöhe entsprechend der nicht vereinzelt bestrittenen Darlegungen des Klägers im Schriftsatz vom 06. Juli 1999 (Gerichtsakte Bd. II, Bl. 51 ff, insbesondere Bl. 58) sowie der eingereichten Unterlagen (Gerichtsakte Bd. I, Bl. 45 ff) auf die geltend gemachte - und zuerkannte - Höhe.

1.2.4. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Form eines Ausgleichsanspruches gem. § 338 Abs. 3 ZGB.

1.2.4.1. Nach § 338 Abs. 3 ZGB kann ein Geschädigter, der wegen eines Gesundheitsschadens nur in beschränkten Umfang am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, oder dessen Wohlbefinden durch den Gesundheitsschaden erheblich oder längere Zeit beeinträchtigt wird, einen angemessenen Ausgleich verlangen. Die Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift des Zivilgesetzbuches der DDR hat - wie generell die Auslegung des ZGB - unter Berücksichtigung der Rechtspraxis in der ehemaligen DDR zu erfolgen (BGHZ 123, 65 <68ff>). Zu berücksichtigen ist dabei allerdings Artikel 4 Abs. 1 des Staatsvertrages und Artikel 3 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (BGBl. II 889), wonach bei dem Kraft intertemporären Kollissionsrecht maßgeblichen Recht der ehemaligen DDR dieses nur angewendet werden darf, wenn und soweit es mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BGHZ 123, 65 <69>, FamRZ 1992, 413 <414>, NJW 1993, 259 <261>). § 338 Abs. 3 ZGB der DDR unterscheidet sich von § 847 Abs. 1 BGB insoweit, als eine Genugtuungsfunktion, wie sie § 847 BGB inne wohnt, § 338 Abs. 3 ZGB fremd ist. Dementsprechend ist der Grad des Verschuldens des Schädigers ebenso wie die wirtschaftlichen Verhältnisse von Schädiger und Geschädigten für die Bemessung des Ausgleichsanspruchs bedeutungslos (BGHZ 123, 65 <69f>). Dies steht der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift indes nicht entgegen, da die nach Artikel 1 und 2 GG gebotenen Wertentscheidung des Grundgesetzes, wonach schuldhafte Persönlichkeitsverletzungen einen Ausgleich in Geld gebieten, gewahrt ist. Eben dieser Ausgleichszweck kommt auch in § 338 Abs. 3 ZGB zum Tragen (BGHZ 123, 65 <69ff>). Der unter diesem Gesichtspunkt zuzusprechende Ausgleichsbetrag ist im Lichte der auch im Beitrittsgebiet eingetretenen Veränderung der Lebensverhältnisse zu bemessen. Es ist daher nicht an der Spruchpraxis der früheren DDR-Gerichte haften zu bleiben. Vielmehr bedarf der Ausgleichsbetrag einer Anhebung, die der Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse entspricht, die im Lebensbereich des Klägers zwischen dem Zeitpunkt der Schädigung und dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung eingetreten sind (BGHZ 123, 65 <72f>). In diesem Sinne ist daher auch die obergerichtliche Rechtsprechung zu sehen, welche "eine vorsichtige Orientierung an den nach § 847 BGB zuzuerkennenden Beträgen" für angezeigt erachtet (vgl. etwa OLG Brandenburg, VersR 1998, 593, 594; Thüringisches Oberlandesgericht OLG-NL 1994, 150).

1.2.4.2. In Anwendung dieser Grundsätze sah der Senat ein beziffertes Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro sowie - ab dem nach Rechtshängigkeit folgenden Monat - eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 950 Euro als angemessen an. Die Rechtsfolge des § 338 ZGB sah sowohl die Ausgleichszahlung durch einmalige Geldleistung als auch in Form einer Geldrente vor (Kollektivkommentar zum ZGB, § 339 Rdnr. 3.3.).

Bei der Bemessung des Ausgleichsanspruches und der Geldrente hat - wie ausgeführt - die Genugtuungsfunktion, die bei Anwendung des § 847 BGB gerade in dem hier vorliegenden Fall eine besondere Bedeutung erlangt hätte, unberücksichtigt zu bleiben. So ist es dem Senat verwehrt, zu berücksichtigen, dass nach seiner Überzeugung die Beklagte zu 2) nicht nur in grober Weise ihre ärztlichen Pflichten verletzt hat und sich dem schlimmen gesundheitlichen Zustand des Klägers unter Außerachtlassung jedweder ärztlicher Verantwortung verschlossen hat. Der Senat kann auch nicht berücksichtigen, dass - nach der insoweit glaubhaften Darstellung der Zeugin O. und entgegen der persönlichen Schilderung der Beklagten zu 2) - zur Überzeugung des Senats feststeht, dass sie das fehlende Vertrauen der Eltern in die Angemessenheit der medizinischen Versorgung im Kreiskrankenhaus Z. dadurch gewonnen hat, dass sie das Abstellen einer "Sitzwache" versprach, aber letztlich nicht einhielt. Auch das Prozessverhalten der Beklagten, welches im Anwendungsbereich des § 847 BGB Anlass gegeben hätte, ein deutlich höheres als das ausgeurteilte Schmerzensgeld zuzusprechen, findet in die Bemessung des Ausgleichsanspruches keinen Eingang.

Abzustellen ist letztlich auf die für den Kläger eingetretenen Folgen, d.h. die Einschränkungen bei der "Teilnahme am gesellschaftlichen Leben" und die "Einschränkung des Wohlbefindens", wie § 338 Abs. 3 ZGB ausführt. Die hier gegebenen Folgen rechtfertigen jedoch schon für sich genommen einen erheblichen Betrag, wobei der Senat im Hinblick auf die bis zur Rechtshängigkeit vergangene Zeit einen namhaften Fixbetrag und im Hinblick darauf, dass die Folgen den Kläger ein Leben lang treffen werden, eine erhebliche monatliche Rente zuzuerkennen hatte.

Hinsichtlich der Größenordnung des zuzuerkennenden Gesamtbetrages gibt das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 16.01.2002 (Geschäftszeichen 3 U 156/00), durch welches ein Schmerzensgeldbetrag von 500.000,00 Euro zuerkannt wurde, einen Hinweis. In dem dort entschiedenen Fall - zugrunde lag ein Behandlungsfehler im Rahmen einer Entbindung - bot der dortige Kläger das Bild eines völlig hilflosen, blinden Kindes mit schwersten Allgemeinveränderungen, dem Vollbild der schwersten Tetraspastik und kaum behandelbaren cerebralen Krampfanfällen. Diese Verletzungsfolgen sind den Beeinträchtigungen des Klägers vergleichbar. Zur Rechtfertigung der Höhe des Schmerzensgeldes führt das Oberlandesgericht Hamm Folgendes aus:

"Dem Kläger ist jede Möglichkeit einer körperlichen und geistigen Entwicklung genommen. Er wird nie Kindheit, Jugend, Erwachsensein und Alter bewusst erleben und seine Persönlichkeit entwickeln können. Sein Leben ist weitgehend auf die Aufrechterhaltung der vitalen Funktionen, die Bekämpfung von Krankheiten und die Vermeidung von Schmerzen beschränkt. Der Kläger ist in der Wurzel seiner Persönlichkeit getroffen. Beeinträchtigungen derartigen Ausmaßes verlangen angesichts des hohen Wertes, den das Grundgesetz in Art. 1 und 2 der Persönlichkeit und der Würde des Menschen beimisst, eine herausragende Entschädigung (vgl. BGH VersR 1993, 329).

Diese Begründung lässt sich auch im Anwendungsbericht des § 338 ZGB ohne weiteres auf die Situation des Klägers übertragen. Insbesondere die genannten verfassungsrechtlichen Aspekte beanspruchen - wie oben ausgeführt - auch im Rahmen der Auslegung des § 338 ZGB ihre Geltung. Auch wenn man berücksichtigt, dass bei der hier gebotenen Anwendung des § 338 Abs. 3 ZGB die Genugtuungsfunktion außen vor zu bleiben hat, sind die tragenden Grundsätze dieser Entscheidung vergleichbar. Es ist ein Ausgleich für die erfolgte und lebenslang andauernde, vollständige Persönlichkeitszerstörung des Klägers zu gewähren.

Die Höhe des Schmerzensgeldes fügt sich ihrer Größenordnung nach in die Spruchpraxis des Senats ein. Dieser hatte in seinem Urteil vom 28.11.2001 (1 U 161/99) bei einer (durch Fehler bei der Entbindung bedingten) Hirnschädigung einen Schmerzensgeldkapitalbetrag in Höhe von 500.000,00 DM sowie eine monatliche Rente in Höhe von 600,00 DM ausgeurteilt. Zwar liegt der hier zugesprochene Entschädigungsbetrag deutlich höher. Dies ist jedoch schon deshalb gerechtfertigt, weil das Ausmaß der Hirnschädigung bei dem Kläger ebenfalls deutlich gravierender ist, als bei der Klägerin des vorgenannten Verfahrens.

1.3. Die Forderungen des Klägers sind nicht verjährt.

1.3.1. Der Schadensfall datiert vom Februar 1990, so dass sich die Verjährung nach Art. 169 EGBGB richtet. Gemäß Art. 169 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist das Bürgerliche Gesetzbuch anwendbar. Da die Verjährungsfrist nach § 852 Abs. 1 BGB kürzer ist als die Verjährungsfrist des § 474 Abs. 1 Nr. 3 ZGB, wird die Verjährungsfrist von dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches an berechnet (Art. 169 Abs. 2 S. 1 EGBGB).

1.3.2. Gleichwohl ist vorliegend nicht der 03.10.1990 der für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebliche Zeitpunkt. § 852 Abs. 1 BGB erfordert für den Beginn der Verjährungsfrist die Kenntnis des Geschädigten von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen (vgl. zu den Anforderungen insoweit BGH, Urteil vom 31. Oktober 2000, 6 ZR 198/99). Gegen eine ausreichende Kenntnis spricht, dass ausweislich des Schreibens vom 19.04.1991 (Gerichtsakte Bd. II Bl. 70) am 25.10.1990 auf Einladung des Amtsarztes eine Aussprache mit den Eltern des Klägers stattfinden sollte, in deren Ergebnis die Erstellung eines Gutachtens verabredet wurde. Zuvor haben die gesetzlichen Vertreter offenkundig keine Möglichkeit gehabt, sich beispielsweise durch Einsicht in die Behandlungsunterlagen Kenntnis davon zu verschaffen, ob Anhaltspunkte für einen ärztlichen Fehler vorliegen und wer (die Beklagte zu 2), der Notarzt, die versprochene "Sitzwache"?) diesen begangen haben könnte. Als Ergebnis dieser Besprechung wurde die Erstellung eines Gutachtens verabredet. Nachdem dieses Gutachten am 10. April 1991 erstellt wurde (Gerichtsakte Bd. I Bl. 92 ff.), wies die Versicherung mit Schreiben vom 23. April 1991 die Ansprüche des Klägers (erstmals) zurück (Gerichtsakte Bd. II, Bl. 42). Frühestens mit Zugang dieses Schreibens begann die Verjährungsfrist zu laufen, zumal die "Einladung" zu den Besprechungstermin und die dort verabredete einvernehmliche Erstellung eines Gutachtens jedenfalls als "Verhandlung" i. S. d. § 852 Abs. 2 BGB anzusehen sind.

1.3.3. Eine erneute Hemmung der Verjährung trat weniger als 19 Monate später, nämlich am 04.11.1992 ein. Zu diesem Zeitpunkt erklärte die Versicherung ihr Einverständnis mit der Einschaltung der ärztlichen Schlichtungsstelle. Dass es sich hierbei um die Wiederaufnahme von Verhandlungen handelte, ist völlig unzweifelhaft, da nach dem vorausgehenden Schreiben der Ärztekammer Sachsen-Anhalt ausdrücklich die gerichtliche Auseinandersetzung als Alternative zur Durchführung des Schlichtungsverfahrens benannt wurde, was die Versicherung offenkundig mit dem Einverständnis in das Schlichtungsverfahren vermeiden wollte. Die Beklagten müssen sich das Verhalten der Versicherung auch zurechnen lassen, ohne dass es darauf ankäme, ob sie Kenntnis von dem Schlichtungsverfahren hatten oder nicht. Bereits die Mitteilung des Versicherers, er werde auf eine Angelegenheit nach Abschluss eines Strafverfahrens zurückkommen, reicht nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bei der gebotenen weiten Auslegung des § 852 Abs. 2 BGB für die Aufnahme von "Verhandlungen" aus (so BGH VersR 75, 440), erst recht also das hier vorliegende Verhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagten um die Wahrung ihrer Rechte durch die Versicherung wussten. Wie aus dem bereits zitierten Schreiben vom 19.04.1991 (Gerichtsakte Bd. II Bl. 70) ersichtlich ist, verabredeten die Eltern des Klägers, die Beklagte zu 2) und Vertreter der Beklagten zu 1) am 25.10.1990 die Einholung eines Gutachtens. Es ist evident, dass dieses nicht nur wegen sozialversicherungsrechtlicher Fragen eingeholt wurde und sich die Versicherung dann veranlasst sah, "unmittelbar Kontakt mit der Familie P. aufzunehmen" (Schriftsatz vom 12.11.1999, BA Bd. II Bl. 85). Liest man das vorgenannte Schreiben im Zusammenhang mit den Schreiben der Versicherung, kann es keinen Zweifel daran geben, dass die Versicherung keinesfalls quasi "von Amts wegen" tätig wurde, sondern dass sie aufgrund der haftungsrechtlichen Problematik von den Beklagten, dem "Gesundheitswesen", eingeschaltet wurde. Die diesbezüglichen Verhandlungen, die spätestens seit dem Besprechungstermin am 25.10.1990 liefen, wurden durch das Schreiben der Versicherung vom 23.04.1991 abgeschlossen. Sofern die Beklagten sich nicht hierauf berufen wollten, würde die Hemmung der Verjährung ohnehin noch fortdauern.

Wenn aber die Verhandlungen des Klägers mit den Beklagten (allenfalls) durch das Schreiben der Versicherung vom 23.04.1991 abgeschlossen worden sein können, müssen die Beklagten auch das Einverständnis der gleichen Versicherung mit der (erneuten) Durchführung des Schiedsverfahrens gegen sich gelten lassen. Die erneute Hemmung der Verjährung endete mit Zugang des "Schlussvotums" der Schlichtungsstelle vom 03.03.1997.

1.3.4. Zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, ist eine erneute Hemmung der Verjährung nach § 203 BGB eingetreten, die bis zur Klageerhebung andauerte. Somit ist die Verjährungsfrist des § 852 BGB nicht abgelaufen. Der Prozesskostenhilfeantrag ging am 30. Januar 1998 beim Landgericht Halle ein, so dass die Verjährungsfrist insgesamt weniger als 30 Monate lief.

Der PKH-Antrag führte zu einer Hemmung der Verjährung aus tatsächlichen Gründen entsprechend § 203 BGB. Um eine Benachteiligung der bedürftigen Partei zu vermeiden, was bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist, ist der Eingang eines ordnungsgemäß begründeten und vollständigen PKH-Gesuches geeignet, eine Hemmung der Verjährung nach § 203 ZPO herbeizuführen (BGHZ 70, 235<237>; NJW 1989, 1148 <1149>; Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 203 Rdnr. 9). Für die Ordnungsgemäßheit eines Prozesskostenhilfegesuches muss es dabei ausreichen, wenn ein Gericht, ohne weitere Unterlagen nachzufordern, anhand der eingereichten Unterlagen die Bedürftigkeit bejaht. Ansonsten würde die bedürftige Partei benachteiligt, da sie in der Gefahr wäre, bei einem sich länger dahinziehenden, aber für sie letztlich erfolgreichen PKH-Verfahren im Nachhinein den Prozess deshalb zu verlieren, weil im Rahmen des Klageverfahrens eine Nachprüfung der Unterlagen diesbezügliche Mängel aufzeigt. Im Übrigen schließt sich der Senat nach nochmaliger Beratung der Auffassung des Klägervertreters an, dass im Hinblick auf den hier gegebenen Fall die Unterlagen ausreichend waren. Zwar bezog sich die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Einkommensverhältnisse des gesetzlichen Vertreters und nicht des Klägers selbst; Anhaltspunkte dafür, dass bei dem Kläger Vermögen in irgendeiner Form vorhanden ist, bestanden jedoch nicht. Im Übrigen hätte bei ordnungsgemäßer Behandlung des Verfahrens allenfalls Veranlassung bestanden, kurzfristig eine entsprechende Erklärung nachzufordern, was - ohne nennenswerte Verzögerung des Verfahrens - möglich gewesen wäre.

1.3.5. Die Hemmung der Verjährung nach § 203 BGB dauerte bis zur Unterbrechung der Verjährung durch Klageerhebung (§ 209 Abs. 1 BGB) an. Entgegen der Behauptung der Beklagten hat der Kläger keine Maßnahmen unterlassen, die das PKH-Verfahren zu fördern geeignet waren. Insbesondere hat er nach Ablehnung der Prozesskostenhilfe durch das Landgericht innerhalb von weniger als 2 Wochen (vgl. hierzu BGHZ 98, 301) Beschwerde eingelegt und nachdem das Landgericht schließlich ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt hat, auch Klage erhoben.

2. Soweit sich die Klage gegen die Beklagte zu 2) richtet, war sie abzuweisen. Maßgeblich sind auch insoweit die nach den kollisionsrechtlichen Vorschriften anzuwendenden Bestimmungen des ZGB. Danach besteht weder eine deliktische, noch eine vertragliche Haftung.

2.1. Eine deliktische Haftung gem. § 330 ZGB besteht nicht. Gemäß § 331 S. 2 ZGB ist eine Ersatzpflicht des Mitarbeiters eines Betriebes gegenüber dem Geschädigten ausgeschlossen. Wie bereits ausgeführt ist das Kreiskrankenhaus Z. als Betrieb i. S. dieser Vorschrift anzusehen (vgl. § 11 Abs. 3 ZGB). Die Beklagte zu 2), die als Ärztin in dem Kreiskrankenhaus Dienst tat, ist als Mitarbeiterin i. S. dieser Vorschrift anzusehen, von der persönlichen Haftung daher ausgeschlossen.

2.2. Auch eine vertragliche Haftung (§ 92 ZGB) besteht nicht. Voraussetzung hierfür wäre, dass ein Behandlungsvertrag nicht nur mit dem Krankenhausträger, sondern auch mit der Beklagten zu 2) persönlich zustande gekommen ist. Hierfür bestehen keine Anhaltspunkte.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 7 EGZPO i.V.m. §§ 543, 708 Nr. 10, 711 S. 1 und S. 2 i.V.m. 709 S. 2 ZPO in der seit dem 01.01.2002 geltenden Fassung. Da die mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren nach dem 01.01.2002 erfolgte, richtet sich die Zulässigkeit von Rechtsmitteln nach der nunmehr geltenden Fassung der ZPO, was bereits bei Abfassung des Berufungsurteils zu berücksichtigen war.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO n.F. war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes erfordert.

Ende der Entscheidung

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