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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 18.01.2008
Aktenzeichen: 1 U 77/07
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Bei einer Überweisung eines Patienten zu einer Befunderhebung richtet sich der Umfang der geschuldeten ärztlichen Leistungen nach dem in der Überweisung genannten Auftrag.

Erfolgt eine Überweisung zur eigenverantwortlichen Abklärung einer Verdachtsdiagnose, so entsteht mit der Übernahme dieses Auftrags eine Verpflichtung zur Erhebung aller notwendigen Befunde, um den Verdacht entweder zu bestätigen oder auszuschließen. Der Überweisungsauftrag umfasst dann auch die vollständige Auswertung der erhobenen Befunde.

Wird hingegen die Überweisung zur Ausführung einer konkret benannten Diagnosemaßnahme vorgenommen, so beschränkt sich die geschuldete und erlaubte ärztliche Leistung auf diese Maßnahme. Es bleibt Sache des überweisenden Arztes, die Ergebnisse der Befunderhebung zu interpretieren und hieraus z. Bsp. therapeutische Schlussfolgerungen abzuleiten. (Der hier vorliegende Überweisungsauftrag "CT BWS/LWS - ossär metatast. PCA - beg. Querschnittssymptomatik" ist ein beschränkter Auftrag im letzt genannten Sinne.)


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

1 U 77/07 OLG Naumburg

Verkündet am 18.01.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das am 8. August 2007 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg, 9 O 721/05, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer übersteigt 20.000 EUR nicht.

und beschlossen:

Der Kostenwert des Berufungsverfahrens wird auf 18.410,68 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen i.S.v. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung der Kläger ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht darauf erkannt, dass die Kläger gegen die Beklagte schon dem Grunde nach keinen Anspruch auf Schmerzensgeld aus übergegangenem Recht des am 6. November 2005 verstorbenen V. E. im Hinblick auf die radiologische Untersuchung am 17. Juni 2004 haben. Das Berufungsvorbringen der Kläger vermag eine andere Entscheidung nicht zu rechtfertigen.

1. Entgegen der Ansicht der Kläger war die Beklagte nicht zu einer eigenständigen Befunderhebung und zur Behandlung des Patienten berufen. Ihr oblag nach dem Inhalt des konkreten Überweisungsauftrags vom 10. Juni 2004 lediglich, eine CT-Untersuchung beim Patienten durchzuführen. Dieser Auftrag ist auf Rückfrage der Beklagten nachträglich weiter beschränkt worden auf die Anfertigung von Röntgenaufnahmen.

a) Bei einer Überweisung eines Patienten zu einer Befunderhebung richtet sich der Umfang der geschuldeten ärztlichen Leistungen nach dem in der Überweisung genannten Auftrag. Der Überweisungsempfänger ist an den Inhalt der Überweisung gebunden. Er darf ohne Einwilligung des überweisenden Arztes eigenmächtig gar keine weitergehenden Untersuchungen durchführen, weil er damit in die Behandlung des vom Patienten gewählten Arztes eingreifen würde (vgl. BGH, Urteil v. 5. Oktober 1993, VI ZR 237/92 - NJW 1994, 797, 798; OLG Karlsruhe, Urteil v. 13. Juni 2001, 7 U 123/97 - VersR 2002, 717; OLG Stuttgart, Urteil v. 20. Juni 2000, 14 U 73/98 - VersR 2002, 98, 99 f. bzw. Thüringer OLG, Beschluss v. 15. Januar 2004, 4 U 836/03 - OLGR 2004, 140 m.w.N.). Deshalb ist zu unterscheiden: Erfolgt eine Überweisung zur eigenverantwortlichen Abklärung einer Verdachtsdiagnose, so entsteht mit der Übernahme dieses Auftrags eine Verpflichtung zur Erhebung aller notwendigen Befunde, um den Verdacht entweder zu bestätigen oder auszuschließen. Der Überweisungsauftrag umfasst dann auch die vollständige Auswertung der erhobenen Befunde. Wird hingegen die Überweisung zur Ausführung einer konkret benannten Diagnosemaßnahme vorgenommen, so beschränkt sich die geschuldete und erlaubte ärztliche Leistung auf diese Maßnahme. Es bleibt Sache des überweisenden Arztes, die Ergebnisse der Befunderhebung zu interpretieren und hieraus z. Bsp. therapeutische Schlussfolgerungen abzuleiten.

b) Der vorliegende Überweisungsauftrag vom 10. Juni 2004 an die Beklagte ist ein beschränkter Auftrag im letzt genannten Sinne. Obwohl der Beklagten auch der Anlass der Untersuchung mitgeteilt wird, ist die ursprüngliche Handlungsaufforderung eindeutig begrenzt auf die Durchführung einer CT-Untersuchung der Wirbelsäule. Die übernehmende Fachärztin, hier die Beklagte, durfte hier darauf vertrauen, dass der überweisende Urologe den Auftrag richtig gestellt hatte und nach Auftragsausführung auch eine Entscheidung über weitere notwendige Diagnose- oder Therapiemaßnahmen treffen wird. Anlass zu Zweifeln in dem Sinne, dass weitere Befunderhebungen notwendig und andere Untersuchungsmethoden anzuwenden seien, war hier nicht gegeben, auch nicht durch die Angabe des Untersuchungszwecks. Denn anders, als die Kläger es interpretieren, ist der Hinweis auf eine beginnende Querschnittslähmungssymptomatik lediglich eine Beschreibung des vorliegenden Krankheitsstadiums. Eine Dringlichkeit i.S. eines Notfalls bringt sie nicht zum Ausdruck und sollte sie nach den Angaben des hierzu als Zeugen vernommenen überweisenden Urologen auch nicht ausdrücken. Die diagnostische und therapeutische Verantwortung sollte beim überweisenden Urologen verbleiben, der die dauernde Behandlung des Patienten übernommen hatte und u.a. infolge seiner Zuständigkeit für die klinische Befunderhebung sowie für die Sammlung der sonstigen Befunde, der Informationen über vollzogene Behandlungsmaßnahmen und aktuelle Medikation objektiv auch am besten in der Lage war, die notwendigen weiteren Befunderhebungen anzuordnen und zu koordinieren. Diese Art der Aufgabenteilung zwischen dem Urologen und der beklagten Radiologin entspricht nach den übereinstimmenden Ausführungen beider gerichtlicher radiologischer Sachverständiger der üblichen Handhabung im Bereich der niedergelassenen Ärzte. Eine klare Trennung der Verantwortungsbereiche ist auch aus rechtlichen Gründen notwendig. Denn die vom neurochirurgischen Sachverständigen geäußerte abweichende Auffassung, wonach sich jeder mit der Behandlung eines Patienten befasste Arzt für dessen Wohlergehen voll verantwortlich zu fühlen habe, führte letztlich zu einer Auflösung klar strukturierter Kompetenz- und Verantwortungsbereiche mit einer hohen Gefahr unkoordinierter bzw. nicht notwendiger Maßnahmen.

c) Der ursprüngliche Überweisungsauftrag der überweisenden Gemeinschaftspraxis ist auf telefonische Nachfrage der Beklagten wirksam geändert worden. Der Zeuge Dr. L. L. hat insoweit den entsprechenden Sachvortrag der Beklagten bestätigt. Dies steht in Übereinstimmung mit dem Inhalt des zeitnahen Vermerkes in der Patientendokumentation der Beklagten.

2. Selbst wenn man die Änderung des Überweisungsauftrages als unwirksam ansähe, so hätten die Kläger entgegen der Auffassung der Kammer den ihnen obliegenden Nachweis einer fehlerhaften Unterlassung der CT-Untersuchung des Patienten am 17. Januar 2004 nicht geführt.

Nach dem Vorausgeführten war die Beklagte zwar an den Überweisungsauftrag gebunden; sie war jedoch im Rahmen des übernommenen Überweisungsauftrages in eigener Verantwortung verpflichtet zu prüfen, ob die von ihr erbetene Leistung nicht etwa kontraindiziert ist. Hierfür sah die Beklagte nach ihren Angaben Anhaltspunkte im klinischen Erscheinungsbild des Patienten, d.h. vor allem in der angegebenen aktuellen Schmerzsymptomatik des Patienten. Angesichts des bereits eine Woche zurückliegenden Zeitpunkts der Ausstellung des Überweisungsauftrags war es jedenfalls auch nicht evident, dass der Zustand gegenüber dem Zustand z.Zt. dieser Anordnung unverändert geblieben wäre. Die beiden radiologischen Sachverständigen haben die klinische Befunde der Beklagten, die auch dokumentiert sind, als plausibel und deren Entscheidung gegen die Durchführung einer CT-Untersuchung als vertretbar bewertet. Danach fehlt es an einem Beweis des Abweichens der Beklagten vom radiologischen Facharzt-Standard.

Auch der neurochirurgische Sachverständige hat nicht in Abrede gestellt, dass der Beklagten die Durchführung der CT-Untersuchung in eigener Praxis nicht möglich gewesen sei. Er hat insoweit auf die Notwendigkeit der Einholung einer radiologischen Expertise verwiesen, der die Kammer anschließend mit dem vorgenannten Ergebnis Rechnung getragen hat. Soweit der neurochirurgische Sachverständige verlangt hat, dass die Beklagte über die unverzügliche Rücksprache mit dem überweisenden Arzt hinaus hätte tätig werden sollen bzw. sogar ohne Absprache mit dem überweisenden Arzt eigenmächtig einen anderen Radiologen hätte hinzuziehen sollen, folgt der Senat dieser Einschätzung aus den o.g. Gründen nicht. Die Gesamtverantwortung liegt beim überweisenden Urologen, deshalb können alle Abweichungen vom Überweisungsauftrag auch allenfalls in enger Absprache mit diesem und unter dessen Federführung beschlossen werden. Im Übrigen ist der neurochirurgische Sachverständige in seiner Begutachtung vom - bestrittenen - Vorbringen der Kläger und mithin von einer Dringlichkeit des operativen Eingriffs ausgegangen, die so nicht vorlag und die insbesondere der überweisende Arzt nach dem Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme weder im Zeitpunkt der Überweisung so gesehen noch später so bestätigt hat. Gegen die vom neurochirurgischen Sachverständigen unterstellte Dringlichkeit spricht auch der klinische Befund der Urologen vom 18. Juni 2004, der einen Rückgang der Beschwerdesymptomatik belegt und kurzzeitig die Hoffnung weckte, dass der Zustand des Patienten ohne chirurgische Intervention erträglich gestaltet werden könnte. Der gerichtliche Sachverständige hat schließlich die Erkenntnis von der Dringlichkeit des Eingriffs aus einer rückschauenden Betrachtung gewonnen, d.h. in Kenntnis der späteren Feststellungen zur intraspinalen epiduralen Raumforderung im Bereich Th 4 bis Th 6. Die haftungsrechtlichen Handlungsanforderungen an einen Arzt bzw. eine Ärztin können jedoch nur aus einer ex ante-Sicht, d.h. vom Kenntnisstand des behandelnden Arztes im Zeitpunkt seiner Entscheidungsfindung aus definiert werden, da jede Haftung ein individuelles Verschulden des Arztes voraussetzt.

3. Selbst wenn man - anders, als der Senat - in der Unterlassung der CT-Untersuchung durch die Beklagte bzw. in der versäumten Veranlassung einer CT-Untersuchung durch die Beklagte andernorts eine fahrlässige Pflichtverletzung sähe, hätten die Kläger den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zu der Verzögerung der Operation bis zum 26. Juni 2004 nicht geführt. Die Kammer hat insoweit eine zulässige Betrachtung des fiktiven Verlaufs bei sog. rechtmäßigen Alternativverhalten angestellt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass selbst dann, wenn am 17. Juni 2004 eine CT-Untersuchung durchgeführt worden wäre, diese keinen reaktionspflichtigen Befund zu Tage gebracht hätte. Dieses Beweisergebnis ist entgegen dem Berufungsvorbringen der Kläger nicht zu beanstanden.

Der radiologische Sachverständige Dr. med. G. hat angegeben, dass eine CT-Aufnahme der Wirbelsäule den sich hier beim Patienten entwickelnden Defekt in Form eines sich ausdehnenden tumorösen Weichteilgewebes nicht hätte erkennen lassen. Die späteren MRT-Aufnahmen zeigten keinerlei knöcherne Wucherungen im betroffenen Bereich, weshalb auch eine fiktive CT-Aufnahme vom 17. Juni 2004 solche Wucherungen als Anzeichen einer Raumforderung nicht gezeigt hätte. Im Übrigen, so der Sachverständige weiter, könne ein Arzt bei der Auswertung einer CT-Aufnahme wegen deren nur mäßigen Kontrastes bei Weichteilen nicht zwischen den anatomisch unauffälligen Weichteilen des Rückenmarks und solchen pathologischen Weichteilen eines Tumors im Subduralraum unterscheiden. Die Sicht auf die konkret befallene Stelle zwischen Th 4 und Th 6 sei zudem eingeschränkt durch anatomisch vorgelagerte Knochen, die im Bild als Überlagerungen, sog. Artefakte, auftreten. Diesen Ausführungen folgt auch der Senat nach kritischer eigener Bewertung und sieht damit den Nachweis der fehlenden Kausalität als geführt an.

III.

1. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 8 EGZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 713 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.



Ende der Entscheidung

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