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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 16.08.2007
Aktenzeichen: 1 U 80/06
Rechtsgebiete: SGB I


Vorschriften:

SGB I § 14
Zur Frage einer Amtspflicht des Sozialhilfeträgers, eine Leistungsempfängerin anlässlich der Anzeige der Geburt eines Kindes auf die Notwendigkeit der Regelung der Krankenversicherung des Kindes hinzuweisen:

Die Pflicht des Sozialhilfeträgers zur Beratung des Bedürftigen nach § 14 SGB I erstreckt sich primär auf Fragen der Sozialhilfe, d.h. u.a. auf rechtliche Beratung im Verhältnis des Bedürftigen zum Sozialhilfeträger. Der Sozialhilfeträger kann u.U. auch aus dem konkreten Anlass eines Antrages zu einer weiter gehenden Beratung verpflichtet sein, um den Bedürftigen vor naheliegenden Fehlentscheidungen und der Versäumung offensichtlich zweckmäßiger Gestaltungen zu bewahren. Eine generelle Pflicht zur ungefragten Beratung in allen Lebensbereichen besteht nicht.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 80/06 OLG Naumburg

verkündet am: 16.08.2007

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann, Kühlen und Grimm auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juli 2007 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 28.07.2006 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dessau abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Anschlussberufung des klagenden Landes wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt das klagende Land.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Das klagende Land kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer des klagenden Landes übersteigt 20.000,00 €.

Gründe:

I.

Das klagende Land macht gegen den Beklagten als Träger der Sozialhilfe aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche wegen einer unterbliebenen Beratung geltend.

Seit Oktober 2001 war Frau A. B. als Sozialhilfeempfängerin bei dem beklagten Landkreis geführt worden. Sie verfügte über einen privaten Krankenversicherungsschutz, dessen Beiträge regelmäßig durch den Beklagten an den privaten Versicherer gezahlt wurden. Nachdem Frau A. B. zur Niederkunft in das Universitätsklinikum K. der Medizinischen Fakultät der Universität H. , das von dem beklagten Land betrieben wird, aufgenommen worden war, kam am 18.11.2002 ihr Sohn S. B. zur Welt. Während die Kindesmutter bereits am 26.11.2002 aus der stationären Behandlung entlassen werden konnte, dauerte die medizinische Betreuung des Neugeborenen, der ebenfalls als Privatpatient behandelt wurde, bis zum 25.3.2003 an, weil er mehrfach operiert werden musste.

Mit Rechnung vom 01.04.2003 stellte die Klinik der Mutter die Kosten für die Behandlung des Kindes in Höhe von 62.577,17 € in Rechnung, die aber als Sozialhilfeempfängerin hierauf bisher trotz eines gegen sie erwirkten Vollstreckungsbescheides keine Zahlungen leisten konnte.

Die Versicherungsbedingungen des Versicherers der Kindesmutter sehe vor, dass Neugeborene von bereits versicherten Personen dort spätestens binnen einer Frist von 2 Monaten nach der Geburt anzumelden sind, um einen Familienversicherungsschutz zu erlangen. Die Kindesmutter hatte ihren privaten Krankenversicherer aber vor der Geburt nur davon in Kenntnis gesetzt, dass der voraussichtliche Geburtstermin ihres Kindes am 16.12.2002 liege und aus medizinischen Gründen ein Kaiserschnitt durchgeführt werde. Eine weiter gehende Erklärung gegenüber ihrem Krankenversicherer mit dem Ziel, für das neugeborene Kind ebenfalls Krankenversicherungsschutz zu erhalten, wurde von der Mutter auch nach der Geburt nicht gestellt, sodass ein Versicherungsschutz für das Kind vor Abschluss der streitgegenständlichen Behandlung nicht bestand.

Ein Antrag auf Familienversicherung des Kindes über den gesetzlich versicherten Kindesvater wurde am 14.8.2003 abgelehnt, da der Vater nicht den überwiegenden Unterhalt für das Kind trug.

Das klagende Land hat behauptet, der Beklagte sei sowohl über die bevorstehende Entbindung als auch später über die erfolgreiche Geburt unterrichtet gewesen.

Das Land ist daher der Ansicht, die zuständige Mitarbeiterin des Sozialamtes hätte auch ungefragt dafür Sorge tragen müssen, dass die Kindesmutter rechtzeitig einen privater Versicherungsschutz für das Kind beantragt. Ein solcher Hinweis sei jedoch unterblieben. Wegen Verletzung der amtlichen Beratungspflicht stehe der Kindesmutter ein Amtshaftungsanspruch in Höhe der Behandlungskosten von 62.577,17 € zu, den das klagende Land mit der vorliegenden Klage aus abgetretenem Recht geltend gemacht hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Tatbestandes wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.

Nach Vernehmung der Zeuginnen B. und H. hat das Landgericht der Klage unter Abweisung im Übrigen in Höhe von 41.718,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 29.11.2004 stattgegeben. Eine Beratungspflicht des Beklagten sei ohne Weiteres gegeben, da eine automatische Mitversicherung des Kindes im Rahmen der bestehenden privaten Krankenversicherungsverträge durch die Geburt des Kindes nicht möglich sei. Schon wegen dieser rechtlichen Konstellation hätte der Beklagte die Kindesmutter über die Notwendigkeit eines Antrags an die Krankenversicherung hinweisen müssen. Einen derartigen Hinweis habe es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht gegeben. Die Kammer hat deshalb eine Verletzung der Beratungspflicht der Mitarbeiterin des Beklagten bejaht, auf Seiten der Kindesmutter allerdings ein Mitverschulden von 1/3 festgestellt, das sich das klagende Land zurechnen lassen müsse.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Er vertritt die Ansicht, dass seine Mitarbeiter keine Beratungspflichten gegenüber der Kindesmutter verletzt hätten. Eine solche Beratungspflicht habe schon deshalb nicht bestanden, weil die Kindesmutter die Frage der Krankenversicherung ihres Kindes nicht einmal angesprochen habe. Außerdem habe dieser Bereich der privaten Krankenversicherung weder zur Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers gehört, noch hätte die Mitarbeiterin des Beklagten über ausreichende Kenntnisse der persönlichen Verhältnisse der Kindesmutter verfügt, um einen tragfähigen Rat zu erteilen.

Wenn man gleichwohl mit dem Landgericht eine Beratungspflicht bejahen wollte, sei diese jedenfalls erfüllt worden. Der gegenteiligen Beweiswürdigung durch das Landgericht könne nicht gefolgt werden.

Der Kindesmutter sei im Übrigen bewusst gewesen, dass sie sich wegen des Krankenversicherungsschutzes ihres Kindes an die B. kasse zu wenden habe, wie das Schreiben der Kindesmutter vom 4.11.2002 an den privaten Versicherer zeige.

Ein weiteres Gespräch zwischen der Zeugin H. und der Kindesmutter am 28.11.2002 habe es nicht gegeben. Die Kindesmutter sei erst am 31.01.2003 wieder bei der Beklagten vorstellig geworden. Anlässlich dieses Gesprächstermins habe sie zwar die Geburt des Kindes, nicht aber den weiter bestehenden Krankenhausaufenthalt des Kindes erwähnt.

Dass die Zeugin H. bei diesem Gespräch nichts von einer bereits versäumten Anmeldung des Kindes bei der privaten Krankenversicherung erwähnt habe, sei auf Grund der fehlenden Nachfrage und Hintergrundinformation nicht verwunderlich. Denn hiervon habe die Beklagte erstmals durch das Universitätsklinikum nach dessen Antrag auf Übernahme der Behandlungskosten vom 02.04.2003 erfahren.

Im Übrigen seien die von dem klagenden Land geforderten Beratungs- und Informationspflichten weder nach dem SGB, noch dem BSHG zu begründen. Da der Beklagte erst Anfang April 2003 durch den Antrag des Universitätsklinikums auf Übernahme der Kosten von der fortbestehenden Behandlungsnotwendigkeit des Kindes Kenntnis erlangt habe, sei eine Kausalität einer möglichen Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden nicht gegeben, da zu diesem Zeitpunkt insbesondere die Fristen für die Begründung eines Krankenversicherungsschutzes bei dem privaten Krankenversicherer abgelaufen gewesen seien. Im Übrigen trage die Kindesmutter ein erhebliches Mitverschulden, das mindestens zu 50 % zu berücksichtigen sei, da sie mit Schreiben vom 04.11.2002 den privaten Krankenversicherer über die bevorstehende Geburt informiert habe. Insofern sei es ihr auch abzuverlangen, dass sie nach der Geburt des Kindes einen Antrag auf Krankenversicherungsschutz stellt.

Im Hinblick auf die Höhe des geltend gemachten Anspruchs sei zu berücksichtigen, dass die Wahlleistungsvereinbarung unwirksam sei. Das klagende Land habe sich letztlich selbst gegenüber der Kindesmutter schadensersatzpflichtig gemacht, so dass der beklagte Landkreis hilfsweise mit derartigen Schadensersatzansprüchen aufrechen, äußerst hilfsweise ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen könne. Es gehöre zu den Obliegenheiten eines ordnungsgemäßen Krankenhausbetriebes, die für die Kostensicherheit wesentlichen Umstände auch bei der Aufnahme von Notfallpatienten fortlaufend zu prüfen.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Das klagende Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und im Wege der Anschlussberufung,

das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und den Beklagten zur Zahlung weiterer 20.859,05 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 29.11.2004 zu verurteilen.

Das Land verteidigt die landgerichtliche Entscheidung dem Grunde nach, ist jedoch der Ansicht, die Kammer habe zu Unrecht ein Mitverschulden der Kindesmutter angenommen. Dies werde dem subjektiven Verschuldensmaßstab des § 276 Abs. 1 nicht gerecht. Die Kindesmutter habe auf Grund der fehlenden Belehrung nicht erkennen müssen, dass sie zur Herstellung eines Versicherungsschutzes für ihr Kind selbst tätig werden musste. Schon wegen der Verletzung der Beratungspflicht durch den Beklagten sei ein Mitverschulden der Kindesmutter generell ausgeschlossen.

Der Beklagte beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen und die beigezogenen Akten des Sozialamtes Kn. , Nr. 5022.01.1998, Bezug genommen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 26.03.2007 darauf hingewiesen, dass nach seiner vorläufigen Rechtsansicht ein Sozialamt grundsätzlich nicht verpflichtet ist, Sozialhilfeempfänger ungefragt über Fragen einer privaten Krankenversicherung zu belehren. Eine hierauf gerichtete Pflicht entstehe nur, wenn im Einzelfall eine besondere Veranlassung zur Beratung besteht. Zu der Frage, ob solche Umstände im vorliegenden Fall gegeben waren, hat der Senat weiteren Beweis erhoben durch ergänzende Vernehmung der Zeugen A. B. , C. H. und M. P. . Das Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme ist dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2007, Bd. IV, Bl. 62 - 67 d. A., zu entnehmen.

II.

Das klagende Land hat keinen Amtshaftungsanspruch aus abgetretenem Recht gemäß §§ 398, 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG auf Zahlung von Schadensersatz gegen den Beklagten, denn die behauptete Pflichtverletzung liegt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor.

1. Der bedürftige Bürger hat gegen den zuständigen Leistungsträger einen notfalls im Klagewege durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Beratung.

a) Unter Beratung nach § 14 SGB l ist die gezielte und umfassende Information des Einzelnen über seine Rechte und Pflichten zu verstehen. Die Beratungspflicht des Sozialhilfeträgers bezieht sich dabei auch darauf, dem Hilfesuchenden aufzuzeigen, wie er sich selbst helfen kann (Kommentar von Schellhorn zum Bundessozialhilfegesetz, § 8 BSHG Rdn. 20). Die Pflicht zur Rechtsberatung erstreckt sich dabei primär auf die Beratung in Fragen der Sozialhilfe. Ausgenommen von den Regelungen des Rechtsberatungsgesetzes sind dementsprechend nach § 3 Nr. 3 RBeRG die Rechtsberatung und Rechtsbetreuung, die von Behörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit ausgeübt wird. Dabei gehört es zu den Amtspflichten der mit der Betreuung der sozialschwachen Bevölkerungskreise betreuten Beamten, diese zur Erlangung und Wahrung der ihnen vom Gesetz zugedachten Rechte und Vorteile nach Kräften beizustehen (BGH, NJW 1957, 1873 - 1874).

b) Unberührt hiervon ergeben sich aus dem bestehenden Verwaltungsrechtsverhältnis zwischen der Kindesmutter und der Beklagten unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben besondere Betreuungs- (Fürsorge-) Pflichten, die als Nebenpflichten aus einem laufenden Verwaltungsverfahren folgen. Dazu gehört auch, den Betreuten auf Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich als offensichtlich zweckmäßig erweisen und die von jedem verständigen Bürger mutmaßlich genutzt würden. Der Bürger ist hierbei auf Fehler oder Unterlassungen hinzuweisen, die der Verwaltung zwangsläufig bei der Bearbeitung ihrer Anträge auffallen (BVerwGE 76, 78). Der Anspruch beschränkt sich jedoch grundsätzlich auf das Rechtsverhältnis zu dem betreffenden Leistungsträger.

c) Als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang nicht die Beantwortung klar gestellter Fragen des Bürgers, sondern das hier ebenfalls bestehende Problem, ob und inwieweit die Leistungsträger von sich aus die Initiative ergreifen oder über die Fragen des Bürgers hinaus auf Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen müssen. Das BSG hat zwar in verschiedenen Fällen Beratungspflichten auch ohne ausdrückliches Verlangen des Bürgers anerkannt. Es rügte z. B., dass die Landesversicherungsanstalt eine 76jährige Versicherte bei Ablehnung ihres Rentenantrags nicht darauf hingewiesen hatte, dass sie die Wartezeit durch eine freiwillige Beitragszahlung für nur 9 Monate erfüllen konnte. Die Landesversicherungsanstalt habe damit ihre sich aus dem Versicherungsverhältnis ergebende Dienstleistungspflicht zur Beratung verletzt (BSGE 41, 126, 128). Einen Anspruch des Bürgers, aus Anlass eines Antrags hinreichende Beratung zu erhalten, um ihn vor naheliegenden Fehlentscheidungen und der Versäumung offensichtlich zweckmäßiger Gestaltungen zu bewahren, hat das BSG auch in weiteren Fällen anerkannt. In aller Regel ging es aber um Beratungen, die auf die Gestaltung des Rechtsverhältnisses gerichtet waren, für die die Behörde zuständig war, oder die mit dem zu Grunde liegenden Verwaltungsrechtsverhältnisses unmittelbar in einem Zusammenhang standen. Jedenfalls muss es auch für Hinweise, die von Amts wegen zu erteilen sind, einen konkreten Anlass geben, der den Hinweis oder die Beratung notwendig erscheinen lässt. Allerdings ist es die Pflicht der Behörde, sorgfältig zu prüfen, ob ein solcher konkreter Anlass zur Beratung im Einzelfall besteht (vgl. BGH, NVwZ 1997, 1243 ff.) Eine generelle Pflicht zur ungefragten Beratung in allen Belangen wäre dagegen administrativ nicht zu bewältigen, da die Leistungsberechtigten ständig in einer Vielzahl von Lebensbereichen auf ihnen günstiges Verhalten hingewiesen werden müssten. Alle Vorgänge wären permanent zu überwachen, was mit dem Selbstbestimmungsrecht auch der sozialhilfeberechtigten Bürger nicht zu vereinbaren wäre (vgl. insgesamt Rüfner in Wannagat, SGB I AT § 14, Losebl.samml., Std. Mai 2007, Rn. 10).

2. Ob wegen der Verknüpfung der Sozialhilfeleistungen mit den Angelegenheiten der privaten Krankenversicherung der Zeugin B. und ihres am 18.11.2002 geborenen Kindes im vorliegenden Fall ein konkreter Anlass bestand, auf den notwendigen Versicherungsschutz für das Kind einzugehen, so dass die Sachbearbeiterin des Beklagten verpflichtet war, die Zeugin B. von Amts wegen auf die Notwendigkeit des Abschlusses eines Krankenversicherungsvertrages für ihr neugeborenes Kind hinzuweisen, wurde mit den Parteien umfassend erörtert. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann der Senat diese Frage jedoch letztlich offen lassen, weil die Zeugin H. den notwendigen Hinweis tatsächlich erteilt hat. Daran hat der Senat nach Würdigung der Aussagen aller Zeugen keine Zweifel.

a) Die Zeugin H. war sich in ihrer Vernehmung sicher, dass sie im Rahmen des ersten Gespräches, das sie nach der Geburt des Sohnes der Zeugin B. mit dieser geführt hat, der Zeugin ein Schriftstück ausgehändigt hat, auf dem u. a. der Merkposten "Krankenversicherung des Kindes" als eine von mehreren dringend zu erledigenden Aufgaben der Kindesmutter enthalten gewesen sei.

Dieses erste Gespräch nach der Geburt konnte die Zeugin H. zeitlich nicht sicher zuordnen. Sie meinte, es sei kurz vor Weihnachten gewesen, konnte aber auf Nachfrage auch nicht ausschließen, dass dieses Gespräch erst im Januar stattgefunden hat. Sicher war sie nur, dass es sich um das erste Gespräch handelte. Darum hat die Zeugin betont, wenn sie entgegen ihrer Annahme das Merkblatt erst im Januar überreicht haben sollte, dann hätte aber im Dezember gar kein Gespräch stattgefunden. Denn jedenfalls sei das Merkblatt der Kindesmutter im ersten Gespräch nach der Entbindung überreicht worden, in dem sie ihr die Geburt angezeigt habe.

Als Indiz für die tatsächliche Existenz des von der Zeugin beschriebenen Merkzettels spricht auch die Tatsache, dass die Zeugin B. die darin genannten weiteren Aufgaben auch tatsächlich unmittelbar anschließend erledigt hat. So hat sie wenige Tage nach dem Gespräch vom 28.11.2002, nämlich am 03.12.2002, die Geburt des Kindes und die Anerkennung der Vaterschaft beurkunden lassen und hat am 10.12.2002 auch einen Antrag auf Kindergeld gestellt.

Dass die Zeugin B. möglicherweise auch durch ihre Mutter schon auf die Notwendigkeit einer Krankenversicherung für das Kind hingewiesen worden war, steht diesem Argument nicht entgegen. Wenn die Mutter der Zeugin ihr bereits eine "rote Mappe" mit den zu erledigenden Aufgaben zusammengestellt hatte, wie die Zeugin B. berichtet hat, so spricht dies vielmehr einerseits dafür, dass auch sie ihr die selbständige Erledigung dieser Aufgabe zugetraut hat, und zeigt andererseits auch, dass die Zeugin B. auf die fehlende Krankenversicherung schon aufmerksam gemacht worden war, so dass der zweite Hinweis in Form des Merkzettels des Sozialamtes ihr erst Recht ausreichende Veranlassung zum Handeln hätte bieten müssen.

Unabhängig davon hat der Senat jedenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit der Aussage der Zeugin H. .

b) Die Zeugin B. war sich zwar sicher, dass das maßgebliche erste Gespräch zwischen den Zeuginnen H. und B. noch vor Weihnachten, und zwar am 28.11.2002 stattgefunden haben müsse, was mit der spontanen, aber insoweit unsicheren Einschätzung der Zeugin H. übereinstimmt. In diesem Punkt erschien das Erinnerungsvermögen der Zeugin B. tragfähig zu sein, weil es sich um den Tag nach ihrer Entbindung handelt, so dass der zeitliche Zusammenhang eine präzise Erinnerung plausibel erscheinen lässt. Zu der wesentlichen Frage nach dem Inhalt des Gesprächs konnte sie jedoch nur wenige Angaben machen. Sie wusste noch zu berichten, dass es ihr um einen Vorschuss auf die nächste Zahlung des Finanzamtes gegangen sei, den sie zur Finanzierung der Fahrten in das Krankenhaus benötigt habe. Außerdem konnte sie sich z. B. noch erinnern, dass sie anstelle des noch fehlenden amtlichen Geburtsnachweises ein Foto ihres Sohnes mitgenommen hatte, welches die Zeugin H. zu einem Kompliment veranlasst habe. Im Übrigen konnte sich die Zeugin B. schon in erster Instanz und auch in ihrer Vernehmung durch den Senat nicht mehr erinnern, was die Zeugin H. zu ihr gesagt und mit ihr erörtert habe. Selbst die Frage, wie sich die Zeugin H. zu dem für die Antragstellerin wesentlichen Anliegen eines Vorschusses geäußert habe, konnte die Zeugin B. keine Angaben mehr machen. Sie wisse nur noch, dass sie den Vorschuss letztlich jedenfalls nicht erhalten habe.

An ein farbiges Merkblatt, das sie nach Aussage der Zeugin H. von ihr erhalten haben soll, konnte sich die Zeugin B. in beiden Instanzen nicht erinnern. Mit der Notwendigkeit, für das Kind eine Krankenversicherung abzuschließen, sei sie überhaupt erstmals konfrontiert worden, als sie die Krankenhausrechnung erhalten habe.

Diese Darstellung erscheint dem Senat nicht überzeugend. Insgesamt ergaben die Schilderungen der Zeugin B. über den Inhalt der ersten Gespräche das Bild einer Mutter, in deren Bewusstsein sich in erster Linie alles um ihr krankes Neugeborenes drehte. Dies hat sie schon in erster Instanz mehrfach zum Ausdruck gebracht, indem sie betonte, dass sie nach der Entbindung für "derartige Fragen" der Krankenversicherung "gar keinen Kopf hatte", weil sich die schon vor der Geburt bekannte Erkrankung ihres Sohnes sich postnatal als schwerwiegender erwiesen habe als erwartet. Die Darstellung der Sorgen, welche die Mutter auf Grund der erheblichen medizinischen Komplikationen um die Gesundheit ihres Kindes hatte, lassen es möglich erscheinen, dass sie einem Merkblatt des Sozialamtes in der damaligen Aufregung keine Aufmerksamkeit geschenkt hat und sich deshalb daran nicht mehr erinnern kann. Es mag auch sein, dass die Zeugin B. den Hinweis auf eine Krankenversicherung für das Kind nicht ernst genommen oder nachträglich vergessen hat, sich darum zu kümmern. Jedenfalls hat der Senat kein Vertrauen in das Erinnerungsvermögen der Zeugin, die auf fast alle Fragen vor dem Senat unsicher und ausweichend geantwortet hat oder keine Angaben machen konnte. Nur bei der Frage nach dem Hinweis auf die Krankenversicherung war sich die Zeugin ganz sicher, ohne diese Gewissheit erläutern oder sonst nachvollziehbar machen zu können. So ist es schlicht nicht verständlich, dass die Zeugin sich - mit Ausnahme des Kommentars über ihr schönes Kind - an keine einzige Äußerung der Zeugin H. mehr erinnern kann, andererseits aber sicher sein will, dass über die Krankenversicherung nicht gesprochen wurde. Auch über den Inhalt der übrigen Gesprächstermine im Sozialamt konnte die Zeugin nur vage und rudimentäre Angaben machen, soweit sie ihre Erinnerung nicht durch äußere Anhaltspunkte stützen konnte. Soweit es den 28.11.2002 betrifft, konnte sie auch nicht mehr sagen, ob und ggf. welche schriftlichen Unterlagen sie bei sich hatte oder von der Mitarbeiterin des Sozialamtes erhalten hatte. Daher erscheint es auch nicht verwunderlich, dass sie sich an ein Merkblatt nicht mehr erinnern kann. Die Zeugin meinte, sich in erster Instanz im Rahmen ihrer ergänzenden Befragung z. B. noch zu erinnern, dass sie auch dem Sozialamt noch vor Weihnachten die Geburtsurkunde vorgelegt habe. Am 28.11.2002 kann dies aber nicht geschehen sein, weil die Urkunde erst am 03.12.2002 ausgestellt wurde.

Dass sie im Dezember zweimal beim Sozialamt erschienen sei, hat die Zeugin in zweiter Instanz nicht mehr behauptet, sondern eingeräumt, sie könne nicht mehr sagen, wann sie nach dem 28.11.2002 wieder beim Sozialamt war. Der Senat hat dadurch den Eindruck gewonnen, dass es der Zeugin offenbar schwer fällt, selbst die Anzahl der verschiedenen Behördengänge in Erinnerung zu rufen, die sie nach der Geburt erledigt hat. Jedenfalls erscheint es bei der Dürftigkeit und teilweise auch Widersprüchlichkeit ihrer Schilderung insgesamt nicht verwunderlich, dass sie sich an ein Merkblatt des Sozialamtes heute nicht mehr erinnern kann.

Fehlt jede Erinnerung daran, so erscheint es zunächst auch plausibel, dass die Zeugin heute selbst davon überzeugt sein mag, erstmals im März mit dem Problem konfrontiert worden zu sein. Der Senat hält jedenfalls das Erinnerungsvermögen der Zeugin B. insgesamt nicht für belastbar und sieht - auch auf Grund ihres Aussageverhaltens und des unsicheren Eindrucks, den sie in ihrer Vernehmung hinterlassen hat - keine Veranlassung, an der Darstellung der Zeugin H. zu zweifeln.

Unabhängig davon lässt die Würdigung der Aussage der Zeugin B. aus den oben dargestellten Gründen keine Zweifel an der Überzeugung des Senates aufkommen, die er durch die Aussage der Zeugin H. gewonnen hat. Auf Grund deren glaubhafter Aussage steht fest, dass sie die Zeugin B. schon bei dem ersten Gespräch nach der Entbindung dergestalt auf die Notwendigkeit eines Antrages auf Krankenversicherung für das Kind hingewiesen hat, dass sie ihr einen "Merkzettel" als Gedächtnisstütze überreichte, der unter anderem die Aufgabe für die Kindesmutter enthielt, einen solchen Versicherungsschutz zu beantragen.

c) Etwaige Zweifel des Senats über den genauen Zeitpunkt dieses entscheidenden ersten Gesprächs zwischen den Zeuginnen H. und B. , die zunächst auf Grund der - nur insoweit - unsicheren Erinnerung der Zeugin H. bestanden, wurden durch die glaubhafte Aussage des Zeugen P. beseitigt. Er hat in seiner Vernehmung durch den Senat ebenfalls bestätigt, dass das erste Gespräch zwischen den Zeuginnen H. und B. , das diese nach der Entbindung der Zeugin B. geführt haben, noch vor Weihnachten stattgefunden hat. Im Hinblick auf die notwendige zeitliche Einordnung war er sich im Gegensatz zur Zeugin H. ganz sicher. Die Tatsache, dass er die Hintergründe für seine genaue Erinnerungen nicht näher zu erläutern oder auszuschmücken versuchte, hat beim Senat nicht den Eindruck einer tendenziellen Aussage erweckt, sondern zeigt, dass er schlicht aber ehrlich nur das ausgesagt hat, was er noch wusste. Insofern stimmen die Angaben dieses Zeugen, der die Kindesmutter zum Sozialamt begleitet hat, mit der ursprünglichen zeitlichen Einordnung des Gesprächs durch die Zeugin H. überein, die das erste Gespräch spontan mit Weihnachten in Verbindung gebracht hat, in diesem Punkt aber unsicher war.

Zum Inhalt dieses ersten Gesprächs nach der Entbindung und zu der Frage nach der Aushändigung eines Merkzettels war die Aussage des Zeugen P. dagegen gänzlich unergiebig. Hierzu konnte der Zeuge keine Angaben machen, weil er nicht an dem Gespräch teilgenommen hat. Außerdem konnte er sich nicht mehr erinnern, ob die Zeugin B. ihm nach dem Gespräch etwas über dessen Inhalt erzählt hat. Mithin steht seine Aussage der glaubhaften Darstellung der Zeugin H. zum Inhalt des Gesprächs jedenfalls nicht entgegen und stützt die in diesem zentralen Punkt abweichende Darstellung der Zeugin B. nicht.

d) Unter Berücksichtigung aller Umstände und insbesondere der ergänzenden Aussagen der Zeugen hat der Senat im Gegensatz zum Landgericht keine Zweifel, dass die Zeugin H. der Zeugin B. am 28.11.2002 - jedenfalls aber noch vor Weihnachten 2002 - einen Merkzettel ausgehändigt hat, auf dem sie unter anderem auf die Notwendigkeit hinwies, die Krankenversicherung für das neugeborene Kind zu beantragen.

3. Der Hinweis durch das Sozialamt erfolgte rechtzeitig. Hätte die Zeugin B. ihm Folge geleistet, wäre die zweimonatige Frist des § 178 d Abs. 1 VVG gewahrt worden und der Versicherungsschutz für das Kind hätte rechtzeitig wirksam werden können. Dass die Zeugin B. trotz des schriftlichen Hinweises nichts unternommen hat, kann dem Sozialamt nicht vorgeworfen werden. Anlass für eine spätere Kontrolle, ob die Zeugin B. den Hinweisen aus der Aufgabenliste gefolgt ist, war erst beim nächsten Besuch der Zeugin B. im Sozialamt möglich, als sie am 31.01.2003 auftragsgemäß die Geburtsurkunde, die Vaterschaftsanerkennung und den Bescheid über die Festsetzung des Kindergeldes vorlegte. Zu diesem Zeitpunkt war die Ausschlussfrist des § 178 d Abs. 1 VVG aber bereits verstrichen, der Schaden nicht mehr abwendbar. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Zeugin H. am 31.01.2003 verpflichtet war, die Frage des Versicherungsschutzes von sich aus noch ein zweites Mal anzusprechen, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch keine Anhaltspunkte für ein Versäumnis der Kindesmutter vorlagen.

4. Der Hinweis in Form eines "Merkzettels" war auch inhaltlich ausreichend. Insbesondere konnte diese Aufforderung durch die Zeugin B. nicht dahingehend missverstanden werden, dass das Sozialamt diese Versicherung beantragen würde, denn es handelte sich nach der glaubhaften Darstellung der Zeugin H. um eine Liste der Aufgaben, die die Kindesmutter in den folgenden Tagen zu erledigen hatte. Der Senat hat auch keine Zweifel, dass die Zeugin B. die Positionen, auf die sie hingewiesen wurde, als eigene Aufgaben erkannt hat und zur Umsetzung in der Lage war, denn tatsächlich hat sie wenige Tage nach dem Gespräch vom 28.11.2002 die Geburt des Kindes und die Anerkennung der Vaterschaft beurkunden lassen und hat am 10.12.2002 auch einen Antrag auf Kindergeld gestellt. Es sind ferner keine Gründe ersichtlich und werden von der Zeugin auch nicht genannt, weshalb die Zeugin B. nicht in der Lage gewesen sein sollte, den Versicherungsschutz für ihr Kind zu beantragen, zumal sie nach ihrer eigenen Aussage sich trotz beschränkter Schulbildung selbstständig schon in der 7. Schwangerschaftswoche schriftlich an ihre Versicherung gewandt, ihr die Schwangerschaft mitgeteilt und unter anderem eine Ablichtung des Mutterpasses übersandt hatte, und auch später mit der Krankenversicherung selbständig korrespondierte und stets ihre Arztrechnungen selbst mit der Versicherung abrechnete.

5. Ein schadensersatzrechtlich relevanter Pflichtverstoß, den der Beklagte zu verantworten hätte, liegt nach alledem nicht vor.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 8 EGZPO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Auf die grundlegende Frage, unter welchen Voraussetzungen Mitarbeiter des Sozialamtes von Amts wegen auf die Notwendigkeit des Abschlusses einer privaten Krankenversicherung hinweisen müssen, kam es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mehr an.

Ende der Entscheidung

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