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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 08.06.2009
Aktenzeichen: 1 VAs 2/09
Rechtsgebiete: BtMG, GG


Vorschriften:

BtMG § 35
GG Art. 3 Abs. 1
Die Vorschrift des § 35 BtMG ist auf Alkoholabhängige weder im Wege der verfassungskonformen erweiternden Auslegung noch analog anwendbar.

Die in § 35 BtMG normierte Bevorzugung von Betäubungsmittelabhängigen gegenüber Alkoholabhängigen verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 VAs 2/09 OLG Naumburg

In der Strafvollstreckungssache

wegen Raubes u.a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 08. Juni 2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Krüger, den Richter am Oberlandesgericht Sternberg und den Richter am Landgericht Ringel

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg vom 3. April 2009 wird als unbegründet verworfen.

Der Verurteilte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Geschäftswert wird auf 1.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Verurteilte befindet sich aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Weißenfels vom 24. Januar 2009 (7 Ls 616 Js 209207/07) seit dem 21. Juli 2008 im Landeskrankenhaus B. zum Vollzug einer Maßregel gemäß § 64 StGB (Heilung seiner Alkoholabhängigkeit).

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 19. Januar 2009 an die Staatsanwaltschaft Halle - Zweigstelle Naumburg -, ergänzt durch weiteren Schriftsatz vom 25. Februar 2009, beantragte der Verurteilte, die Vollstreckung der Strafe analog § 35 BtMG zurückzustellen. Mit Schreiben vom 12. März 2009 lehnte die Staatsanwaltschaft Halle - Zweigstelle Naumburg - den Antrag ab. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Verurteilten vom 24. März 2009 wies die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg mit Bescheid vom 3. April 2009, dem Verteidiger zugestellt am 8. April 2009, als unbegründet zurück.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 8. Mai 2009, eingegangen per Fax beim Senat am selben Tage, hat der Verurteilte einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung über den oben genannten Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg gestellt.

II.

1.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig (§§ 23 ff. EGGVG). Insbesondere wurde das gemäß §§ 24 Abs. 2 EGGVG, 21 Abs. 1 Nr. 1 StVollStrO erforderliche Vorschaltverfahren durchgeführt und die Beschwerdefrist von einem Monat gemäß § 26 Abs. 1 EGGVG gewahrt.

2.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist jedoch unbegründet. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg hat zu Recht den Antrag auf Zurückstellung der Strafvollstreckung abgelehnt.

a)

Eine Anwendung des hier als Rechtsgrundlage allein denkbaren § 35 BtMG kommt nach dessen Wortlaut vorliegend nicht in Betracht, da beim Verurteilten eine Betäubungsmittelabhängigkeit, d.h. eine Abhängigkeit von in den Anlagen I bis III zum Betäubungsmittelgesetz aufgeführten Stoffen nicht vorliegt. Denn nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Amtsgerichts Weißenfels in seinem oben genannten Urteil weist der Verurteilte trotz des von ihm angegebenen sporadischen Konsums von Drogen insoweit keine Abhängigkeitsmerkmale auf. Auch aus dem übrigen Akteninhalt ergeben sich keine Hinweise für eine Betäubungsmittelabhängigkeit des Verurteilten. Ein gelegentlicher Konsum von Betäubungsmitteln ist für die Annahme einer diesbezüglichen Abhängigkeit hingegen nicht ausreichend (Körner, BtMG, 6. Aufl., § 35 Rz. 55).

b)

Für eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 35 BtMG auch auf Alkoholabhängige im Wege einer verfassungskonformen Auslegung ist bereits deshalb kein Raum, weil eine solche nicht mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten darf (Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl., Art. 20 Rz. 34 m.w.N.), was vorliegend allerdings der Fall wäre. Denn nicht nur der Wortlaut und die Stellung der Norm im Betäubungsmittelgesetz sprechen dafür, dass der Gesetzgeber mit § 35 BtMG eine Sonderregelung für Drogenabhängige schaffen wollte. Vielmehr ergibt sich diese Intention auch aus den Gesetzesmaterialien. So heißt es zum Zweck der Regelung auf Seite 27 des Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD und FDP zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts (BT-Drs. 9/27 vom 27. November 1980), welcher in die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit unverändert Eingang fand (BT-Drs. 9/443 vom 15. Mai 1981, S. 3) wörtlich:

"Dabei ist die Überlegung ausschlaggebend, daß eine Sonderregelung für Drogenabhängige vor allem deshalb berechtigt ist, weil diese zumeist schon in jugendlichem Alter, d.h. zu einer Zeit, in die Abhängigkeit geraten, zu der sie die Tragweite ihres Tuns noch nicht zu übersehen und dem Einfluß Dritter nur schwer zu widerstehen vermögen. Der Drogenabhängige befindet sich in einer besonderen Situation, weil er regelmäßig mit der Befriedigung seiner Sucht gegen Strafvorschriften verstößt. Verschärft wird seine Lage dadurch, daß er auf Dauer die vergleichsweise teure Droge nur erwerben kann, wenn er sich diese oder die finanziellen Mittel zu ihrem Ankauf auf illegalem Wege verschafft. Die Rauschmittelabhängigkeit treibt so den Betroffenen in eine Kriminalität, die gleichzeitig für die Allgemeinheit mit erheblichen Gefahren verbunden ist. Dies gilt nicht zuletzt dann, wenn der Abhängige den Erwerb der dem Eigenbedarf dienenden Betäubungsmittel durch einen illegalen Drogenhandel finanziert. Die Rehabilitation Drogenabhängiger erleichtert deshalb den Organen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ihre Arbeit und liegt im Interesse der Allgemeinheit."

Angesichts dieser vom Gesetzgeber eindeutig gewollten Zielrichtung des § 35 BtMG ist (unabhängig von der unter d) zu erörternden Frage eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG) für eine verfassungskonforme, erweiternde Auslegung dieser Norm deshalb kein Raum.

c)

Auch eine analoge Anwendung des § 35 BtMG scheitert daran, dass gerade keine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, die der Ausfüllung bedarf. Denn es hätte dem Gesetzgeber ohne weiteres freigestanden, die Möglichkeit der Zurückstellung der Strafvollstreckung nicht auf Betäubungsmittelabhängige zu beschränken und statt im Betäubungsmittelgesetz etwa im Strafgesetzbuch zu regeln, was er aus den oben genannten Gründen bewusst unterlassen hat, obgleich ihm die Problematik alkoholabhängiger Täter dem Gesetzgeber auch zum damaligen Zeitpunkt durchaus bekannt war.

d)

Schließlich verstößt die in § 35 BtMG normierte Bevorzugung von Betäubungsmittelabhängigen gegenüber Alkoholabhängigen auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weshalb sich der Senat zu einer Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG nicht veranlasst sieht.

Eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG liegt bei einer ungleichen Behandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte vor (Jarass a.a.O., Art. 3 Rz. 4). Dabei ist bei einer durch den Gesetzgeber vorgenommenen sog. bevorzugenden Typisierung dessen Gestaltungsfreiheit weiter gespannt als bei einer benachteiligenden Typisierung, da es bei einer an der Gerechtigkeit im allgemeinen und an den Wertentscheidungen des Grundgesetzes im besonderen orientierten Betrachtung leichter erträglich ist, wenn gelegentlich einer Typisierung auch Personen in den Genuss von Vorteilen kommen, die ihnen nach dem strengen Zweck des Gesetzes nicht gebührten, als wenn Personen davon ausgeschlossen werden, denen die Vorteile nach dem Sinn des Gesetzes zukämen (BVerfGE 17, 1, 24). Es kann vorliegend keinem Zweifel unterliegen, dass es sich bei der Regelung des § 35 BtMG um einen solchen Fall der bevorzugenden Typisierung handelt mit der Folge, dass ein großzügiger Prüfungsmaßstab anzulegen ist (Jarass a.a.O., Art. 3 Rz. 421a).

Unter Berücksichtigung dessen erweist sich die Regelung des § 35 BtMG vor dem Hintergrund der im oben zitierten Gesetzentwurf getroffenen Erwägungen des Gesetzgebers als verfassungskonform. Die Norm mag in der Sache - wie viele Gesetze - Anlass zu Kritik geben; insbesondere mag es beachtenswerte Gründe geben, im Wege einer gesetzlichen Neuregelung die Möglichkeit der Zurückstellung der Strafvollstreckung nicht auf Betäubungsmittelabhängige zu beschränken, sondern etwa allen suchtmittelabhängigen Straftätern zugute kommen zu lassen. (vgl. Rebsam-Bender, NStZ 1995, 158, 160 f.; Körner, BtMG, 6. Aufl., § 35 Rz. 58 f.). Die vom Gesetzgeber mit der Sonderregelung verfolgten Ziele sind aber aus rechtlicher Sicht vertretbar und keineswegs sachfremd, weshalb die durch § 35 BtMG erfolgende Ungleichbehandlung von Drogenabhängigen und Alkoholabhängigen durch den Gesetzgeber - gemessen an Art. 3 Abs. 1 GG - gerechtfertigt erscheint (so auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. April 1998 - 2 VAs 26/98).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 30 Abs. 1 EGGVG, 130 KostO. Der Geschäftswert wurde gemäß §§ 30 Abs. 1 EGGVG, 30 KostO festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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