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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 05.02.2007
Aktenzeichen: 1 Verg 1/07
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 118 Abs. 1 Satz 3
Einem Bieter, der durch die Entscheidung der Vergabekammer materiell beschwert ist und hiergegen sofortige Beschwerde einlegt, steht auch die Befugnis zur Beantragung einer Verlängerung des prozessualen Zuschlagverbots in analoger Anwendung des § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB zu.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

1 Verg 1/07 OLG Naumburg

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend die u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 25. August 2006 (S-161) ausgeschriebene Vergabe des Bauauftrags "Erschließung des Industrieparks Chemiestraße in H. ; 2. Bauabschnitt; Los Nr. 3.1/4.1 Trink- und Abwasser",

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Zettel und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm am

5. Februar 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 11. Januar 2007, 1 VK LVwA 41/06, wird bis zur endgültigen Entscheidung über dieses Rechtsmittel angeordnet.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin, eine Beteiligungsgesellschaft privaten Rechts zur Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, die von der Stadt H. beherrscht wird, schrieb im August 2006 den oben genannten Bauauftrag EU-weit im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) - Ausgabe 2004 - zur Vergabe aus.

In der Bekanntmachung der Ausschreibung sind als Teilnahmebedingungen in Abschnitt III.2.1) zunächst allgemein "Eignungsnachweise nach VOB/A § 8 Nr. 3" aufgeführt. In Abschnitt III.2.3) Technische Leistungsfähigkeit sind im Einzelnen u.a. gefordert: "... Angaben über die Zahl der in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren jahresdurchschnittlich beschäftigten Arbeitskräfte, gegliedert nach Berufsgruppen ..." sowie "... Angaben über die für die Ausführung der zu vergebenden Leistung zur Verfügung stehenden und vorgesehenen technischen Geräte und Ausrüstung". Für Bietergemeinschaften wird weiter vorgegeben, dass sie gesamtschuldnerisch haftend sein und einen bevollmächtigten Vertreter benennen sollen (Abschnitt III.1.3)). Als Ausführungsfrist für den Auftrag war ursprünglich der Zeitraum vom 2. Januar bis 31. Juli 2007 vorgesehen.

Die Verdingungsunterlagen enthalten in den Bewerbungsbedingungen, dort Ziffer 6, eine Regelung zu Bietergemeinschaften. Darin heißt es, dass die Bietergemeinschaft mit ihrem Angebot eine von allen Mitgliedern unterzeichnete Erklärung vorgegebenen Inhalts abzugeben habe. Unter Ziffer 7 dieser Bewerbungsbedingungen ist für Eignungsnachweise für andere Unternehmen gefordert, dass der Bieter, der sich bei der Erfüllung des Auftrags der Fähigkeiten anderer Unternehmen bedienen will, dem Auftraggeber hinsichtlich seiner eigenen Eignung nachzuweisen hat, dass ihm die erforderlichen Mittel tatsächlich zur Verfügung stehen.

Die Beigeladene hat ein Hauptangebot und mehrere Nebenangebote in Form unselbständiger Änderungsvorschläge innerhalb der Angebotsfrist abgegeben. Dem Angebot der Beigeladenen waren sämtliche geforderten Eignungsnachweise für die St. AG beigefügt; für die R. GmbH fehlten Angaben über die jahresdurchschnittlich beschäftigten Arbeitskräfte - gegliedert nach Berufsgruppen - der letzten drei Geschäftsjahre (es waren lediglich einige Angaben zu den aktuellen Beschäftigungszahlen enthalten) sowie Angaben zur technischen Ausrüstung. Die Antragsgegnerin bewertete das Angebot der Beigeladenen als vollständig. Ausweislich ihres Vergabevermerks vom 24. November 2006 beabsichtigte die Antragsgegnerin, den Zuschlag auf das Hauptangebot der Beigeladenen einschließlich der angebotenen Änderungen zu erteilen.

Im Rahmen eines von der Antragstellerin geführten Nachprüfungsverfahrens mit dem Ziel einer Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Wiederholung der Wertung wurde die Beigeladene beteiligt. Die 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt hat dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin nach mündlicher Verhandlung durch Beschluss vom 11. Januar 2007 stattgegeben und in den Gründen ihrer Entscheidung u.a. die Rechtsauffassung geäußert, dass das Angebot der Beigeladenen zwingend aus der Wertung auszuschließen sei, weil es die geforderten Eignungsnachweise nicht vollständig enthalte. Sie stützt diese Auffassung im Wesentlichen darauf, dass jedes Mitglied einer Bietergemeinschaft alle geforderten Eignungsnachweise für sich vollständig vorzulegen gehabt habe, d.h. auch die R. GmbH alle Angaben zum Nachweis ihrer technischen Leistungsfähigkeit.

Gegen diese ihr am 15. Januar 2007 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 29. Januar 2007 erhobene und am selben Tage vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangene sofortige Beschwerde der Beigeladenen.

Die Beigeladene ist u.a. der Meinung, dass ein Ausschluss ihres eigenen Angebots nur gerechtfertigt sei, wenn ihm Unterlagen fehlten, welche mit der Vergabebekanntmachung gefordert worden seien. Aus der Vergabebekanntmachung sei nicht ersichtlich, dass für jedes einzelne Mitglied einer Bietergemeinschaft die geforderten Eignungsnachweise einzureichen seien. Vielmehr sei auf Angaben abgestellt worden, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit überprüfen zu können. Insoweit käme es stets auf die Bieterin insgesamt und nicht auf einzelne Mitglieder der Bieterin an.

Die Beigeladene hat gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung der Verlängerung des Zuschlagverbots des § 115 Abs. 1 GWB gestellt.

Den weiteren Beteiligten des Beschwerdeverfahrens wurde zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme zum Eilantrag der Beigeladenen nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB analog gegeben. Sowohl die - selbst Beschwerde führende - Antragsgegnerin als auch die Antragstellerin haben hiervon Gebrauch gemacht. Der Inhalt der Schriftsätze der Antragsgegnerin sowie der Antragstellerin jeweils vom 6. Februar 2007 wurde bei der Entscheidung berücksichtigt.

II.

Dem Antrag der Beigeladenen war stattzugeben.

1. Der Antrag der Beigeladenen auf Anordnung der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsmittels bis zur endgültigen Entscheidung hierüber bzw. bis zur endgültigen anderweitigen Erledigung ist zulässig.

Insbesondere ist die Beigeladene antragsbefugt. Zwar kann nach dem Wortlaut des § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB die jeweilige Beschwerdeführerin nur dann einen Antrag auf Verlängerung stellen, wenn die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag abgelehnt hat. Die 1. Vergabekammer hat hier auf den Nachprüfungsantrag hin in das Vergabeverfahren eingegriffen. Die Antragsbefugnis ist in analoger Anwendung der vorgenannten Vorschrift jedoch auch der Beigeladenen zuzuerkennen. Der gesetzlichen Regelung des § 118 GWB liegt die verkürzte Sicht auf ein Zwei-Beteiligten-Verhältnis zugrunde, wonach nur die Antragstellerin ein Interesse an der Verlängerung des zu ihren Gunsten nach §§ 110 Abs. 2 Satz 1, 115 Abs. 1 GWB ausgelösten Zuschlagverbots haben könne. Ein Interesse an der Verhinderung der Zuschlagserteilung kann aber auch ein anderer Bieter haben, wenn dessen Rechtsstellung und insbesondere dessen Zuschlagschance durch die Entscheidung der Vergabekammer beeinträchtigt ist. Das individuelle Interesse dieses "dritten" Bieters ist schützenswert, denn für ihn geht es in gleicher Weise, wie für einen vor der Vergabekammer unterlegenen Antragsteller, um die Effektivität seines Rechtsschutzes. Hinzu kommt, dass nach der geltenden Regelung im GWB von der rechtlichen Anerkennung einer Antragsbefugnis für die Beigeladene auch abhängt, ob dem Vergabesenat die Möglichkeit einer effektiven Nachprüfung des Vergabeverfahrens durch Untersagung der Zuschlagserteilung bis zum Abschluss des Nachprüfungsverfahrens eröffnet wird. Die Schließung der Regelungslücke durch analoge Anwendung dient mithin auch der Ausstattung der Nachprüfungsinstanz mit ausreichenden Kompetenzen zur Gewährleistung der Effektivität des Nachprüfungsverfahrens, wie sie Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 89/665/EWG - Rechtsmittelkoordinierungsrichtlinie - von den Mitgliedsstaaten verlangt. Die Regelungslücke ist zu schließen, indem auch die Beigeladene die Befugnis zur Antragstellung nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB erhält, wenn sie durch die Entscheidung der Vergabekammer materiell beschwert wird (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. OLG Naumburg, Beschluss v. 17. Juni 2003, 1 Verg 9/03 "Betonpflaster" ohne nähere Begründung; Beschluss v. 5. Mai 2004, 1 Verg 7/04 "Medizintechnik - Festeinbau" - ZfBR 2004, 830; vgl. auch Thüringer OLG, Beschluss v. 30. Oktober 2001, 6 Verg 3/01 "Bibliothek Weimar" - VergabeR 2002, 106 und Jaeger in: Byok/Jaeger, VergabeR, 2. Aufl. 2005, § 118 Rn. 1187 m.w.N.; einschränkend Hunger in: Kulartz/ Kus/ Portz, GWB-Vergaberecht, 2006, § 118 Rn. 29 ff. m.w.N.). So liegt der Fall hier: Nach dem Entscheidungsausspruch der Vergabekammer soll die Wertung der Angebote unter Ausschluss des Angebots der Beigeladenen wiederholt werden. Die Antragsbefugnis entfällt schließlich nicht im Hinblick auf § 118 Abs. 3 GWB, weil die angeordnete Wiederholung der Wertung durchaus vor Abschluss des Nachprüfungsverfahrens vollzogen werden kann.

2. Der Antrag auf Verlängerung des prozessualen Zuschlagverbots bis zur Entscheidung bzw. zur vollständigen Erledigung zumindest der sofortigen Beschwerde der Beigeladenen ist auch begründet.

Gemäß § 118 Abs. 2 GWB ist es erforderlich, unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde alle möglicherweise geschädigten Interessen, auch das Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens, gegeneinander abzuwägen.

2.1. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist die sofortige Beschwerde der Beigeladenen nicht offensichtlich unzulässig und im Hinblick auf die Bewertung des eigenen Angebots nicht offensichtlich unbegründet.

Zwar enthält die Vergabebekanntmachung weiter gehende als die von der Beigeladenen zitierten Anforderungen an den Nachweis der Eignung. Die verlangten Nachweise bzw. auch Eigenerklärungen, hier maßgeblich insbesondere diejenigen zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit, sind im Einzelnen aufgeführt und mithin wirksam gefordert. Die Vergabebekanntmachung enthält allerdings aus rückschauender Betrachtung keine vollständige Aussage zum Anforderungsprofil für Bietergemeinschaften. Insoweit ist die Vergabebekanntmachung der Auslegung zugänglich, d.h. der Ermittlung ihres Bedeutungsgehalts aus der Sicht eines fachkundigen Bieters. Ob ein solcher Bieter die Vergabebekanntmachung so verstehen durfte, dass die Vorlage der geforderten Nachweise und Eigenerklärungen zum Beleg der technischen Leistungsfähigkeit nur von einem Mitglied der Bietergemeinschaft gefordert ist, weil die Leistungsfähigkeit eines Bietergemeinschaftsmitglieds für die Leistungsfähigkeit der gesamten Gemeinschaft ausreichend ist, oder ob die Anforderung eindeutig nur so verstanden werden durfte, dass jedes Mitglied der Bietergemeinschaft jeden geforderten Nachweis beibringen sollte - was den Zugang zum Vergabeverfahren für Bietergemeinschaften u.U. erheblich einschränkt, kann erst nach ergänzender Anhörung der Beteiligten hierzu entschieden werden.

2.2. Die danach vorzunehmende Abwägung zwischen dem grundsätzlichen Vorrang der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes und der gegen eine Verlängerung des Verbots der Auftragserteilung sprechenden Umstände führt zur o.a. Anordnung.

Weder die Antragsgegnerin noch die Antragstellerin haben Umstände vorgetragen, die ausnahmsweise eine Verkürzung des effektiven Rechtsschutzes der Beigeladenen rechtfertigen könnten. Allein der Umstand, dass das Bauvorhaben inzwischen unter Zeitdruck geraten und der ursprünglich vorgesehene Zeitplan ggf. nicht mehr einzuhalten ist, reicht hierfür nicht aus, sondern ist als zwangsläufige und typische Folge eines Nachprüfungsverfahrens in Kauf zu nehmen.

Ende der Entscheidung

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