Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 09.08.2006
Aktenzeichen: 1 Verg 11/06
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 115 Abs. 3
GWB § 115 Abs. 3 Satz 1
1. Ein Antrag auf Anordnung weiterer vorläufiger Maßnahmen i.S.v. § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB ist auch im Beschwerdeverfahren statthaft.

2. Eine Anordnung nach § 115 Abs. 3 GWB (analog) durch den Vergabesenat kann auch vorläufig bis zur endgültigen Entscheidung über den Eilantrag ergehen.

3. Zur Anordnung einer Verlängerung der Angebotsfrist in einem Offenen Verfahren nach VOB/A.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Verg 11/06 OLG Naumburg

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend die u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 13. Juli 2006 (S-131) ausgeschriebene Vergabe des Bauauftrages "Bundesautobahn A ... Erd- und Deckenbau und BW ...,

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Trojan, den Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und den Richter am Amtsgericht Dr. Giesen - ohne Anhörung der Antragsgegnerin - am 9. August 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Antragsgegnerin wird im Wege einer vorläufigen Anordnung angewiesen, den Schlusstermin für den Eingang der Angebote im Vergabeverfahren zunächst mindestens bis zum 28. August 2006, 10:00 Uhr, zu verlängern und dem Senat bis zum 10. August 2006, 16:00 Uhr, eine Faxkopie der Benachrichtigung der Antragstellerin hierüber zu übersenden.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin, eine Beteiligungsgesellschaft privaten Rechts zur Planung, Bauvorbereitung und Baudurchführung für die Bundesfernstraßenprojekte Deutsche Einheit, deren Gesellschafter zu 50 % der Bund und zu je 10 % die Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind, schrieb im März 2005 den oben genannten Bauauftrag EU-weit im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) - Ausgabe 2002 - zur Vergabe aus. Der geschätzte Auftragswert netto liegt etwa bei 26 Mio. EUR.

Im März 2006 hob die Antragsgegnerin diese ursprüngliche Ausschreibung im Hinblick auf behauptete notwendige grundlegende Änderungen der Verdingungsunterlagen auf. Zwei Bieterinnen des ursprünglichen Vergabeverfahrens, darunter die Antragstellerin, rügten die Aufhebung als vergaberechtswidrig. Die Antragsgegnerin half den Rügen nicht ab. Auf die gleichgerichteten Nachprüfungsanträge der beiden Bieterinnen gab die 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 23. Mai 2006 auf, die Aufhebung rückgängig zu machen und das (ursprüngliche) Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsansichten der Vergabekammer fortzuführen. Hiergegen hat die Antragsgegnerin am 12. Juni 2006 sofortige Beschwerde erhoben. Das Beschwerdeverfahren ist beim erkennenden Vergabesenat anhängig. Insoweit ist für den 4. September 2006 Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt worden.

Am 3. Juli 2006 sandte die Antragsgegnerin die Bekanntmachung der Vergabe eines Bauauftrags mit identischer Bezeichnung im Offenen Verfahren an das Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften; die Bekanntmachung wurde im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 13. Juli 2006 (S-131) veröffentlicht. Die Angebotsfrist für diese Ausschreibung (künftig: zweites Vergabeverfahren) endet am 11. August 2006, 10:00 Uhr.

Die Antragstellerin rügte die zweite Ausschreibung am 10. Juli 2006 als vergaberechtswidrig und beantragte nach der ausdrücklichen Weigerung der Antragsgegnerin, dieses neue Vergabeverfahren bis zur Entscheidung über die Fortführung oder Aufhebung des ersten Vergabeverfahrens auszusetzen, am 17. Juli 2006 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt. Gleichzeitig stellte sie einen Antrag nach § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB mit dem Begehren, der Antragsgegnerin möge vorläufig untersagt werden, das zweite Vergabeverfahren fortzuführen.

Die Vergabekammer hat den Aussetzungsantrag abgelehnt und mit Beschluss vom 2. August 2006 auch den Nachprüfungsantrag in der Hauptsache als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt. Sie hat die Anordnung der Verlängerung des Zuschlagverbots beantragt und zugleich einen Antrag nach § 115 Abs. 3 GWB analog mit dem Begehren gestellt, dass der Antragsgegnerin bis zur Entscheidung in der Hauptsache im Beschwerdeverfahren vorläufig zu untersagen, die Submission durchzuführen.

Die Beschwerdeschrift der Antragstellerin vom 8. August 2006 ist am selben Tage vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangen. Der Antragsgegnerin ist mit Verfügung vom 9. August 2006 Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Antrag nach § 118 Abs. 1 GWB bis zum 14. August 2006, 12:00 Uhr, eingeräumt und zugleich die Beiziehung der Akten der Vergabestelle und der Vergabekammer angeordnet worden. Die Akten liegen dem Senat derzeit noch nicht vor.

II.

Der Antrag auf Anordnung weiterer vorläufiger Maßnahmen nach § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB (analog) ist zulässig und insbesondere auch im Beschwerdeverfahren statthaft (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 31. Juli 2006, Gesch.Nr.: 1 Verg 6/06). Er kann derzeit aber noch nicht abschließend beschieden werden. Denn hierzu sind neben den Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde auch alle ggf. geschädigten Interessen, also insbesondere das Interesse der Antragstellerin an Gewährung von effektivem Primärrechtsschutz und das Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens, gegeneinander abzuwägen. Der Senat hat aber objektiv keine Möglichkeit einer Prüfung der Erfolgsaussicht der sofortigen Beschwerde bis zum Ablauf der Angebotsfrist am 11. August 2006, 10:00 Uhr. Denn es fehlen nicht nur sämtliche Unterlagen des Vergabeverfahrens und des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer, sondern es ist in der zur Verfügung stehenden Zeit auch nicht möglich, der Antragsgegnerin angemessenes rechtliches Gehör zu verschaffen.

Der Senat macht daher von der Möglichkeit eines vorläufigen Eingriffs in das Vergabeverfahren Gebrauch, um ausreichend Zeit für eine sachgerechte Entscheidung über den Antrag nach § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB zu erhalten.

Für das Eilverfahren nach § 118 GWB ist in Rechtsprechung und Literatur einhellig anerkannt, dass eine vorläufige Verlängerung des Zuschlagverbots bis zur endgültigen Entscheidung über den Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB zulässig ist (vgl. OLG Naumburg, Beschluss v. 15. Februar 2001, Gesch.Nr.: 1 Verg 1/01, m. w. N.). Für das Eilverfahren nach § 115 Abs. 3 GWB kann nichts anderes gelten.

Hinsichtlich der zu treffenden Anordnungen ist der Senat nicht an den Antrag der Antragstellerin gebunden. Diese möchte erreichen, dass sie bis zur Entscheidung über ihr Rechtsmittel nicht gehalten ist, zur Wahrung ihrer Chancen auf einen Zuschlag für diesen Bauauftrag ein neues Angebot einzureichen. Diesem Anliegen ist nach Ansicht des Senats dadurch Rechnung zu tragen, dass der Schlusstermin zur Abgabe eines Angebots verlegt wird, was zwangsläufig eine Verlegung des Submissionstermins und ggf. auch eine Verlängerung der Zuschlagsfrist zur Folge hat.

Die angeordnete vorläufige Maßnahme ist auch verhältnismäßig, weil sonst ein effektiver Rechtsschutz im vorliegenden Verfahren nicht gewährleistet ist. Die Verlängerung der Angebotsfrist ist auch maßvoll. Sie ist der Antragsgegnerin insbesondere vor dem Hintergrund zumutbar, dass sich der einheitlich zu betrachtende Beschaffungsvorgang schon bislang erheblich verzögert hat, ohne dass dies von der Antragstellerin zu vertreten gewesen wäre. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin die Angebotsfrist im zweiten Vergabeverfahren - trotz der Vorhersehbarkeit der Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz durch die Antragstellerin - so knapp bemessen hat, dass eine zeitgerechte Entscheidung des Senats nicht zu erwarten war.

Die Anordnung der Vorlage einer exemplarischen Mitteilung an die Bieter von der Verlängerung der Angebotsfrist dient der Kontrolle des Vollzugs der getroffenen Anordnung.

Ende der Entscheidung

Zurück