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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 15.03.2007
Aktenzeichen: 1 Verg 14/06
Rechtsgebiete: GWB, VgV


Vorschriften:

GWB § 98
GWB § 99
GWB § 100
GWB § 101 Abs. 1
VgV § 13 Satz 1
1. Entbehrlichkeit der Rüge der unterlassenen EU-weiten Ausschreibung nach Abschluss des Vertrages (§ 107 Abs. 3 Satz 1 GWB)

2. Wird ein Auftragsverhältnis, das der EU-weiten Ausschreibungspflicht unterlag, durch Kündigung beendet und beabsichtigt der Auftraggeber, den identischen Vertrag nunmehr mit einem anderen Unternehmen zu schließen, ist ein erneutes Vergabeverfahren i.S. von § 101 Abs. 1 GWB erforderlich.

3. Für die Anwendbarkeit des § 13 VgV auf einen Vertragsschluss kommt es darauf an, ob der Auftrag nach §§ 98 bis 100 GWB der EU-weiten Ausschreibungspflicht unterlag; unerheblich ist hingegen, ob die Vergabestelle ein förmliches Vergabeverfahren i.S.v. § 101 Abs. 1 GWB durchgeführt hat.

4. Auch bei einer Auftragsvergabe ohne vorherige Verhandlungen mit mehreren Unternehmen besteht eine Vorabinformationspflicht des Auftraggebers in entsprechender Anwendung des § 13 Satz 1 VgV, wenn der Vertragsschluss im funktionalen Zusammenhang mit einem vorangegangenen Offenen Verfahren steht, und zwar gegenüber allen Bietern des Offenen Verfahrens.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

1 Verg 14/06 OLG Naumburg

verkündet am: 15. März 2007

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend die Vergabe des Bauauftrags "Neubau des M. Multimediazentrums in H. , Los 40: Akustikausbau",

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Zettel und die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm auf die mündliche Verhandlung vom

19. Februar 2007

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 1. September 2006, 1 VK LVwA 29/06, wird mit der Maßgabe der nachfolgenden Feststellungen zurückgewiesen.

Das Nachprüfungsverfahren hat sich inzwischen in der Hauptsache erledigt.

Die Antragsgegnerin hat die Rechte der Antragstellerin dadurch verletzt, dass sie den Auftrag an die Beigeladene ohne erneute Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens nach § 101 Abs. 1 GWB erteilt hat.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin zu tragen.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 41.460,51 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin, die von der Stadt H. zur regionalen Wirtschaftsförderung im Bereich Medien und Technologie gegründet wurde, hatte im Januar 2006 den oben genannten Bauauftrag EU-weit im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) - Ausgabe 2002 - zur Vergabe ausgeschrieben (vgl. Supplement zum Amtsblatt der EU vom 25. Januar 2006, S16). Der Auftrag ist Bestandteil des Bauvorhabens "Neubau eines Multimediazentrums" im Umfang von weit mehr als fünf Mio. EUR. Als Zuschlagskriterien in dieser Ausschreibung hatte die Antragsgegnerin bekannt gemacht:

1. Preis

2. Leistungsfähigkeit

3. Qualität

4. Ausführungsfrist.

Innerhalb der Angebotsfrist waren Angebote von vier Bietern eingegangen. Das Angebot der später beauftragten G. GmbH hatte einen um ca. ein Drittel geringeren Preis ausgewiesen als das preislich zweitplatzierte Angebot der hiesigen Antragstellerin. Die Fa. G. hatte mit ihrem Angebot allerdings nicht, wie gefordert, zugleich auch ein Referenzobjekt für den Ausbau eines Tonstudios vorgewiesen. Dem preislich ca. 14 % über den Angebotspreis der Antragstellerin liegenden Angebot der Beigeladenen fehlte es ebenfalls an geforderten Unterlagen, hier insbesondere der geforderten Tariftreueerklärung. Beide unvollständigen Angebote waren von der Antragsgegnerin in die Wirtschaftlichkeitsbewertung einbezogen worden. In ihrem Prüfprotokoll vom 8. April 2006 hatte die Beraterin der Antragsgegnerin in der Ausschreibung, die Fa. P. aus B. , ausgeführt, dass die Prüfung in der 1. Wertungsstufe keinerlei Beanstandungen ergeben habe. Die Antragstellerin und die Beigeladene seien als geeignet für die Auftragsausführung anzusehen. Das Angebot der als ungeeignet bewerteten Fa. G. GmbH sei unter Berücksichtigung der vorgelegten Kalkulation als unauskömmlich zu bewerten. Die Beraterin hatte daher eine Zuschlagserteilung an die Antragstellerin empfohlen. Die Antragsgegnerin hatte danach ein Aufklärungsgespräch mit der Fa. G. GmbH durchgeführt. Danach war sie von deren Eignung und von der Auskömmlichkeit des Angebotspreises der G. GmbH überzeugt. Ausweislich der Entscheidungsvorlage der Antragsgegnerin vom 24. April 2006 hatte bei der abschließenden Wirtschaftlichkeitsbewertung in der 4. Wertungsstufe allein der Preis Berücksichtigung gefunden. Eine Bewertung von Qualität und Ausführungsfrist hatte weder beim Angebot der Zuschlagsaspirantin noch - vergleichend - bei den Angeboten der Antragstellerin und der Beigeladenen stattgefunden. Im Mai 2006 hatte die Antragsgegnerin den Zuschlag auf das Angebot der G. GmbH erteilt.

Mit Schreiben vom 3. Juli 2006 kündigte die Antragsgegnerin den Bauvertrag mit der G. GmbH mit sofortiger Wirkung wegen diverser erheblicher Qualitätsmängel und Terminschwierigkeiten seit Beginn der Bauausführung. Trotz Kündigung bestand die Beschaffungsabsicht aber fort. Nach ihren eigenen Angaben im Beschwerdeverfahren wollte die Antragsgegnerin den Bauauftrag nicht nochmals ausschreiben. Sie wollte kein Vergabeverfahren, auch nicht in Form eines Verhandlungsverfahrens ohne erneute Vergabebekanntmachung, durchführen. Sie prüfte lediglich intern auf der Grundlage der Angebote der anderen Bieter im Offenen Verfahren, mit welchem der bisher nicht berücksichtigten Bieter sie den Vertrag schließen könne.

Sie entschied sich für die Beigeladene. Nach dem Inhalt der Empfehlung der Beraterin der Antragsgegnerin vom 11. Juli 2006 (BeiA Bl. 29 f) und einer Gesprächsnotiz vom 5. Juli 2006 (BeiA Bl. 35) war der Entscheidung eine nochmalige Prüfung der Referenzen der Antragstellerin vorausgegangen, in deren Ergebnis die Antragstellerin nunmehr als ungeeignet bewertet worden war. Demgegenüber wurde die Beigeladene insbesondere auch aufgrund eigener Erfahrungen der Antragsgegnerin als besonders fachkundig und leistungsfähig eingeschätzt. Mit Schreiben vom 10. Juli 2006 hatte die Beigeladene zudem angeboten, bei kurzfristiger Beauftragung die Arbeiten noch termingerecht ausführen zu können. Mit der Beigeladenen fand am 12. Juli 2006 eine s.g. "Abstimmung" statt, in deren Verlauf vor allem nochmals über den Gesamtangebotspreis des Hauptangebots der Beigeladenen verhandelt wurde. Am 13. Juli 2006 schlossen die Antragsgegnerin und die Beigeladene einen Bauvertrag über die o.g. Bauleistungen auf der Grundlage des ehemaligen Angebots der Beigeladenen im Offenen Verfahren, dessen Bindungsfrist abgelaufen war, und der nachträglichen "Abstimmung".

Die Antragstellerin wurde über die erneute Absicht eines Vertragsschlusses nicht vorab informiert. Am 27. Juli 2006 schrieb sie an die Antragsgegnerin, dass sie an diesem Tage erfahren habe, dass der aufgrund der Ausschreibung geschlossene Vertrag gekündigt worden sei. Sie bekundete ihr fortbestehendes Interesse am Auftrag und formulierte weiter: "Daraus ableitend gehen wir davon aus, dass die Leistungen neu ausgeschrieben werden, oder mit dem geeigneten Nächstbieter ein Beauftragungsverfahren durchgeführt wird." Darauf hin informierte sie die Antragsgegnerin über den bereits erfolgten erneuten Vertragsschluss.

Mit Schriftsatz vom 31. Juli hat die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit dem Ziel beantragt, dass die Antragsgegnerin verpflichtet werden möge, den Bauauftrag erneut auszuschreiben.

Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin nach mündlicher Verhandlung durch Beschluss vom 1. September 2006 stattgegeben. Sie stützt ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass der Nachprüfungsantrag trotz des erfolgten Vertragsschlusses ausnahmsweise zulässig sei. Die Vorschrift des § 13 Satz 6 VgV 2005 sei auf den vorliegenden Vertragsschluss analog anwendbar, so dass der Vertrag nichtig sei. Die Antragsgegnerin sei nach Kündigung des ersten Vertrages verpflichtet gewesen und sei nun weiter verpflichtet, den Bauauftrag nochmals EU-weit auszuschreiben. Die Voraussetzungen für eine entsprechende Ausschreibungspflicht (§§ 98 bis 100 GWB) seien nach wie vor erfüllt. Die am 5. September 2006 vollständig abgesetzte Entscheidung wurde der Antragsgegnerin selbst mit Zustellungsurkunde zugestellt. Ausweislich der Zustellungsurkunde soll die Übergabe der Postsendung am Mittwoch, dem 6. September 2006, gegen 10:25 Uhr im Geschäftslokal der Antragsgegnerin gescheitert sein; die Zustellung sei daher durch Einwurf in den Briefkasten erfolgt. Die Antragsgegnerin hat hierzu erklärt, dass ihr Geschäftslokal am 6. September 2006 zur fraglichen Zeit ununterbrochen besetzt gewesen sei; ein Zustellungsversuch sei an diesem Tage und zu dieser Zeit nicht unternommen worden. Die Post sei trotz mehrfacher Kontrollen des eigenen Briefkastens auch am 6. September 2006 erst am Folgetag, am 7. September 2006, bei der Antragsgegnerin zugegangen. Es sei durchaus denkbar, dass der Zustellversuch am 6. September 2006 versehentlich in einen anderen der mehr als zwanzig Firmenbriefkästen im Eingangsbereich des Multimediazentrums erfolgt sei und der Inhaber dieses Briefkastens am nächsten Tage den Umschlag der Antragsgegnerin zugeleitet habe. Die Antragsgegnerin hat insoweit eidesstattliche Versicherungen ihrer Geschäftsführerin sowie ihrer Angestellten P. F. vorgelegt.

Die Antragsgegnerin hat am 21. September 2006 vorab per Fax sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht Naumburg eingelegt. Sie wendet sich insbesondere gegen die analoge Anwendung des § 13 VgV auf die vorliegende Fallkonstellation durch die Vergabekammer. Sie meint, dass § 13 VgV hier nicht anwendbar sei, weil eine "Verhandlung" mit mehreren Bietern gerade nicht stattgefunden habe. Sie habe direkt nur mit der jetzigen Vertragspartnerin, der Beigeladenen, gesprochen und den Vertrag geschlossen. Sie vertritt zudem die Auffassung, dass ihr nach der Kündigung des Vertrages unzumutbar gewesen sei, nochmals ein Verhandlungsverfahren durchzuführen, allein schon im Hinblick auf die Möglichkeit einer nachfolgenden Nachprüfung dieses Verfahrens. Hilfsweise beruft sie sich darauf, dass die Antragstellerin selbst im Falle der Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens keine Chance auf den Zuschlag gehabt hätte, weil sie nachträglich weniger geeignet als die Beigeladene erschienen sei.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom , 1 VK LVwA 29/06, aufzuheben und den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen,

hilfsweise, festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist.

Sie verteidigt im Wesentlichen die angefochtene Entscheidung.

Der Senat hat am 19. Februar einen Termin der mündlichen Verhandlung durchgeführt. Die Antragsgegnerin hat auf Nachfrage des Senats angegeben, dass der Bauauftrag inzwischen durch die Beigeladene erfüllt worden sei. Wegen des weiteren Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom selben Tage Bezug genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig; sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Allerdings war mit Rücksicht auf die vollständige Erfüllung der ursprünglich ausgeschriebenen Auftragsleistungen die Anordnung der Vergabekammer in eine Feststellung umzuwandeln.

Die Vergabekammer ist zu Recht von der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages der Antragstellerin ausgegangen, weil der Vertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen nichtig ist. Die von der Antragstellerin erhobene Rüge, dass die Beauftragung der Beigeladenen ohne vorausgegangenes Vergabeverfahren nach § 101 Abs. 1 GWB vergaberechtswidrig sei, ist begründet.

1. Das Rechtsmittel der Antragsgegnerin ist zulässig. Es wurde frist- und formgerecht (§ 117 Abs. 1 bis 3 GWB) beim zuständigen Gericht (§ 116 Abs. 3 S. 1 GWB) eingelegt. Die auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfenden allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens (§§ 98 bis 100, 102, 107 Abs. 1, 108 GWB) liegen vor. Der Senat sieht insbesondere auch die Beschwerdefrist als gewahrt an. Die Antragsgegnerin hat hier widerlegt, dass die in der Zustellungsurkunde bereits für den 6. September 2006 ausgewiesene Zustellung tatsächlich an diesem Tage erfolgt ist.

2. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zulässig. Die Antragstellerin ist antragsbefugt i.S. von § 107 Abs. 2 GWB. Eine Rüge des geltend gemachten Vergaberechtsverstoßes war hier ausnahmsweise entbehrlich, denn nachdem der Vertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen bereits geschlossen worden war, musste die Antragstellerin davon ausgehen, dass eine Rüge keinerlei Erfolgsaussichten gehabt hätte. In dieser Konstellation wäre das Verlangen einer Rüge reine Förmelei.

Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht hier der vorangegangene Vertragsschluss der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen vom 13. Juli 2006 ausnahmsweise nicht entgegen. Der Vertrag ist nach § 13 VgV 2005 analog nichtig.

Die Vorschrift des § 13 VgV ist auf den vorliegenden Beschaffungsvorgang anwendbar, denn die zu beschaffende Bauleistung unterliegt der EU-weiten Ausschreibungspflicht. Die Antragsgegnerin ist öffentliche Auftraggeberin i.S. von § 98 Nr. 2 GWB, der ausgeschriebene Auftrag ist ein Bauauftrag i.S. von § 99 Abs. 1, Abs. 3 GWB, der Schwellenwert nach § 100 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 4 VgV ist überschritten; Ausschlussgründe i.S. von § 100 Abs. 2 GWB liegen nicht vor. Darüber herrscht Einvernehmen der Verfahrensbeteiligten.

Für die Anwendbarkeit des § 13 VgV ist es unerheblich, dass die Antragsgegnerin im Juli 2006 kein förmliches Vergabeverfahren i.S. der §§ 97 ff. GWB durchgeführt hat. Das vorausgegangene Offene Verfahren war im Mai 2006 durch Zuschlagserteilung beendet worden. Bei materieller Betrachtung wollte die Antragsgegnerin jedoch im Juli 2006 den identischen, noch immer der EU-weiten Ausschreibungspflicht unterliegenden Auftrag vergeben. Diese s.g. "De facto"-Vergaben werden von § 13 VgV bei gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung ebenfalls erfasst (vgl. BGH, Beschluss v. 1. Februar 2005, X ZB 27/04 - VergabeR 2005, 328 = NZBau 2005, 290). Denn Sinn der Regelung ist es, den unterlegenen Bietern eines Vergabeverfahrens die Möglichkeit zu eröffnen, die Entscheidung des Auftraggebers, die sich auf einen EU-weit auszuschreibenden Auftrag bezieht, effektiv anfechten zu können, d.h. mit der Möglichkeit der Verhinderung einer vermeintlich vergaberechtswidrigen Entscheidung des Auftraggebers. Die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, einen effektiven vergaberechtlichen Primärrechtsschutz zu gewähren, besteht auch für Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens (vgl. EuGH, Urteil v. 11. Januar 2005, Rs. C-26/03 "TREA Leuna ./. Stadt Halle u. RPL GmbH" - VergabeR 2005, 44 = NZBau 2005, 111). Es ist davon auszugehen, dass die Bundesrepublik Deutschland dieser Verpflichtung u.a. durch die Vorschrift des § 13 VgV vollständig entsprechen wollte.

Die Voraussetzungen des § 13 Satz 6 VgV liegen bei dessen entsprechender Anwendung vor. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin über den beabsichtigten Vertragsschluss mit der Beigeladenen nicht vorab informiert. Sie hat damit gegen die aus entsprechender Anwendung des § 13 Satz 1 VgV folgende Vorabinformationspflicht verstoßen. Denn nach dieser Vorschrift sind "Bieter", deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, hierüber vorab zu informieren. Die Antragstellerin ist als "unterlegene Bieterin" i.S. dieser Vorschrift anzusehen. Sie hat sich im vorangegangenen Offenen Verfahren mit einem Angebot an der Ausschreibung beteiligt. Der Antragsgegnerin war damit das Interesse der Antragstellerin am Auftrag bekannt. Die Antragsgegnerin hat darüber hinaus bei ihrer internen Entscheidung im Juli 2006 das Angebot der Antragstellerin aus dem Offenen Verfahren sogar einer erneuten Prüfung unterzogen und es damit zum Gegenstand ihrer erneuten Vergabeentscheidung gemacht. Sie hat bewusst entschieden, das Angebot der Antragstellerin nicht anzunehmen bzw. ihr einen Vertragsschluss auf der Grundlage dieses ursprünglichen Angebots nicht mehr anzubieten. Bei materieller Betrachtung ist damit auch im Juli 2006 das Angebot der Antragstellerin unberücksichtigt geblieben. Der fehlenden formalen Stellung als Bieterin kommt demgegenüber keine Bedeutung zu. Nach ihren eigenen Angaben im Beschwerdevorbringen hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin nur deshalb formal nicht die Stellung einer Bieterin eingeräumt, um ihr die Möglichkeit der Nachprüfung der beabsichtigten Zuschlagserteilung zu nehmen. Dieser Versuch, sich der Anwendung des § 13 VgV zu entziehen, ist in keiner Weise schutzwürdig.

Die Auffassung des Senats steht im Einklang mit der hierzu bislang ergangenen Rechtsprechung. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat in mehreren Vergabenachprüfungsverfahren bereits entschieden: Werden nach einem erfolglos gebliebenen Offenen Verfahren (Beschlüsse v. 23. Februar 2005, VII-Verg 85/04 - NZBau 2005, 536; und VII-Verg 86/04) bzw. nach einem erfolglos gebliebenen Nicht offenen Verfahren (Beschluss vom 23. Februar 2005, VII-Verg 78/04 - NZBau 2005, 537) bei unverändertem Beschaffungsbedarf Verhandlungen mit nur einem Bieter des aufgehobenen Verfahrens geführt, so liegt bei funktionaler Betrachtung materiell ein einheitliches Vergabeverfahren vor. Der Auftraggeber hat vor einem beabsichtigten Vertragsschluss zumindest diejenigen Unternehmen nach § 13 VgV zu informieren, die er im Rahmen des vorangegangenen Nicht offenen Verfahrens zur Angebotsabgabe aufgefordert hatte, bzw. alle Bieter des Offenen Verfahrens. Im Beschluss vom 24. Februar 2005 (VII-Verg 88/04 - NZBau 2005, 535) führt der Senat aus: Für die Anwendbarkeit des § 13 VgV kommt es nicht darauf an , ob der Auftraggeber einem am Auftrag interessierten Unternehmen formal eine Bieterstellung eingeräumt hat. Zumindest bei unverändertem Beschaffungsbedarf des Auftraggebers genügt es, wenn ein Unternehmen in einem vorangegangenen Offenen Verfahren, welches erfolglos geblieben ist, ein Angebot abgegeben hat. Ebenso hat das Oberlandesgericht Celle einen ohne förmliches Vergabeverfahren in Verhandlungen mit nur einem Bieter zustande gekommenen Vertrag nach § 13 VgV analog als nichtig angesehen, weil der Auftraggeber vom Interesse eines weiteren Unternehmens am Auftrag Kenntnis erlangt und diesem Unternehmen die Vorabinformation nicht erteilt hatte, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. Es sei in dieser Konstellation nicht einmal erforderlich, dass das am Auftrag interessierte Unternehmen ein konkretes Angebot abgegeben habe (vgl. Beschluss v. 14. September 2006, 13 Verg 3/06 "kommunales Datenverarbeitungszentrum" - ZfBR 2006, 818).

3. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist nach dem Vorausgeführten begründet.

Die Antragsgegnerin wäre auch im Juli 2006 verpflichtet gewesen, die erneute Vergabe des Bauauftrags in einem Verfahren nach § 3a VOB/A auszuschreiben. Wird der ursprünglich im Vergabeverfahren geschlossene Vertrag gekündigt und besteht die Absicht der Beschaffung dieser Leistungen von einem Dritten fort, so ist der Auftrag erneut im Wettbewerb zu vergeben. Nach dem "Ausfall" des Ausschreibungsgewinners als Vertragspartner war ein neuer Vertragspartner zu finden. Wie die Antragsgegnerin zutreffend ausgeführt hat, war das ursprüngliche Offene Verfahren beendet. Dessen "Wiederaufnahme" war nicht möglich. Die Auswahl des neuen Vertragspartners erforderte daher ein neues Vergabeverfahren.

Soweit die Antragsgegnerin die Dringlichkeit der Auftragsausführung anführt, vermag dies eine Befreiung von der Ausschreibungspflicht nicht zu rechtfertigen. Selbst wenn man zugunsten der Antragsgegnerin von einer nicht selbst verursachten Dringlichkeit ausginge, so käme nach § 3a Nr. 5 lit. d) VOB/A allenfalls eine Beschränkung des durchzuführenden wettbewerblichen Verfahrens auf ein Verhandlungsverfahren ohne Öffentliche Vergabebekanntmachung zumindest mit der Antragstellerin und der Beigeladenen in Betracht.

Nur ergänzend sei angemerkt, dass die Durchführung eines solchen Verfahrens nicht mehr Zeit in Anspruch genommen hätte, als die Antragsgegnerin ohnehin für ihre erneute Auswahlentscheidung benötigt hat. Denn selbst Auftragsverhandlungen mit zwei Bietern wären unter den hier gegebenen besonderen Bedingungen in den zehn Tagen vom 3. Juli bis zum 13. Juli 2006 durchführbar gewesen. Eine Bekanntgabe der Gründe der Entscheidung für das Angebot der Beigeladenen gegenüber der Antragstellerin hätte zumindest die Chance beinhaltet, dass die Antragstellerin diese Entscheidung akzeptiert bzw. hinnimmt. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz konnte die Antragsgegnerin ohnehin nicht beseitigen, wie das vorliegende Verfahren auch zeigt. Mit ihrer Vorgehensweise hat die Antragsgegnerin hier das Nachprüfungsverfahren der Antragstellerin selbst provoziert.

4. Die Zurückweisung des Rechtsmittels der Antragsgegnerin hatte mit der Maßgabe zu erfolgen, dass nunmehr nur noch eine Feststellung der Rechtsverletzung der Antragstellerin auszusprechen war. Die Antragsgegnerin kann nach vollständiger Befriedigung ihres Beschaffungsbedarfs nicht mehr zu einer erneuten Ausschreibung der Leistungen verpflichtet werden. Denn der Beschaffungsvorgang ist inzwischen endgültig abgeschlossen; damit hat sich das Nachprüfungsverfahren in der Hauptsache in sonstiger Weise erledigt, §§ 123 i.V.m. 114 Abs. 2 Satz 2 GWB.

5. Die Entscheidung über die Kostentragung im Beschwerdeverfahren beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Abänderung des Entscheidungsausspruchs der Vergabekammer geht allein auf eine prozessuale Überholung der ursprünglich getroffenen Anordnung zurück.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Der Senat legt dabei den Bruttoauftragswert des geschlossenen Vertrags zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zugrunde, denn das wirtschaftliche Interesse der Antragsgegnerin war insbesondere auf Aufrechterhaltung dieses Vertrages gerichtet.

Ende der Entscheidung

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