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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 17.08.2007
Aktenzeichen: 1 Verg 5/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 269 Abs. 1
Die Rücknahme des Nachprüfungsantrages ist auch nach mündlicher Verhandlung im Beschwerdeverfahren ohne Einwilligung des Antragsgegners und eines etwaigen Beigeladenen wirksam. Für eine analoge Anwendung von § 269 Abs. 1 ZPO besteht kein Bedürfnis.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Verg 5/07 OLG Naumburg

In der Vergabesache

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Zettel sowie die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm

am 17. August 2007

beschlossen:

Tenor:

1. Es wird festgestellt, dass das Nachprüfungsverfahren durch Antragsrücknahme, eingegangen am 19.07.2007, erledigt ist.

2. Der Verkündungstermin vom 30.08.2007 wird aufgehoben.

3. Die Antragstellerin trägt die Gebühren und Auslagen des Verfahrens vor der Vergabekammer von insgesamt 4.985,26 € sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Sie hat auch die notwendigen Auslagen des Antragsgegners und der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

4. Der Beschwerdewert wird auf 227.450,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass er den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin für unbegründet hält. Er hat u.a. seine Rechtsauffassung zu der Frage erläutert, ob die Verpflichtungserklärungen der Nachunternehmer der Vergabestelle im vorliegenden Fall im Original hätten vorgelegt werden müssen. Zum einen hat der Senat mitgeteilt, dass es nach seiner Ansicht im Gegensatz zur Ansicht der Vergabekammer nicht um das Kriterium der Dokumentenechtheit geht, sondern allein darauf ankommt, ob diese Erklärungen im Original einzureichen sind oder als Ablichtung vorgelegt werden können. Diese Auslegungsfrage hat der Senat im vorliegenden Einzelfall unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizontes dahin beantwortet, dass bloße Kopien ausreichend waren. Die Bieter waren nicht ohne Weiteres verpflichtet, die Originale einzureichen. Ebenso wenig ist es hier zu beanstanden, dass die Vergabestelle die Kopien als ausreichend angesehen hat. Auf Grund dieses Hinweises hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 18.07.2007 die Rücknahme des Nachprüfungsantrages erklärt, der jedoch weder der Antragsgegner noch die Beigeladene zugestimmt haben. Beide wiesen darauf hin, dass sie an der gerichtlichen Klärung der o.g. Frage für zukünftige Vergabeverfahren interessiert seien.

II.

Die auch in der Beschwerdeinstanz noch mögliche Rücknahme ist mit ihrem Eingang bei Gericht wirksam geworden. Einer Einwilligung durch den Antragsgegner oder die Beigeladene bedurfte es nicht. Nach nochmaliger Beratung hält der Senat die Rücknahme des Nachprüfungsantrages nicht für zustimmungsbedürftig.

1. Eine Einwilligung der Beigeladenen wurde von der Rechtsprechung bisher ohnehin nicht für erforderlich gehalten (vgl. BayObLG, Beschl. v. 11.05.2004, Verg 3/04, VergabeR 2004, 666 f. unter Hinweis auf BVerwGE 30, 27; OLG Koblenz, Beschl. v. 15.08.2006, 1 Verg 7/06). Dies folgt aus der abhängigen Stellung eines Beigeladenen im Prozess, die auch im Falle einer notwendigen Beiladung nicht entfällt.

2. Auch einer Einwilligung des Antragsgegners bedarf es nach Ansicht des Senates nicht, weil ein Bedürfnis zur analogen Anwendung des § 269 Abs. 1 ZPO im Vergabeverfahren fehlt.

a) Das Bayerische Oberste Landesgericht hatte die Meinung vertreten (Beschl. v. 11.05.2004, a.a.O.), eine Rücknahme des Nachprüfungsantrages werde erst mit Eingang der Einwilligung des Antragsgegners bei Gericht wirksam (§ 269 Abs. 1 ZPO analog). Dem ist das Oberlandesgericht Koblenz gefolgt (Beschl. v. 15.08.2006, 1 Verg 7/06). Beide Gericht haben ihre Ansicht nicht begründet. Hierzu bestand in jenen Verfahren auch keine Veranlassung, weil die als notwendig erachtete Einwilligung in beiden Fällen tatsächlich erteilt worden war. Die Frage, wie ohne Einwilligung zu verfahren wäre, stellte sich für die dortigen Senate nicht.

b) Der BGH hat nur die entsprechende Anwendung der Kostenregelungen der ZPO angeordnet (vgl. BGHZ 146, 202, 216; BGHZ 158, 43, 59). Das Erfordernis der Einwilligung nach § 269 Abs. 1 ZPO gehört nicht zu den Kostenvorschriften, so dass der Senat sich an der oben dargestellten Entscheidung nicht gehindert sieht. Im Übrigen hat auch der BGH in seiner Entscheidung vom 25.10.2005, X ZB 15/05, NZBau 2006, 392, 393, offenbar eine Zustimmung der übrigen Beteiligten nach der mündlichen Verhandlung vor dem Vergabesenat nicht als Voraussetzung der Wirksamkeit der Rücknahme angesehen, sondern ohne weiteres über die Kosten entschieden.

c) Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 269 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor.

aa) Das Beschwerdeverfahren vor den Vergabesenaten ist trotz einiger unmittelbarer und mittelbarer Verweisungen in § 120 Abs. 2 GWB auf Vorschriften des Kartellbeschwerdeverfahrens, der ZPO, des GVG und des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer nicht abschließend und vollständig geregelt. Die Frage der Schließung solcher Lücken muss für jede einzelne Verfahrensfrage gesondert geprüft werden. Eine allgemeine analoge Anwendbarkeit der Vorschriften der ZPO als "Auffangbestimmungen" im Beschwerdeverfahren ist auf Grund der differenzierenden Auswahl des Gesetzgebers ausgeschlossen, der von einer derartigen Pauschalverweisung abgesehen hat.

bb) Die Frage, ob eine Rücknahme des Nachprüfungsantrages im Beschwerdeverfahren der Zustimmung des Antragsgegners bedarf, hat der Gesetzgeber nicht geregelt. Weder hat er auf § 269 Abs 1 ZPO noch auf § 92 Abs. 1 S. 2 VwGO verwiesen.

Ob hierin eine planwidrige Regelungslücke als notwendige Voraussetzung für eine Analogie gesehen werden kann, erscheint bereits zweifelhaft. Denn ein bewusster Verzicht auf einen Einwilligungsvorbehalt auch in zweiter Instanz erscheint vor dem Hintergrund des erstinstanzlichen Verfahrens vor der Vergabekammer, in dem ein solcher nicht existiert, durchaus sachgerecht. Jedenfalls gebietet die Interessenlage der Verfahrensbeteiligten es nicht, § 269 Abs 1 ZPO oder auch nur den darin enthaltenen Rechtsgedanken im Beschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden.

(1) Im Zivilprozess kann die einmal zurückgenommene Klage grundsätzlich jederzeit wieder eingereicht werden (§ 269 Abs. 3 S. 1 ZPO), solange der zu Grunde liegende materiellrechtliche Anspruch nicht verjährt oder untergegangen ist. Daran kann ein Kläger durchaus ein erhebliches Interesse haben, wenn er sich z.B. in einer vorübergehend schlechten Beweisposition befindet oder aus anderen Gründen meint, seinen Anspruch in einem zweiten oder dritten Versuch besser durchsetzen zu können. Der Beklagte eines Zivilverfahrens hat deshalb ein nachvollziehbares Interesse, dies zu verhindern, indem er darauf besteht, das einmal eröffnete streitige Verfahren zu Ende zu führen. Ohne die Regelung des § 269 Abs. 1 ZPO wären Fälle denkbar, in denen der Kläger den Rechtsstreit mehrfach neu beginnt und den Beklagten immer wieder mit demselben Anspruch konfrontiert.

(2) Eine vergleichbare Interessenkollision gibt es im Vergabenachprüfungsverfahren nicht. Wird das Verfahren durch Antragsrücknahme erledigt, so kann die Vergabestelle sofort den Zuschlag erteilen. Damit ist jeder weitere Nachprüfungsantrag unzulässig, eine Wiederholung des Verfahrens droht nicht. Auch die Durchsetzung etwaiger Sekundäransprüche wäre nach erfolgter Antragsrücknahme nur noch eingeschränkt möglich (so auch mit ähnlicher Begründung: Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz, Komm. z. GWB-Vergaberecht, 1. Aufl. 2006, § 123 Rdn. 20). Die Vergabestelle selbst sieht in dem vorliegenden Verfahren keine unmittelbare Verletzung ihrer Interessen durch die Antragsrücknahme. Sie begründet die Verweigerung ihrer Zustimmung allein damit, dass sie die hier streitgegenständliche Rechtsfrage zur "Dokumentenechtheit" von Nachunternehmererklärungen gerne für zukünftige, ähnliche Fälle geklärt wissen möchte. Diesem verständlichen Anliegen kann jedoch in einem Vergabenachprüfungsverfahren nicht Rechnung getragen werden. Es wäre mit dem Charakter als Eilverfahrens nicht vereinbar, ein Nachprüfungsverfahren nur zur Klärung einer allgemeinen Rechtsfrage nach Antragsrücknahme noch fortzuführen, obwohl es auf diese Frage im konkreten Verfahren nicht mehr ankommt.

(3) Vielmehr müsste die Vergabestelle, die einen Zuschlag erteilen möchte, ein erhebliches eigenes Interesse an einer möglichst raschen Beendigung des Nachprüfungsverfahrens haben, die im Falle der Antragsrücknahme nur dann eintritt, wenn die Rücknahme ohne Weiteres wirksam wird. Wollte man § 269 Abs. 1 ZPO analog anwenden, würde sich das Eilverfahren unnötig verzögern. Schon der Eilcharakter des Verfahrens spricht deshalb nach Ansicht des Senats gegen eine analoge Anwendung des § 269 Abs. 1 ZPO, der auch in anderen Eilverfahren, vor allem dem Arrest- und Verfügungsverfahren der ZPO nicht angewendet wird (vgl. die Nachweise bei Zöller-Vollkommer, 26. Aufl. 2007, § 920 Rdn. 13).

(4) Sonstige Interessen der Vergabestelle, die so erheblich wären, dass sie eine analoge Anwendung des § 269 Abs. 1 ZPO im Eilverfahren gebieten könnten, liegen nicht vor. Selbst wenn man das Kosteninteresse der Vergabestelle als ein solches ansehen wollte, wäre es dadurch gewahrt, dass die Rücknahme des Nachprüfungsantrages im Beschwerdeverfahren in der Regel zur Folge hat, dass der Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten der Gegenseite trägt (§ 269 Abs. 2 S. 2 ZPO analog, vgl. BGHZ 146, 202, 216). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Vergabestelle im Verfahren vor der Vergabekammer findet zwar nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, NZBau 2006, 392 ff.) nach Antragsrücknahme nicht statt. Diese Folge der Rücknahme nach einer Verhandlung in erster Instanz hängt aber ohnehin nicht von der Einwilligung der Vergabestelle ab, denn eine Rücknahme im Verfahren vor der Vergabekammer, das als Verwaltungsverfahren ausgestaltet ist, wird ohne Zustimmung der Vergabestelle wirksam. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Vergabestelle nur dann im Wege der Analogie privilegiert werden sollte, wenn die Rücknahme erst im Beschwerdeverfahren erfolgt. Denn die durch das Beschwerdeverfahren entstandenen Mehrkosten hat in der Regel der zurücknehmende Antragsteller zu erstatten, so dass die späte Rücknahme unter dem Gesichtspunkt der Kostenlast vor allem ihm zum Nachteil gereicht, sich an der kostenrechtlichen Stellung des Antragsgegners aber in aller Regel nichts ändert.

(5) Analogien im Prozessrecht sollten nur zurückhaltend gezogen werden. Solange selbst die Interessenlagen der Beteiligten und deren Anspruch auf Durchsetzung ihrer materiellen Rechtsposition es nicht erfordern, muss - wie hier - von der Anwendung solcher Verfahrensbestimmungen, die der Gesetzgeber nicht vorgesehen hat, verzichtet werden. Denn die Verfahrensbestimmungen der Prozessordnung sind nur Hilfsmittel für die Verwirklichung oder Wahrung von Rechten. Dabei soll die Durchsetzung des materiellen Rechts so wenig wie möglich an Verfahrensfragen scheitern (vgl. BGHZ 34, 64; 101, 137; 113, 231).

III.

Durch die Rücknahme des Nachprüfungsantrags ist die Entscheidung der Vergabekammer auch im Kostenpunkt wirkungslos geworden (vgl. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Der Senat hat über die Kosten beider Rechtszüge zu befinden. Dabei ist zwischen den Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und denjenigen der sofortigen Beschwerde zu unterscheiden.

1. Die Antragstellerin hat gemäß § 128 Abs. 1 S. 2 GWB i.V.m. § 10 VwKostG-LSA die für die Tätigkeit der Vergabekammer anfallenden Gebühren und Auslagen zu tragen (vgl. BGH, NZBau 2004, 285). Sie betragen insgesamt 4.985,26 €, wie die Vergabekammer bereits festgestellt hat.

Hingegen findet eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners oder der Beigeladenen im Verfahren vor der Vergabekammer nach der Rechtsprechung des BGH nicht statt, weil es an einem Unterliegen i.S.d. § 128 Abs. 4 Satz 2 GWB fehlt und eine analoge Anwendung anderer Kostenregeln mangels planwidriger Lücke nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, NZBau 2006, 392 ff.; NZBau 2004, 285).

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin gemäß § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO analog (vgl. BGHZ 146, 202, 216). Dazu gehören auch die notwendigen Kosten der Beigeladenen (vgl. BGHZ 158, 43, 59), die hier nicht nur Anträge i.S.d § 119 GWB gestellt, sondern das Beschwerdeverfahren selbst eingeleitet hat.

IV.

Gemäß § 12 a GKG beträgt der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 5 % der Bruttoauftragssumme. Da vor Abschluss des Verfahrens kein Auftrag erteilt wurde, ist die Bruttoangebotssumme der Antragstellerin maßgeblich, die das Nachprüfungsverfahren eingeleitet hat.

Ende der Entscheidung

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