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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 31.07.2006
Aktenzeichen: 1 Verg 6/06
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 115 Abs. 3 Satz 1
1. Ein Antrag i.S.v. § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB auf Anordnung anderer vorläufiger Maßnahmen als der Anordnung bzw. Verlängerung eines Zuschlagverbots ist grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat statthaft.

2. Zum (hier fehlenden) Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB analog bei Doppelausschreibung.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Verg 6/06 OLG Naumburg

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend die u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 17. März 2005 ausgeschriebene Vergabe des Bauauftrages "Bundesautobahn A ... ; Erd- und Deckenbau und BW ... ,

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Trojan, den Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und die Richterin am Oberlandesgericht Engelhard am

31. Juli 2006

beschlossen:

Tenor:

Die jeweils gleichlautenden Anträge der Antragstellerinnen zu 1) und zu 2) auf Anordnung weiterer vorläufiger Maßnahmen werden verworfen.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin, eine Beteiligungsgesellschaft privaten Rechts zur Planung, Bauvorbereitung und Baudurchführung für die Bundesfernstraßenprojekte Deutsche Einheit, deren Gesellschafter zu 50 % der Bund und zu je 10 % die Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind, schrieb im März 2005 den oben genannten Bauauftrag EU-weit im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) - Ausgabe 2002 - zur Vergabe aus. Der geschätzte Auftragswert netto liegt etwa bei 26 Mio. EUR.

Bis zum Ablauf der Angebotsfrist gaben sieben Unternehmen insgesamt sieben Haupt- und 49 Nebenangebote ab. Ausweislich des Submissionsprotokolls reichte die Antragstellerin zu 1) das preislich günstigste Hauptangebot i.H.v. 27.894.044,99 EUR und die Antragstellerin zu 2) das zweitgünstigste Hauptangebot ein, welches unter weiterer Berücksichtigung von Änderungsvorschlägen und unter Einbeziehung eines angebotenen pauschalen Preisnachlasses auf eine geprüfte Angebotssumme i.H.v. 28.999.841,89 EUR endete.

Die Antragsgegnerin beabsichtigte zunächst, das Hauptangebot der Antragstellerin zu 1) wegen angeblicher unzulässiger Preisverlagerungen nach §§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b) i.V.m. 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A von der weiteren Wertung auszuschließen. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin zu 1) mit einer - erfolglosen - Rüge und mit einem - letztlich erfolgreichen - Nachprüfungsverfahren. Der erkennende Senat verpflichtete die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 22. September 2005, 1 Verg 7/05 (= VergabeR 2005, 779 = ZfBR 2005, 834), die Wertung der Angebote unter Einbeziehung des Hauptangebots der Antragstellerin zu 1) sowie unter Berücksichtigung der Rechtsauffassungen des Senats zu wiederholen.

Nachdem die Antragsgegnerin die Angebote erneut geprüft und im Rahmen der Wertung z.T. von einem veränderten Beschaffungsbedarf ausgegangen war, teilte sie beiden Antragstellerinnen mit Schreiben vom 3. März 2006 jeweils mit, dass sie die Ausschreibung im Hinblick auf notwendige grundlegende Änderungen der Verdingungsunterlagen aufhebe. Beide Antragstellerinnen rügten die Aufhebung als vergaberechtswidrig. Die Antragsgegnerin half den Rügen nicht ab.

Die Antragstellerinnen beantragten bei der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt die Nachprüfung der Aufhebung mit dem Ziel, dass die Antragsgegnerin verpflichtet werden möge, das Vergabeverfahren fortzuführen.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsanträgen der Antragstellerinnen nach mündlicher Verhandlung durch Beschluss vom 23. Mai 2006 jeweils stattgegeben und der Antragsgegnerin aufgegeben, die Aufhebung rückgängig zu machen und das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsansichten der Vergabekammer fortzuführen. Hiergegen hat die Antragsgegnerin am 12. Juni 2006 sofortige Beschwerde erhoben. Sie begehrt die Abänderung der Entscheidung der Vergabekammer und die Zurückweisung der Nachprüfungsanträge der Antragstellerinnen als unbegründet.

Am 3. Juli 2006 sandte die Antragsgegnerin die Bekanntmachung der Vergabe eines Bauauftrags mit identischer Bezeichnung im Offenen Verfahren an das Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften; die Bekanntmachung wurde im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 13. Juli 2006 (S-131) veröffentlicht. Die Angebotsfrist für diese Ausschreibung (künftig: zweites Vergabeverfahren) endet am 11. August 2006, 10:00 Uhr.

Die Antragstellerin zu 1) rügte die zweite Ausschreibung am 10. Juli 2006 als vergaberechtswidrig und beantragte nach der ausdrücklichen Weigerung der Antragsgegnerin, dieses neue Vergabeverfahren bis zur Entscheidung über die Fortführung oder Aufhebung des ersten Vergabeverfahrens auszusetzen, am 17. Juli 2006 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt. Gleichzeitig stellte die Antragstellerin zu 1) einen Antrag nach § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB mit dem Begehren, der Antragsgegnerin möge vorläufig untersagt werden, das zweite Vergabeverfahren fortzuführen.

Die Antragstellerin zu 1) hat zudem im vorliegenden Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 20. Juli 2006 beantragt, der Antragsgegnerin bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zu untersagen, das zweite Vergabeverfahren fortzuführen. Die Antragstellerin zu 2) hat sich diesem Antrag am 27. Juli 2006 ausdrücklich angeschlossen. Beide Antragstellerinnen machen geltend, dass in der Durchführung eines zweiten Vergabeverfahrens eine Umgehung der Anordnung der Vergabekammer auf Fortführung des ersten Vergabeverfahrens und eine Vereitelung oder zumindest eine Behinderung des Erlangens eines effektiven Rechtsschutzes im vorliegenden Nachprüfungsverfahren liege. Die erneute Ausschreibung verstoße gegen § 16 VOB/A.

Die Antragsgegnerin hat die Zurückweisung des Antrags auf Anordnung vorläufiger Maßnahmen beantragt und hierzu u.a. die Auffassung vertreten, dass der Antrag nach § 115 Abs. 3 GWB analog unzulässig sei, weil er auf einen Eingriff in ein Vergabeverfahren gerichtet sei, welches nicht Gegenstand der vorliegenden Nachprüfung sei. Im Übrigen liege ein Verstoß gegen § 16 VOB/A nicht vor.

II.

Die jeweiligen Anträge der Antragstellerin zu 1) und der Antragstellerin zu 2) sind bereits unzulässig, da hierfür ein Rechtschutzbedürfnis fehlt.

1. Allerdings geht der Senat davon aus, dass ein Antrag i.S.v. § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB auf Anordnung anderer vorläufiger Maßnahmen als der Anordnung bzw. Verlängerung eines Zuschlagverbots zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes des Bieters im Nachprüfungsverfahren grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat statthaft ist und dass der Vergabesenat dieselben Befugnisse wie die Vergabekammer im Hinblick auf die Anordnung solcher vorläufiger Maßnahmen besitzt.

Die Vorschrift des § 115 Abs. 3 GWB bezieht sich nach ihrem Wortlaut und nach ihrer systematischen Stellung lediglich auf das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer. Sie ist jedoch analog auch auf das Beschwerdeverfahren anwendbar (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 15. Juli 2004, 13 Verg 11/04 = OLGR Celle 2005, 11, 12 = ZfBR 2004, 829 - nur Ls. -; ebenso Kus in: Kulartz/ Kus/ Portz, Komm. z. GWB-Vergaberecht, 2006, § 115 Rn. 50; Byok/ Goodarzi WuW 2004, 1024, 1026 f.). Denn sie dient der Umsetzung des gemeinschaftsrechtlichen Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes, welches nach Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 auch erfordert, dass die Mitgliedsstaaten für ihre Nachprüfungsinstanzen Befugnisse zur Anordnung vorläufiger rechtssichernder Maßnahmen vorsehen. Das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gilt für alle Instanzen unterschiedslos. Das Fehlen einer entsprechenden Vorschrift in den Vorschriften zum Beschwerdeverfahren bzw. eines Verweises in § 120 Abs. 2 GWB erscheint planwidrig. Der deutsche Gesetzgeber hat die Befugnisse des Vergabesenats sowohl in der Hauptsache (vgl. § 123 GWB) als auch hinsichtlich der Anordnung bzw. Verlängerung des Zuschlagverbots (vgl. §§ 115 Abs. 2 Satz 2, 118 GWB) als auch hinsichtlich der Gestattung des vorzeitigen Zuschlags (vgl. §§ 115 Abs. 2 Satz 3, 121 f.) denjenigen der Vergabekammer gleich gestaltet. Die Voraussetzungen für die Notwendigkeit der Anordnung vorläufiger Maßnahmen i.S.v. § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB können ebenso während des Beschwerdeverfahrens vorliegen bzw. erst während des Laufes des Beschwerdeverfahrens entstehen, wie es hier von den Antragstellerinnen geltend gemacht wird (vgl. Kus a.a.O., § 115 Rn. 51; auch Anm. v. Leinemann, VergabeR 2001, 64; und Stapenhorst, VergabeR 2002, 103, 104).

2. Den Antragstellerinnen fehlt jedoch das Rechtsschutzbedürfnis im vorliegenden Beschwerdeverfahren für den von ihnen jeweils gestellten Antrag auf Untersagung der Fortführung des zweiten Vergabeverfahrens.

2.1. Die Antragstellerinnen machen einen Vergabeverstoß der Antragsgegnerin in einer formell anderen EU-weiten Ausschreibung geltend. Für die vorliegende Entscheidung kann offen bleiben, ob in der doppelten Ausschreibung eines Bauauftrages, der insgesamt nur einmal erteilt werden soll, ein Verstoß gegen das Vergaberecht liegt und ob die vermeintlich verletzte Vorschrift Bieter schützenden Charakter trägt (vgl. hierzu Anm. Prieß VergabeR 2001, 399, 400; Kaiser NZBau 2002, 553; vgl. für den Bereich der Vergabe von Lieferungen und Leistungen auch: § 26 Nr. 5 VOL/A; für den Bereich der Vergabe freiberuflicher Leistungen: OLG Naumburg, Beschluss v. 17. Mai 2006, 1 Verg 3/06). Primären Rechtsschutz gegen diesen vermeintlichen Vergaberechtsverstoß können die Antragstellerinnen in einem Nachprüfungsverfahren erlangen, welches sich auf die zweite Ausschreibung bezieht. In diesem gesonderten Nachprüfungsverfahren besteht nach § 115 GWB sowohl die Möglichkeit der Auslösung bzw. Wiederherstellung eines Zuschlagverbots als auch diejenige der Anordnung einstweiliger Maßnahmen zur vorläufigen Aussetzung des Vergabeverfahrens, ggf. lange vor einer möglichen Zuschlagsreife. Von dieser Rechtsschutzmöglichkeit hat die Antragstellerin zu 1) auch Gebrauch gemacht. Sie hat die Nachprüfung des Beginns des zweiten Vergabeverfahrens beantragt. Einer darüber hinaus gehenden Rechtsschutzmöglichkeit bedürfen beide Antragstellerinnen nicht.

2.2. Ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerinnen für ihre Anträge nach § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB analog besteht auch nicht ausnahmsweise deshalb, weil es sich bei beiden Vergabeverfahren materiell nur um einen einheitlichen Beschaffungsvorgang handelt.

Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Antragsgegnerin durch ihr Verhalten für die Antragstellerinnen die Inanspruchnahme von effektivem Primärrechtsschutz gegen die Aufhebung der ursprünglichen Ausschreibung erheblich erschwert hat. Um einen effektiven Rechtsschutz zu erlangen, ist ein Vorgehen gegen die zweite Ausschreibung geboten. Neben dem Kostenrisiko, welches sich durch die Einleitung eines weiteren Nachprüfungsverfahrens, betreffend die zweite Ausschreibung, erhöht, werden die Antragstellerinnen u.U. gezwungen, sich jetzt zu entscheiden, ob sie ein den Ausschreibungsbedingungen der zweiten Ausschreibung entsprechendes Angebot abgeben wollen. Die Angebotserstellung verursacht einen weiteren personellen und finanziellen Aufwand, wobei dem gegenüber auch zu berücksichtigen ist, dass wegen solcher u.U. vergeblicher Aufwendungen auch Schadenersatzansprüche nach § 125 GWB bzw. wegen schuldhafter Verletzung vorvertraglicher Pflichten in Betracht kommen könnten.

Der Senat misst jedoch dem Grundsatz der Akzessorietät zwischen Vergabeverfahren und Nachprüfungsverfahren letztlich höheres Gewicht zu. Danach ist Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens ein konkretes formelles Vergabeverfahren; die Eingriffsbefugnisse der Nachprüfungsinstanzen beziehen sich zumindest grundsätzlich auf die Maßnahmen der Vergabestelle in diesem betroffenen Vergabeverfahren (vgl. Kus a.a.O., § 115 Rn. 52.; ebenso Reidt in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 2. Aufl. 2003, § 115 Rn. 68; und Leinemann VergabeR 2001, 64). Von diesem Grundsatz abzuweichen, besteht hier kein zwingendes Erfordernis.

Ende der Entscheidung

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