Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 14.11.2005
Aktenzeichen: 1 W 18/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 485 Abs. 2
ZPO § 485 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 485 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 485 Abs. 2 Nr. 3
Zur Zulässigkeit eines selbstständigen Beweisverfahrens im Arzthaftungsstreit (hier: abgelehnt).
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 W 18/05 OLG Naumburg

In der Beschwerdesache

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Richter am Oberlandesgericht Grimm als Einzelrichter

am 14. November 2005

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Halle vom 28.07.2005 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat aber keinen Erfolg.

Zu Recht hat die Kammer den Antrag der Antragstellerin vom 13.05.2005 als unzulässig abgewiesen, denn die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO liegen hier aus unterschiedlichen Gründen nicht vor.

1. Der Antrag Ziff. 1 ist unzulässig, weil er ausschließlich auf die Feststellung eines Behandlungsfehlers gerichtet ist, die nicht ein Sachverständiger allein, sondern nur ein Gericht - wenn auch mit sachverständiger Hilfe - treffen kann.

a) Das selbständige Beweisverfahren dient der Beweissicherung. Daher kann nur der gegenwärtige Zustand, die Ursache des Schadens und der Aufwand zur Beseitigung des Schadens festgestellt werden. Dies ergibt sich ausdrücklich aus § 485 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ZPO. Dem entspricht auch die Rechtsprechung des BGH (NJW 2003, 1741 f), der ein selbständiges Beweisverfahren im Arzthaftungsstreit nur für zulässig hält, soweit es um den gegenwärtigen Zustand der verletzten Person, die hierfür maßgeblichen Gründe und mögliche Wege zur Beseitigung des Schadens geht.

b) Der vorliegende Antrag Ziff. 1) betrifft hingegen eine andere, rechtlich Fragestellung. Die Antragstellerin begehrt hier die Feststellung eines Behandlungsfehlers, insbesondere einer zu hohen Dosierung der Medikamente. Solche Feststellung können auf Grund des eindeutigen Wortlauts des § 485 Abs. 2 ZPO in der Regel und auch hier nicht im selbständigen Beweisverfahren getroffen werden. Bei der Bewertung einer etwaigen objektiven und subjektiven Pflichtverletzung, die die Antragstellerin in der Wahl der Dosierung der Medikamente sieht, handelt es sich letztlich um eine Rechtsfrage, die ein medizinischer Sachverständiger nicht anstelle des Gerichts allein beantworten kann.

2. Die Anträge Ziff. 2 bis 5 hingegen betreffen den Zustand der Klägerin und die Ursache des geltend gemachten Gesundheitsschadens und sind deshalb grundsätzlich vom Anwendungsbereich des § 485 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO erfasst. Gleichwohl sind auch sie im vorliegenden Fall zurückzuweisen, denn ein rechtliches Interesses i.S.d. § 485 Abs. 2 ZPO ist hier nicht gegeben.

a) Soweit die Antragstellerin die Antragsgegnerin zu 2) in Anspruch nimmt, fehlt es schon an einem Rechtsverhältnis, das für die Annahme eines rechtlichen Interesses i.S.d. § 485 Abs. 2 ZPO in jedem Fall erforderlich ist (vgl. OLG Celle, BauR 2000, 601; Zöller-Herget, 25. Aufl. 2005, § 485 Rdn. 7a m.N.). Nach der bisherigen, knappen Darstellung der Antragstellerin kommt eine Haftung der Antragsgegnerin zu 2) nicht in Betracht, weil die Chemotherapie in ambulanter Behandlung durchgeführt wurde. Dass die Erkrankung der Antragstellerin einen Monat zuvor bei einem stationären Krankenhausaufenthalt diagnostiziert wurde, schafft kein Rechtsverhältnis für die spätere ambulante Behandlung nach der Entlassung der Antragstellerin.

b) Als behandelnde Ärztin könnte die Antragsgegnerin zu 1) zwar grundsätzlich von der Antragstellerin in Anspruch genommen werden, wenn ein Behandlungsfehler vorläge, auch innerhalb dieses Rechtsverhältnisses fehlt es jedoch an einem rechtlichen Interesse an der Feststellung der Ursache und des Umfangs des geltend gemachten Personenschadens.

Die Vermutung der Antragstellerin, die begehrte Feststellung könne einen Rechtsstreit vermeiden, ist unbegründet. Da ein schuldhafter Behandlungsfehler im selbständigen Beweisverfahren aus den oben dargestellten Gründen nicht festgestellt werden könnte, wäre nicht zu erwarten, dass die Antragsgegnerin zu 1) ihre Einstandspflicht für die beschriebenen Behandlungsfolgen eingestehen würde. Selbst die hier begehrte Feststellung, dass die Gesundheitsschäden der Antragstellerin auf der ABVD-Chemotherapie beruhen, könnte im Erfolgsfall einen Rechtsstreit nicht vermeiden, da sich hieraus allein keine Rückschlüsse auf eine Haftung der Antragsgegnerin treffen ließen. Eine Chemotherapie birgt in hohem Maße das Risiko von - auch schweren - Nebenwirkungen mit Dauerschäden. Nur wenn tatsächlich die Dosierung schuldhaft überhöht gewesen wäre, wäre ein Schadensersatzanspruch denkbar. Das aber kann im selbständigen Beweisverfahren nicht festgestellt werden, so dass die etwaige Klärung der Beweisfragen zu 2) bis 5) in dem vorliegenden Verfahren der Vermeidung eines Rechtsstreits nicht dienen kann.

c) Dies gilt hier auch, wenn man ein mögliches negatives Ergebnis der Beweisaufnahme in Betracht zieht. Da es sich bei den geschilderten körperlichen Schäden um Folgen einer Chemotherapie handeln kann, hätte die Antragstellerin keine ausreichenden Erkenntnisse gewonnen, wenn diese Möglichkeit in ihrem Fall durch einen Sachverständigen bestätigt würde. Auch dann müsste geklärt werden, ob die Dosierung der Medikamente schuldhaft überhöht gewesen ist. Ein Rechtsstreit wäre daher nur zu vermeiden, wenn die selbständige Beweisaufnahme ergäbe, dass die von der Antragstellerin behaupteten Körperschäden tatsächlich nicht vorliegen. Von dieser theoretischen Möglichkeit kann jedoch Angesichts des gegenteiligen Vortrags der Antragstellerin nicht ausgegangen werden.

d) Die Unzulänglichkeit eines selbständigen Beweisverfahrens offenbart sich um so mehr, wenn man den hier erhobenen Vorwurf fehlender Aufklärung über die Nebenwirkungen in die Beurteilung einbezieht. Er kann ohnehin nur durch das Gericht geklärt werden.

e) Unbegründet ist auch die Besorgnis der Antragstellerin, das "Beweismittel" werde verloren gehen, wenngleich dies nicht Voraussetzung eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 485 Abs. 2 ZPO ist. Ein solcher Verlust kann in Arzthaftungsfällen anzunehmen sein, wenn der Patient an einer lebensgefährlichen Erkrankung leidet, so dass sein alsbaldiger Tod zu befürchten ist (vgl. Zöller-Herget, a.a.O. Rdn. 5 m. N.). Über einen aktuellen, lebensbedrohlichen gesundheitlichen Zustand hat die Antragstellerin hier aber nicht berichtet. Vielmehr ist der Tumor mit der gerügten Chemotherapie unstreitig erfolgreich bekämpft worden. Einen Misserfolg sieht die Antragstellerin nur darin, dass die Therapie daneben zu erheblichen anderen Gesundheitsschäden geführt hat.

Denkbar wäre ein Verlust des Beweismittels möglicherweise auch dann, wenn sich der Zustand der Antragstellerin erheblich bessern oder gar eine Heilung eintreten würde. Das ist aber nach ihrer eigenen Darstellung nicht der Fall, da sich die Gesundheitsschäden eher verschlimmern, so dass sie nach ihrer eigenen Darstellung auch in Zukunft noch feststellbar sein werden.

3. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Feststellung eines ärztlichen Behandlungsfehlers jedenfalls im vorliegenden Fall nicht im selbständigen Beweisverfahren getroffen werden kann, weil es sich bei der Bewertung der Rechtmäßigkeit der Dosierung letztlich um eine Rechtsfrage handelt, die ein medizinischer Sachverständiger nicht anstelle des Gerichts allein beantworten kann. Ohne die Klärung des behaupteten Behandlungsfehlers (Antrag Ziff. 1) ist wiederum nicht zu erwarten, dass durch die Beweisaufnahme im Übrigen (Anträge Ziff. 2 bis 5) ein Rechtsstreit vermieden werden kann.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück