Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 09.03.2005
Aktenzeichen: 1 W 4/05 (Baul)
Rechtsgebiete: ZPO, BauGB, FStrG, VwGO, EntG LSA


Vorschriften:

ZPO § 78 Abs. 1
BauGB § 116
BauGB § 222 Abs. 3 S. 2
BauGB § 224 S. 1
FStrG § 18
FStrG § 18 Abs. 1 S. 1
FStrG § 18 Abs. 6a S. 1
FStrG § 18 f Abs. 1
FStrG § 18 f Abs. 1 Satz 1
FStrG § 18 f Abs. 1 Satz 2
FStrG § 18 f Abs. 1 Satz 3
VwGO § 8O Abs. 5
EntG LSA § 31
Der Anwaltszwang des § 78 Abs. 1 ZPO ist für das Verfahren vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht durch § 222 Abs. 3 S. 2 BauGB insofern eingeschränkt, als nur diejenigen Beteiligten eines Rechtsanwalts bedürfen, die Anträge in der Hauptsache stellen.

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Anfechtung einer vorzeitigen Besitzeinweisung anzuordnen, betrifft aber nicht die Hauptsache und unterliegt deshalb auch im Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht nicht dem Anwaltszwang (Anschluss an OLG Koblenz NVwZ 1986, 336).


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 W 4/05 (Baul) OLG Naumburg

In der Baulandsache mit den Beteiligten

hat der Senat für Baulandsachen durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Zink, den Richter am Oberverwaltungsgericht Franzkowiak und den Richter am Oberlandesgericht Grimm

am 9. März 2005

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Kammer für Baulandsachen des Landgerichts Halle vom 31.01.2005 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert der Beschwerde wird auf 1.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig.

1. Soweit in der Rechtsprechung bisher umstritten war, ob das statthafte Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Kammer für Baulandsachen über einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtung einer vorzeitigen Besitzeinweisung die sofortige Beschwerde (so OLG Koblenz NVwZ 1986, 336 L; OLG Jena NVwZ 1998, 771; vgl. auch Kalb in: Ernst/ Zinkahn/Bielenberg, Komm. z. BauGB, Loseblattsammlg., Stand Januar 2003, § 224 Rn. 18 f) oder die einfache Beschwerde (so OLG Stuttgart, NVwZ 1983, 633 und NVwZ 1989, 693) ist, dürfte sich dieser Streit auf Grund der ZPO-Reform zum 01.01.2002 erledigt haben, durch die die einfache Beschwerde entfallen ist. Die Antragstellerin hat ihr Rechtsmittel jedenfalls innerhalb der Frist einer sofortigen Beschwerde eingelegt.

2. Auch in formeller Hinsicht genügt die Beschwerdeschrift, die die Antragstellerin selbst unterzeichnet hat, den Erfordernissen. Der Anwaltszwang des § 78 Abs. 1 ZPO ist für das Verfahren vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht durch § 222 Abs. 3 S. 2 BauGB insofern eingeschränkt, als nur diejenigen Beteiligten eines Rechtsanwalts bedürfen, die Anträge in der Hauptsache stellen (vgl. BGH, NJW-RR 1994, 1021-1022; VersR 1987, 680). Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Anfechtung einer vorzeitigen Besitzeinweisung anzuordnen, betrifft aber nicht die Hauptsache und unterliegt deshalb nicht dem Anwaltszwang (so auch OLG Koblenz, NVwZ 1986, 336). Dies gilt auch im Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht.

II.

In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg, denn die Kammer hat dem Antrag der Beteiligten zu 1) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Antrags auf gerichtliche Entscheidung gegen den Besitzeinweisungsbeschluss des Beteiligten zu 3) vom 21.12.2004 sowie auf Aufhebung seiner Vollziehung zu Recht den Erfolg versagt.

1. Um die zwangsweise Verschaffung des tatsächlichen Besitzes bei einer vorzeitigen Besitzeinweisung nach § 18 FStrG (Fernstraßengesetzes i.d.F. d. Bek. v. 20.02.2003, BGBl I S. 286) zu erleichtern und zu beschleunigen, hat der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen eine vorzeitige Besitzeinweisung grundsätzlich gemäß § 18 Abs. 6a S. 1 FStrG keine aufschiebende Wirkung. Gleiches gilt gemäß § 224 S. 1 BauGB im Enteignungsverfahren nach § 116 BauGB. Das Gericht gewährt Rechtsschutz, indem es auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung analog § 8O Abs. 5 VwGO anordnet. Demnach kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen, wenn dies bei Abwägung der Interessen der Beteiligten ausnahmsweise geboten erscheint.

2. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor.

Der Antrag der Beteiligten zu 1) auf gerichtliche Entscheidung gegen die vorläufige Besitzeinweisung hat voraussichtlich keinen Erfolg, wie das Landgericht fehlerfrei festgestellt hat. Der angefochtene Besitzeinweisungsbeschluss erscheint im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung rechtmäßig. Er findet seine Grundlage in § 18 f Abs. 1 Satz 1 FStrG und hält sich an die Voraussetzungen dieser Regelung. a) Formale Fehler, die der Wirksamkeit des Besitzeinweisungsbeschlusses entgegen stehen könnten, sind nicht ersichtlich, wie die Kammer mit zutreffender und erschöpfender Begründung festgestellt hat.

b) Auch die materiellen Voraussetzungen für die Besitzeinweisung gemäß § 18 f Abs.1 FStrG liegen vor.

aa) Der Planfeststellungsbeschluss vom 05.08.2004 ist nicht nur vollziehbar, was gemäß § 18 f Abs. 1 S. 2 FStrG ausreicht, sondern sogar bestandskräftig. Er wurde der Beteiligten zu 1) am 06.08.2004 zugestellt. Klage ist nicht erhoben worden.

bb) Aus den vom Landgericht richtig dargestellten Gründen hat auch der Senat keine Zweifel, dass der sofortige Beginn der Maßnahme i.S.d. § 18 Abs. 1 S. 1 FStrG geboten ist.

(1) Dies ist der Fall, wenn das Wohl der Allgemeinheit ohne die vorzeitige Besitzeinweisung in erheblicher, nicht wiedergutzumachender Weise beeinträchtigt würde. Ein Überwiegen des Wohls der Allgemeinheit kann daher nicht allein deshalb angenommen werden, weil die Inanspruchnahme des Grundstücks der Antragstellerin sich zwingend aus dem vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss ergibt. Denn damit steht noch nicht fest, dass das Wohl der Allgemeinheit es gebietet, ein bestimmtes Grundstück diesem Zweck zwangsweise gerade im jetzigen Zeitpunkt zuzuführen. Deshalb müssen über das öffentliche Interesse an der Planung hinaus Umstände vorliegen, die ein vorzeitiges Zurücktreten des Eigentümers hinter das Gemeinwohl erforderlich machen (vgl. BGHZ 105, 94, 97 zur teilweise vergleichbaren Rechtslage nach § 87 Abs. 1 BauGB). Ein solches qualifiziertes öffentliches Interesse ist gegeben, wenn nur durch die vorzeitige Besitzeinweisung von der Allgemeinheit wesentliche Nachteile abgewendet, oder wenn ihr wesentliche Vorteile erhalten bleiben, die bei Ausführung zu einem späteren Zeitpunkt verloren gingen. Wesentliche Nachteile können auch empfindlicher Zeitverlust und erhebliche Mehrkosten sein (vgl. OVG Lüneburg, NJW 1965, 554 f; Kirchherg, VBlBW 1990, 161/168; Battis in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl.2002).

(2) Ein solches gesteigertes öffentliches Interesse an der sofortigen Umsetzung der Baumaßnahme ist hier zu bejahen.

(a) Der Ausbau der Bundesstraße 79 in der Ortslage H. ist sehr dringlich. Dass der Ortsdurchfahrt als "Nadelöhr" eine Schlüsselposition für den gesamten Verkehrsfluss der Bundesstraße zukommt, hat die Beteiligte zu 2) zur Überzeugung des Senats dargelegt. Durch das starke Verkehrsaufkommen liegt eine Verschlechterung der Verkehrssituation vor, der unverzüglich begegnet werden muss. Durch das Bauvorhaben wird die Verkehrssicherheit erhöht und die Belastungen für Umwelt und Anwohner verringert. Die Vorbereitungen für die Bauarbeiten auch in dem Bereich des Grundstücks der Antragstellerin sind soweit gediehen, dass unmittelbar nach dem Ergehen der Entscheidung des Senats im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit dem Baubeginn zu rechnen ist. Ohne Inanspruchnahme des Grundstücks der Antragstellerin ließe sich die Baumaßnahme nicht realisieren.

(b) Der Senat verkennt dabei nicht, dass im vorliegenden Fall schon mit der vorläufigen Besitzeinweisung ein erheblicher Eingriff in die Substanz des Eigentums der Antragstellerin verbunden ist, weil die Baumaßnahmen den Abriss mehrer Gebäude erforderlich machen. Andererseits muss auch berücksichtigt werden, dass es sich bei den betroffenen Gebäuden um sehr alte, teilweise verfallene landwirtschaftliche Gebäude aus der Zeit vor 1900 handelt. Die Scheune und die Stallungen sind nach den Feststellungen des Gutachterausschusses und ausweislich der von ihm gefertigten Lichtbilder insgesamt in einem schlechten bzw. desolaten Zustand. Bei allen drei Gebäuden ist der Dachstuhl bereits teilweise eingestürzt und die Gebäude wurden so der Witterung preisgegeben. Bei einem derartigen, fast ruinenhaften Erscheinungsbild der nicht oder kaum mehr nutzbaren Gebäude und unter Berücksichtigung der oben dargestellten Interessen der Allgemeinheit bestehen gegen einen Abriss keinen Bedenken, auch wenn er nur auf Grund einer vorläufigen Besitzeinweisung durchgeführt wird.

c) Der Versuch einer einverständlichen Einräumung des Besitzes unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche war nicht erfolgreich. Die Beteiligte zu 2) hat in ihrem Antrag vom 22.10.2004 nachvollziehbar dargelegt, dass die Beteiligte zu 1) zu Vertragsverhandlungen nicht bereit gewesen sei, und die an sie gerichtete Post nicht angenommen habe. Aus den vorliegenden Schreiben der Antragstellerin und dem Inhalt ihrer Beschwerdeschrift ergibt sich ebenfalls zweifelsfrei, dass die Antragstellerin zu ernsthaften Verhandlungen nie bereit war und sich stets geweigert hat, die Baumaßnahmen zuzulassen. Selbst dem Gutachterausschuss, der die Zustandsbeschreibung erstellt hat, hat die Antragstellerin den Zutritt zu ihrem Grundstück verwehrt.

d) Die Antragstellerin hat nur immer wieder "Schadensersatzforderungen" erhoben, die sie auf "mindestens 1.000.000 €" beziffert hat. Solche Entschädigungsforderungen, die gerade vorbehalten bleiben, kann der Eigentümer der Besitzeinweisung aber gerade nicht mit Erfolg entgegensetzen. Das ergibt sich eindeutig aus § 18 f Abs. 1 Satz 3 FStrG, der deutlich macht, dass die in § 18 f Abs. 1 Satz 1 und 2 FStrG benannten Voraussetzungen abschließend die vorläufige Besitzeinweisung rechtfertigen. Zur Berechnung der Entschädigung bedarf es in der Regel eingehender und auch zeitraubender Ermittlungen, deren Ergebnis wegen der Dringlichkeit der Baumaßnahmen nicht abgewartet werden kann. Dies entspricht auch den Vorstellungen des Gesetzgebers; wie es die Entstehungsgeschichte der Norm belegt (Amtl. Begründung BT-Drucks. 7/1265 S. 54).

e) Der sinngemäß erhobene Einwand der Antragstellerin, die Enteignung sei unzulässig und eine vorzeitige Besitzeinweisung verstoße deshalb gegen Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), trifft nicht zu.

aa) Schon der rechtliche Ansatz kann die Antragstellerin nicht zum Ziel führen.

Das Enteignungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (EntG LSA), das für sonstige Enteignungen in § 31 ausdrücklich vorschreibt, dass eine vorzeitige Besitzeinweisung nur gerechtfertigt ist, wenn auch eine Enteignung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zulässig ist, findet hier keine Anwendung.

bb) Die Zulässigkeit der Enteignung als Voraussetzung des § 31 EntG LSA ist ohnehin nur die einfachrechtliche Formulierung eines verfassungsrechtlichen Grundsatzes.

Trotz der ausdrücklichen Regelung des § 18 f Abs. 1 S. 3 FStrG kann er auch hier berücksichtigt werden, und zwar im Rahmen der Frage, ob die Baumaßnahme i. S. d. § 18 f Abs. 1 S. 3 FStrG geboten ist. Auch dieser verfassungsrechtliche Prüfungsansatz führte indes nicht zur Rechtswidrigkeit der vorzeitigen Besitzeinweisung. Denn die Annahme der Antragstellerin, die Enteignung sei unzulässig, weil der Bau einer Umgehungsstraße das Verkehrsproblem ebenfalls lösen könnte, trifft nicht zu. Das enteignungsrechtliche Verbot des Übermaßes darf nicht in sein Gegenteil verkehrt werden. Es führt insbesondere entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht dazu, dass ein Eingriff in das Eigentum gegen den Willen des Eigentümers gänzlich ausgeschlossen wäre. Denn das grundrechtlich geschützte Eigentum ist nicht unantastbar. Der rechtsstaatliche Grundsatz des geringst möglichen Eingriffs in das Eigentum besagt zwar, dass die Enteignung nur als letztes Mittel zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks in Betracht kommt. Sie ist daher unzulässig, wenn der Zweck, dem sie dienen soll, auch auf eine andere, weniger schwer in die Rechte des Betroffenen eingreifende Weise erreicht werden kann (BVerwGE 1, 140, 143; 2, 36, 38; 13, 75, 77). Das bedeutet aber nicht, dass ein Grundstückseigentümer den Neubau einer Umgehungsstraße nur deshalb erzwingen kann, weil er nicht bereit ist, einen Teil seines innerörtlichen Grundstück für den notwendigen Ausbau einer Ortsdurchfahrt zur Verfügung zu stellen.

d) Ebenso wenig wie ein exaktes Entschädigungsangebot als Voraussetzung verlangt werden kann, kann eine definitive Klärung der Rechtsfolgen der Enteignung als Voraussetzung der vorzeitigen Besitzeinweisung verlangt werden. Dies würde dem Beschleunigungszweck des Rechtsinstituts der vorzeitigen Besitzeinweisung zuwiderlaufen (vgl. Bayer. VGH München, Beschluss vom 09.08.2004, 22 AS 04.40028).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs.1 ZPO i.V.m. 39 EntG LSA, 221 BauGB.

Ende der Entscheidung

Zurück