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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 16.04.2002
Aktenzeichen: 1 Ws 140/02
Rechtsgebiete: UGB, StGB, StPO


Vorschriften:

UBG § 1
UBG § 1 Abs. 1
UBG § 7 Abs. 1
UBG § 3 Abs. 4 S. 1
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 2
StPO § 473 Abs. 2 S. 1
Der Unterbringung eines Betroffenen in einer Justizvollzugsanstalt nach § 1 Abs. 1 UBG (Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 06. März 2002, GVBl. LSA Nr. 12/2002, S. 80 f.) steht grundsätzlich nicht entgegen, dass der Betroffene - aufgrund Ablehnung der Unterbringung durch die Strafvollstreckungskammer - vor Entscheidung des Beschwerdegerichts aus der Strafhaft entlassen worden ist.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1. Strafsenat

1 Ws 140/02 OLG Naumburg

In dem Unterbringungsverfahren

wegen Vergewaltigung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg

am 16. April 2002

durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hennig, die Richterin am Oberlandesgericht Henze-von Staden und den Richter am Oberlandesgericht Sternberg

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Landes Sachsen-Anhalt, vertreten durch das Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt, gegen den Beschluß des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Magdeburg vom 27.3.2002, mit dem das Landgericht abgelehnt hat, die Unterbringung des Betroffenen in einer Justizvollzugsanstalt anzuordnen,

wird verworfen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Der Betroffene verbüßte bis zum 28.3.2002 eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen versuchter Vergewaltigung aufgrund des Urteils des Landgerichts Magdeburg vom 26.3.1998 (25 Kls 7/98). Das Landgericht Magdeburg - Strafvollstreckungskammer - hat durch Beschluß vom 27.3.2002 (50 StVK 104/02) die Unterbringung des Strafgefangenen nach dem Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 6.3.2002 (UBG) abgelehnt. Hiergegen wendet sich das Land Sachsen-Anhalt, vertr. durch das Ministerium der Justiz, mit der sofortigen Beschwerde, die am 27.3.2002 bei dem Landgericht Magdeburg eingegangen ist.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 3 Abs. 2, Abs. 4 S. 2 UBG, § 311 Abs. 2 StPO).

In der Sache bleibt sie indes ohne Erfolg.

Das Landgericht hat die Unterbringung des Betroffenen zu Recht abgelehnt.

Nach § 1 Abs. 1 UBG kann gegen eine Person, die unter den Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 2 bis 4 des Strafgesetzbuches eine zeitige Freiheitsstrafe verbüßt, die Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt angeordnet werden, wenn aufgrund von Tatsachen, die nach der Verurteilung bekannt geworden sind, davon auszugehen ist, dass von dem Betroffenen eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer ausgeht, insbesondere weil er im Vollzug der Freiheitsstrafe beharrlich die Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels verweigert, namentlich eine rückfallvermeidende Psycho- oder Sozialtherapie ablehnt oder abbricht. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Zwar hat der Betroffene bis zum 28.3.2002 Strafhaft in einer Justizvollzugsanstalt des Landes Sachsen-Anhalt unter den Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB (Sicherungsverwahrung) verbüßt, wobei das Gesetz lediglich an die formalen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung anknüpft (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf, Landtagsdrucksache 3/5167, S. 12). Der Betroffene war vor der Verurteilung durch das Landgericht Magdeburg vom 26.3.1998, die der letzten Strafvollstreckung zugrunde lag, bereits durch Urteil des Amtsgerichts Burg vom 17.12.1993 ( 1 Ls 22 Js 16301/93 - 30/93) wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und durch Urteil des Kreisgerichts Schönebeck vom 24.5.1988 ( S 106/88 - 1-401-88) wegen Diebstahls u.a. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt worden. Aufgrund dieser beiden Verurteilungen hatte er insgesamt fünf Jahre, zwei Monate und zwanzig Tage Freiheitsstrafe verbüßt, so dass die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gegeben sind. Dass der Betroffene zwischenzeitlich aus der Strafhaft entlassen worden ist, stünde der Anordnung der Unterbringung im Beschwerdeverfahren - die weiteren Anordnungsvoraussetzungen als gegeben unterstellt - nicht entgegen. Der Wortlaut des § 1 Abs. 1 UBG "Gegen eine Person, die eine zeitige Freiheitsstrafe verbüßt" könnte zwar nahelegen, dass die Unterbringung nur gegen eine Person angeordnet werden kann, die zur Zeit der Entscheidung über die Anordnung, mithin bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts, noch immer Strafhaft verbüßt. Diese Gesetzesauslegung hätte jedoch zur Konsequenz, dass rechtsfehlerhafte Ablehnungen beantragter Unterbringungen auf sofortige Beschwerde der Justizvollzugsverwaltung in den Fällen nicht mehr korrigiert werden könnten, in denen das Ende der Strafhaft vor Entscheidung des Beschwerdegerichts eintritt und der Betroffene entlassen wird. Dass eine solche Gesetzesauslegung nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht, ergibt sich aus § 3 Abs. 4 S. 1 UBG, der die Anfechtbarkeit der Entscheidung über die Anordnung, also der positiven wie auch der ablehnenden Entscheidung, vorsieht. Zudem sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Gesetzgeber eine Besserstellung derjenigen gefährlichen Strafgefangenen beabsichtigt hat oder auch nur in Kauf nehmen wollte, deren Strafhaft während des Rechtsmittelverfahrens, dessen Dauer von unterschiedlichen und zufälligen Faktoren abhängen kann, endet. Vielmehr muß nach dem verfolgten Gesetzeszweck davon ausgegangen werden, dass es für die Anordnung der Unterbringung jedenfalls genügt, wenn der Betroffene noch zur Zeit der erstinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung Strafhaft verbüßt. Ob die Anordnung der Unterbringung auch in den Fällen in Betracht kommen kann, in denen der Strafgefangene nach Antragstellung aber vor der erstinstanzlichen Gerichtsentscheidung aus der Strafhaft wegen Strafendes entlassen wird, kann hier unentschieden bleiben. Für die Auslegung des Senats spricht auch die Begründung zu § 1 UBG (S. 12, 13 der Begründung a.a.O. zu § 1 UBG), wo es heißt:"Die landesrechtliche Regelung knüpft an eine Strafverbüßung in einer Justizvollzugsanstalt des Landes an. Strafgefangene, die aus den Justizvollzugsanstalten anderer Länder nach Sachsen-Anhalt entlassen werden, bzw. nicht inhaftierte rückfallgefährdete Straftäter können mit dem Landesgesetz zur Unterbringung von hochgefährlichen Straftätern nicht erfaßt werden.

Zu den formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung muß ein Vollzugsverhalten hinzutreten, das den Anknüpfungspunkt für die Anordnung der Unterbringung darstellt... Satz 2 stellt klar, dass allein das Gesetz über Hilfen für psychisch Kranke und Schutzmaßnahmen auf die Fälle Anwendung findet, in denen es sich um psychisch kranke Personen handelt, die sich nicht (mehr) in Strafhaft befinden." Danach knüpft das Gesetz an die Voraussetzung der Strafverbüßung an, um einerseits die Zielgruppe zu bestimmen und andererseits die materielle Beurteilungsgrundlage der aktuellen Gefährlichkeit festzulegen, konstituiert die Strafverbüßung jedoch nicht als Selbstzweck. Das Gesetz will nur die nicht kranken Straftäter, die im Land Sachsen-Anhalt unter bestimmten Voraussetzungen Freiheitsstrafe verbüßen und nicht ohne Antrag nach § 1 UBG entlassen sind, erfassen. Ist ein Strafgefangener einmal aus der Strafhaft nach Vollverbüßung entlassen, ohne dass seine Unterbringung beantragt worden ist, verbietet schon der Vertrauensschutz eine nachträgliche Unterbringung. Auf diesen Vertrauensschutz kann sich indes derjenige entlassene Straftäter nicht berufen, der sich zur Zeit der erstinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung noch in Strafhaft befand und lediglich aufgrund rechtsfehlerhafter Entscheidung des Gerichts über die Unterbringung nach Strafende auf freien Fuß gesetzt worden ist. Auch die Unterbringung dieser Strafgefangenen erstrebt das Gesetz, soweit sie als gefährlich zu erachten sind.

Vorliegend scheitert die Unterbringung jedoch, weil nicht aufgrund von Tatsachen, die nach der Verurteilung bekannt geworden sind, davon ausgegangen werden kann, dass von dem Betroffenen eine erhebliche gegewärtige Rückfallgefahr i.S. des Gesetzes ausgeht. Das Landgericht hat in seinem auf Freiheitsstrafe erkennenden Urteil in Kenntnis der dissozialen Persönlichkeitsstörung des Strafgefangenen ausdrücklich festgestellt, dass die Voraussetzungen einer Sicherheitsverwahrung, insbesondere eine Neigung zu schweren Straftaten, nicht gegeben waren. Dass dem Landgericht seinerzeit entscheidungserhebliche Umstände nicht zur Kenntnis gelangt sind, die zur Anordnung der Sicherheitsverwahrung geführt hätten, wären sie dem Gericht bekannt gewesen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr hieß es schon in dem seitens des Landgerichts bei der Urteilsfindung verwerteten Gutachten des Prof. Dr. B. :" ... Die Kriminalprognose ist deshalb als äußerst ungünstig anzusehen. Auch künftig wäre nach Haft-entlassungen mit schwerwiegenden Straftaten zu rechnen." Auch nach der Verurteilung haben sich keine neuen Umstände ergeben, die nunmehr die Unterbringung rechtfertigen könnten. Die dissoziale Persönlichkeitsstruktur wies der Betroffene - bekanntermaßen - schon zur Zeit seiner Verurteilung auf. Diese Persönlichkeitsstörung hat sich in ihrem Schweregrad ersichtlich nicht verstärkt. Vielmehr heisst es in dem Gutachten des Diplompsychologen R. auf Seite 42:"die erkennbare dissoziale Persönlichkeitsstörung ist bis dato unbearbeitet und zeigt sich unverändert". Aufgrund dieser Persönlichkeitsstörung gezeigtes auffälliges Verhalten wie exhibitionistische Handlungen des Betroffenen sind ebenfalls keine neuerliche Erscheinung, sondern waren schon Gegenstand der zuletzt abgeurteilten Straftat. Auch zu beanstandendes Vollzugsverhalten erscheint nicht so schwerwiegend, dass darin eine neuerliche Entwicklung des Betroffenen gesehen werden müßte. Soweit sich die sachverständige Beurteilung der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen - nunmehr unter dem Aspekt des Gefährdungspotentials, früher unter dem Aspekt der Schuldfähigkeit - unterscheidet, vermag allein die Neubewertung der Persönlichkeitsstörung unter differierenden Gesichtspunkten aber bei gleichbleibender Tatsachengrundlage keine neuen Tatsachen im Sinne von § 1 Abs.1 UBG zu begründen.

Dem Betroffenen kann auch nicht vorgeworfen werden, er habe die Mitarbeit an der Erreichung des Vollzugsziels beharrlich verweigert, namentlich eine Sozial- oder Psychotherapie abgelehnt. Aus der Gefangenenpersonalakte läßt sich insoweit nur entnehmen, dass der Gefangene einmal aufgefordert worden ist, Gespräche mit dem Anstaltspsychologen aufzunehmen und auf diese im Januar 1999 verzichtet hat, nachdem der Psychologe darauf hingewiesen hatte, dass die Teilnahme freiwillig sei. Nachdem der Gefangene ersichtlich weder wiederholt aufgefordert noch über den Sinn einer Therapie informiert worden ist, kann nicht von einer beharrlichen Verweigerung der Mitarbeit ausgegangen werden.

Unter diesen Umständen kam die Anordnung der Unterbringung nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 7 Abs. 1 UBG, § 473 Abs. 2 S. 1 StPO analog i.V.m. § 3 Abs. 2 UBG.

Ende der Entscheidung

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