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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 10.09.2009
Aktenzeichen: 1 Ws 371/09
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 109 Abs. 1 S. 2
StVollzG § 138 Abs. 3
Die Zuständigkeit für das Verfahren über einen Verpflichtungsantrag des im Maßregelvollzug untergebrachten Beschwerdeführers gemäß §§ 109 Abs. 1 S. 2, 138 Abs. 3 StVollzG - hier Gewährung von Vollzugslockerungen - liegt bei der Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde ihren Sitz hat (§§ 110 S. 1, 138 Abs. 3 StVollzG). Hierbei kommt es nicht auf den Sitz der Betreibergesellschaft der Maßregelvollzugsanstalt an. Vielmehr folgt der Sitz einer Vollzugsbehörde aus dem Vollstreckungsplan.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Ws 371/09 OLG Naumburg

In der Maßregelvollzugssache

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 10. September 2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Krüger, den Richter am Oberlandesgericht Sternberg und den Richter am Oberlandesgericht Halves

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 4. Strafkammer - Strafvollstreckungskammer - des Landgerichts Stendal vom 03. Juni 2009 aufgehoben.

Die Sache wird an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal zurückgegeben.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist gegenwärtig zur Vollstreckung der gegen ihn mit Urteil des Landgerichts Stendal vom 08. Dezember 2000 verhängten Maßregel nach § 63 StGB im Landeskrankenhaus für Forensische Psychiatrie U. , Außenstelle L. , untergebracht.

Mit an die Anschrift der Außenstelle L. der Antragsgegnerin gerichtetem Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 22. Januar 2009 hat der Antragsteller die Antragsgegnerin ersucht, Vollzugslockerungen anzuordnen und ihn zu diesem Zweck in die Hauptstelle der Maßregelvollzugseinrichtung nach U. zu verlegen.

Mit weiterem Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 26. Mai 2009 hat der Antragsteller bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal in der Hauptsache beantragt, ihm Vollzugslockerungen in Form von Einzelausführungen zu gewähren.

Die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal hat mit Verfügung vom 27. Mai 2009 der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers unter Hinweis auf den Beschluss des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 09. April 2009 - 2 ARs 1/09 - geantwortet, dass das Landgericht Magdeburg für zuständig erachtet werde und um Mitteilung gebeten, wie weiter verfahren werden solle.

Die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal mit Schriftsatz vom 02. Juni 2009 mitgeteilt, dass der Antragsteller die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal für zuständig hält.

Mit Beschluss vom 03. Juni 2009 hat die 4. Strafkammer - Strafvollstreckungskammer - des Landgerichts Stendal (504 AR 16/09) das Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Magdeburg "abgegeben" und die Akten dem Landgericht Magdeburg "zuständigkeitshalber" übersandt.

Auf die bei dem Landgericht Stendal eingegangene und an das Landgericht Magdeburg weitergeleitete Beschwerde des Antragstellers mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 11. Juni 2009 hat die 10. Strafkammer - Strafvollstreckungskammer - des Landgerichts Magdeburg (50 StVK 254/09) die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 120 Abs. 1, 138 Abs. 3 StVollzG, 304 Abs. 1 StPO) und hat auch in der Sache Erfolg.

Der angefochtene Beschluss ist bereits deshalb aufzuheben, weil die angerufene Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal die Sache ohne Anhörung der Antragsgegnerin verwiesen hat. Soweit nach dem Wortlaut des angefochtenen Beschlusses das Verfahren "abgegeben" wurde, war aufgrund der sowohl im Beschluss als auch in der Übersendungsverfügung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal erklärten Unzuständigkeit eine Bindungswirkung beabsichtigt und damit eine Verweisung erfolgt.

Ein Verweisungsbeschluss ist jedoch unwirksam, wenn die Verweisung grob und offensichtlich fehlerhaft ist (Thüringer Oberlandesgericht OLG-NL 2006, 190, 191; s.a. BGHSt 36, 313 ff. zu § 83 VwGO a.F.). So liegt es hier.

Ein Wechsel der Entscheidungszuständigkeit tritt erst aufgrund eines Verweisungsbeschlusses ein, den das angerufene Gericht in entsprechender Anwendung des § 83 VwGO zu fassen hat (BGHSt 36, 33, 36, 37 zu § 83 VwGO a.F.). Nach § 17 a Abs. 2 S. 1 GVG i. V. m. § 83 S. 1 VwGO setzt die Verweisung die vorherige Anhörung der Verfahrensbeteiligten voraus. Das Landgericht Stendal hat vor der Verweisung lediglich den Antragsteller, nicht aber die Antragsgegnerin angehört. Dies ist ein so offensichtlicher und schwerwiegender Mangel, dass dem damit behafteten Verweisungsbeschluss keine rechtliche Wirksamkeit zuerkannt werden kann. Anderenfalls wäre es möglich, das den Verfahrensbeteiligten zustehende Mitwirkungsrecht zu umgehen und die Zuständigkeit willkürlich zu verändern (vgl. BGHSt 36, 313, 315).

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal zuständig ist, über den Antrag des Beschwerdeführers mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 26. Mai 2009 zu entscheiden. Damit begehrt der Antragsteller, dass die Vollzugsbehörde zur Gewährung künftiger Vollzugslockerungen verpflichtet wird (Verpflichtungsantrag, §§ 109 Abs. 1 S. 2, 138 Abs. 3 StVollzG).

Die Zuständigkeit für das Verfahren über diesen Verpflichtungsantrag des Beschwerdeführers liegt bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal, weil die beteiligte Vollzugsbehörde in deren Bezirk ihren Sitz hat (§§ 110 S. 1, 138 Abs. 3 StVollzG).

Für Vollzugslockerungen ist der Leiter derjenigen Maßregelvollzugsanstalt zuständig, in der sich der Untergebrachte zum Zwecke des Maßregelvollzugs befindet (vgl. entsprechend zum Strafvollzug BGHSt 36, 33, 34). Diese Zuständigkeit ist zwar nicht unmittelbar aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 462 a Abs. 1 S. 1, 463 Abs. 1 StPO abzuleiten, fällt jedoch in der Regel mit der Zuständigkeit nach der Strafprozessordnung zusammen.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 110 S. 1 StVollzG ist allein auf die formale Urheberschaft der (begehrten) Vollzugsmaßnahme abzustellen (BGHSt 27, 284, 286). Beteiligte Vollzugsbehörde ist gemäß §§ 111 Abs. 1 Nr. 2, 138 Abs. 3 StVollzG die Behörde, welche die beantragte Maßnahme unterlassen hat. Das Begehren des Antragstellers richtet sich an die - rechtliche unselbständige - Außenstelle und damit an die Antragsgegnerin in U. . Hierbei kommt es nicht auf den Sitz der S. gGmbH Betreibergesellschaft für sozial orientierte Einrichtungen des Landes Sachsen-Anhalt in Magdeburg an (a. A. - für die Zuständigkeit im Rahmen des § 92 JGG - OLG Naumburg, 2. Strafsenat, Beschlüsse vom 09. April 2009 - 2 ARs 1/09 - bis - 2 ARs 10/09 -). Vielmehr folgt der Sitz einer Vollzugsbehörde aus dem Vollstreckungsplan (Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl., § 110 Rdn. 3). Nach Abschnitt II Nr 1. des Vollstreckungsplans gemäß § 5 Abs. 1 des Maßregelvollzugsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt sind nach § 63 StGB Unterzubringende in das Landeskrankenhaus für Forensische Psychiatrie U. einzuweisen. Damit ist hier als Sitz der beteiligten Maßregelvollzugsanstalt der Ort der Hauptanstalt in U. anzusehen.

Im Übrigen wird auch eine Justizvollzugsanstalt nach außen von dem Anstaltsleiter vertreten (§ 156 Abs. 2 StVollzG). Die Außenstelle ist nicht selbständig, hat keinen eigenen Anstaltsleiter und wird ebenfalls vom Leiter der Hauptanstalt vertreten. Dieser ist also Vollzugsbehörde im Sinne des § 110 StVollzG (BGHSt 28, 135, 137). Damit ist die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die Hauptanstalt liegt, auch zuständig für Anträge auf gerichtliche Entscheidung gegen Maßnahmen der Vollzugsbehörde zur Regelung einzelner Angelegenheiten nach § 109 StVollzG. Es wäre wenig folgerichtig, die Zuständigkeit für diese Entscheidungen von der Zuständigkeit für nachträgliche Entscheidungen, die eine Strafaussetzung zur Bewährung betreffen, zu trennen. Das würde sowohl dem Gedanken der Konzentration wie dem der Entscheidungsnähe widersprechen. Alle Angelegenheiten, für welche die Zuständigkeit einer Strafvollstreckungskammer begründet ist, sollen von der Strafvollstreckungskammer entschieden werden, die am besten mit den Begebenheiten des tatsächlichen Vollzuges, also auch mit den besonderen Verhältnissen der Vollzugsanstalt vertraut ist. Das ist in der Regel die Kammer, die mit den Beschwerden der Gefangenen über Anstaltsmaßnahmen und Einzelheiten des Vollzuges befasst ist, also der für die Hauptanstalt zuständigen Strafvollstreckungskammer. Diese ist also für alle einer Strafvollstreckungskammer obliegenden Entscheidungen ihres Bezirks zuständig (BGH a. a. O.).

Diese Grundsätze gelten auch für den Maßregelvollzug. Soweit hier die S. gGmbH Betreibergesellschaft für sozial orientierte Einrichtungen des Landes Sachsen-Anhalt mit Aufgaben der Vollzugsbehörde beliehen ist, wird diese im Rahmen des Maßregelvollzuges im Landeskrankenhaus U. bei der Gewährung von Vollzugslockerungen durch den ärztlichen Leiter, der Vollzugsbehörde im Sinne der §§ 110, 138 Abs. 3 StVollzG ist, nach außen vertreten.

Ende der Entscheidung

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