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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 06.10.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 504/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 202 S. 1
1. Die Pflicht zur Wahrung des Beratungsgeheimnisses (§ 43 DRiG) ist nicht absolut.

2. Bei überwiegendem Interesse an der Aufklärung eines schwerwiegenden Tatvorwurfs - hier des Verbrechens der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) - kann es gerechtfertigt sein, in einem Gerichtsverfahren eine Ausnahme von dem Grundsatz des Beratungsgeheimnisses zuzulassen.

3. Das Beratungsgeheimnis darf aber nicht in einem Ermittlungsverfahren oder in Verfahren bei Verwaltungsbehörden preisgegeben werden.

4. Hat das Gericht zur besseren Aufklärung der Sache nach § 202 S. 1 StPO angeordnet, zum Beratungshergang und Abstimmungsverhalten einen Richter eines Kollegialgerichts als Zeugen zu vernehmen, trifft diesen keine Aussagepflicht.

Dem Richter steht aber ein Aussagerecht zu. Ob und wieweit der Richter über den Hergang bei Beratung und Abstimmung aussagt, bestimmt er nach pflichtgemäßem Ermessen im Einzelfall selbst.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Ws 504/07 OLG Naumburg

In der Strafsache

wegen Rechtsbeugung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 06. Oktober 2008 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Krüger, den Richter am Oberlandesgericht Sternberg und den Richter am Oberlandesgericht Halves

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft gegen den Beschluss der 3. Strafkammer des Landgerichts Halle vom 20. Juli 2007 wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten fallen der Landeskasse zur Last.

2. Der Antrag vom 20. August 2007, K. G. als Nebenkläger zuzulassen, ist erledigt.

Gründe:

I.

Mit ihrer bei der Strafkammer des Landgerichts Halle erhobenen Anklage vom 14. November 2006 wirft die Generalstaatsanwaltschaft den Angeschuldigten vor, im Dezember 2004 in Naumburg gemeinschaftlich handelnd sich als Richter bei der Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts gemäß §§ 339, 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht zu haben.

Den Angeschuldigten wird zur Last gelegt:

"Im angeführten Zeitraum waren die Angeschuldigten als Richter des 14. Zivil- und zugleich 5. [richtigerweise: 3.] Familiensenats des Oberlandesgerichts Naumburg der sachlich zuständige Rechtsmittelsenat für eine einstweilige Anordnung, die das Amtsgericht Wittenberg am 02. Dezember 2004 in dem familienrechtlichen Umgangsverfahren ...erlassen hatte.

In diesem Beschluss hatte das Familiengericht in Wittenberg - nach den Vorgaben eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2004 (2 BvR 1481/04) - dem Kindesvater K.G. den Umgang mit seinem nichtehelich geborenen leiblichen Sohn (C. F.) gestattet und diesen ausgestaltet.

Gegen die Einstweilige Anordnung legten die Pflegeeltern, die - für das Kind C. F. bestellte - Verfahrenspflegerin und das Jugendamt des Landkreises Wittenberg als Amtsvormund sofortige Beschwerde ein. Zudem hatte das Jugendamt am 26. November 2004 eine - gesetzlich nicht geregelte - "Untätigkeitsbeschwerde" erhoben, die zeitgleich ebenfalls bei dem o. g. Senat anhängig gewesen ist.

Obgleich den Angeschuldigten aufgrund der vorangegangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EMRG, Nr. 74969/01, Urteil vom 26. Februar 2004 - G.) und des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2004 bewusst gewesen ist, dass wegen der Bindungswirkung einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte für innerstaatliche Gerichte jede Entscheidung, die im Ergebnis dazu führt, dass K.G. seine Umgangsrechte mit seinem Sohn nicht wahrnehmen kann, diesen in seinen Rechten benachteiligen kann, setzten sie mit Beschluss vom 08. Dezember 2004 ( ... ) zunächst die Vollziehung der einstweiligen Anordnung des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 02. Dezember 2004 bis zur Entscheidung über die eingelegten sofortigen Beschwerden wieder aus. Dies geschah, obwohl sie wussten, dass eine Beschwerde gegen den im schriftlichen Verfahren ergangenen Beschluss des Amtsgerichts Wittenberg vom 02. Dezember 2004 gemäß § 620c ZPO unzulässig war. Sie beschlossen dann - im Wege der Entscheidung über die Untätigkeitsbeschwerde - wiederum durch erneute Umgehung der Regelung des § 620c Satz 2 ZPO am 20. Dezember 2004 (...und ... ), dass K.G. - bis zu abschließenden Entscheidung im Umgangsrechtsverfahren - keinen Umgang mit seinem Sohn mehr erhält.

Die hierdurch den Beteiligten entstandenen Rechtsfolgen, die die Elternrechte des K.G. einschränkten und die ausgeübten Erziehungsmöglichkeiten der Pflegeeltern stärkten, nahmen sie vorläufig und in Form des vorübergehenden Umgangsausschlusses zumindest billigend in Kauf."

Mit Beschluss vom 20. Juli 2007 hat die Strafkammer des Landgerichts Halle die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Hilfsweise hat sie darauf abgestellt, dass die Eröffnung des Hauptverfahrens auch aus tatsächlichen Gründen abzulehnen gewesen wäre.

Dagegen wendet sich die Generalstaatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 24. Juli 2007.

II.

Die gemäß §§ 210 Abs. 2, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Die vorläufige Tatbewertung ergibt, dass eine Verurteilung der Angeschuldigten nicht zu erwarten ist.

Zwar kann Rechtsbeugung auch durch einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden (BGHSt 32, 357; 38, 381; 42,343; 47, 105). Dies gilt namentlich dann, wenn der Richter durch sein Verhalten nicht lediglich die abstrakte Gefahr einer falschen Entscheidung, sondern die konkrete Gefahr eines unrechtmäßigen Vor- oder Nachteils für eine Partei schafft (BGHSt 42, 343). Ob sich die Angeschuldigten als zur Entscheidung berufene Mitglieder des 14. Zivil- und zugleich 3. Familiensenats des Oberlandesgerichts Naumburg mit den Beschlüssen vom 08. Dezember 2004 (...) und 20. Dezember 2004 ( ... und ...) in dem familienrechtlichen Umgangsverfahren ( ...) bei der ihnen obliegenden Aufgabe der inhaltlichen Konkretisierung der generellen Normen des Rechts zur Verwirklichung des Rechts als System normativer Verhaltenssteuerung möglicherweise außerhalb des Bedeutungsspielraumes des Gesetzeswortlautes begeben und sich damit in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz (BGH a. a. O.) entfernt haben, kann allerdings dahingestellt bleiben.

Ein solcher Nachweis kann hier jedenfalls aus tatsächlichen Gründen nicht erbracht werden. Die Eröffnung des Hauptverfahrens unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist deshalb abzulehnen.

Die Verurteilung eines Richters wegen Rechtsbeugung aufgrund der Entscheidung eines Kollegialgerichts, an der er als dessen Mitglied beteiligt gewesen ist, setzt die Feststellung voraus, dass er für die von ihm als Unrecht erkannte, das Recht beugende Entscheidung gestimmt hat.

Gemäß § 196 Abs. 1 GVG entscheidet das Gericht mit der absoluten Mehrheit der Stimmen, soweit das Gesetz nicht - etwa wie in § 349 Abs. 2 StPO oder § 119 Abs. 1 StVollzG - ein anderes bestimmt. Ein überstimmter Richter macht sich durch seine Mitwirkung am weiteren Verfahren weder als Mittäter noch als Gehilfe strafbar (h. M., vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl.,§ 339, Rdnr. 8). Für eine Verurteilung wegen Rechtsbeugung ist daher für jedes einzelne Mitglied eines Spruchkörpers der Nachweis erforderlich, dass er für die inkriminierte Entscheidung gestimmt hat (Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl., § 193, Rdnr. 13).

Dieser Nachweis kann hier mit den in Betracht kommenden Beweismitteln in der Hauptverhandlung nicht geführt werden. Die allein bei der jeweiligen Beratung der Entscheidungen vom 08. Dezember 2004 (...) und vom 20. Dezember 2004 (...und ... ) anwesenden Angeschuldigten haben im Ermittlungsverfahren jeweils erklärt, von ihrem Recht auf Aussagefreiheit Gebrauch zu machen und nicht zur Sache auszusagen und sich darüber hinaus hinsichtlich des Beratungshergangs und Abstimmungsverhaltens im Rahmen der jeweiligen Beratungen auf das Beratungsgeheimnis (§ 43 DRiG) berufen.

Eine vom Inhalt der vorgenannten Beschlüsse abweichende Meinung eines der Angeschuldigten ist nicht zu den Akten gelangt. Hieraus ist jedoch nicht der Schluss zu ziehen, keiner der Angeschuldigten habe gegenüber der von den beiden anderen Senatsmitgliedern gestützten Entscheidung die Auffassung vertreten, die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts Wittenberg sei unanfechtbar und jeglicher Überprüfung und Abänderung durch den Senat entzogen. Eine Pflicht, seine abweichende Auffassung zu den Akten zu reichen, besteht nicht.

Auch aufgrund des Umstandes, dass die Beschlüsse vom 08. und 12. Dezember 2004 die Unterschrift aller drei Angeschuldigten tragen, kann nicht der Nachweis geführt werden, jeder der Angeschuldigten habe mit seiner Unterschriftsleistung seine Zustimmung zum Inhalt des Beschlusses zum Ausdruck gebracht.

Bereits das Reichsgericht hat zur Bedeutung der Unterschrift des an der Beratung und Abstimmung des Kollegialgerichts beteiligten Richters ausgeführt, er bezeuge durch sie, dass die Urteilsgründe nach der Überzeugung der Mehrheit mit den Ergebnissen der Beratung übereinstimmen. Der überstimmte Richter darf daher seine Unterschrift nicht verweigern, er bezeugt mit ihr nur die Auffassung der Mehrheit (BGHSt 26, 92,93). Gleichfalls darf der überstimmte Vorsitzende die Gründe der Mehrheit und der Entscheidung bei der Verkündung nicht desavouieren (Seibert MDR 1957, 597). Gleiches gilt für den überstimmten Berichterstatter bei der Entscheidungsabfassung.

Aufgrund des von allen drei Angeschuldigten unterschriebenen "klarstellenden Vermerk zur Entscheidung des Senats vom 20. Dezember 2004" vom 04. Januar 2005 kann der Nachweis ihres jeweiligen Abstimmungsverhaltens ebenfalls nicht geführt werden. Der Inhalt des Vermerks knüpft an die Entscheidungsgründe des vorgenannten Beschlusses an und ergänzt diese. An keiner Stelle der Ausführungen ist erkennbar, dass alle oder einzelne der unterzeichnenden Senatsmitglieder damit ihre persönliche Auffassung kundtun. Damit stellen sich die dortigen Ausführungen als ergänzende Wiedergabe des Ergebnisses der Beratung dar, weshalb folgerichtig wiederum alle daran beteiligten Richter ihre Unterschrift geleistet haben. Hätte mit dem Vermerk ein "geschlossenes Meinungsbild" aller drei unterzeichnender Richter abgegeben werden sollen, hätte es nahe gelegen, dass dies etwa durch die Verwendung von Sätzen wie "Wir sind der Auffassung, dass ..." auch klar benannt wird. Die geradezu auffällige Vermeidung von persönlichen Äußerungen in den detaillierten rechtlichen Ausführungen des Vermerks lässt sich jedenfalls nicht mit der Bewertung in Einklang bringen, hier habe von allen drei Angeschuldigten - quasi als "Erwiderung" auf den gegenteiligen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Dezember 2007 - ein Bekenntnis zur eigenen persönlichen Rechtsauffassung jedes Einzelnen abgelegt werden sollen.

Auch die Verwendung der Bezeichnung "Vermerk" rechtfertigt kein anders Ergebnis. Entgegen der üblichen Bedeutung eines richterlichen Vermerks, mittels dessen dienstliche Feststellungen des Richters schriftlich fixiert und - insbesondere zur besseren späteren Nachvollziehbarkeit des Verfahrensverlaufs - zur Akten gereicht werden, betreffen die im Vermerk vom 04. Januar 2005 niedergelegten Ausführungen allein den bereits zwei Wochen zurückliegenden und in seiner Wirksamkeit durch das Bundesverfassungsgericht vorläufig ausgesetzten Beschluss vom 20. Dezember 2004. Die Ausführungen vom 04. Januar 2005 stellen sich als - wenngleich als unübliche - Ergänzung des vorgenannten Beschlusses dar, weshalb sie auch folgerichtig lediglich formlos an die Verfahrensbeteiligten übersandt wurden.

Zur Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, den Sachverhalt zum Tatvorwurf aufzuklären, hat der Senat zusätzlich zu den in der Anklageschrift aufgeführten Beweismitteln mit Beschluss vom 11. März 2008 die Vernehmung der Richterin am Landgericht St. und Richterin am Oberlandesgericht H. als Zeuginnen angeordnet. Zwar haben diese Zeuginnen nicht an den dem Anklagevorwurf zugrunde liegenden Beratungen teilgenommen. Die Richterinnen haben aber an weiteren Beschlüssen des 14. Zivilsenats in der Familiensache des Kindes C. F. neben den Angeschuldigten zu 1) und 3) mitgewirkt. Die Beschlüsse vom 30. März 2004 ( ... OLG Naumburg, ...AG Wittenberg) und 09. Juli 2004 (...OLG Naumburg, ... AG Wittenberg) sind nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (ERMG, Nr. 74969/01, Urteil vom 26. Februar 2004 - G.) ergangen. Mit Beschluss vom 30. März 2004 ist die Vollziehung der einstweiligen Anordnung des Amtgerichts - Familiengericht - Wittenberg zum Umgangsrecht vom 19. März 2004 ( ...) ausgesetzt worden, die das Amtsgericht vor dem Hintergrund der vorgenannten Entscheidung des ERMG auf Antrag des Kindesvaters getroffen hatte. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg hat in der Beschwerdebegründung vom 20. September 2007 mit dem Bemerken, dass - auch - diese Entscheidung unter Missachtung der Vorschrift des § 620c Satz 2 ZPO ergangen sei, zutreffend darauf hingewiesen, dass die daran mitwirkende Richterin am Landgericht St. als Zeugin in Betracht komme.

Darüber hinaus hat der Senat auch die Vernehmung der Richterin am Oberlandesgericht H. als Zeugin hinsichtlich der Beratung des Beschlusses vom 09. Juli 2004 angeordnet. Mit diesem Beschluss ist u. a. der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Wittenberg vom 19. März 2004 (... ) aufgehoben und der Antrag, in Abänderung der Senatsentscheidung vom 20. Juni 2001 ( ... ) die elterliche Sorge für das Kind C. F. auf den Vater zu übertragen, abgewiesen worden. In den Gründen des Beschlusses vom 09. Juli 2004 sind längere Passagen enthalten, die sich mit der Entscheidung des ERMG vom 26. Februar 2004 kritisch auseinandersetzen und sich im Wesentlichen wortwörtlich in dem der Anklage u. a. zugrundeliegenden Beschluss vom 20. Dezember 2004 wieder finden.

Die Vernehmung der vorgenannten Richterinnen hat angesichts der geschilderten Umstände eine weitere Aufklärung der Sache versprochen, da aufgrund von Angaben zum Hergang der Beratungen, an denen sie im Vorfeld der der Anklageschrift zugrundeliegenden Beschlüsse mit zum Teil identischen rechtlichen Fragestellungen mitgewirkt haben, eventuell Indizien für das persönliche Verhalten zumindest der Angeschuldigten zu 1) und zu 3) bei der Beratung der Beschlüsse vom 08. und 20. Dezember 2004 hätten gewonnen werden können.

Der Einvernahme der Richterinnen als Zeugen hat dabei auch nicht das richterliche Beratungsgeheimnis entgegengestanden. Zwar bestimmt § 43 DRiG nach seinem Wortlaut, dass der Richter über den Hergang bei der Beratung und Abstimmung auch nach Beendigung seines Dienstverhältnisses zu schweigen hat. Beratung und Abstimmung sind innere Angelegenheiten des Gerichts, die dem Beratungsgeheimnis unterliegen. Deshalb darf grundsätzlich weder in den Urteilsgründen noch in sonstiger Weise erkennbar gemacht werden, ob Meinungsverschiedenheiten bestanden haben, welcher Art diese gegebenenfalls waren und mit welcher Stimmenmehrheit entschieden worden ist (vgl. BGH DRiZ 1976, 319). Die Pflicht zur Wahrung des Beratungsgeheimnisses ist jedoch nicht absolut. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 3,516, S. 47) hat ausdrücklich die Durchbrechung des Grundsatzes des Beratungsgeheimnisses u. a. in einem Strafverfahren wegen Rechtsbeugung als möglich erachtet, indes gleichwohl keinen Anlass gesehen, "für diese und ähnliche, äußerst seltene Fälle Bestimmungen zu treffen". Die überwiegende Auffassung im Schrifttum (vgl. Fürst/ Mühl/Arndt, DRiG, 1992, § 43, Rdnr. 16 ff.; Schmidt-Räntsch, DRiG, 5. Aufl., § 43, Rdnr. 10 ff.; LR-Schäfer, StPO, 23. Aufl., § 43 DRiG, Rdnr. 21; fortgesetzt von LR-Wickern, StPO, 25. Aufl., § 193, Rdnr. 55 ff.; Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl., § 193, Rdnr. 15 ff. jeweils m. w. Nw.; a. A. KK-Diemer, StPO, 5. Aufl., § 193 GVG, Rdnr. 7) lässt für den Fall, dass dem bestimmte Interessen der Rechtspflege, nämlich der Einheit des Kollegiums und der Autorität richterlicher Entscheidungen dienende Beratungsgeheimnis schutzwürdigere rechtliche Interessen anderer Art gegenüberstehen, eine Durchbrechung des grundsätzlich bestehenden Beratungsgeheimnisses zu. Dies gilt insbesondere für Strafverfahren, die Rechtsverletzungen bei Beratung und Abstimmung zum Gegenstand haben, wo es somit möglich sein könnte, den einzelnen Richter gerade wegen seiner Mitwirkung an einer Entscheidung persönlich zur Verantwortung zu ziehen. Das Beratungsgeheimnis würde sonst entweder ihm als Schutzschild dienen, sich der persönlichen Verantwortung zu entziehen, und dem Kollegialgericht eine nicht gerechtfertigte Vorzugsstellung vor dem Einzelrichter verschaffen, oder es würde umgekehrt ihm die Verteidigung und den als Zeugen angerufenen Kollegen die Entlastung unmöglich machen (vgl. LR-Wickern, a.a.O., Rdnr. 55).

Hier hat es das überwiegende Interesse an der weiteren Aufklärung des Tatvorwurfs des Verbrechens der Rechtsbeugung gerechtfertigt, im Beschwerdeverfahren und somit einem Gerichtsverfahren eine Ausnahme vom Grundsatz des Beratungsgeheimnisses zuzulassen. Dem in der Literatur (vgl. Schmidt-Räntsch, a. a. O., Rdnr. 12) berechtigterweise erhobenen Einwand, das Beratungsgeheimnis dürfe nicht in einem Ermittlungsverfahren oder in Verfahren bei Verwaltungsbehörden preisgegeben werden, damit nicht Organe der Exekutive sich unter dem Vorwand eines Ermittlungs- oder Verwaltungsverfahrens von dem Hergang bei Beratung und Abstimmung Kenntnis verschaffen können, ist somit genügend Rechnung getragen worden.

Die angeordnete Vernehmung der vorgenannten Richterinnen als Zeugen ist auch nicht von vornherein ohne jegliche Aussicht auf weitere Aufklärung der Sache gewesen. Zwar trifft die Zeuginnen keine Aussagepflicht; es steht ihnen jedoch ein Aussagerecht zu.

Die im Schrifttum für eine Aussagepflicht des Richters eintretende Auffassung (vgl. Schmidt-Räntsch, a. a. O., Rdnr. 13 m.w.Nw.), leitet aus dem Umstand, dass anders als bei der Entbindung von der Amtsverschwiegenheit eine Befreiung von der Schweigepflicht gemäß § 43 DRiG durch den Dienstvorgesetzten nicht möglich sei, da auch diesem gegenüber das Beratungsgeheimnis zu wahren sei, das Ergebnis her, die Entscheidung, ob und wieweit der Richter als Zeuge über den Hergang bei Beratung und Abstimmung aussagen soll, liege beim Prozessgericht. Dem wird aber mit Recht entgegen gehalten, dass der Ausgangspunkt dieser Argumentation, dass nämlich das Beratungsgeheimnis auch gegenüber dem Dienstvorgesetzten gilt, gerade dagegen spricht, dass es zur Verfügung eines Dritten und damit auch eines anderes Gerichts stehen könnte. Und auch zur Entscheidung über die Entpflichtung von der neben dem Beratungsgeheimnis bestehenden allgemeinen Verschwiegenheitspflicht ist nicht das vernehmende Gericht, sondern der Dienstherr berufen. Da das Beratungsgeheimnis den Beratungsteilnehmern anvertraut ist, muss es den einzelnen Beratungsteilnehmern, in deren Interesse es im Übrigen ja auch besteht, überlassen bleiben, nach pflichtgemäßem Ermessen die Interessenabwägung im Einzelfall selbst vorzunehmen (vgl. KG JZ 1991, 46 f; Fürst, a. a. O., Rdnr. 20; LR-Schäfer, a. a. O., Rdnr. 24 f.; LR-Wickern, a. a. O., Rdnr. 58; Kohlhaas NJW 1953, 403). Dem schließt sich der Senat an. Schließlich führt das Fehlen eines gesetzlich geregelten Zeugnisverweigerungsrechts für Beratungsteilnehmer nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn grundsätzlich entspricht der materiell-rechtlichen Geheimhaltungspflicht ein prozessuales Zeugnisverweigerungsrecht des Geheimnisträgers.

Die unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erfolgten Einvernahmen der Richterinnen durch die Staatsanwaltschaft Halle vom 09. Juni und 10. Juli 2008 haben jedoch keine weiteren Erkenntnisse zu den Beratungen vor der Beschlussfassung am 30. März bzw. 09. Juli 2004 erbracht.

Die Mitwirkung der Angeschuldigten zu 1) und zu 3) an dem Beschluss des 14. Zivilsenats vom 30. März 2004 lässt ebenfalls keinen tragfähige Schluss auf ihr Abstimmungsverhalten hinsichtlich der Beschlüsse vom 08. und 20. Dezember 2004 zu. Zwar muss zumindest einer der beiden vorgenannten Angeschuldigten für die Aussetzung der Vollziehung der einstweiligen Anordnung vom 19. März 2004 gestimmt haben, damit die erforderliche Mehrheit zustande gekommen ist. Damit ist jedoch nicht klar, wer von beiden Angeschuldigten dies war und ob er die zugrunde liegende Auffassung auch in den über acht Monate späteren Abstimmungen weiter vertreten sowie entsprechend abgestimmt hat.

Des Weiteren lassen sich aus der zeitlichen Abfolge des Beschlusses des 14. Zivilsenats vom 20. Dezember 2004, des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Dezember 2004 und des Vermerks vom 04. Januar 2005 keine eindeutigen Anhaltspunkte für das persönliche Verhalten der Angeschuldigten bei den in Rede stehenden Beratungen ziehen.

Schließlich trägt der Rückschluss vom Duktus und sprachlichen Stil, mit dem die Beschlüsse vom 08. und 20. Dezember 2004, der Vermerk vom 04. Januar 2005 und die Stellungnahme des Angeschuldigten zu 1) verfasst worden sind, nicht den Nachweis auf dessen persönliche Identifizierung mit den in Rede stehenden Entscheidungen. Auch wenn der Angeschuldigte zu 1) sowohl die beiden Beschlüsse vom 08. und 20. Dezember 2004 als auch den Vermerk vom 04. Januar 2005 abgesetzt haben sollte, begründet dies nicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Angeschuldigte auch für die Entscheidungen gestimmt hat. Denn auch der überstimmte Vorsitzende hat die Gründe der Mehrheit zu respektieren und darf sie als Berichterstatter bei der Entscheidungsabfassung nicht unterminieren. Daher ist die von der Generalstaatsanwaltschaft unter dem 30. Juli 2008 angeregte ergänzende Einholung eines Sachverständigengutachtens (etwa eines Sprachwissenschaftlers oder Psychologen) - selbst wenn sie den Angeschuldigten zu 1) als Autor der in Rede stehenden Texte aus sachverständiger Sicht identifizieren sollte - nicht geeignet, den Tatnachweis insoweit zu führen.

Damit scheidet auch die Verfolgung der Angeschuldigten wegen derselben Tat im Hinblick auf andere Delikte - etwa wegen des in Betracht kommenden Tatbestands der Entziehung Minderjähriger (§ 235 Abs. 1 Nr. 2 StGB) - aus. Denn § 339 StGB kommt zum Schutz der Unabhängigkeit der Rechtspflege eine Sperrwirkung in dem Sinne zu, dass eine Verurteilung wegen einer Tätigkeit bei Leitung einer Rechtssache nach anderen Vorschriften nur möglich ist, wenn die Voraussetzungen des § 339 StGB gegeben sind (BGHSt 10, 294).

Die Kostenfolge beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

III.

Der - erneute - Antrag des Kindesvaters K.G. auf Zulassung als Nebenkläger im Hinblick auf den Tatbestand der Entziehung Minderjähriger hat mit der rechtskräftigen Entscheidung des Senats in der Hauptsache seine Erledigung gefunden. Im Übrigen wäre der Antrag im Hinblick auf die Sperrwirkung des § 339 StGB auch in der Sache abzulehnen gewesen.

Ende der Entscheidung

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