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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 12.02.2009
Aktenzeichen: 1 Ws 706/08
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 453 Abs. 2 S. 2
StGB § 56 c Abs. 3 Nr. 1
StGB § 59 a
StGB § 59 a Abs. 2 S. 1 Ziff. 4
Die Weisung, sich einer regelmäßigen fachärztlichen psychiatrischen Kontrolle zu unterziehen, ist nicht hinreichend bestimmt. Die Weisung, seinen Geschlechtstrieb dämpfende Medikamente nach den Maßgaben einer fachärztlichen Verordnung einzunehmen, darf nur mit Einwilligung des Verurteilten erteilt werden. Mit diesen Weisungen in Zusammenhang stehende Kontrollanordnungen sind unzulässig, insbesondere wenn sie die Mitwirkung von mit dem Verurteilten verwandter Personen, etwa bei der Kontrolle seiner regelmäßigen Medikamenteneinnahme, voraussetzen.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Ws 706/08 OLG Naumburg

In der Strafsache

wegen exhibitionistischer Handlungen

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 12. Februar 2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Krüger, den Richter am Oberlandesgericht Halves und den Richter am Amtsgericht Sarunski

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Verurteilten vom 5. November 2008 wird der Bewährungsbeschluss der 9. Strafkammer des Landgerichts Halle vom 15. Juli 2008 (29 Ns 11/08) zu den Ziffern 3.-5. aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten der Beschwerde, an die 9. Strafkammer des Landgerichts Halle zurückverwiesen.

Gründe:

Mit Urteil der 9. Strafkammer des Landgerichts Halle vom 15. Juli 2008 wurde der Verurteilte der Begehung exhibitionistischer Handlungen in drei Fällen schuldig gesprochen. Er wurde deswegen verwarnt; die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 Euro blieb vorbehalten.

Durch Beschluss der Strafkammer vom selben Tage ist unter anderem eine Bewährungszeit von drei Jahren festgesetzt worden. Ferner wurde der Verurteilte unter Ziffer 3. des vorgenannten Beschlusses angewiesen, sich wegen seiner Neigung zum Exhibitionismus einer regelmäßigen fachärztlichen psychiatrischen Kontrolle zu unterziehen und außerdem in dem der Verschreibung entsprechenden zeitlichen Abstand die ihm verschriebenen, seinen Geschlechtstrieb dämpfenden Medikamente einzunehmen. Unter Ziffer 4. dieses Bewährungsbeschlusses wurde dem Verurteilten aufgegeben, alle zwei Monate dem Amtsgericht Bestätigungen vorzulegen, in dem ihm für die jeweils vergangenen zwei Monate von dem ihn kontrollierenden Arzt abgezeichnet wird, dass in diesem Zeitraum mindestens zwei fachärztliche Kontrolltermine stattgefunden haben. Schließlich wurde dem Angeklagten unter Ziffer 5. des Bewährungsbeschlusses auferlegt, alle zwei Monate dem Amtsgericht eine Bestätigung entweder des R. oder der C. A. dafür vorzulegen, dass er in diesen zwei Monaten regelmäßig die verschriebenen dämpfenden Tabletten eingenommen habe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 05. November 2008 erhobene Beschwerde des Verurteilten.

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 305 a, 268 a StPO) und hat in der Sache auch (vorläufigen) Erfolg.

Grundsätzlich ist die Prüfung des Senats nach § 453 Abs. 2 S. 2 StPO auf eine Rechtsmäßigkeitskontrolle beschränkt. Eine Prüfung der Zweckmäßigkeit ist dem Senat versagt (Senat, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 Ws 403/06).

Die Anordnungen - wie hier die in Ziffern 3-5 im angefochtenen Beschluss erteilten Weisungen nach § 59 a Abs. 2 Ziff. 4 StGB - sind gesetzwidrig, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar sind oder sonst die Grenzen des eingeräumten Ermessens überschreiten. Dabei muss insbesondere eine Weisung hinreichend bestimmt sein, weil sie nur dann gerichtlich überwacht und ihre Nichtbefolgung gegebenenfalls sanktioniert werden kann.

Diesen Anforderungen genügen die Weisungen zu Ziffern 3 - 5 des angefochtenen Beschlusses nicht.

Die unter Ziffer 3. erteilte Weisung, sich einer regelmäßigen fachärztlichen psychiatrischen Kontrolle zu unterziehen, außerdem in dem der Verschreibung entsprechenden zeitlichen Abstand die dem Verurteilten verschriebenen, seinen Geschlechtstrieb dämpfenden Medikamente einzunehmen, kann keinen Bestand haben. Gemäß §§ 59 a Abs. 2 S. 1 Ziff. 4, 56 c Abs. 3 Nr. 1 StGB darf die Weisung, sich einer Heilbehandlung, die mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist, nur aufgrund einer - hier fehlenden - Einwilligung des Verurteilten erteilt werden. Eine ärztliche Behandlung, die mit der Einnahme von Medikamenten verbunden ist, bedarf der Einwilligung des Verurteilten. Der Begriff körperlicher Eingriff ist weit auszulegen. Darunter fallen alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, die in die Körperintegrität des Verurteilten, insbesondere auch durch das Zuführen von Medikamenten, einwirken (SchlHOLG, Beschluss vom 5. Juli 2006 - 1 Ws 259/06 - m. w. N., zitiert nach JURIS - Datenbank). Dies gilt umso mehr, als hier der Verurteilte seitens der Kammer angewiesen wurde, triebdämpfende Medikamente wie das Neuroleptikum "Neurocil" oder gar das chemische Kastrationsmittel "Androcur" einzunehmen, die mit erheblichen Nebenwirkungen wie einerseits Müdigkeit, Hypotonie, Tachykardie, Blickkrämpfen, innerer Unruhe und dem Parkinson-Syndrom und andererseits mit Gynäkomastie (Verweiblichung), Antriebsproblemen, depressiven Verstimmungen, Gewichtsschwankungen und Leberfunktionsstörungen einhergehen. Wegen dieser Nebenwirkungen und den damit verbundenen erheblichen Einwirkungen auf die körperliche Integrität des Verurteilten hätte die Weisung der regelmäßigen Einnahme triebdämpfender Mittel nur mit Einwilligung des Verurteilten ergehen dürfen, woran es hier fehlt.

Im Übrigen ist der gewählte Begriff fachärztliche Kontrolle nicht hinreichend bestimmt, um Weisungsverstöße gerichtlich sanktionieren zu können. Unter ärztlicher Kontrolle kann einerseits eine Befragung des Verurteilten, ob er seine Medikamente regelmäßig nimmt, verstanden werden, andererseits aber auch eine Kontrolle des Medikamentenspiegels im Körper des Verurteilten, etwa durch Blutentnahme und Analyse derselben, was wiederum einen zustimmungspflichtigen Eingriff in die körperliche Integrität des Verurteilten darstellen würde. Eine dahingehende Einwilligung ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Da bereits die getroffene Anordnung in Ziffer 3. des angefochtenen Bewährungsbeschlusses keinen Bestand haben kann, können auch die sich daraus ergebenden Kontrollanordnungen der Ziffern 4. und 5. dieses Beschlusses keinen Bestand haben. Im Übrigen hegt der Senat Bedenken gegen diese Weisungen. Grundsätzlich sind lediglich auf Sicherung und Überwachung abstellende Weisungen - wie hier - unzulässig (vgl. BVerfG NJW 1993, 3315 m. w. N.). Weisungen nach den § 59 a StGB sind demnach nur zu erteilen, wenn die Lebensführung und Resozialisierung des Verurteilten dadurch zu beeinflussen ist. Dem Senat erschließt sich nicht, wie der Nachweis, Kontrollarztbesuche unternommen zu haben, den Verurteilten in seiner Lebensführung und Resozialisierung positiv beeinflussen kann.

Ferner ist hinsichtlich Ziffer 5. des Bewährungsbeschlusses ergänzend zu bemerken, dass die Erfüllung der dahingehenden Auflage allein von der Bereitschaft der dort genannten und mit dem Verurteilten verwandten Personen abhängig ist. Würden sich die Verwandten des Verurteilten weigern, über die regelmäßige Tabletteneinnahme des Verurteilten "Buch zu führen", hätte der Verurteilte ohne sein Zutun einen Weisungsverstoß begangen, was im schlimmsten Fall die Verurteilung zu der vorbehaltenen Gesamtgeldstrafe zur Folge hätte. Dies widerspricht aber dem verfassungsrechtlichen Gebot, dass die Weisung einen spezialpräventiven Inhalt aufweisen und zumindest auch den Zweck verfolgen muss, den Verurteilten bei der Vermeidung von Straftaten in seiner künftigen Lebensführung zu helfen (vgl. BVerfG a. a. O.). Hier wäre der Verurteilte aber dem Wohl und Willen Dritter ausgesetzt bei der Beachtung dieser Weisung und könnte nicht, wie gesetzlich gewollt, die Erfüllung der Weisung persönlich vorantreiben und nachweisen.

Da der Senat die Ermessensentscheidung der Strafkammer nicht ersetzen darf, ist ihm eine eigene Sachentscheidung verwehrt. Der angefochtene Beschluss ist deshalb in dem aus dem Tenor dieser Entscheidung ersichtlichen Umfang aufzuheben und die Sache an die Strafvollstreckungskammer zur erneuten Prüfung und Entscheidung zurückzuverweisen. Der Kammer bleibt es dabei unbenommen, bei Vorliegen der Voraussetzungen im Rahmen einer erneut durchzuführenden mündlichen Anhörung wiederum die Weisung zu erteilen, sich einer medikamentösen Heilbehandlung zu unterziehen, sofern der Verurteilte noch einwilligen sollte.

Ende der Entscheidung

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