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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 26.04.2005
Aktenzeichen: 12 U 170/04
Rechtsgebiete: GKG, SGB X, HeimG, BGB


Vorschriften:

GKG § 47 Abs. 1 Satz 1
GKG § 48 Abs. 1 Satz 1
GKG § 63 Abs. 2
GKG § 72 Nr. 1
SGB X § 116 Abs. 1
HeimG § 2 Abs. 1 Nr. 1
HeimG § 13 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6
BGB § 1896 Abs. 1
BGB § 1906 Abs. 4
Der Umfang des Schutzes eines Heimbewohners vor eigengefährdenden Situationen erfährt eine Begrenzung durch das Gebot einer die Würde und die Interessen und Bedürfnisse des Heimbewohners berücksichtigenden Unterbringung.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 U 170/04 OLG Naumburg

verkündet am: 26. April 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Trojan, den Richter am Oberlandesgericht Grimm und den Richter am Landgericht Straube

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 29. September 2004 verkündete Einzelrichterurteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Halle abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen;

und beschlossen:

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug beträgt 5.106,61 €.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt aus übergegangenem Recht den Ersatz von Behandlungskosten.

Ihr 1909 geborenes und zwischenzeitlich verstorbenes, gesetzlich versichertes Mitglied E. S. war seit Mai 1997 in vollstationärer Pflege in dem vom Beklagten betriebenen Altenpflegeheim L. . Dabei war sie, jeweils der Empfehlung des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse (MDK) entsprechend, bis Juli 1998 in Pflegestufe I, sodann in Pflegestufe II und ab März 1999 in Pflegestufe III eingestuft. Nach dem letzten Gutachten des MDK vom 15. März 1999 litt die Betroffene an hochgradiger Schwerhörigkeit, war blind und seit etwa acht Wochen ausgeprägt hinfällig und teilnahmslos. Des weiteren gelangt das Gutachten zu der Einschätzung, dass ein Funktionsausfall des Stütz- und Bewegungsapparates vorliege, kaum Eigenbewegungen zu verzeichnen seien, die Betroffene an vollständiger Inkontinenz leide, kein Sprechvermögen mehr besitze und auch ihr Sprachverständnis fraglich erscheine. Das Kritik- und Urteilsvermögen sei aufgehoben, die Betroffene zeitlich, räumlich und personell desorientiert. Der Gesamtpflegebedarf bei den täglichen Verrichtungen ist mit 304 Minuten angegeben, es bestehe eine medizinische Notwendigkeit der Rund-um-die-Uhr-Pflege auch in der Nacht. Zu diesem Zeitpunkt war der Betroffenen durch das Amtsgericht Weißenfels auch bereits ein Betreuer bestellt.

In den Mittagsstunden des 03. Februar 2000 fanden Pflegerinnen des Beklagten die Betroffene, nachdem diese um 11.45 Uhr ihr Mittagessen eingenommen hatte und anschließend zur Mittagsruhe in ihr Bett gebracht worden war, gegen 13.00 Uhr vor dem Bett liegend auf. Nach der vorsorglichen Einweisung in das Kreiskrankenhaus W. wurde eine Oberschenkelhalsfraktur diagnostiziert, die eine stationäre Behandlung bis zum 15. Februar 2000 erforderte. Nach ihrer Rückverlegung in das Pflegeheim des Beklagten bat die Pflegedienstleiterin den Betreuer mit Schreiben vom 01. März 2000, beim Vormundschaftsgericht um die Genehmigung zur Anbringung seitlicher Bettgitter nachzusuchen. Zur Begründung führte sie an, dass die Betroffene infolge kognitiver Einbußen die Gefahr selbständiger Toilettengänge nicht einschätzen könne und deshalb offenkundig vor dem Bett gestürzt sei. Dies habe sich unmittelbar nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus am 16. Februar 2000 wiederholt, wobei sich die Betroffene, die zu willkürlichen Ortsveränderungen derzeit nicht in der Lage sei, eine Prellung der rechten Hüfte zugezogen habe. Das Vormundschaftsgericht erteilte die Genehmigung mit Beschluss vom 30. Juni 2000.

Die Klägerin hat den Ersatz der Kosten der stationären Behandlung in Höhe von 4.675,56 €, der Krankentransporte in Höhe von 337,98 € sowie einer ambulanten Behandlung in Höhe von 93,06 € verlangt. Sie hat gemeint, dass es der Beklagte vorwerfbar unterlassen habe, sturzprophylaktische Vorkehrungen zu treffen. Angesichts der vollkommen aufgehobenen Fähigkeit der Betroffenen zu willensgetragenem Handeln und ihrer Bewegungseinschränkung seien insbesondere während der Schlafzeiten Bettgitter anzubringen gewesen. Auch der Einsatz von Lichtschranken oder Sensormatratzen habe erwogen werden müssen, um auf ein unkontrolliertes Verlassen des Bettes rechtzeitig reagieren zu können. Ferner habe der Beklagte zur Abmilderung etwaiger Sturzfolgen auf das Tragen eines Hüftprotektors hinwirken müssen. Ihm obliege der Nachweis pflichtgemäßen Verhaltens, weil sich das schädigende Ereignis in dem von ihm voll beherrschbaren Bereich zugetragen habe.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 5.106,61 € nebst 4 % Zinsen seit dem 27. August 2003 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat insbesondere eingewandt, dass der genaue Hergang des schädigenden Ereignisses nicht mehr aufklärbar sei. Die Vermutung der Klägerin, die Betroffene habe die Toilette aufsuchen wollen und sei dabei aus dem Bett gestürzt, sei nur einer von mehreren denkbaren Geschehensabläufen. Die Betroffene könne aufgrund ihrer schweren Osteoporoseerkrankung auch eine Spontanfraktur erlitten haben. Eine Beweislastumkehr finde nicht statt. Die personelle und räumliche Ausstattung des Pflegeheimes entspreche dem gängigen Standard, der Wohnbereich der Betroffenen sei zur Schadenszeit mit 6 Pflegekräften ausreichend besetzt gewesen. Das schädigende Ereignis habe sich durch keinerlei Umstände vorangekündigt. Der Allgemeinzustand der Betroffenen habe sich nach dem letzten Gutachten des MDK verbessert. Die Betroffene habe noch Hell-Dunkel-Unterscheidungen vornehmen und mit Unterstützung laufen können. Vor dem Aufsuchen der Toilette habe sie regelmäßig geklingelt, woraufhin sie von Pflegepersonal zur Notdurftverrichtung begleitet worden sei. Die Mahlzeiten habe sie mit den anderen Heiminsassen im Gemeinschaftsraum eingenommen, wohin sie in einem Rollstuhl gebracht worden sei. Mit Ausnahme der Mittagsschlafzeit habe die Betroffene am Tage unter ständiger Beaufsichtigung durch das Pflegepersonal gestanden. Hinsichtlich der Schadenshöhe hat der Beklagte die Ersatzfähigkeit der Kosten der ambulanten Behandlung in Abrede genommen. Zudem habe die Betroffene während der stationären Behandlung Eigenaufwendungen erspart, was im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen sei.

Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsforderung stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte habe es pflichtwidrig und schuldhaft unterlassen, rechtzeitig die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Anbringung eines Bettgitters herbeizuführen bzw. auf das Einverständnis der Betroffenen hinzuwirken, obwohl deren Allgemeinzustand hierfür hinreichenden Anlass geboten habe. Nach den äußeren Umständen stehe fest, dass die Betroffene entweder aus dem Bett gefallen sei oder aber versucht habe, allein aufzustehen. Beides habe durch Anbringung eines Gitters wirksam verhindert werden können. Auch der Höhe sei die Forderung gerechtfertigt, weil die Transportkosten vom 16. Februar 2000 gleichfalls auf einem Sturz der Betroffenen im Pflegeheim beruhten. Die Voraussetzungen für eine Vorteilsanrechnung seien nicht schlüssig dargelegt.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung rügt der Beklagte sowohl Rechtsfehler als auch eine unzureichende Tatsachenfeststellung. Anders als noch in der mündlichen Verhandlung angekündigt, habe das Landgericht von der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens über die Möglichkeit einer osteoporosebedingten Spontanfraktur abgesehen und die Entscheidung statt dessen auf vermeintliche eigene Sachkunde gestützt. Dieser Frage komme Entscheidungserheblichkeit zu, weil nicht ohne weiteres von einem Sturz aus dem Bett ausgegangen werden könne. Bleibe die Verletzungsursache offen, gehe dies zu Lasten der Klägerin, weil der Beklagte den Entlastungsbeweis nur dann zu führen habe, wenn sich das schädigende Ereignis in dem vom Pflegepersonal voll beherrschbaren Gefahrenbereich zugetragen habe. Das Landgericht habe insoweit zunächst die von der Klägerin vertretene gegenteilige Ansicht zur Beweislast geteilt. Die Klageerwiderung habe sich deshalb darauf konzentriert, dieser Auffassung entgegen zu treten. Erst später habe die Klägerin konkrete Pflichtverletzungen des Beklagten behauptet, zu denen der Beklagte erst unmittelbar vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung habe Stellung nehmen können. Überraschend habe das Landgericht in der mündlichen Verhandlung dann die auch das angefochtene Urteil tragende Auffassung angedeutet, ohne dem Beklagten die Möglichkeit einzuräumen, sich hierauf noch schriftsätzlich zu erklären. Tatsächlich hätten die Voraussetzungen für freiheitsbeschränkende Maßnahmen wie das Anbringen eines Bettgitters nicht vorgelegen. Insbesondere habe sich die Erforderlichkeit nicht bereits aus dem Allgemeinzustand der Betroffenen ergeben. Die Betroffene habe ihre Verfassung bis zum Schadensfall selbst realistisch einschätzen können und in mehreren Einzelfällen darum gebeten, ein Gitter vor dem Bett anzubringen. Das Einstufungsgutachten des MDK hingegen sei nicht nur mit einer völlig anderen Zweckrichtung erstattet worden, es darüber hinaus auch inhaltlich widersprüchlich und nicht geeignet, die Unfähigkeit zu kontrollierter Willensbildung zu belegen. Ebenso wenig gebe es den allgemeinen Gesundheitszustand der Betroffenen zutreffend wieder, der sich zudem zuletzt wieder gebessert habe. Ein Schutz des Heiminsassen vor Eigengefährdung komme nur unter Wahrung eines letzten Restes an Privatsphäre, Würde und Lebensqualität in Betracht. Nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefährdung sei Raum für Fixierungs- oder ähnliche freiheitsbeschränkende Maßnahmen. Überdies würde die vom Landgericht geforderte Anbringung eines Gitters angesichts der Gefahr des Überkletterns das Sturzrisiko nicht nur nicht vermieden, sondern sogar noch erhöht haben.

Erstmals im Berufungsverfahren behauptet der Beklagte, die Betroffene habe bereits im April 1999 an drei Tagen das mit ihrem Einverständnis angebrachte Gitter überstiegen und das Bett verlassen, was erst jetzt bekannt geworden sei.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil aufzuheben und das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und hält das neue und von ihr ausdrücklich bestrittene Tatsachenvorbringen des Beklagten im Berufungsverfahren für unzulässig.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Der von der Klägerin aus nach § 116 Abs. 1 SGB X übergegangenem Recht hergeleitete Schadensersatzanspruch steht ihr unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Nach dem mit der Betroffenen zustande gekommenen Heimaufnahmevertrag traf den Beklagten zwar die Verpflichtung, die Pflege und Betreuung so zu organisieren, dass die körperliche Unversehrtheit der Betroffenen nicht über deren Erkrankung und Altergebrechlichkeit hinaus durch die mit der baulichen Gestaltung und Einrichtung des Heimes sowie dem Pflegeablauf verbundenen Risiken beeinträchtigt wird. Diese Risiken können sich insbesondere dadurch verwirklichen, dass sie der Pflegling aufgrund seines Krankheitsbildes nicht realistisch einschätzen und ihnen nicht angemessen begegnen kann. Er bedarf deshalb in diesen Fällen des besonderen Schutzes durch das Pflegepersonal.

Der Schutz des Patienten vor eigengefährdenden Situationen, wie sie auch außerhalb des Pflegeheimes bzw. bei ambulanter Pflege entstehen können, erfährt indes eine Einschränkung durch das in § 2 Abs. 1 Nr. 1 HeimG statuierte und auf die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zurückzuführende Gebot, auch bei einer stationären Heimunterbringung die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen. Den Insassen soll ungeachtet ihrer gesundheitlichen Einschränkungen ein so würdevolles und eigenständiges Leben wie möglich verbleiben. Dies verbietet einerseits eine über das im Rahmen des normalen Pflegerhythmus' erforderliche Maß hinausgehende Reglementierung des Tagesablaufes bzw. der täglichen Verrichtungen. Andererseits gebietet es die Beibehaltung eines Kernbereichs der Privatsphäre und die Schaffung von Rückzugsmöglichkeiten für die Heimbewohner, die der Kontrolle durch das Pflegepersonal weitgehend entzogen sind. Aus diesem Verständnis leitet sich ab, dass insbesondere der private Wohnbereich des Insassen ohne dessen Einverständnis keiner unablässigen menschlichen oder technischen Überwachung ausgesetzt sein darf, sofern hierfür nicht ein unabweisbares medizinisches Bedürfnis besteht. Ebenso wenig darf der Pflegling ohne zwingende Erfordernisse in seiner Fortbewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Nach diesem Maßstab beurteilt sich sowohl die vertragliche Obhuts- als auch die deliktische Verkehrssicherungspflicht des Heimträgers, wobei die Abwägung, ob dem Schutzbedürfnis oder dem Freiheitsrecht des Heiminsassen der Vorzug zu geben ist, stets anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu erfolgen hat. Ihre Grenze finden Prophylaxemaßnahmen ferner dann, wenn sie mit vernünftigem finanziellen und personellen Aufwand nicht realisierbar sind.

Erleidet der Heimbewohner innerhalb der Räumlichkeiten des Pflegeheimes aufgrund eines von außen einwirkenden plötzlichen Ereignisses einen Gesundheitsschaden, trifft ihn bzw. denjenigen, der hieraus aus übergegangenem Recht Ansprüche herleitet, nach der allgemeinen Beweisregel die Beweislast dafür, dass Ursache der Rechtsgutbeeinträchtigung eine schuldhafte Pflichtverletzung durch das Pflegepersonal ist. Eine Beweislastumkehr, wie sie das Oberlandesgericht Dresden verallgemeinernd annimmt (zuletzt Urteil vom 23. September 2004, - 7 U 753/04 -, zit. nach juris) kommt nach Ansicht des Senats jedoch nur dann in Betracht, wenn aufgrund des unstreitigen oder erwiesenen Tatsachenvorbringens des Anspruchstellers feststeht, dass sich das schädigende Ereignis in dem vom Heimträger voll beherrschbaren Gefahrenbereich ereignet hat. Dies ist regelmäßig bei Stürzen während Bewegungs- und Transport- sowie sonstigen pflegerischen Maßnahmen, an denen Pflegepersonal unmittelbar beteiligt ist, der Fall, nicht jedoch dann, wenn der Heiminsasse in seinem privaten Wohnbereich innerhalb des Heimes unter letztlich im Einzelnen nicht aufklärbaren Umständen zu Fall kommt. Denn der vom Heimträger zu verantwortende Gefahrenbereich wird nicht in erster Linie durch die Sachgewalt des Heimträgers über seine Räumlichkeiten, sondern durch die konkreten Leistungspflichten gegenüber den Heimbewohnern bestimmt. Gerade der Wohnbereich des Pflegebedürftigen jedoch ist nach den vorstehenden Erwägungen grundsätzlich der vollständigen Überwachung durch das Pflegepersonal entzogen. Auch etwaige Beweisschwierigkeiten für den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, der gegebenenfalls nicht auf die Schilderung des Geschädigten zurückgreifen kann, rechtfertigen angesichts der gem. § 13 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 HeimG über den Pflegeverlauf zu führenden Dokumentation keine Beweiserleichterungen. Denn unabhängig vom Umfang der Dokumentationspflichten hat er die Möglichkeit, deren Vorlage nach den Regeln des Urkundenbeweises (§§ 421 ff. ZPO) zu verlangen.

Das Landgericht ist deshalb zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin sowohl den Nachweis eines Verstoßes des Beklagten bzw. seiner Bediensteten gegen die bestehenden Schutz- und Obhutspflichten als auch dessen Ursächlichkeit für die eingetretene Oberschenkelhalsfraktur zu erbringen hat. Nicht beizupflichten vermag ihm der Senat allerdings in seiner Auffassung, der Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, sturzprophylaktische Vorkehrungen zu treffen, was haftungsbegründend kausal zu der eingetretenen Gesundheitsbeschädigung geführt habe.

Für den Beklagten bestand insbesondere keine Pflicht, gegenüber dem Betreuer der Betroffenen bereits vor dem streitgegenständlichen Vorfall die Einholung einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung unterbringungsähnlicher Maßnahmen gem. § 1906 Abs. 4 BGB anzuregen, zu denen auch die Anbringung von Bettgittern mit dem Ziel, den Pflegling am Verlassen des Bettes zu hindern, gehört (z.B. OLG Frankfurt, FamRZ 1994, 992). Denn es lässt sich dem Tatsachenvorbringen der Parteien nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, dass von der Betroffenen aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Gefahr ausging, dass sie sich selbst erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen würde. Anders als bei der Betreuung, die gem. § 1896 Abs. 1 BGB auch bei einer bloßen körperlichen Behinderung eingerichtet werden kann, rechtfertigt allein die Hinfälligkeit und Gebrechlichkeit des Betroffenen Unterbringungs- oder unterbringungsähnliche Maßnahmen mit freiheitseinschränkendem Charakter nicht. Im Gegensatz zu der von der Klägerin vertretenen Auffassung bot deshalb der im Gutachten des MDK vom 15. März 1999 attestierte deutlich reduzierte Allgemeinzustand der Betroffenen ungeachtet der Erblindung, Taubheit und dem weitgehend fehlenden Sprechvermögen für sich genommen noch keinen Anlass, gegenüber dem Betreuer tätig zu werden.

Aber auch soweit mit ihnen eine geistige Behinderung der Betroffenen einherging, die zu jedenfalls zeitweiliger räumlicher Desorientierung führte, folgte hieraus nach den konkreten Umständen keine Handlungspflicht des Beklagten. Denn auf Altersdemenz zurückzuführende, nicht willensgetragene Versuche eines Heimbewohners, das Bett ohne erkennbare Zwecksetzung zu verlassen, können in der Regel nicht verlässlich ausgeschlossen werden. Würde allein schon die bloße Möglichkeit das Pflegepersonal zum Tätigwerden verpflichten, würde dies die Heimträger veranlassen, in der Mehrzahl der Fälle vorsorglich unterbringungsähnliche Maßnahmen anzuregen, was indessen dem Pflegeziel zuwiderläuft. Konkrete Maßnahmen sind deshalb nur dann geboten, wenn aufgrund der Unfähigkeit des Betroffenen zur freien Willensbildung eine ernstliche Gefahr für eine Selbstschädigung besteht, die sich entweder nach allgemeinen medizinischen Erkenntnissen unmittelbar aus dem Krankheitsbild ergibt oder aber sich bereits in greifbarer Weise manifestiert hat.

Ob der Beklagte allein aus einem fortgeschrittenen Stadium der Altersdemenz auf eine ernsthafte Sturzgefahr hätte schließen müssen, ist einer sachverständigen Beurteilung ohne Exploration der Betroffenen nicht zugänglich. Konkrete Anhaltspunkte für eine unkoordinierte Bettflucht der Betroffenen dem gegenüber lassen sich dem Sachvortrag der Klägerin nicht entnehmen. Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung, ob die vom Beklagten erstmals im Berufungsverfahren behaupteten dreimaligen Versuche der Betroffenen im April 1999, das Bettgitter zu übersteigen, Anlass geboten hätten, auf Fixierungen oder andere Sicherungsmaßnahmen hinzuwirken. Zwar hätte der Senat dieses neue Tatsachenvorbringen im Berufungsverfahren dann zu berücksichtigen, wenn es unstreitig wäre (so BGH, Urteil vom 18. November 2004, - IX ZR 229/03, zit. nach juris). Allerdings hat sich die Klägerin die Behauptung des Beklagten nicht nur nicht zu eigen gemacht, sondern sie ausdrücklich bestritten. Für die Entscheidung bleiben diese Umstände daher außer Betracht.

Auch aus dem Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 30. Juni 2000 lässt sich nicht ableiten, dass es bereits vor dem streitgegenständlichen Schadensfall konkrete Verdachtsmomente für umtriebiges, bettflüchtiges Verhalten der Betroffenen während der Ruhezeiten gegeben hat. Zwar ist die Entscheidung auf demenzbedingte Erregungszustände gestützt, die bereits mehrfach zu unkontrollierbaren Handlungen der Betroffenen geführt hätten. Sie ist jedoch erst mehrere Monate nach dem fraglichen Sturz ergangen, wobei zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die Betroffene unmittelbar nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus ein weiteres Mal gestürzt ist und sich dabei eine Hüftprellung zugezogen hat. Beide Stürze waren damit der unmittelbare Anlass für die Entscheidung des Amtsgerichts Weißenfels, ohne dass erkennbar wäre, dass auch frühere Vorfälle Berücksichtigung gefunden hätten. Es ist deshalb als offen anzusehen, ob eine bereits vor Februar 2000 gegenüber dem Betreuer ausgesprochene Anregung diesen hätte veranlassen müssen, um eine Genehmigung unterbringungsähnlicher Maßnahmen nachzusuchen. Ebenso wenig lässt sich feststellen, aufgrund welcher konkreten Umstände das Vormundschaftsgericht einem hierauf gerichteten Antrag hätte entsprechen müssen. Der Frage, ob sich gegebenenfalls aus der vom Beklagten zu führenden Dokumentation über den Pflegeverlauf weitergehende Erkenntnisse über frühere Vorfälle ergeben, kommt keine Entscheidungserheblichkeit zu, weil die Klägerin sich auf deren Vorlage im ersten Rechtszug lediglich im Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis vom 03. Februar 2000 berufen hat und im Übrigen im Berufungsverfahren frühere Versuche der Betroffenen, das Bett ohne Hilfe des Pflegepersonals zu verlassen, ausdrücklich in Abrede genommen hat.

Auch zu anderweitigen, weniger einschneidenden sturzprophylaktischen Schutzvorkehrungen war der Beklagte nicht verpflichtet. Zweifelhaft erscheint bereits, ob die Verwendung von Sensormatratzen, Lichtschranken oder ähnlichen Hilfsmitteln, die der Ortung des Heimbewohners und damit letztlich jedenfalls mittelbar dem Zweck dienen, ihn in der Möglichkeit der freien Fortbewegung einzuschränken, nicht gleichfalls der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfen (so Staud.-Bienwald, Rdn. 43 zu § 1906 BGB; a.A. MK-Schwab, Rdn. 34 zu § 1906 BGB). Jedenfalls aber kommen diese ihrem Charakter nach einer Dauerüberwachung des Heimbewohners gleich und lassen sich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht deshalb ebenfalls nur in Übereinklang bringen, wenn sie der Abwendung einer konkreten und ernstlichen Selbstschädigungsgefahr dienen, deren Bestehen hier gerade nicht nachgewiesen ist.

Aufgrund der ungeklärten Unfallursache lässt sich ebenso wenig einschätzen, mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit das Tragen eines Hüftprotektors den Sturz vermieden hätte und ob die Betroffene hierzu überhaupt bereit gewesen wäre. Es bedarf deshalb auch keiner weiteren Feststellungen dazu, ob der Beklagte ohne Empfehlung des MDK und der die Betroffene im Übrigen behandelnden Ärzte von sich aus auf diese Prophylaxemöglichkeit hätte drängen müssen und ob das Vorhalten von Hüftprotektoren verschiedener Größen ohne Rücksicht auf die Frage der Kostenübernahme im Einzelfall pflegerischem Standard entspricht.

Da dem Beklagten deshalb im Ergebnis keine Pflichtverletzung vorzuwerfen ist, unterliegt die Klage der Abweisung.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat gem. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Revision zu der Frage zugelassen, ob bei Stürzen von Pflegepersonen in Heimen stets eine Beweislastumkehr zu Lasten des Betreibers mit der Folge eintritt, dass dieser erschöpfend darlegen und nachweisen muss, allen objektiven Sorgfaltserfordernissen entsprochen zu haben. Von dieser, vom Oberlandesgericht Dresden vertretenen und verallgemeinerungsfähigen Rechtsauffassung geht eine Wiederholungs- und Nachahmungsgefahr aus, die zu schwer erträglichen Unterschieden in der Rechtsprechung zu führen geeignet ist und deshalb eine höchstrichterliche Leitentscheidung erfordert (z. B. BGH NJW 2004, 2222). Der Senat, bei dessen Entscheidung das am 28. April 2005 verkündete Urteil des BGH im Rechtsstreit III ZR 399/04 noch nicht vorlag, vermag diese Ansicht, für die kein praktisches Bedürfnis streitet, nicht zu teilen. Die Zulassung der Revision wird, da die Entscheidung im Übrigen einen Einzelfall ohne grundsätzliche Bedeutung betrifft, auf die eigenständige und abtrennbare Rechtsfrage der Beweislastumkehr beschränkt (z.B. BGH NJW 2004, 1365).

Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts findet ihre Grundlage in §§ 2, 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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