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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 25.07.2001
Aktenzeichen: 12 W 22/01
Rechtsgebiete: GVG, Vertrag, BGB, ZPO, VwGO


Vorschriften:

GVG § 17 a Abs. 4 S. 2
GVG § 17 a Abs. 2 S. 1
GVG § 17 a Abs. 4 Satz 3
GVG § 13
Vertrag § 1 Abs. 1
Vertrag § 3
Vertrag § 4
Vertrag § 6 Abs. 2
Vertrag § 3 Abs. 1 c
BGB § 677
BGB § 683
ZPO § 567 Abs. 1
ZPO § 569
ZPO § 577 Abs. 2 Satz 1
VwGO § 40 Abs. 1 Satz 1
1. Eine vor einem Zivilgericht erhobene Klage darf nicht wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs im Wege des (unechten) Versäumnisurteils abgewiesen werden.

2. Ein als "Einspruch" bezeichnetes Rechtsmittel gegen ein solches Urteil ist als sofortige Beschwerde gemäß § 17a Abs. 4 S. 2 GVG zu behandeln.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

12 W 22/01 OLG Naumburg

In dem Rechtsstreit

...

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg unter Mitwirkung des Richters am Oberlandesgericht Kühlen, des Richters am Landgericht Wiedemann und des Richters am Amtsgericht Dickel

am 25. Juli 2001

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau vom 10. April 2001 (AZ: 4 O 670/00) aufgehoben.

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten wird für unzulässig erklärt.

Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht in Dessau verwiesen.

I.

Der Kläger begehrt von der beklagten Gemeinde aus abgetretenem Recht die Zahlung von Aufwendungsersatz aus einem Erschließungsvertrag.

Die beklagte Gemeinde schloss am 15. November 1992 mit der V. Immobilien GmbH (im Folgenden: GmbH) als Vorhaben- und Erschließungsträger einen schriftlichen "Erschließungsdurchführungsvertrag" zur Erschließung des Wohngebietes "Wohnpark Z. ".

Gemäß § 1 Abs. 1 des Vertrages übernahm die GmbH als Eigentümerin sämtlicher Grundstücke des genannten Wohngebietes die der Gemeinde obliegende Erschließungspflicht für die Herstellung der in § 3 genannten Erschließungsanlagen und verpflichtete sich gleichzeitig, diese Anlagen an die beklagte Gemeinde zu übertragen (§ 1 Abs. 2 des Vertrages).

In § 3 des Vertrages heißt es u. a.:

Die Erschließung nach diesem Vertrag umfasst

"1) a) die Freilegung der öffentlichen Erschließungsflächen

b) die Herstellung der öffentlichen Abwasseranlagen

c) die Herstellung der öffentlichen Wege und Plätze einschließlich

- Fahrbahnen und deren Einbindungen in die vorhandene Landstraße - Parkflächen - Geh-/Fuß- und Wege - Straßenentwässerung - Straßenbegleitgrün

d) selbständige öffentliche Parkflächen

e) selbständige öffentliche Grünanlagen

f) Immissionsschutzanlagen nach Maßgabe der in § 12 enthaltenen Anlagen........

In § 4 vereinbarten die Vertragsparteien, dass die GmbH "sämtliche Kosten der Erschließung gemäß § 3" des Vertrages trägt. In § 6 Abs. 2 regelten die Parteien, dass die GmbH die Herstellung der Straßenbeleuchtung im Einvernehmen mit der Gemeinde durch den zuständigen Versorgungsträger zu veranlassen hat.

In der Folgezeit beauftragte die GmbH eine Drittfirma mit der Planung und Baubetreuung für die ingenieurtechnische Leistung hinsichtlich der Erstellung der Straßenbeleuchtung. Die Drittfirma legte über ihre Arbeiten eine Rechnung über 68.827,88 DM vor. Der Kläger war sowohl Geschäftsführer der GmbH als auch Geschäftsführer der Drittfirma. Mit den Arbeiten für die Straßenbeleuchtung beauftragte die GmbH eine weitere Firma, die ihre Arbeiten der GmbH gegenüber ebenfalls in Rechnung gestellt hat.

Mit schriftlichem Vertrag vom 05. Oktober 1997 trat die GmbH sämtliche ihr zustehenden Ansprüche gegen die Beklagte auf Grund des Erschließungsdurchführungsvertrages vom 15. Februar 1992 an den Kläger ab.

Der Kläger hat gemeint, die beklagte Gemeinde sei der GmbH zur Bezahlung der Aufwendungen wegen der Erstellung der Straßenbeleuchtung aus dem Gesichtspunkt einer Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §§ 677, 683 BGB verpflichtet. Für diese Ansprüche sei der Zivilrechtsweg gem. § 13 GVG eröffnet.

Die Beklagte hat die Zulässigkeit des Zivilrechtsweges gerügt und gemeint, für die geltend gemachten und im Zusammenhang mit einem Erschließungsvertrag stehenden Ansprüche sei ausschließlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

In der mündlichen Verhandlung erschien der ordnungsgemäß geladene Kläger nicht.

Daraufhin wies das Landgericht mit einem als "Versäumnisurteil" überschriebenen und einen Tatbestand und Entscheidungsgründe enthaltenden Urteil die Klage als unzulässig ab. Es hat ausgeführt, die Klage sei deswegen nicht zulässig, weil für den vorliegenden Rechtsstreit der Zivilrechtsweg nicht eröffnet sei. Die Parteien stritten im Kern nur über die Auslegung und Tragweite des Erschließungsdurchführungsvertrages. Während der Kläger hinsichtlich der Arbeiten für die Straßenbeleuchtung meine, diese Arbeiten seien nicht in § 3 des Vertrages erfasst, vertrete die Beklagte die Ansicht, aus § 3 Abs. 1 c des Vertrages, der die Herstellung der öffentlichen Wege und Plätze einschließlich der Fahrbahn und deren Anbindung an die vorhandene Landstraße nebst Erstellung der Geh- und Fußwege durch die GmbH vorsehe, ergebe sich, dass auch die Erstellung der Straßenbeleuchtung zu den von der GmbH zu erbringenden Leistungen zähle. Dieser Vertrag sei dem öffentlichen Recht zuzuordnen, da er es der beklagten Gemeinde ermögliche, die ihr obliegende Aufgabe der Erschließung, die eine Selbstverwaltungsaufgabe sei und dem öffentlichen Recht angehöre, privaten Vertragspartnern zu übertragen. Ein solcher Erschließungsvertrag sei aber ein öffentlich-rechtlicher Vertrag. Ansprüche aus diesem Vertrag oder im Zusammenhang hiermit seien daher nicht durch die Zivilgerichte zu entscheiden. Dies gelte auch, soweit der Kläger Ansprüche wegen Geschäftsführung ohne Auftrag geltend mache, da solche Ansprüche in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erschließungsvertrag stünden.

Gegen dieses ihm am 17. April 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem beim Landgericht am 24. April 2001 eingegangenen Schriftsatz "Einspruch" eingelegt, den er damit begründet hat, das Landgericht habe, anstatt die Klage durch Versäumnisurteil als unzulässig abzuweisen, den Rechtsstreit gem. § 17 a Abs. 2 S. 1 GVG von Amts wegen durch Beschluss an das Verwaltungsgericht verweisen müssen.

II.

1. Das als Einspruch bezeichnete Rechtsmittel des Klägers ist in eine fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde i. S. des § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. §§ 567 Abs. 1, 569, 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO umzudeuten. Auch Rechtsmittelerklärungen der Parteien sind grundsätzlich einer Umdeutung zugänglich (BGH NJW 1962, 1820 m. w. N.; Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 518 Rn. 7; Zöller/Gummer, ZPO, 22. Aufl., vor § 511 Rn. 35 und § 577 Rn. 15). Es ist nicht wesentlich, dass der Kläger die Bezeichnung "Beschwerde" nicht benutzt hat. Entscheidend ist vielmehr, dass seine Absicht, das angegriffene "Versäumnisurteil" des Landgerichts einer Nachprüfung durch das höhere Gericht zuzuführen, eindeutig ersichtlich ist. Dieser Wille ergibt sich aus der Begründung des Rechtsmittels, mit welchem er rügt, dass das Landgericht entgegen § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG den Rechtsstreit nicht durch einen Beschluss an das Verwaltungsgericht verwiesen, sondern die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen hat.

Dass der Kläger erkannt hat, dass das Landgericht seine Entscheidung als "Versäumnisurteil" bezeichnet hat und er trotzdem den Einspruch als den richtigen Rechtsbehelf angesehen hat, hindert eine Umdeutung in eine Beschwerde nicht. Eine Umdeutung wäre nur dann unzulässig, wenn sie vom Rechtsmittelführer nicht gewollt wäre (BGH NJW 1956, 297; NJW 1971, 420). Im vorliegenden Fall hat der Kläger jedoch nicht in der Einspruchsschrift erklärt, dass er unter allen Umständen nur das Rechtsmittel des Einspruches wie gegen ein echtes Versäumnisurteil einlegen wolle. Der Rechtsmittelschrift ist vielmehr hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Kläger die angefochtene Entscheidung mit dem zulässigen Rechtsmittel zur Überprüfung durch die nächst höhere Instanz stellen wollte (BGH NJW 1987, 1204).

2. Die sofortige Beschwerde ist im vorliegenden Fall auch das richtige Rechtsmittel gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts. Denn es hat verfahrensfehlerhaft durch unechtes Versäumnisurteil entschieden, obwohl der Rechtsstreit zwingend gemäß § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG durch Beschluss an das zuständige Verwaltungsgericht hätte verwiesen werden müssen. Nach dieser Vorschrift darf das Gericht eine Klage nicht mehr durch Urteil als unzulässig abweisen, wenn es den beschrittenen Rechtsweg nicht für eröffnet hält, sondern hat von Amts wegen an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges zu verweisen.

Bei einer verfahrensfehlerhaft inkorrekten Entscheidung ist sowohl das Rechtsmittel gegeben, das der erkennbar gewordenen Entscheidungsart entspricht, wie dasjenige, das der Entscheidung entspricht, für die die Voraussetzungen gegeben waren, da der Fehler des Gerichts nicht zu Lasten der Partei gehen darf (Grundsatz der Meistbegünstigung: vgl. BGHZ 40, 265, 267; 98, 362, 364; NJW 1997, 1448). Dies wäre im vorliegenden Fall entweder die sofortige Beschwerde des § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, da das Landgericht korrekterweise durch Verweisungsbeschluss hätte verweisen müssen, und/oder die Berufung gegen die inhaltlich als unechtes Veräumnisurteil zu wertende Entscheidung des Landgerichts.

Die Anwendung des Grundsatzes der Meistbegünstigung ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger neben der Beschwerde ursprünglich auch eine Berufung eingelegt hatte, die er später aber zurückgenommen hat. Die Einlegung der Berufung steht der Statthaftigkeit der daneben erhobenen Beschwerde nicht entgegen. Denn dieser Rechtsbehelf hätte dem Kläger auch dann zugestanden, wenn er keine Berufung eingelegt hätte. Dann darf es ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass er außerdem eine unzulässige Berufung eingelegt hat. Das Vertrauen darauf, dass er jedenfalls den Weg beschreiten darf, den das Gericht ihm mit der inkorrekten Entscheidung gewiesen hat, ist in beiden Fällen schutzwürdig.

3. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, zur Verneinung der Zulässigkeit des Rechtsweges zu den ordentlichen Gerichten und zur Verweisung der Sache an das zuständige Verwaltungsgericht.

Entgegen der Auffassung der beklagten Gemeinde ist im Streitfall der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten und nicht zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Denn die zwischen den Parteien anhängige Streitigkeit ist dem öffentlichen Recht zuzuordnen.

Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit nicht die Streitigkeiten durch Bundesgesetz einem anderen Gericht zugewiesen sind. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist nicht nur dann gegeben, wenn der im Streitfall zugrunde liegende Sachverhalt in einem Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen einem privatrechtlichen Rechtssubjekt und einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft wurzelt. Um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten handelt es sich vielmehr auch bei Streitigkeiten im Rahmen von Gleichordnungsverhältnissen, die ihre Grundlage im öffentlichen Recht haben, in denen jedoch keiner der Beteiligten dem anderen gegenüber hoheitliche Befugnisse hat bzw. in Anspruch nimmt. Hierher gehören u. a. die Streitigkeiten aus öffentlich-rechtlichen Verträgen, zu denen alle Verträge zu zählen sind, deren Gegenstand einem vom öffentlichen Recht geordneten Sachbereich zuzurechnen sind. Es ist allgemein anerkannt, dass Erschließungsverträge öffentlich-rechtlicher Natur sind (BGHZ 54, 287, 289 ff.; 58, 386, 388; 76, 343, 348; BVerwGE 32, 37, 38). Zwar macht der Kläger im vorliegenden Fall keine vertraglichen Ansprüche aus dem Erschließungsvertrag gegen die beklagte Gemeinde geltend, sondern meint, wegen der Herstellung der Straßenbeleuchtung einen Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag zu haben. Jedoch unterfällt auch eine solche Streitigkeit dem öffentlichen Recht und damit der Rechtswegezuweisung an die Verwaltungsgerichte. Die Verwaltungsgerichte sind auch insoweit zuständig, als die Erstattung von Leistungen verlangt wird, welche ihre Grundlage im Erschließungsvertrag haben, wie etwa Erstattungs- und Bereicherungsansprüche oder Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag. Denn die Aufwendungen geschahen ausschließlich im öffentlich-rechtlich einzuordnenden Bereich der Erschließungs- und Folgekostenregelung, mithin aufgrund eines Sachverhalts, der im öffentlichen Recht wurzelt (BGH NJW 1986, 1109, 1110; BVerwGE 32, 279, 280).

4. Nach alledem beurteilt sich der Streitfall als öffentlich-rechtliche Streitigkeit i. S. des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das landgerichtliche Urteil war aufzuheben. Zwar liegt ein erstinstanzliches Urteil in der Hauptsache vor. Dass die Entscheidung über die Aufhebung durch Beschluß ergeht, ist auch angesichts der Tatsache, daß es sich bei der aufgehobenen landgerichtlichen Entscheidung um ein Urteil handelt, rechtlich zulässig (BGH NJW 1998, 2057). Denn der Kläger muss so gestellt werden, wie er gestanden hätte, wenn der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und die Sache an das zuständige Verwaltungsgericht in Dessau verwiesen worden wäre.

Dann wäre nur ein Beschluss über den Rechtsweg und keine Entscheidung in der Hauptsache ergangen, so dass der Beschluss die erste Instanz von Anfang an im richtigen Rechtsweg eröffnet hätte (Kissel, GVG, 3. Aufl., § 17 Rn. 32).

Ende der Entscheidung

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