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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 27.10.2004
Aktenzeichen: 14 UF 176/04
Rechtsgebiete: ZPO, StPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 621 e Abs. 1
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1 e
ZPO § 621 a Abs. 1 Satz 1
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 572 Abs. 3
StPO § 81 c
StPO § 81 e
StPO § 81 f
StPO § 52 Abs. 2 Satz 2
StPO § 81 c Abs. 3 Satz 2
BGB § 1909 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1915
BGB § 1774 ff.
BGB § 1915 Abs. 1, 2. Halbsatz
BGB § 1693
BGB § 1697
BGB § 1909
BGB § 1909 Abs. 1
BGB § 52 Abs. 2 Satz 2
BGB § 1915 Abs. 1
BGB § 1916
BGB § 1776
BGB § 1778
BGB § 1777
BGB § 1979
BGB § 1791 b Abs. 1 Satz 1
Eine Bestellung des Jugendamtes als Pfleger setzt voraus, dass keine als Einzelpfleger geeignete Person vorhanden ist. Dies erfordert sorgfältige Ermittlungen des Gerichts.

Eine Bestellung des Jugendamtes ist - auch wenn es allgemein zulässig sein könnte - aus anderen Gründen kritisch zu beurteilen, insbesondere wenn andere Behörden involviert sind, die derselben Behördenspitze zugeordnet sind wie das Jugendamt.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

14 UF 176/04 OLG Naumburg

In der Familiensache

betreffend die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft für das minderjährige Kind

...

hat der 14. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Deppe-Hilgenberg, die Richterin am Oberlandesgericht Hahn und den Richter am Landgericht Kawa am 27. Oktober 2004 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Kindes wird der durch Beschluss vom 20. September 2004 berichtigte Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Magdeburg vom 1. September 2004, Az.: 272 F 151/04, aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung über die Bestellung eines Ergänzungspflegers an das Amtsgericht Magdeburg - Vormundschaftsgericht - zurückverwiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht angefallen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 500,-- €.

Gründe:

I.

Die entweder gemäß den §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO oder gemäß den §§ 19, 20 FGG in Verb. mit den §§ 621 a Abs. 1 Satz 1, 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Kindes gegen den am 20. des Monats berichtigten Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Magdeburg vom 1. September 2004 (Bl. 11, 17 d. A.) ist begründet.

Das Familiengericht war zum einen, unabhängig von der problematischen Frage der funktionellen Zuständigkeit, nicht befugt zur Entscheidung über den ausdrücklich an das Vormundschaftsgericht gerichteten Antrag der Staatsanwaltschaft Magdeburg (Bl. 4 d. A.), für das Beschwerde führende Kind zwecks Durchführung einer Maßnahme gemäß den §§ 81 c, 81 e und 81 f StPO einen Ergänzungspfleger zu bestellen (1).

Zum anderen ist oder wäre auch bei unterstellter Zuständigkeit des Familiengerichts die Bestellung des Jugendamtes zum Ergänzungspfleger mangels pflichtgemäßer Ausübung des insoweit bestehenden Ermessens rechtsfehlerhaft (2), sodass entsprechend dem Ersuchen der Staatsanwaltschaft Magdeburg das Vormundschaftsgericht in eigener Verantwortung über die beantragte Ergänzungspflegschaft zu befinden hat (3).

1. Auf die gleichermaßen problematische wie hochkontrovers beurteilte Frage, ob das Vormundschaftsgericht oder das Familiengericht für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft für das Kind im Falle der - hier nach Maßgabe der §§ 52 Abs. 2 Satz 2, 81 c Abs. 3 Satz 2 StPO gegebenen - Verhinderung der an sich zuständigen Eltern funktionell zuständig ist, kommt es im vorliegenden Fall nicht an.

Denn zur Beantwortung dieser Frage wäre und ist zunächst ausschließlich das Vormundschaftsgericht als Adressat des entsprechenden Antrags der Staatsanwaltschaft Magdeburg funktionell berufen gewesen, nicht aber, ohne entsprechenden Antrag oder Abgabe des Verfahrens seitens des Vormundschaftsgerichts, das sich ohne verfahrensrechtliche Grundlage kurzerhand ohne Begründung für zuständig erachtende Familiengericht des Amtsgerichts Magdeburg.

Keiner Entscheidung bedarf mithin das in Rechtsprechung und Literatur sehr unterschiedlich gelöste Problem der funktionellen Zuständigkeit des Familien- oder Vormundschaftsgerichts bei die elterliche Sorge ergänzenden Pflegschaften, die zwar grundsätzlich gemäß den §§ 1909 Abs. 1 Satz 1, 1915 BGB in den sachlichen Zuständigkeitsbereich des Vormundschaftsgerichts nach Maßgabe der §§ 1774 ff. BGB, §§ 35 ff. FGG fallen, aber wegen der in § 1915 Abs. 1, 2. Halbsatz BGB enthaltenen Einschränkung "soweit sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt" auch über die §§ 1693, 1697 BGB alternativ oder exklusiv der Zuständigkeit der Familiengerichte überantwortet werden.

So vertreten einige Oberlandesgerichte und diverse Stimmen in der Literatur im Hinblick auf die seit dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 01. Juli 1998 neu gefasste Vorschrift des § 1693 BGB die Auffassung, dass es sich dabei um eine anderweitige Regelung im Sinne des § 1915 Abs. 1, 2. Halbsatz BGB handele, welche die sachliche Zuständigkeit des Familiengerichts für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft gemäß § 1909 BGB, soweit die elterliche Sorge betroffen sei, generell und vorrangig begründe (so nam. OLG Dresden, FamRZ 2001, 715 ff.; BayObLG, FamRZ 2000, 568 ff.; OLG Zweibrücken, FamRZ 2000, 243 ff.). Denn für Maßnahmen, welche Sorgerechtsangelegenheiten beträfen, sei grundsätzlich das Familiengericht zuständig, das folgerichtig gemäß § 1693 BGB bei tatsächlicher oder rechtlicher Verhinderung der Eltern zur Ausübung des Sorgerechts auch als im Interesse des Kindes erforderliche Maßnahmen eine Pflegschaft anzuordnen habe (vgl. OLG Dresden, OLG Zweibrücken, BayObLG, je a.a.O.; OLG Stuttgart, FamRZ 1999, S. 1601; Schwab, in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 8, 4. Aufl., 2002, § 1909, Rdnr. 62; Diederichsen, in: Palandt, BGB, 63. Aufl., 2004, Einf. vor § 1909, Rdnr. 8, und § 1693, Rdnr. 1).

Andere Gerichte wiederum vertreten die Auffassung, dass im Hinblick auf die gesetzlich vorgesehene originäre Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft gemäß den §§ 1909, 1915 Abs. 1 BGB ein Zuständigkeitswechsel zum Familiengericht gemäß den §§ 1693, 1697 BGB nur bei dringendem Handlungsbedarf - der hier nicht ersichtlich ist - vorgesehen sei und es in den übrigen Fällen rechtlicher oder tatsächlicher Verhinderung bei der grundsätzlich begründeten Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts für die Pflegschaftsanordnung verbleiben müsse (so nam. Thüringer OLG, FamRZ 2003, 1311 ff.; OLG Stuttgart, FamRZ 2001, 364 ff.; KG Berlin, FamRZ 2001, 719; OLG Karlsruhe, FamRZ 2000, 568).

2. Selbst wenn allerdings - unbeschadet der durch die abweichende Antragstellung gekennzeichneten Besonderheit des vorliegenden Falles - eine funktionelle Zuständigkeit des Familiengerichts von vornherein begründet gewesen sein sollte, wäre der angefochtene Beschluss auf jeden Fall auch deswegen aufzuheben, weil zwar die sachlichen Voraussetzungen des § 1909 Abs. 1 BGB für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft unzweifelhaft vorliegen (a), aber die Auswahl und Bestellung des Jugendamtes zum Ergänzungspfleger seitens des Familiengerichts nicht frei von Rechtsfehlern zustande gekommen ist (b).

a) Der von der Staatsanwaltschaft gestellte Antrag, eine Ergänzungspflegschaft hinsichtlich der Ausübung des Untersuchungsverweigerungsrechtes für das Kind anzuordnen, ist gemäß § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen Verhinderung der alleinsorgeberechtigten Mutter gerechtfertigt.

Denn über die Ausübung des fraglichen Untersuchungsverweigerungsrechtes hat bei einem minderjährigen Kind mit mangelnder Verstandesreife wie hier dem einjährigen Kind gemäß § 81 c Abs. 3 Satz 2 StPO zwar der gesetzliche Vertreter zu entscheiden, der jedoch dann nach § 52 Abs. 2 Satz 2 in Verb. mit der vorbezeichneten Vorschrift von der Entscheidungsbefugnis ausgeschlossen ist, wenn er selbst, wie hier die Mutter des Kindes, Beschuldigter ist.

Obschon der Verfahrensbevollmächtigte des Kindes in der Beschwerdeschrift anführt, dass offensichtlich eine Aussagebereitschaft bzw. Bereitschaft zur Untersuchung bei dem Kind nicht vorliege, kann daraus nicht gefolgert werden, dass ein Fürsorgebedürfnis - dessen es für die Anordnung der Ergänzungspflegschaft bedarf - nicht besteht.

Das Fürsorgebedürfnis ergibt sich bereits daraus, dass über die Ausübung eines dem Kind zustehenden Rechtes zu entscheiden ist. Der insoweit dem Ergänzungspfleger zustehende Entscheidungsspielraum wird keineswegs dergestalt begrenzt, dass er nur etwa die körperliche Untersuchung des Kindes ablehnen könne.

b) Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Auswahl und Bestellung des Jugendamts zum Pfleger.

Nach § 1915 Abs. 1 BGB finden auf die Pflegschaft - mit Ausnahme der gemäß § 1916 BGB ausgenommenen Vorschriften der §§ 1776 - 1778 BGB über die Berufung zur Vormundschaft - die für die Auswahl des Vormundes geltenden Vorschriften der §§ 1779 ff. BGB entsprechende Anwendung. Daraus folgt, dass das Jugendamt zwar zum Pfleger bestellt werden kann, aber gemäß § 1791 b Abs. 1 Satz 1 BGB nur dann, wenn eine als Einzelpfleger geeignete Person nicht vorhanden ist. Diese Voraussetzung hat das Familiengericht ohne jegliche Prüfung, ohne notwendige eigene Ermittlungen und eine Anfrage bei dem vorschlagspflichtigen Jugendamt kurzerhand bejaht. Bei der Auswahl des Ergänzungspflegers wäre außerdem zu beachten und im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens kritisch zu würdigen gewesen, dass das Jugendamt derselben Körperschaft angehört bzw. hierarchisch derselben Behördenspitze untergeordnet ist wie die Ausländerbehörde, auf deren Anzeige das Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz eingeleitet worden ist. Eine Interessenkollision ist daher nicht auszuschließen und steht eventuell einer Bestellung des Jugendamtes als Ergänzungspfleger entgegen.

3. Aufgrund dessen war der angefochtene Beschluss analog § 572 Abs. 3 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuerlichen eigenständigen Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen an das Vormundschaftsgericht des Amtsgerichts Magdeburg als Adressat des Antrags auf Bestellung eines Ergänzungspflegers zurückzuverweisen.

II.

Gerichtskosten für das erfolgreich durchgeführte Beschwerdeverfahren sind gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 KostO nicht angefallen. Die Entscheidung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren ist gemäß den §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 KostO entsprechend der Bedeutung der Sache, die unabhängig von dem Ergebnis nur einen sehr begrenzten und relativ untergeordneten Teilaspekt des Sorgerechts zum Gegenstande hat, bemessen worden.



Ende der Entscheidung

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