Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 20.12.2004
Aktenzeichen: 14 WF 234/04
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 252
BGB § 1748 Abs. 4
BGB § 1684 Abs. 1
BGB § 1684 Abs. 4 Satz 2
BGB § 1697 a
BGB § 140
BGB § 1741
BGB § 1744
BGB § 1751 Abs. 1 Satz 1
Eine Beschwerde zum OLG wegen Untätigkeit des FamG ist zulässig.

Der Senat kann in diesem Fall das Gericht konkret und unter Fristsetzung anweisen, bestimmte Handlungen vorzunehmen.

Im Rahmen der Entscheidung ist der Senat befugt, ergangene einstweilige Anordnungen zum Umgangsrecht auszusetzen.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

14 WF 234/04 OLG Naumburg

In der Familiensache

betreffend das Umgangsrecht mit dem am 25. August 1999 geborenen Kind ...

hat der 14. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Deppe-Hilgenberg, den Richter am Landgericht Kawa und den Richter am Oberlandesgericht Materlik am 20. Dezember 2004 beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Untätigkeitsbeschwerde des Amtsvormundes und der Pflegeeltern wird das Amtsgericht - Familiengericht - Wittenberg angewiesen, das Hauptsacheverfahren zum Umgangsrecht, Az.: 5 F 463/02, mit äußerster Beschleunigung weiterzuführen und zum Abschluss zu bringen, das heißt

1. unverzüglich einen - zweckmäßigerweise angesichts der Bedeutung der Sache hochqualifiziert aus dem Kreis der Hochschullehrer für Kinderpsychologie oder Kinderpsychiatrie auszuwählenden - Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens längstens binnen sechs Wochen zu der Frage zu beauftragen, ob - und gegebenenfalls in welcher Form und Häufigkeit - unter den obwaltenden Umständen der Umgang von Vater und Sohn dem Wohl des Kindes dient oder dessen Wohl gefährdet oder zu beeinträchtigen vermag,

2. längstens binnen sechs Wochen nach Eingang des Sachverständigengutachtens die Beteiligten und nötigenfalls den Sachverständigen anzuhören und abschließend zu entscheiden.

II. In Abänderung der einstweiligen Anordnung des Amtsgerichts Wittenberg vom 2. Dezember 2004 wird auf Antrag des Amtsvormundes und der Pflegeeltern - unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags - der Umgang zwischen dem Kindesvater und seinem Sohn C. F. bis zur abschließenden Entscheidung des Amtsgerichts zum Umgangsrecht in der Hauptsache ausgeschlossen.

III. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die gemäß den §§ 621 Abs. 1 Nr. 2, 621 a Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verb. mit § 19 FGG und § 252 ZPO analog statthafte und zulässige Beschwerde des Amtsvormundes und der Pflegeeltern gegen die Untätigkeit des Amtsgerichts im Hauptsacheverfahren zum Umgangsrecht ist nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verb. mit Art. 20 Abs. 3 GG begründet (1) und rechtfertigt die Anweisung an das Amtsgericht, nunmehr unverzüglich nach notwendiger Beweiserhebung eine Entscheidung zur Hauptsache herbeizuführen (2), die entgegen der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht ohne zwischenzeitliche Aufklärung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts erfolgen kann (3).

Die Beschluss-Anordnung des Amtsgerichts vom 2. dieses Monats war antragsgemäß gemäß § 620 b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 in Verb. mit den §§ 620 a Abs. 4 Satz 2, 621 g ZPO abzuändern (4).

1. Die seit fast zweieinhalb Jahren andauernde Untätigkeit des Amtsgerichts Wittenberg im Hauptsacheverfahren - seit Eingang des auf Gewährung von Umgang gerichteten Antrags des Kindesvaters am 9. Juli 2002 beim Amtsgericht ist bis dato in der Hauptsache keinerlei Verfahrensfortschritt erkennbar und soll auch nach der letzten Verlautbarung des Amtsgerichts vom 19. November 2004 (Bl. 69 Bd. IV d. A.) bis zu einer zweiten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einer bereits zweimal rechtskräftig, das erste Mal im Jahre 2001 mit Billigung des Verfassungsgerichts abgelehnten Übertragung des Sorgerechts auf den Kindesvater auch weiterhin keine Entscheidung ergehen - verletzt sämtliche Beteiligte und namentlich den Amtsvormund sowie die Pflegeltern als Beschwerdeführer nachhaltig in ihrem verfassungsrechtlich garantierten und gerade bei Streitigkeiten über das Umgangsrecht besonders virulent werdenden Recht auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes in angemessener Zeit, das sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verb. mit Art. 20 Abs. 3 GG ableiten lässt (so unlängst BVerfG, in: FamRZ 2004, 689 ff. mit weiteren Nachweisen).

Dass eine ergebnislos verstrichene Verfahrensdauer von, wie hier, mittlerweile rund zweieinhalb Jahren für ein Umgangsverfahren, das seiner Natur nach in hohem Maße Sensibilität für die Problematik der Verfahrensdauer verlangt, unangemessen lang ist, bedarf keiner näheren Ausführung. Denn mit fortschreitender Verzögerung der Verfahrensdauer wird einerseits bei einer persönlich höchst bedeutsamen Angelegenheit gleichsam sukzessive eine faktische Vorentscheidung zulasten des Umgang begehrenden Elternteils getroffen, und andererseits ist zu beachten, dass das kindliche Zeitempfinden nicht den Maßstäben eines Erwachsenen entspricht (BVerfG, NJW 2001, 961).

Gravierend fällt zudem ins Gewicht, dass, entgegen der im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 12 FGG in Verb. mit den §§ 621 Abs. 1 Nr. 2, 621 a Abs. 1 Satz 1 ZPO geltenden Verpflichtung zur Ermittlung aller wesentlichen Tatsachen von Amts wegen, bis dato trotz einer fast zweieinhalbjährigen Verfahrensdauer kein notwendiges psychologisches Sachverständigengutachten zu der in jedem Fall für die Hauptsacheentscheidung ausschlaggebenden Frage eingeholt worden ist, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß die Gewährung eines Ungangsrechtes für den bislang unbekannten Vater dem Wohl des mittlerweile seit gut fünf Jahren, praktisch seit der Geburt in einer Pflegefamilie untergebrachten Kindes entspricht oder zuwiderläuft.

Einer prozessual unmotivierten Aussetzung des Verfahrens und einer rechtsstaatlich inakzeptablen Verweigerung des Rechtschutzes kommt es unter diesen Umständen gleich, wenn das Amtsgericht mit Verfügung vom 19. November 2004 (Bd. III, Bl. 178 d. A.) verlauten lässt, dass es vor Abschluss der neuerlichen Verfassungsbeschwerde des Kindesvaters wegen des ihm zum wiederholten Mal nicht übertragenen Sorgerechts nicht über das Hauptsacheverfahren zum Umgangsrecht zu entscheiden gedenkt, sondern die Akten für sechs Monate auf Frist legen werde, obwohl es zuvor noch, in der zweiten einstweiligen Anordnung vom 19. März 2004, den Fortbestand der einstweiligen Anordnung und damit die Entscheidung zur Hauptsache im Umgangsverfahren gerade abhängig gemacht hatte von der - Anfang August eingetretenen - rechtskräftigen Erledigung des Sorgerechtsverfahrens.

Die statt der notwendigen Entscheidung oder Verfahrensförderung in der Hauptsache ausnahmslos ohne jegliche Sachverhaltsaufklärung rein dilatorisch im einstweiligen Anordnungsverfahren ergangenen Entscheidungen des Amtsgerichts, mittlerweile sind es deren drei an der Zahl, vermögen den Anspruch aller Beteiligten auf Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes im Umgangsrechtsverfahren mitnichten zu erfüllen und haben auch allesamt zu einer mittlerweile unvertretbaren Verfahrensdauer des bislang nicht quasi einen Millimeter vom Fleck gekommenen Hauptsacheverfahrens beigetragen. Bereits der erste diesbezügliche Beschluss des Amtsgerichts vom 30. September 2003, mit dem der Erlass einer einstweiligen Anordnung zugunsten des Kindesvaters - im Gegensatz zu den zwei folgenden Beschluss-Anordnungen vom 19. März und 2. Dezember dieses Jahres - noch abgelehnt worden war, ist in nicht nachvollziehbarer noch akzeptabler Weise erst nach einer Verfahrensdauer von einem Jahr und fast drei Monaten zustande gekommen.

Der wiederholte Erlass einstweiliger Anordnungen zum Umgangsrecht ohne jegliche Förderung des Hauptsacheverfahrens erweist sich per se und nachgerade dann als eklatante Versagung eines der Sache angemessenen und den Beteiligten zustehenden Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz, wenn, wie wohl mehrheitlich - entgegen der im Beschluss vom 30. Juni dieses Jahres eingehend begründeten Auffassung des Senats (FamRZ 2004, 1510 - 1512) - vertreten, einstweilige Anordnungen zum Umgangsrecht generell nach Maßgabe der §§ 621 g Satz 2, 620 c ZPO nicht mittels sofortiger Beschwerde anfechtbar sein sollen.

Der mittlerweile hochgradig notleidende Anspruch aller Beteiligten auf effektiven Rechtsschutz wenigstens in diesem Verfahren ist umso höher zu bewerten, als bislang in allen anderen mit dem Umgang in Zusammenhang stehenden Verfahren, die sich seit der ersten im Juli 2001 rechtskräftig gewordenen und vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Entscheidung des Senats, dem Kindesvater das Sorgerecht nicht zu übertragen, ergeben haben, nicht mehr vermittelbare noch plausibel erklärliche Verfahrensverzögerungen zu konstatieren sind bzw. waren. So ist über den Mitte Oktober 2002 neuerlich gestellten Antrag des Kindesvaters, ihm das Sorgerecht zu übertragen, wiederum ohne jegliche Sachverhaltsermittlung erst am 19. März 2004 seitens des Amtsgerichts entschieden worden. Andererseits wird auch das von den Pflegeeltern angestrengte Verfahren auf vormundschaftsgerichtliche Ersetzung der Einwilligung des Vaters in die Adoption des Kindes gemäß § 1748 Abs. 4 BGB - das nach rechtskräftiger Sorgerechtsentscheidung zuungunsten des Kindesvaters im Jahre 2001 durch das von diesem erneut angestrengte Sorgerechtsverfahren nach erstinstanzlicher Entscheidung des Vormundschaftsgerichts zugunsten der Pflegeeltern zum Erliegen kam - mittlerweile in zweiter Instanz vom Landgericht Dessau trotz neuerlich rechtskräftiger Sorgerechtsentscheidung erklärtermaßen bis auf weiteres nicht mehr betrieben.

2. Droht nach alledem durch eine weitere Verzögerung des Hauptsacheverfahrens entweder eine Verletzung des dem Vater nach § 1684 Abs. 1 BGB zustehenden Rechts auf Umgang mit dem Kind oder von dessen Recht auf Ausschluss des Umgangs nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB, falls anderenfalls sein Wohl zumindest gefährdet wäre, sind aufgrund der Untätigkeitsbeschwerde vom Amtsgericht umgehend die Maßnahmen zu treffen, die einen effektiven Rechtsschutz der Beteiligten binnen angemessener Frist wenigstens für die Zukunft gewährleisten.

Da das Beschwerdegericht, wegen des sonst eintretenden Verlusts einer Instanz, nicht bereits selbst abschließend in der Sache zu befinden noch wegen allfälliger Unwägbarkeiten des weiteren Verfahrensgangs dem Amtsgericht en détail einen exakten Verfahrensablauf vorzuschreiben vermag, erschöpft sich unter Beachtung des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit aus Art. 97 Abs. 1 GG die Möglichkeit des Beschwerdegerichts darin, das erstinstanzliche Gericht zur äußersten Beschleunigung des Hauptsacheverfahrens und zur Vornahme der für eine abschließende Entscheidung unumgänglichen Maßnahmen anzumahnen, wobei, vorbehaltlich außergewöhnlicher Umstände im Einzelfall, binnen kürzestmöglicher Frist die aus dem Tenor ersichtlichen Maßnahmen zu treffen sind.

3. Eine ohne weitere Sachverhaltsaufklärung abschließende Entscheidungsreife des Rechtsstreits zum Umgangsrecht des Vaters lässt sich demgegenüber auch nicht aus dem in dieser Sache ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden abgekürzt: Gerichtshof) vom 26. Februar dieses Jahres (NJW 2004, 3397 - 3401 = FamRZ 2004, 1456 - 1460) ableiten, demzufolge ein Umgangsrecht auf jeden Fall wegen der anderenfalls gegebenen Verletzung des in Artikel 8 Abs. 1 EMRK (= Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten) normierten Anspruchs des Kindesvaters auf Achtung seines Familienlebens gegeben sein soll, da dessen gesetzlicher Ausschluss nach Abs. 2 der Vorschrift nicht "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sei.

Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser anerkanntermaßen nicht zwingenden, allerdings, aus Gründen der Bindung an Gesetz und Recht, im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung bei der Abwägung verschiedener Grundrechte nach einem ausbalancierten Teilsystem des innerstaatlichen Rechts gegebenenfalls vorrangig zu berücksichtigenden Rechtsansicht (so BVerfG, NJW 2004, 3407 - 3412), lässt sich letztlich weder mit den gegenläufigen, bereits eine Gefährdung des Kindeswohls für einen Ausschluss des Umgangs mit einem Elternteil für ausreichend erachtenden Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs in § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB noch mit der verfassungsrechtlich eigenständig geschützten Rechtssphäre des Kindes, das nicht gleichsam ohne Rücksicht auf Verluste lediglich zum Objekt eines unter allen Umständen und um jeden Preis durchzusetzenden Anspruchs eines Elternteils auf Umgang degradiert werden darf, in Einklang bringen.

Nicht unerhebliche Bedenken bestehen bereits, ohne dass es darauf letztlich ankommt, gegen die grundlegende, nicht weiter erörterte Annahme des Gerichtshofs, die unstreitig hier in nichts anderem als der biologischen Herkunft bestehende Beziehung des Kindes zum Vater sei einem nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten "Familienleben" gleichzusetzen, und die dergestalt, auch prozessual fragwürdig auf der Grundlage eines gewissermaßen einseitig ohne Beteiligung des Kindes, seiner Verfahrenspflegerin, der Pflegeeltern und des Amtsvormundes durchgeführten Verfahrens, apodiktisch - und weit jenseits des eigentlich auf eine angefochtene Entscheidung aus dem Jahre 2001 beschränkten Streitgegenstandes - gezogene Schlussfolgerung in dem Urteil vom 26. Februar dieses Jahres, dem biologischen Vater sei in jedem Fall nunmehr der Umgang mit seinem Kind zu gewähren.

In das nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht jeder Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens darf im Übrigen nach Abs. 2 der Vorschrift eingegriffen werden, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist - was hier unstreitig nach Maßgabe des § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB der Fall ist - und, was hier einzig diskutabel sein kann, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist ... (insbesondere) zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

Die dazu getroffene Schlussfolgerung des Gerichtshofs, Artikel 8 der Konvention sei verletzt, gründet im Wesentlichen auf seiner bisherigen, in Bezug genommenen Fall-Rechtsprechung, derzufolge jeder Staat verpflichtet sei, auf die Zusammenführung eines leiblichen Elternteils mit seinem Kind hinzuwirken (Nr. 45), und der Annahme, es sei zu prüfen, ob es möglich wäre, C. und den Beschwerdeführer unter Umständen zusammenzuführen, unter denen die Belastung für C. minimiert werden könnte ("under circumstances that would minimize the strain put on C. ").

Dem Kindeswohl am besten dient demnach, bei Herbeiführung eines Ausgleichs zwischen den widerstreitenden Rechten und Interessen des Kindesvaters und der Adoptiv-Pflegeeltern (Nr. 45), in nicht nachvollziehbarer noch billigenswerter Weise eine Entscheidung, bei der gewissermaßen à tout prix ein Umgang bzw. eine Zusammenführung des biologischen Vaters mit dem Kind herbeizuführen oder in die Wege zu leiten ist - mag auch, wie hier, abgesehen von äußerst spärlichen Umgangskontakten bislang überhaupt keine Beziehung zwischen beiden bestanden haben - und bei der zugleich die daraus sicherlich resultierende Belastung für das Kind lediglich minimiert werden muss, das heißt auf ein wie immer zu bestimmendes, aber in jedem Fall hinzunehmendes Minimum reduziert wird. Der primär auch nach Ansicht des Gerichtshofs für das - ohnedies höchst unbestimmte und wertungsabhängige - Erfordernis der Notwendigkeit eines familienbezogenen Eingriffs in einer demokratischen Gesellschaft nach Art. 8 Abs. 2 EMRK maßgebliche Aspekt, ob eine behördliche respektive gerichtliche Entscheidung dem Wohl des Kindes, möglichst am besten dient, worauf grundsätzlich nach § 1697 a BGB wie auch im Rahmen des übergeordneten Art. 6 GG (vgl. BVerfG, FamRZ 2000, 1489) primär abzustellen ist, bleibt allerdings auf der Strecke, wenn nicht mehr die, bei abgewogener Bewertung aller konfligierenden Interessen, die dem Kinde günstigste oder ihm jedenfalls nicht schadende oder hochgradig gefährdende Lösung, sondern nur noch diejenige ins Auge gefasst werden soll, bei der, unter einseitiger, ideologisch überhöhter Präferenz für den Anspruch des rein biologischen Vaters auf Achtung seines angeblichen Familienlebens - denn diese Familienbande zu zerschneiden bedeute, ein Kind seiner Wurzeln zu berauben (Nr. 48 des Urteils) -, ein Umgang des Kindes mit seinem leiblichen, ihm bis dato gänzlich unbekannten Vater auch dann ermöglicht werden soll, wenn daraus unabsehbare, möglicherweise gravierende Folgen für das psychische Wohl des Kindes entstehen oder zu entstehen drohen. Allein die konsequente Anwendung der gegenteiligen Regelung des § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB, wonach bei Gefährdung des Kindeswohls der Umgang auch für längere Zeit oder auf Dauer auszuschließen ist, wird einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift gerecht, die das Kind auch im Hinblick auf das elterliche Umgangsrechts durchaus als eigenständiges Subjekt, dessen psychische Integrität bzw. Gesundheit tunlichst zu wahren ist, respektiert und es nicht, gleichsam ohne Rücksicht auf das Ausmaß einer etwaigen Beeinträchtigung infolge des Umgangsrechts, in unangemessener, unverhältnismäßiger und von daher verfassungsrechtlich nicht tragbarer Weise zum willfährigen Objekt eines in jedem Fall durchzusetzenden elterlichen Umgangsrechtes herabstuft.

Insoweit ist auch nach Art. 8 Abs. 2 EMRK - entgegen der anderweitigen, indes nicht überzeugenden Auffassung des Gerichtshofs - der in § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB vorgesehene Schutz gerade des minderjährigen und deshalb besonders schutzbedürftigen Kindes in einer demokratischen Gesellschaft für nachgerade zwingend notwendig zu erachten.

Wenn daher, was es, wie angeordnet, durch ein fundiertes Sachverständigengutachten abzuklären gilt, eine nicht nur unerhebliche Gefährdung oder gar Verletzung des kindlichen Wohls durch eine Ausübung des väterlichen Umgangsrechtes zum derzeitigen Zeitpunkt ernsthaft zu befürchten ist, wird dem Vater ein Umgangsrecht bei verfassungs- und auch konventionskonformer Anwendung des § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB nicht zu gewähren sein können.

Zumindest bei dem Ausmaß und der Häufigkeit eines etwaigen Umgangsrechtes wird auch das ebenfalls nach Art. 8 Abs. 1 EMRK wie auch nach Art. 6 GG geschützte Familienleben der Pflegeeltern und des bislang problemlos in der Pflegefamilie integrierten Kindes, das nicht durch eventuell ständige Auseinandersetzungen infolge des Umgangs mit dem biologischen Vater nachhaltig in der Sozialisation destabilisiert werden darf, zu beachten sein.

4. Außer der Hauptsacheentscheidung zum Umgangsrecht war darüber hinaus auf den - zumindest konkludent gestellten oder alternativ im Wege der entsprechenden Umdeutung der diesbezüglich gesetzessystematisch nachrangigen und daher unzulässigen Beschwerde analog § 140 BGB anzunehmenden - Antrag des Amtsvormundes und der Pflegeeltern gemäß § 620 b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 ZPO in Verb. mit den §§ 621 g, 620 a Abs. 4 Satz 2, 621 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, 1684 Abs. 4 Satz 1 und 2 BGB zwecks Meidung einer sonst drohenden Gefährdung des Kindeswohls die dem Vater ein wöchentliches Umgangsrecht zubilligende Beschluss-Anordnung des Amtsgerichts vom 2. dieses Monats abzuändern und bis zur abschließenden Entscheidung des Amtsgerichts in der Hauptsache ein Umgangsrecht auszuschließen.

Die aus einer Umgangsgewährung derzeit dem Kinde womöglich drohenden Gefahren lassen sich, wie bereits den vorstehenden Ausführungen zu entnehmen, nach dem momentanen Erkenntnisstand nicht zuverlässig abschätzen. Allein dieser Ungewissheit wegen erscheint es gerechtfertigt, bis zur jetzt relativ kurzfristig zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache ein Umgangsrecht des Vaters auszuschließen. Dies gilt erst recht in Anbetracht der bislang zur Akte gelangten fachmedizinischen Einschätzungen zu den Gefahren eines etwaigen Umgangsrechtes.

So heißt es in der Stellungnahme der Diplom-Psychologin E. , Fachpsychologin für Medizin und Psychologische Psychotherapeutin des Akademischen Lehrkrankenhauses E. und B. der Universität H. , vom 29. November 2004 (Bd. IV, Bl. 51 d. A.) wörtlich:

"Nach Sichtung und Kenntnisnahme der mir zur Verfügung stehenden Unterlagen ist schon jetzt nach Aktenlage abzuschätzen, dass bei Umsetzung des Beschlusses des Amtsgerichts Wittenberg vom 19.03.2004, Az. 5 F 463/02 UG das Kindeswohl von C. F. ... massiv gefährdet ist.

Um Schaden von dem Kind abzuwenden, bedarf es einer gründlichen Prüfung der derzeitigen Lebensumstände des Jungen, der Vorstellungen der Pflegeeltern und des leiblichen Vaters bezüglich der weiteren Entwicklung des Jungen und des Umgangs wichtiger Bezugspersonen mit ihm. ...

Mit Rücksicht auf C. / R. derzeitige Situation, soweit sie sich mir aus den vorliegenden Akten erschließt, empfehle ich dringend, die Umsetzung des Beschlusses bis zur Fertigstellung des Gutachtens auszusetzen."

Diese vorläufige Einschätzung wird auch von der Kinderärztin des Jungen, der Fachärztin für Pädiatrie S. K.-P. , geteilt, wenn sie in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 08. November dieses Jahres (Bd. IV, Bl. 42 d. A.) ausführt:

"... R. ist jedoch ein sensibler und ängstlicher Junge. Jegliche Störung des familiären Zusammenlebens würde sicher deutliche psychische Belastungen für R. bedeuten.

Veränderungen der Institution Familie sind in diesem Alter für Kinder nicht zu begreifen, das Gefüge Vater-Mutter-Kind gerade in der Vorschulzeit für die Entwicklung des Kindes immens wichtig.

Aus der täglichen Erfahrung ist mit hoher Sicherheit davon auszugehen, dass der Junge schwere psychische Schäden davonträgt, falls man ihn zum jetzigen Zeitpunkt aus seinem familiären Umfeld herausreißt, R. würde nicht verarbeiten können, falls man ihn mit seiner 'neuen Familie' konfrontiert.

Seine weitere psychische Entwicklung würde negativ beeinflußt und Erkrankungen provoziert, die irreversibel sind.

Das Kind jetzt in diese Situation zu bringen wäre aus ärztlicher Sicht unverantwortlich."

Gleichermaßen prekär bis hin zu einer Traumatisierung des Jungen beurteilt schließlich die Gefahren für das Kindeswohl die Diplom-Pädagogin (Pädagogische Psychologie) H. K. vom Landesjugendamt in ihrer ergänzenden psychologischen Stellungnahme vom 09. November 2004 (Bd. IV, Bl. 43 ff. d. A.).

In Anbetracht des seit langem im Hinblick auf eine allemal notwendige Beweisaufnahme in erster Instanz entscheidungsreifen Verfahrens war nach Ablauf der dem Kindesvater zur Stellungnahme auf die prozessual maßgebliche Untätigkeitsbeschwerde gesetzten Frist von 14 Tagen nunmehr abschließend über die keine weitere Verzögerung des Verfahrensablaufs erlaubende Sache in zweiter Instanz zu befinden.

Ob über den jetzt angeordneten Ausschluss des Umgangs bis zur notwendigerweise sachverständig abgestützten Hauptsacheentscheidung in erster Instanz hinaus auch noch, wie beantragt, indes abgelehnt, ein Ausschluss des Umgangsrechts bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim Landgericht Dessau anhängigen Verfahrens auf Ersetzung der Einwilligung des Kindesvaters in die Adoption wird angeordnet werden müssen, hängt in erster Linie vom Ergebnis der nunmehr unverzüglich durchzuführenden Beweisaufnahme in erster Instanz ab.

Darüber hinaus wird vertieft zu erwägen sein, welche Bedeutung der Adoptionspflege nach Maßgabe der §§ 1741, 1744 BGB und dem Ausschluss des Umgangsrechtes der Mutter nach Einwilligung in die Adoption gemäß § 1751 Abs. 1 Satz 1 BGB für ein unter Umständen nur bis zur Ersetzung der Einwilligung bestehendes Umgangsrecht des leiblichen Vaters bei fehlenden sozial-familiären Beziehungen zukommt (s. dazu unlängst ablehnend für den nicht rechtlichen Vater BVerfG, FamRZ 2004, 1705).

II.

Gerichtskosten für die erfolgreich eingelegte Untätigkeitsbeschwerde konnten nicht erhoben werden.

Außergerichtliche Kosten sind, der Billigkeit entsprechend, gemäß § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG in Verb. mit den §§ 621 a Abs. 1 Satz 1, 621 Abs. 1 Nr.2 ZPO nicht zu erstatten.



Ende der Entscheidung

Zurück