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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 29.06.2001
Aktenzeichen: 14 WF 93/01
Rechtsgebiete: RPflG, ZPO, GVG


Vorschriften:

RPflG § 20 Nr. 10 lit. a
ZPO § 652 Abs. 1
ZPO § 569 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 575
ZPO § 654
ZPO § 652 Abs. 2
ZPO § 648 Abs. 1
ZPO § 648 Abs. 2
ZPO § 654
ZPO § 649 Abs. 3
ZPO § 648
GVG § 153 Abs. 3 Nr. 1
Zum Inhalt der Rechtsmittelbelehrung.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

14 WF 93/01 OLG Naumburg 4 FH 66/01 AG Wittenberg

In dem Beschwerdeverfahren

hat der 14. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Deppe-Hilgenberg, die Richterin am Oberlandesgericht Hahn und den Richter am Landgericht Materlik am

29. Juni 2001

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Unterhaltsfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Wittenberg vom 27. März 2001, Az.: 4 FH 66/01, ebenso wie der separat über die Kosten des Verfahrens und den Streitwert befindende Beschluss vom gleichen Tage einschließlich des zu Grunde liegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Wittenberg zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Mit Formularantrag vom 30. Januar 2001 (Bl. 1 d.A.) beantragte die Kindesmutter als gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin gegenüber dem Amtsgericht - Familiengericht - Wittenberg den von dem Antragsgegner an die Antragstellerin zu leistenden Kindesunterhalt im vereinfachten Verfahren für die Zeit ab dem 01. Februar 2001 auf 100 % des Regelbetrages der geltenden Altersstufe nach der Regelbetrag-Verordnung festzusetzen.

Dem Antragsgegner wurden daraufhin durch das Amtsgericht eine Abschrift der Seite 2 des Antrages sowie ein so genannter Vordrucksatz "Einwendungen gegen den Antrag auf Festsetzung von Unterhalt" übersandt (Bl. 2 - 4 d.A.).

Das Amtsgericht erließ sodann durch die Rechtspflegerin am 27. März 2001 einen - durch einen eigenständigen Beschluss gleichen Datums (Bl. 8 d.A.) über die Kostentragungspflicht und den Streitwert ergänzten - Unterhaltsfestsetzungsbeschluss (Bl. 7 d.A.), in dem der von der Antragsgegnerin zu leistende Unterhalt, antragsgemäß, nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung auf 100 % des Regelbetrages der 1. Altersstufe abzüglich 21,00 DM monatlicher kindbezogener Leistungen ab dem 1. Februar 2001, auf 100 % des Regelbetrages der 2. Altersstufe ab dem 1. Februar 2005 und auf 100 % des Regelbetrages der 3. Altersstufe ab dem 1. Februar 2011 festgesetzt wurde.

Der Unterhaltsfestsetzungsbeschluss enthielt auf der Rückseite (Bl. 7 Rs. d.A.) folgende Rechtsbehelfsbelehrung:

Rechtsbehelfsbelehrung

Soweit der Festsetzungsbeschluss auf einer Erklärung beruht, mit der sich der als Antragsgegner/Antragsgegnerin in Anspruch genommene Elternteil zur Zahlung des Unterhalts verpflichtet hat, führt das Amtsgericht - Familiengericht - über einen in dem Beschluß nicht festgesetzten Teil des im vereinfachten Verfahren geltend gemachten Anspruchs auf Antrag einer Partei das streitige Verfahren durch. Im übrigen gilt folgendes:

Mit der Beschwerde/Erinnerung, die binnen zwei Wochen seit der Zustellung dieses Beschlusses bei dem Gericht, das ihn erlassen hat, schriftlich oder mündliche zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden muß, kann geltend gemacht werden:

- das vereinfachte Verfahren sei nicht zulässig;

- der Zeitpunkt des Beginns der Unterhaltszahlung sei nicht richtig festgesetzt;

- der Zeitraum oder die Höhe des Unterhalts sei nicht oder nicht dem Antrag entsprechend festgesetzt;

- kindbezogene Leistungen seien nicht oder nicht richtig angerechnet;

- die Kosten seien zu Unrecht auferlegt oder nicht richtig festgesetzt;

- Einwendungen seien zu Unrecht als unzulässig behandelt worden.

Falls die Beschwerde/Erinnerung nicht bei dem Amtsgericht - Familiengericht -, das den Beschluß erlassen hat, sondern bei einem anderen Amtsgericht nicht zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt wird, ist grundsätzlich zu beachten, daß das Protokoll vor Ablauf der Zweiwochenfrist dem Amtsgericht - Familiengericht - zugegangen sein muß, das den Beschluß erlassen hat.

Ab Rechtskraft dieses Beschlusses können die Parteien im Wege einer Klage auf Abänderung des Beschlusses verlangen, daß auf höheren Unterhalt oder auf Herabsetzung des Unterhalts erkannt wird. Die Klage ist auch zulässig, wenn mit ihr nur eine geringfügige Abänderung dieses Beschlusses verlangt wird. Zuständig für die Klage ist das Amtsgericht - Familiengericht, in dessen Bezirk das Kind oder der Elternteil, der es gesetzlich vertritt, seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Auf eine Klage des unterhaltsverpflichteten Elternteils, die nicht innerhalb eines Monats nach Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses erhoben wird, kann der Unterhalt nur für die Zeit nach ihrer Erhebung herabgesetzt werden. Dies gilt nicht, wenn innerhalb der Monatsfrist eine Abänderungsklage des Kindes auf Erhöhung des Unterhalts anhängig geworden ist. Dann kann der unterhaltsverpflichtete Elternteil auch noch nach Ablauf der Monatsfrist mit Wirkung für die Vergangenheit auf Herabsetzung des Unterhaltsklagen, solange das Verfahren über die Abänderungsklage des Kindes nicht beendet ist.

Vor Durchführung eines streitigen Verfahrens oder Erhebung einer Abänderungsklage ist beiden Parteien - auch mit Blick auf die Kostenbelastung der in dem Rechtsstreit unterliegenden Partei - zu empfehlen, sich über die Möglichkeit einer gütlichen außergerichtlichen Einigung sorgfältig beraten zu lassen und um eine solche sich ernsthaft zu bemühen. Kommt eine Einigung zustande, können die Parteien den nach ihr in Abänderung dieses Beschlusses zu zahlenden Unterhalt kostenfrei bei dem Jugendamt oder jedem Amtsgericht in vollstreckbarer Form beurkunden lassen und so einen Rechtsstreit vermeiden.

Gegen diesen ihm am 26. April 2001 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner zu Protokoll der Rechtspflegerin am 7. Mai 2001 Rechtsmittel eingelegt (Bl.12 d. A.).

Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei zur Zahlung des festgesetzten Unterhaltes finanziell nicht in der Lage, da er derzeit lediglich eine wöchentliche Arbeitslosenhilfe von 214,48 DM (Bl. 13 d.A.) beziehe, demgegenüber aber monatlich 563,00 DM Miete, 30,00 DM Gaskosten und 100,00 DM Mietschulden zu zahlen habe.

Die Antragstellerin verteidigt demgegenüber den angefochtenen Unterhaltsfestsetzungsbeschluss (Bl. 16 d.A.) und führt aus, dass der Antragsgegner sehr wohl finanziell leistungsfähig sei, beziehe er doch Sozialhilfe und Wohngeld und habe auch einen Job bei der Firma F. und Partner GmbH in K. , der jedoch nicht gemeldet sei.

II.

Das vom Antragsgegner eingelegte Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gemäß § 652 Abs. 1 ZPO in Verb. mit § 11 Abs. 1 und § 20 Nr. 10 lit. a RPflG statthaft.

Es ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere frist- und formgerecht zu Protokoll eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Amtsgericht Wittenberg gemäß § 577 Abs. 2 und § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO in Verb. mit § 153 Abs. 3 Nr. 1 GVG eingelegt worden.

Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners hat auch in der Sache insoweit Erfolg, als der angefochtene Unterhaltsfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Wittenberg vom 27. März 2001 - nebst dem per se unstatthafterweise separat erlassenen Beschluss gleichen Datums (Bl. 8 d.A.) über die im Unterhaltsfestsetzungsbeschluss mit zu regelnde Kostentragungspflicht des Antragsgegners (beispielhaft: Putzo, in: Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., 1999, § 649 Rdnr. 6) - einschließlich des zu Grunde liegenden Verfahrens aufzuheben und die Sache gemäß § 575 ZPO zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen war, weil der Unterhaltsfestsetzungsbeschluss nicht die nach § 649 Abs. 3 ZPO zwingend vorgeschriebenen Hinweise enthält.

Nach jener Vorschrift ist nämlich in dem Beschluss darauf hinzuweisen, welche Einwendungen mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 652 Abs. 2 ZPO geltend gemacht werden können und unter welchen Voraussetzungen eine Abänderung im Wege der Klage gemäß § 654 ZPO verlangt werden kann. Der Hinweis auf die zulässigen Einwendungen muss daher konkret sein und, wie aus § 652 Abs. 2 ZPO folgt, den Gesetzestext des § 648 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO umfassen und hinsichtlich der Kostenfestsetzung sich darauf erstrecken, dass auch deren Unrichtigkeit angefochten werden kann. Bezüglich der Abänderungsklage nach § 654 ZPO muss auch auf dessen Absatz 2 verwiesen werden (Putzo, a.a.O., § 649 Rdnr. 7).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht.

Die notwendigen Hinweise nach § 649 Abs. 3 ZPO sind in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht in ausreichender Form erteilt worden.

Die Vorschriften der §§ 648, 654 ZPO sind als solche nicht erwähnt.

Bereits dies ist bedenklich.

Die konkrete Bezeichnung dieser Vorschriften hat infolge der beschränkten Klage- und Beschwerdemöglichkeiten sachlich zwangsläufig notwendiger Bestandteil der nach § 649 Abs. 3 ZPO zu erteilenden Hinweise zu sein. Da das vereinfachte Verfahren einen Anwaltszwang nicht kennt, muss es dem Rechtsschutz suchenden und in aller Regel juristisch ungebildeten Antragsgegner ermöglicht werden, auf Grund der Hinweise aus § 649 Abs. 3 ZPO zunächst die Erfolgsaussichten einer in Erwägung gezogenen sofortigen Beschwerde selbst zu überprüfen. Dafür ist aber gerade die konkrete Kenntnis der zu beachtenden Vorschriften und ihres gesetzlichen Standortes unabdingbare Voraussetzung.

Unbeschadet dessen wird die eher tabellarisch wirkende Aufstellung in der Rechtsbehelfsbelehrung den Anforderungen des § 649 Abs. 3 ZPO auch im Übrigen inhaltlich nicht gerecht.

Denn die zulässigen Einwendungen aus § 648 Abs. 2 ZPO sind nicht genannt.

Es findet sich insoweit lediglich der Passus, mit der Beschwerde könne geltend gemacht werden, Einwendungen seien zu Unrecht als unzulässig behandelt worden. Diese Wendung, die sich ersichtlich auf § 652 Abs. 2, 2. Alt. ZPO bezieht und nicht, was erforderlich gewesen wäre, die maßgebliche Regelung des § 648 Abs. 2 ZPO wiedergibt, ist aus Sicht des Rechtsschutz suchenden Antragsgegners unverständlich. Weder wird mitgeteilt, welche Einwendungen nach § 648 Abs. 2 ZPO überhaupt, noch, in welcher Form sie gegen die Festsetzung des Unterhalts erhoben werden können. Gerade der Einwand eingeschränkter oder fehlender Leistungsfähigkeit (§ 648 Abs. 2 Satz 3 ZPO), auf den die Belehrung nicht hinweist, dominiert - wie der hier vorliegende Entscheidungsfall ebenfalls deutlich zeigt - die Praxis gerichtlicher Verfahren in Angelegenheiten des Unterhalts.

Die Nichteinhaltung der Hinweispflicht hat zwangsläufig zur Folge, dass der angefochtene Beschluss, ebenso wie das zu Grunde liegende Verfahren, analog § 539 ZPO aufzuheben und die Sache gemäß § 575 ZPO an das Amtsgericht zurückzuverweisen war.

Bei der Vorschrift des § 649 Abs. 3 ZPO handelt es sich schon dem Wortlaut nach nicht nur um eine bloße Sollvorschrift, sondern um eine nicht dem Ermessen unterliegende Mussvorschrift ("ist darauf hinzuweisen"). Sie soll nach ihrem Sinn und Zweck den Antragsgegner präzise über die im Einzelnen zulässigen, aber auch eingeschränkten Möglichkeiten der Rechtsbehelfe belehren und damit vor der Erhebung unzulässiger, aber kostenträchtiger Rechtsbehelfe bewahren.

Ausgehend von diesem Zweck der Hinweis- und Belehrungspflicht des erstinstanzlichen Gerichts teilt der Senat nicht die vereinzelt ohne nähere Begründung in der Literatur vertretene Ansicht, ein Verstoß gegen die gesetzliche Hinweispflicht bleibe prozessual ohne Folgen (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 59. Aufl., § 649 Rdnr. 8).

Die ausdrücklich gesetzlich normierte Pflicht zur umfassenden Rechtsmittelbelehrung wird damit ad absurdum geführt und, entgegen dem Wortlaut des Gesetzes und dem gesetzessystematischen Zweck der konkordant aufeinander abgestimmten Vorschriften der §§ 649, 652 und 654 ZPO, zu einer prozessual unbeachtlichen Obliegenheit umfunktioniert. Deren Missachtung kann allerdings für den Antragsgegner gerade in Anbetracht der nachgerade höchstkompliziert ausgestalteten Beschwerde- und Klagemöglichkeiten nach § 652 Abs. 2 und § 654 ZPO zu folgenschweren und kostenträchtigen Weiterungen bzw. Einschränkungen seines Rechtsschutzes in der Rechtsmittel- und Klageinstanz führen, womit auch, unter Hinwegsetzung über das übergeordnete Gebot einer verfassungskonformen Auslegung der Gesetzesvorschriften (s. dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., Seite 339 ff.), in unvertretbarer Weise dem Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Abs. 4 GG in Verb. mit Artikel 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 3 GG zuwidergehandelt würde. Schließlich kann es weder funktionell noch in der Sache Aufgabe des Rechtsmittelgerichtes sein, in der Beschwerdeinstanz Hinweise über die konkrete Ausgestaltung des Rechtsmittels und einer alternativ anzustrengenden Abänderungsklage zu erteilen. Genau darauf liefe jedoch im Endeffekt die Auffassung von der prozessual folgenlosen Verletzung der Hinweispflicht nach § 649 Abs. 3 ZPO in erster Instanz hinaus, da der, wie auch im vorliegenden Falle, unwissentlich bzw. uninformiert erfolglos Beschwerde erhebende Antragsgegner von vornherein in dem Unterhaltsfestsetzungsbeschluss nicht über seine möglicherweise Erfolg versprechenden Rechte bzw. Einwendungen im Unklaren gelassen werden darf.

Eine gleichermaßen exakte wie umfassende und für jedermann verständliche Rechtsbehelfsbelehrung in dem Unterhaltsfestsetzungsbeschluss ist demnach für den Unterhaltsschuldner, unabhängig von dessen anwaltlicher Vertretung, unverzichtbar. Dies gilt allerdings in besonderem Maße, wenn der Unterhaltsschuldner, wie hier und in aller Regel, im zwar vereinfacht genannten, aber alles andere als einfach gestalteten Festsetzungsverfahren nicht anwaltlich vertreten ist.

Die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückweisung der Sache in die erste Instanz erweist sich demnach als unumgänglich.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren sind gemäß § 8 Abs. 1 GKG nicht erhoben worden, da diese bei richtiger Sachbehandlung in erster Instanz nicht entstanden wären.



Ende der Entscheidung

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