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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 13.12.2001
Aktenzeichen: 2 U 100/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 249
BGB § 254
BGB § 823 Abs. 1
ZPO § 711
ZPO § 713
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
1. Das Vertrauen, das einem Wertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen entgegengebracht wird, bezieht sich in erster Linie auf die Wertermittlung.

2. Für solche Schäden, die sich nicht aus einer fehlerhaften Bewertung selbst, sondern lediglich aus einer fehlerhaften Ermittlung der zugrunde liegenden Tatsachen ergeben, haftet der Gutachter deshalb im Zweifel nicht.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 U 100/01 OLG Naumburg

verkündet am: 13.12.2001

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. Engel als Vorsitzenden, den Richter am Oberlandesgericht Handke und den Richter am Landgericht Hachtmann auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg - 9. Zivilkammer - vom 10.01.2001 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Kläger übersteigt 60.000,00 DM nicht.

Von der Darstellung des

Tatbestand:

wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

1. Den Klägern steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Ersatz der ihnen entstandenen Schäden aus Schlechterfüllung (pVV) eines zwischen der Gemeinde G. und dem Beklagten abgeschlossenen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu.

a) Dass zwischen den Parteien unmittelbare Vertragsbeziehungen bestanden haben, aus denen sich gegenseitige Rechte und Pflichten ergäben, wird von keiner Seite vorgetragen.

b) In der Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass dann, wenn ein Verkäufer einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Verkehrswertgutachtens beauftragt, dieser Gutachtenauftrag auch Schutzwirkung zugunsten des Erwerbers des Objektes haben kann (vgl. BGHZ 127, 378, 380 ff.).

Derjenige, der bei einer Person, die über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügt (z. B. öffentlich bestellter Sachverständiger, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater), ein Gutachten oder eine gutachterliche Äußerung bestellt, um davon gegenüber einem Dritten Gebrauch zu machen, in der Regel daran interessiert ist, dass die Bearbeitung die entsprechende Beweiskraft besitzt. Dies ist jedoch nur dann gewährleistet, wenn der Verfasser sie objektiv nach bestem Wissen und Gewissen erstellt hat und dafür Dritten gegenüber einsteht (BGH a. a. O.).

Für die Frage der Einbeziehung Dritter in den Schutz des Gutachtenauftrages ist es daher von Bedeutung, ob ein öffentlich bestellter und vereidigter Gutachter oder ein solcher ohne öffentliche Bestellung das Gutachten erstellt. Ausgangspunkt für die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich des Gutachtenauftrages ist das besondere Vertrauen in die Richtigkeit der von den genannten Personengruppen erstellten Gutachten durch breite Verkehrskreise. Dieses Vertrauen wird dadurch begründet, dass staatliche Institutionen die Fachkunde des Gutachters ausdrücklich anerkannt haben. Ein gleiches Vertrauen wird nicht jedem, der in irgendeiner Weise als Gutachter tätig wird, entgegengebracht. Besondere Gründe, die eine Gleichstellung des Beklagten mit einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen rechtfertigen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.

c) Dabei kann offen bleiben, ob dann, wenn der Beklagte durch die Gemeinde G. selbst beauftragt worden wäre, allein diese Beauftragung durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft ein vergleichbares Vertrauen hervorgerufen hätte. Vorliegend wurde das Gutachten nämlich, wie der Beklagte unwidersprochen vorträgt, nicht von der Gemeinde G. , sondern von einer Wohnungsbaugesellschaft in Auftrag gegeben. Die Gemeinde G. hat zwar im Kaufvertrag selbst auf das Gutachten Bezug genommen. Der Kaufpreis entspricht dem im Gutachten des Beklagten ermittelten Wert, darüber hinaus verweist der Vertrag auch ausdrücklich auf das Gutachten. Ein besonderes Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Richtigkeit des Gutachtens wird aber allein hierdurch nicht in einer öffentlichen Bestellung vergleichbaren Weise geweckt.

d) Darüber hinaus entfällt eine Haftung des Beklagten aber auch deswegen, weil Schäden der geltend gemachten Art von einer Haftung des Beklagten nicht erfasst sind. Ihrem eigenen Vortrag zufolge haben die Kläger nicht aus einem unrichtig ermittelten Wert einen Schaden erlitten, sondern die Schäden sind aus Mängeln der Bausubstanz entstanden. Eine Schadensersatzpflicht besteht aber nur dann, wenn der geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehensweise unter den Schutzzweck der Norm fällt, es muss sich also um Nachteile handeln, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte vertragliche oder vorvertragliche Pflicht übernommen worden ist (Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Aufl., Rdnr. 62 vor § 249 BGB m. w. Nachw.). Das Vertrauen, das einem Wertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen entgegengebracht wird, bezieht sich in erster Linie auf die Wertermittlung. Dagegen werden vom Sachverständigen regelmäßig keine Angaben darüber erwartet, welche Maßnahmen konkret erforderlich sind, um ein als sanierungsbedürftig bezeichnetes Gebäude in einen sicher bewohnbaren Zustand zu versetzen. Etwas anderes mag dann gelten, wenn der Sachverständige ausdrücklich mit der Aufnahme des Bauzustandes beauftragt wird, was hier jedoch nicht der Fall war. Eine Verpflichtung des Beklagten, eine eventuelle Einsturzgefahr des von ihm bewerteten Gebäudes festzustellen, bestand damit allein im Hinblick auf die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Wertermittlung, die in erheblichem Maße auch vom Bauzustand des bewerteten Gebäudes abhing. Soweit infolge einer mangelhaften Ermittlung des Gebäudezustandes Schäden - etwa die zu geringe oder zu hohe Vereinbarung eines Kaufpreises - entstehen, hat der Sachverständige für diese Schäden einzustehen. Solche Schäden, die sich nicht aus einer fehlerhaften Bewertung selbst, sondern lediglich aus einer fehlerhaften Ermittlung der der Bewertung zugrunde liegenden Tatsachen ergeben, sind dagegen vom Schutzbereich der vom Beklagten übernommenen Verpflichtung, sämtliche bewertungserheblichen Umstände zu ermitteln, nicht erfasst.

e) Offen bleiben kann damit die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob der Beklagte zum Zeitpunkt der Besichtigung des Anwesens den fortgeschrittenen Korrosionsgrad der Stahlträger bzw. den Verwitterungsgrad des eingebrochenen Mauerwerkspfeilers tatsächlich hätte feststellen können und müssen.

f) Auch dann, wenn es sich bei ihm um einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen handelte, wäre eine etwaige Haftung des Beklagten im übrigen durch ein erhebliches Mitverschulden der Kläger eingeschränkt (§ 254 BGB).

Gegenstand des Auftrages des Beklagten war eine Wertermittlung für das Gebäude, nicht aber die Aufnahme einzelner Mängel, soweit sie für die Bewertung des Grundstückes keine wesentliche Rolle spielen, und zwar auch dann nicht, wenn von ihnen weitergehende Gefahren ausgehen. Von diesem Vertragsinhalt her durften die Kläger - ebenso wie die Auftraggeberin des Beklagten - nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass im Gutachten die vorhandenen Fehler des Gebäudes vollständig aufgezählt sind. Da das Gebäude im Gutachten als "stark sanierungsbedürftig" bezeichnet wurde, wären die Kläger gehalten gewesen, sich vor Nutzung des Objektes über den Bauzustand und die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen zu informieren. Das Gutachten des Beklagten enthielt erkennbar keine Aufstellung von Einzelmängeln, sondern nur eine Gesamtbeurteilung des Bautenzustandes. Die Kläger durften daher auf der Grundlage des Gutachtens nicht von der Abwesenheit bestimmter Baumängel ausgehen. Hier hätte die Hinzuziehung eines Fachmannes nahegelegen, der bei entsprechender Aufgabenstellung die herabgesetzte Tragfähigkeit des Mauerwerkspfeilers auch nach den eigenen Angaben der Kläger hätte entdecken müssen.

2. Den Klägern steht gegen den Beklagten auch kein Anspruch auf Ersatz der ihnen entstandenen Schäden aus § 823 Abs. 1 BGB zu. In Betracht käme insoweit lediglich ein Schadensersatzanspruch wegen eines Unterlassens, nämlich der versäumten Information der seinerzeitigen Auftraggeber über den Zustand des durch Feuchtigkeit angegriffenen Mauerwerkspfeilers. Ein Schadensersatzanspruch wegen Unterlassens setzt eine Handlungspflicht voraus. Eine solche kann sich aus dem Gesetz, Vertrag, vorangegangenem gefährlichen Tun oder der Aufnahme von Vertragsverhandlungen ergeben (vgl. Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Aufl. Rdnr. 84 vor § 249 BGB). In Betracht käme hier allenfalls eine aus dem Gutachtenauftrag als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter hergeleitete Handlungsverpflichtung gegenüber dem Kläger. Insoweit gelten die gleichen Erwägungen wie für eine unmittelbare vertragliche Haftung des Beklagten. In den Schutzbereich des Vertrages zwischen der G. Wohnungsbaugesellschaft mbH und dem Beklagten sind die Kläger nicht einbezogen.

Mangels einer gegenüber den Klägern bestehenden Verpflichtung auf die (behauptete) Baufälligkeit des Mauerwerkspfeilers hinzuweisen, scheidet damit auch eine Haftung des Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB aus.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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