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Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 01.08.2002
Aktenzeichen: 3 UF 56/02
Rechtsgebiete: RegelbetragsVO, EGZPO, BGB, ZPO, GKG


Vorschriften:

RegelbetragsVO § 2
EGZPO § 26 Ziffer 9
BGB § 284
BGB § 1601
BGB § 1602
BGB § 1603
BGB § 1603 Abs. 1
BGB § 1603 Abs. 2
BGB § 1610
BGB § 1612
BGB § 1612a
BGB § 1612b
BGB § 1613
BGB § 1613 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 233
ZPO § 540 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
GKG § 14
GKG § 17 Abs. 1
GKG § 17 Abs. 4
Zwar ist es grundsätzlich zutreffend, dass ein Unterhaltsschuldner im Einzelfall auch gehalten sein kann, neben einer vollschichtigen Tätigkeit eine Nebentätigkeit zur Sicherung des Kindesunterhalts auszuüben. Hierzu bedarf es jedoch jeweils einer Prüfung und Feststellung im Einzelfall.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 UF 56/02 OLG Naumburg

verkündet am: 01. August 2002

In der Familiensache

hat der 3. Zivilsenat - 1. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 11.07.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kleist, den Richter am Oberlandesgericht Hellriegel und die Richterin am Amtsgericht Schöllmann für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Gardelegen vom 25.02.2002, Az.: 52 F 100/01, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin, z. Hd. des Kindesvaters, ab dem 01.07.2001 bis zum 30.09.2001 einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 11,35 Euro zu zahlen, für den Monat Oktober 2001 Kindesunterhalt in Höhe von 11,08 Euro zu zahlen und ab dem 01.11.2001 einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 4,4 % des Regelbetrages der 3. Altersstufe gemäß § 2 RegelbetragsVO zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 95 % und die Beklagte zu 5 %.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für die Berufung wird auf 3.485,99 Euro festgesetzt.

Von der Anführung eines Tatbestandes wird nach § 540 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 26 Ziffer 9 EGZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Der Beklagten ist antragsgemäß hinsichtlich der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO gewährt worden. Im Übrigen ist die Berufung form- und fristgerecht begründet worden. Sie hat auch in der Sache überwiegend Erfolg. Die Klage der minderjährigen Klägerin ist überwiegend unbegründet. Zwar ist die Klägerin bedürftig i. S. v. § 1602 BGB. Dennoch ist die Beklagte gemäß §§ 1601, 1602, 1603, 1612, 1612a, 1612b, 1613 BGB lediglich verpflichtet, Kindesunterhalt in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe zu zahlen. Einem weitergehenden Unterhaltsanspruch der Klägerin steht die Leistungsunfähigkeit der Beklagten gemäß § 1603 Abs. 1 BGB entgegen. Das tatsächliche Einkommen der Beklagten aus Erwerbstätigkeit (1.920,00 DM brutto bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden bis November 2001 einschließlich) bzw. aus Arbeitslosenhilfe reicht, insbesondere unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtungen der Beklagten gegenüber der in ihrem Haushalt lebenden zahlreichen minderjährigen Geschwister der Klägerin, nicht aus, um den von der Klägerin geforderten Kindesunterhalt zahlen zu können. Vielmehr ist die Beklagte nach ihrem tatsächlichen Einkommen lediglich bis November 2001 in einem minimalen Umfang zur Zahlung des Kindesunterhalts fähig und anschließend unter Beachtung ihres eigenen Selbstbehalts in Höhe von 1.645,00 DM/750,00 Euro leistungsunfähig.

Der Beklagten ist jedoch ein fiktives Einkommen in Höhe von monatlich 1.600,00 DM/818,07 Euro netto zuzurechnen, weil sie ihrer Erwerbsobliegenheit gegenüber der minderjährigen Klägerin nicht ausreichend nachgekommen ist. Die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsschuldners wird nicht allein nach seinem tatsächlichem Einkommen bestimmt, sondern nach den im Einzelfall zumutbarerweise erzielbaren Einkünften (Palandt-Diederichsen, BGB, 61. A., § 1603 Rn. 58). Reichen die tatsächlichen Einkünfte zur Zahlung des nach § 1610 BGB angemessenen Kindesunterhalts nicht aus, trifft den Unterhaltsschuldner gemäß § 1603 Abs. 2 BGB unterhaltsrechtlich die Obliegenheit, die ihm zumutbaren Einkünfte zu erzielen, insbesondere seine Arbeitsfähigkeit so gut wie möglich einzusetzen und eine ihm mögliche Erwerbstätigkeit auszuüben. Kommt er dieser Erwerbsobliegenheit nicht nach, muss er sich so behandeln lassen, als ob er das Einkommen, das er in zumutbarer Weise erzielen könnte, auch tatsächlich erzielt. Der gesteigerten Erwerbsobliegenheit der Beklagten steht nicht entgegen, dass sie die minderjährigen Geschwister der Klägerin betreut bzw. betreut hat. Grundsätzlich sind die Unterhaltsansprüche der minderjährigen Kinder der Beklagten gleichrangig. Die Beklagte hat zudem bereits während ihrer Berufstätigkeit in der Vergangenheit gezeigt, dass sie durchaus in der Lage ist, trotz der Kinderbetreuung und -versorgung eine vollschichtige Tätigkeit auszuüben. Grundsätzlich ist sie verpflichtet, eine ihren Fähigkeiten angemessene Tätigkeit zu verrichten. Maßstab sind die Berufsausbildung und die bisherig ausgeübte Tätigkeit sowie die weiteren persönlichen Eigenschaften des Unterhaltsschuldners (Wiedenlübbert, Neue Justiz 2002, 337/338). Angesichts des beruflichen Werdegangs der Beklagten (gelernte Schweinezüchterin, bereits langjährig nicht mehr im erlernten Beruf tätig, anschließend überwiegend ABM-Tätigkeiten, unterbrochen durch mehrjährigen Erziehungsurlaub, sechs zu betreuende Kinder) kommt für die Beklagte lediglich eine Tätigkeit als ungelernte Mitarbeiterin auf dem Arbeitsmarkt in Betracht, wobei wiederum die Einsatzmöglichkeiten in zeitlicher und räumlicher Hinsicht auf Grund der Betreuung der minderjährigen Geschwister der Klägerin stark eingeschränkt sind. Es ist davon auszugehen, dass sie unter Berücksichtigung der o. g. Gesichtspunkte nur in der Lage ist, ein monatliches Nettoeinkommen von 1.600,00 DM aus einer vollschichtigen Tätigkeit zu erzielen. Da die Beklagte, die auf Grund des Umstandes, dass Kindesunterhalt lediglich in Höhe von 100 % des Regelbetrages der 3. Altersstufe nach § 2 RegelbetragsVO gefordert wird, die Darlegungs- und Beweislast für ihre Leistungsunfähigkeit trägt, nicht dargetan hat, dass sie die ihr zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um in dem betroffenen Zeitraum ab Juli 2001 bis fortlaufend eine ihrer Erwerbsobliegenheit entsprechende Arbeitstätigkeit auszuüben zu können und auch nicht substantiert vorgetragen wurde, dass sie einen derartigen Arbeitsplatz nicht finden konnte, ist ihr ein fiktives Einkommen in Höhe von 1.600,00 DM netto monatlich zuzurechnen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte in der Lage wäre, aus einer vollschichtigen Tätigkeit das von der Klägerin unsubstantiiert behauptete Einkommen in Höhe von 1.200,00 Euro zu erzielen, liegen hingegen, insbesondere angesichts des beruflichen Werdegangs der Beklagten nicht vor.

Die Zurechnung eines fiktiven Einkommens aus einer Nebentätigkeit entfällt. Zwar ist es grundsätzlich zutreffend, dass ein Unterhaltsschuldner im Einzelfall auch gehalten sein kann, neben einer vollschichtigen Tätigkeit eine Nebentätigkeit zur Sicherstellung des Kindesunterhalts auszuüben. Nach den Umständen des Einzelfalls ist der Beklagten jedoch eine Nebentätigkeit zusätzlich zu einer vollschichtigen Arbeitstätigkeit nicht zuzumuten. Wie von der Beklagten zutreffend ausgeführt worden ist, müsste diese an den Wochenenden bzw. in den Abendstunden verrichtet werden. Nicht ersichtlich ist, wie die Beklagte dieses neben der Betreuung und Versorgung von sechs minderjährigen Kindern sowie der Haushaltsführung bewältigen können soll.

Angesichts der individuellen Leistungsfähigkeit der Beklagten ist bei der Unterhaltsberechnung von einem fiktiven monatlichen Nettoeinkommen in Höhe von 1.600,00 DM/818,07 Euro auszugehen. Es steht somit im Rahmen der Mangelfallberechnung unter Beachtung des Selbstbehaltes eine Verteilungsmasse in Höhe von 135,00 DM/69,02 Euro zur Verfügung. Der Gesamtbedarf aller minderjährigen Kinder der Beklagten beläuft sich bis zum 30. September 2001 auf 2.963,00 DM, anschließend auf 3.034,00 DM/1.551,26 Euro. Vivien befindet sich in der 1. Altersstufe, Dennis, Fabian in der 2. Altersstufe sowie Chris, Mandy und die Klägerin in der 3. Altersstufe. Gereon befindet sich bis zum 30.09.2001 noch in der 1. Altersstufe, anschließend in der zweiten Altersstufe. Angesichts der minimalen Verteilungsmasse ergibt sich somit im Rahmen der Mangelfallberechnung für die Klägerin lediglich ein Anspruch auf Zahlung eines monatlichen Unterhalts in Höhe von aufgerundet 22,19 DM (11,35 Euro) bis September 2001, anschließend in Höhe von 21,67 DM (11,08 Euro) bzw. 4,4 % des Regelbetrages der 3. Altersstufe nach § 2 der RegelbetragsVO. Lediglich in dieser Höhe ist die Klage begründet.

Gemäß §§ 1613 Abs. 1, 284 BGB ist die Beklagte auf Grund der Aufforderung vom 17.03.2001 verpflichtet, ab Juli 2001 für die Klägerin Kindesunterhalt in dieser Höhe zu zahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich ist.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 14, 17 Abs. 1, Abs. 4 GKG.

Ende der Entscheidung

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