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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 13.05.2004
Aktenzeichen: 4 U 14/04
Rechtsgebiete: ZPO, VBGB, VVG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 511 Abs. 1
ZPO § 511 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 517
ZPO § 519
ZPO § 520
ZPO § 540 Abs. 1
VBGB § 12
VBGB § 19 Abs. 1
VBGB § 19 Ziffer 1
VVG § 1
VVG § 6
VVG § 18 Ziffer 1 d
VVG § 18 Ziffer 2
VVG § 49
VVG § 61
BGB § 1922
Zu den Anforderungen einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 14/04 OLG Naumburg

verkündet am: 13.05.2004

In dem Rechtsstreit

...

wegen Versicherungsleistung

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg unter Mitwirkung des Richters am Oberlandesgericht Feldmann, der Richterin am Oberlandesgericht Mertens und der Richterin am Landgericht Göbel auf die mündliche Verhandlung vom 29. April 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 29. Dezember 2003 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Stendal wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Beklagten übersteigt 20.000,-- EUR nicht.

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 19.282,77 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Hinsichtlich des Sachverhalts nimmt der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug, § 540 Abs. 1 ZPO. Der ursprüngliche, mittlerweile verstorbene Kläger (nachfolgend Erblasser) hat die Beklagte auf Zahlung der Versicherungsleistung aus einer Gebäudeversicherung in Anspruch genommen. Er ist von seiner Ehefrau und seinem Sohn, den jetzigen Klägern, beerbt worden.

Der Erblasser war Landwirt und unterhielt bei der Beklagten eine Gebäudeversicherung, in welcher die in seinem Eigentum stehenden landwirtschaftlichen Gebäude versichert waren. Dem Vertrag lagen die VBGB 94 zu Grunde. Zu den Gebäuden gehörte eine offene Scheune (Bergehalle), in der u. a. Stroh gelagert war. Diese Scheune brannte am 19.05.2001 ab, wodurch dem Erblasser unstreitig ein unter die Versicherung fallender Schaden in Höhe von 19.282,77 EUR entstand. Der Brand wurde von einem guten Bekannten des Verstorbenen, Herrn M. , bei Arbeiten mit einem Winkelschleifer verursacht. Herr M. und der auf dem Hof lebende Mieter H. waren dem seinerzeit bereits fast 80 Jahre alten Erblasser schon am Vortag bei der Entsorgung von Altmetall auf dem Hof behilflich. Da eine Scheibenegge (auch Flachegge genannt) wegen ihrer Größe nicht in den bereit stehenden Container entsorgt werden konnte, bot sich Herr M. an, das Gerät mit einem Winkelschleifer zu zerkleinern. Ob und gegebenenfalls welche Absprachen dabei zwischen den Beteiligten getroffen wurden, ist zwischen den Parteien streitig. Der Zeuge M. begann die Arbeiten am Folgetag gegen 07:30 Uhr in unmittelbarer Nähe der Scheune. Diese wurden durch den Funkenflug in Brand gesetzt und brannte völlig nieder.

Die Beklagte lehnte nach Einsicht in die Ermittlungsakten die Regulierung des Schadens ab und kündigte den Versicherungsvertrag mit Schreiben vom 10.10.2001.

Die Kläger haben gemeint, die Beklagte könne sich nicht auf ihre Leistungsfreiheit berufen, der Versicherungsfall sei auch nicht grob fahrlässig von dem Erblasser herbeigeführt worden.

Der Erblasser hat im ersten Rechtszug beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 19.282,77 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 19.05.2001 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Zeuge M. sei ausdrücklich im Auftrag des Erblassers tätig geworden, dem auch bekannt gewesen sei, dass der Funkenschutz vom Winkelschleifer entfernt gewesen sei; er habe dem Zeugen M. das Gerät selbst zur Verfügung gestellt. Der Erblasser müsse sich das grob fahrlässige Verhalten des Zeugen M. , der nur etwa einen Meter neben der Scheune gearbeitet habe, zurechnen lassen. Er habe gegenüber dem Regulierungsbeauftragten K. zudem unrichtige Angaben gemacht. So habe er angegeben, er habe von den Arbeiten des Zeugen M. keine Kenntnis gehabt, während sie tatsächlich mit ihm abgestimmt gewesen seien. Dies stelle eine Obliegenheitsverletzung dar, die zur Leistungsfreiheit führe; jedenfalls sei damit ein eventueller Entschädigungsanspruch gemäß § 19 Ziffer 1 VBGB verwirkt.

Das Gericht hat über die Behauptung der Beklagten, die Schleifarbeiten seien in Absprache mit dem Erblasser nur einen Meter entfernt von der Scheune ausgeführt worden, Beweis durch Vernehmung des Zeugen M. erhoben. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 07.05.2003 (Bl. 96 ff.) verwiesen. Sodann hat die Kammer der Klage bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben. Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte nicht leistungsfrei geworden sei. Insbesondere lägen die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 VBGB nicht vor, wonach Leistungsfreiheit eintritt, wenn der Versicherungsnehmer versucht, den Versicherer arglistig über Tatsachen zu täuschen, die für die Entschädigung von Bedeutung sind. Zwar habe der Erblasser gegenüber dem Regulierungsbeauftragten der Beklagten erklärt, er habe von den Arbeiten des Zeugen M. keine Kenntnis gehabt, während er gegenüber der Polizei angegeben habe, Herrn M. mit den Arbeiten beauftragt zu haben. Angesichts der Aussage des Zeugen M. sei aber nicht bewiesen, dass eine Beauftragung vorgelegen habe. Leistungsfreiheit bestehe auch nicht auf Grund der Verletzung von Sicherheitsvorschriften (§ 6 Abs. 1 VBGB i. V. m. § 6 Abs. 1 VVG). Soweit dem Zeugen M. wegen der Verwendung eines nicht betriebssicheren Winkelschleifers unter risikoträchtigen Bedingungen ein grob fahrlässiges Verhalten anzulasten sei, könne dies dem Erblasser nicht zugerechnet werden, weil der Zeuge M. nicht dessen Repräsentant gewesen sei. Der Erblasser habe auch nicht selbst den Versicherungsfall grob fahrlässig oder vorsätzlich im Sinne von § 61 VVG herbeigeführt. Dem Angebot des Zeugen M. , die Arbeiten an der Egge auszuführen, hätte der Erblasser nicht entgegentreten müssen; denn im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme sei nicht davon auszugehen gewesen, dass der Zeuge M. die Arbeiten unter Umgehung des Erblassers ausführen werde.

Gegen dieses ihr am 09.01.2004 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 30.01.2004 eingegangenen Berufung, die sie am 26.02.2004 begründet hat. Sie beanstandet die Beweiswürdigung des Landgerichts, das die offenbare Unglaubwürdigkeit des Zeugen M. verkannt habe. Unter Berücksichtigung insbesondere der Ermittlungsakte hätte das Landgericht bei lebensnaher Betrachtung annehmen müssen, dass der Erblasser den Auftrag für die Schleifarbeiten erteilt habe. Hiervon ausgehend habe er selbst grob fahrlässig gehandelt, weil er keine Vorkehrungen dagegen getroffen habe, dass die Arbeiten unter augenscheinlich höchst riskanten Bedingungen durchgeführt wurden. Schließlich müssten die unrichtigen Angaben gegenüber dem Regulierungsbeauftragten zur Leistungsfreiheit führen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

II.

1.

Die gemäß § 511 Abs. 1 ZPO statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 517, 519, 520 ZPO; die Berufungssumme ist erreicht, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

2.

Sachlich ist das Rechtsmittel jedoch nicht gerechtfertigt. Den Klägern steht gegen die Beklagte auf Grund der abgeschlossenen Gebäudeversicherung ein Anspruch auf die Entschädigung gemäß §§ 1, 49 VVG, 1922 BGB zu. Denn durch den Brand der Scheune ist der Versicherungsfall unstreitig eingetreten; die Beklagte ist auch nicht von ihrer Leistungspflicht freigeworden.

a)

Leistungsfreiheit gemäß § 61 VVG besteht deshalb nicht, weil der Erblasser den Versicherungsfall nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist grobe Fahrlässigkeit dann anzunehmen, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Grade außer Acht gelassen und das nicht beachtet wird, was unter den gegebenen Umständen jedem hätte einleuchten müssen (statt aller Prölss/Martin, VVG 26. Aufl., § 6 Rn. 117 m. zahlr. N.). Dies ist hier nicht der Fall.

aa)

Zunächst hat der Erblasser nicht schon deshalb die erforderliche Sorgfalt gröblich verletzt, weil er den (ersichtlich einfach strukturierten) Zeugen M. überhaupt mit dem Winkelschleifer hat arbeiten lassen. Denn dies würde voraussetzen, dass dem Erblasser die näheren Umstände, unter denen der Einsatz des Schleifgerätes erfolgen werde, bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen. Insbesondere hätte er wissen müssen, dass sich die zu bearbeitende Flachegge in unmittelbarer Nähe zur Scheune befinden werde. Gerade dies kann jedoch nicht angenommen werden. Denn nach der Aussage des Zeugen M. war die Egge zur Durchführung der Schleifarbeiten von einem Dritten, dem Mieter H. , erst in die unmittelbare Nähe der Scheune gebracht worden, und zwar musste sie wegen ihres Gewichts mit einem Traktor dorthin geschleppt werden. Es findet sich weder in der Gerichtsakte noch in der Ermittlungsakte irgendein Hinweis darauf, dass dem Erblasser der genaue Ort, an dem die Schleifarbeiten ausgeführt werden sollten, bekannt war. Sollte er lediglich nicht bedacht haben, dass die Egge möglicherweise in die Nähe der Scheune geschleppt werden könnte, so wäre dies allenfalls als leichte Fahrlässigkeit zu werten. Ein eigenes grobes Verschulden dürfte dem Erblasser mithin nicht nachzuweisen sein.

bb)

Der Erblasser muss sich auch nicht das grob fahrlässige Verhalten des Zeugen M. zurechnen lassen. Denn dieser war kein so genannter Repräsentant des Versicherungsnehmers. Als solcher kann nur angesehen werden, wer in den Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, auf Grund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn dem Dritten die alleinige Obhut über die versicherte Sache überlassen ist. Vielmehr muss sich der Versicherungsnehmer der Verfügungsbefugnis und der Verantwortlichkeit für den versicherten Gegenstand vollständig begeben haben (z. B. BGH VersR 1990, 736). Dies war hier bei dem Zeugen M. ersichtlich nicht der Fall.

b)

Die Beklagte ist auch nicht aus sonstigen Gründen leistungsfrei.

aa)

Ein Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften, die sich aus gesetzlichen oder behördlichen Anordnungen oder aus Vereinbarungen im Versicherungsvertrag ergeben (§ 12 Abs. 1 VBGB), ist nicht dargetan. Soweit der Winkelschleifer nur mit einem Schleif- und Funkenschutzblech betrieben werden durfte, ergibt sich dies lediglich aus der Bedienungsanleitung des Herstellers. Zwar mag es möglicherweise Arbeitsschutzvorschriften geben, die für den Betrieb eines solchen Gerätes einen Funkenschutz vorsehen. Derartige Vorschriften dienen jedoch ausschließlich dem Schutz des Arbeiters und stellen demnach keine Schutzvorschrift im Sinne des § 12 VBGB dar. Selbst wenn in behördlichen Anordnungen der Betrieb eines Winkelschleifers in der Nähe leicht entzündbarer Gegenstände nur unter Verwendung des Funkenschutzblechs erlaubt sein sollte, änderte sich an der Beurteilung nichts. Da dem Erblasser hier die Örtlichkeiten, an denen die Arbeiten durchgeführt werden sollten, nicht bekannt waren, könnte ihm selbst in diesem Fall der Verstoß gegen die Sicherheitsvorschrift nicht angelastet werden.

bb)

Leistungsfreiheit besteht auch nicht deshalb, weil der Erblasser falsche Angaben gegenüber dem Regulierungsbeauftragten der Beklagten gemacht hätte, § 18 Ziffer 1 d, Ziffer 2, § 6 VVG.

Der Erblasser hat zwar angegeben, er habe von den Arbeiten des Zeugen M. keine Kenntnis gehabt; sie seien durchgeführt worden, ohne dass man mit ihm diesbezüglich gesprochen habe. Auch wenn er demgegenüber bei der Polizei angegeben hat, er habe dem Zeugen M. den Auftrag für die Arbeiten erteilt, steht damit keineswegs fest, dass er gegenüber der Beklagten falsche Angaben gemacht hat. Denn es ist ebenso möglich, dass seine Aussage vor der Polizei nicht zutreffend war und den Zeugen M. nur entlasten sollte. Hinzu kommt, dass M. selber in erster Linie den Mieter H. als seinen Auftraggeber bezeichnet hat. Auch wenn der Zeuge M. bei seiner zweiten polizeilichen Vernehmung eine Absprache mit dem Erblasser bestätigt hat und selbst in der Klageschrift von einem entsprechenden Angebot des M. die Rede ist, kann nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass die Angaben gegenüber der Beklagten tatsächlich falsch sind. Es kann durchaus so gewesen sein, dass der Erblasser angenommen hat, der Zeuge M. werde demnächst zu einem unbestimmten Zeitpunkt die Arbeiten ausführen, dass er gegenüber der Beklagten aber den konkreten Arbeitsvorgang nach Zeit und Örtlichkeit gemeint und in diesem Sinne seine Kenntnis verneint hat. In diesem Sinne ist auch seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung zu verstehen, indem er ausgeführt hat, der Zeuge M. habe am Vortag, als die Flachegge nicht habe verladen werden können, immer erklärt, er werde das mit dem Trennschleifer machen, woraufhin er - der Erblasser - jedoch keine Antwort gegeben habe.

In gleicher Weise lässt sich nicht feststellen, dass die Entfernungsangabe gegenüber dem Regulierungsbeauftragten der Beklagten (5 bis 8 m zur Scheune) unrichtig war, obschon der Zeuge M. bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung eine Entfernung von nur einem Meter angegeben hat.

cc)

Kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Erblasser gegenüber der Beklagten falsche Angaben gemacht hat, so kommt eine Leistungsfreiheit auch gemäß § 19 Abs. 1 VBGB (arglistige Täuschung über erhebliche Umstände) nicht in Betracht.

Sonstige Gründe, welche der Berufung zum Erfolg verhelfen könnten, sind weder dargetan noch ersichtlich.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Streitwert und Beschwer sind gemäß §§ 2, 3, 544 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO festgesetzt worden. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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