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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 25.06.2008
Aktenzeichen: 4 WF 42/08
Rechtsgebiete: ZPO, GVG, BGB, SGB XII


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 567 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 568 S. 1
ZPO § 569
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 a
BGB §§ 1601 ff.
BGB § 1602 Abs. 1
SGB XII § 19 Abs. 2
SGB XII §§ 27 ff.
SGB XII § 41
SGB XII § 43 Abs. 2
SGB XII § 94 Abs. I Satz 3
Es entspricht in Anbetracht der Unterhaltsleistungen, die die Eltern einem erwerbsunfähigen Kind bis zu dessen Volljährigkeit erbringen, der allgemeinen Pflicht zur Rücksichtnahme und Loyalität, wenn ein volljähriges Kind darauf verwiesen wird, vorrangig die Grundsicherung in Anspruch zu nehmen.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

4 WF 42/08 OLG Naumburg

In der Familiensache

hat der 4. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Richter am Oberlandesgericht Stroot als Einzelrichter am

25. Juni 2008

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Magdeburg vom 7. April 2008, Az.: 221 F 173/08, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Gründe:

Die gemäß den §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 569 ZPO in Verb. mit § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 4. Mai 2008 gegen die Versagung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Magdeburg vom 7. April 2008, über die gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 a GVG das Oberlandesgericht und dort gemäß § 568 S. 1 ZPO der Einzelrichter zu befinden hat, weil die angefochtene Entscheidung in einer Familiensache von einem Amtsrichter und damit einem Einzelrichter (vgl. Zöller/Gummer, 26. Aufl. 2007, Rdnr. 2 zu § 568 ZPO) erlassen worden ist, hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat zu Recht mit zutreffenden Argumenten die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Ermangelung der gemäß § 114 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung versagt, weil der nunmehr 28jährige Antragsteller nicht substantiiert dargelegt hat, dass die Voraussetzungen des im Sinne der §§ 1601 ff. BGB geltend gemachten Unterhaltsanspruches wegen vorgeblicher Erwerbsunfähigkeit gegen den Antragsgegner als seinen Vater vorliegen (1). Selbst unter der Annahme des für den Antragsteller günstigsten Falls, dass er tatsächlich erwerbsunfähig sein sollte, wäre der geltend gemachte Anspruch gegen den Antragsgegner nicht gegeben, weil der Antragsteller in diesem Fall vorrangige Sozialleistungen in Anspruch nehmen könnte und müsste (2).

Gemäß § 1602 Abs. 1 BGB trifft ein volljähriges Kind, das sich wie der Antragsteller in keiner Berufsausbildung befindet, eine Erwerbsobliegenheit, weil ein solches volljähriges Kind grundsätzlich selbst für seinen Lebensunterhalt aufzukommen hat. Dabei ist ein volljähriges Kind zunächst auf die Verwertung seiner eigenen Arbeitskraft zu verweisen. Anstrengungen des Antragstellers, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, sind indes nicht vorgetragen worden.

Abgesehen davon können volljährige Kinder u. a. dann weiterhin unterhaltsberechtigt sein, wenn sie - etwa aufgrund einer Behinderung - außer Stande sind, sich selbst zu unterhalten (vgl. zum Ganzen Diederichsen, in: Palandt, Rdnr. 5 ff. zu § 1602 BGB).

1.

Auch wenn kein Zweifel daran besteht, dass der Antragsteller seit vielen Jahren erheblich erkrankt ist, lässt sich daraus nicht ohne Weiteres schließen, dass er auch erwerbsunfähig ist. Dies ergibt sich auch nicht aus den zwischenzeitlich vorgelegten umfangreichen ärztlichen Attesten, Gutachten und Stellungnahmen aus den vergangenen Jahren, die keine primären Rückschlüsse auf die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers zulassen, weil sie sich hierzu nicht verhalten, auch wenn der Antragsteller ausweislich des Bescheides des Versorgungsamtes Dortmund vom 14. August 2002, Az.: 517435192157-4-37, über einen Grad der Behinderung von 60 verfügt. Gerade im Gegenteil hat Dr. D. (Chefarzt und Facharzt für Innere Medizin, Sozialmedizin - Betriebsmedizin - Rehabilitationswesen - Sportmedizin - Verkehrsmedizin) vom Sozialmedizinischen Dienst der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft See - Bahn als Gutachter der Agentur für Arbeit in H. unter dem 14. Dezember 2006 festgestellt (Bl. 143 d. A.), dass der Antragsteller - mit verschiedenen Einschränkungen - in geschlossenen Räumen vollschichtig auch mittelschwere Arbeit ausführen kann.

2.

Doch selbst unter der Annahme des für den Antragsteller günstigsten Falls, dass er tatsächlich erwerbsunfähig sein sollte, hätte er nicht den geltend gemachten Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten. Denn in diesem Fall müsste der Antragsteller die für Erwerbsunfähige in den §§ 19 Abs. 2, 27 ff., 41 SGB XII vorgesehene Grundsicherung in Anspruch nehmen, die im Verhältnis zu einem vorgeblichen Unterhaltsanspruch gegen den Antragsgegner jedenfalls vorrangig wäre. Die Verpflichtung zur vorrangigen Inanspruchnahme von Leistungen zur Grundsicherung ergibt sich daraus, dass diese Grundsicherung dem Berechtigten auf Dauer eine würdige und unabhängige Existenz sichert. Es entspricht in Anbetracht der Unterhaltsleistungen, die die Eltern einem erwerbsunfähigen Kind bereits bis zu dessen Volljährigkeit und gegebenenfalls darüber hinaus erbringen, der allgemeinen Pflicht zur Rücksichtnahme und Loyalität, wenn das volljährige Kind darauf verwiesen wird, vorrangig die Grundsicherung in Anspruch zu nehmen (vgl. OLG Hamm, NJW 2004, 1604, 1604; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 10. Aufl. 2008, Rdnr. 651, Seite 219). Um einem erwerbsunfähigen volljährigen Kind eine würdige und seinen Eltern gegenüber unabhängige Existenz zu sichern, bestimmen deshalb auch die §§ 43 Abs. 2, 94 Abs. I Satz 3 SGB XII, dass u. a. Unterhaltsansprüche der die Grundsicherung in Anspruch nehmenden Kinder gegenüber ihren Eltern unberücksichtigt bleiben und solche Ansprüche deshalb auch nicht auf den Träger der Sozialhilfe übergehen, jedenfalls sofern deren jährliches Gesamteinkommen unter einem Betrag von 100.000,-- € liegt, wobei vermutet wird, dass das Einkommen die genannte Grenze nicht überschreitet.

Da dem Antragsteller aus diesen Gründen ein Unterhaltsanspruch gegen den Antragsgegner unter Zugrundelegung des derzeitigen Sach- und Streitstandes nicht zusteht, hat er auch keinen - vorgeschalteten - Auskunftsanspruch im Rahmen der angekündigten Stufenklage gegen den Antragsgegner.

Ende der Entscheidung

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