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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 16.09.2008
Aktenzeichen: 6 U 105/08 (PKH)
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 194
BGB § 195
BGB § 198 a. F.
BGB §§ 2147 ff
1. Auf erbrechtliche Vorgänge, hier ein testamentarisches Vermächtnis aus dem Jahre 1965, ist das Recht der DDR anzuwenden (Art. 220 Abs. 1 EGBGB , Art. 3 ff, 7 ff EGBGB a. F.), wenn der Erblasser Bürger der DDR war, sich in der DDR aufgehalten hat oder seinen letzten Wohnsitz in der DDR hatte.

2. Ist der Erblasser in der DDR vor dem Inkrafttreten des ZGB der DDR (1. Januar 1976) verstorben, ist das Erbrecht des 5. Buches des BGB anwendbar, jedenfalls gelten die Bestimmungen über das Vermächtnis nach §§ 2147 ff BGB.

3. Der Beginn der Verjährung und die Verjährungsfrist des Vermächtnisanspruchs richten sich nach §§ 194, 195, 198 BGB a. F.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

6 U 105/08 (PKH) OLG Naumburg

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Harbou, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Otparlik und den Richter am Amtsgericht Scholz

am 16. September 2008

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin, ihr für die Berufung gegen das am 15. Juli 2008 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg - Einzelrichter - Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt aus einem Vermächtnis die Auflassung von zwei Grundstücken, als deren Eigentümer der Beklagte im Grundbuch eingetragen ist. Der Beklagte verweigert die Erfüllung des Vermächtnisses, weil der Anspruch der Klägerin verjährt sei.

Unter dem 30. Juli 1965 errichtete der am 24. Dezember 1893 geborene F. I. mit seiner Ehefrau vor dem Staatlichen Notariat O. das gemeinschaftliche Testament. Darin verfügten sie letztwillig, dass ihr Sohn, der Beklagte, und dessen Ehefrau zu gleichen Teilen Erben sein sollten. Der Erblasser wandte seiner Enkelin, der am 20. Oktober 1948 geborenen Klägerin, zwei Grundstücke als Vermächtnis zu. Außerdem bestimmten der Erblasser und seine Ehefrau, dass die Klägerin verschiedene Hausratsgegenstände als Vermächtnis bekommen sollte.

Der Erblasser ist am 5. November 1967 in K. , seinem letzten Wohnsitz, verstorben. Das ergibt sich aus der vom Staatlichen Notariat unter dem 12. Dezember 1967 beurkundeten Testamentseröffnung.

Der Beklagte ist nach dem Tode der Ehegattin des Erblassers, seiner Mutter, am 16. Februar 2004 als Eigentümer der beiden im Testament vom 30. Juli 1965 bezeichneten Grundstücke eingetragen worden.

In der beim Landgericht am 7. Februar 2008 eingegangen Klageschrift hat die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihr die beiden (in der Klageschrift näher bezeichneten) Grundstücke aufzulassen und die Eintragung im Grundbuch zu bewilligen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bringt wie schon in seinem vorgerichtlichen Anwaltsschreiben vom 7. Dezember 2007 vor, dass der Vermächtnisanspruch der Klägerin verjährt sei.

Die 9. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg hat durch den Einzelrichter die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe gegen den Beklagten keinen durchsetzbaren Anspruch auf Erfüllung des Vermächtnisses, weil der Beklagte die Leistung wegen Eintritts der Verjährung verweigern könne. Die Verjährung habe am 6. November 1967 begonnen. Die Verjährungsfrist sei mit dem 5. November 1997 abgelaufen; denn der Anspruch aus dem Vermächtnis habe der 30jährigen Verjährungsfrist unterlegen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil vom 15. Juli 2008 Bezug genommen.

Das Urteil ist der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 21. Juli 2008 zugestellt worden. Der Antrag der Klägerin, ihr für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, ist im Oberlandesgericht Naumburg am 21. August 2008 zusammen mit dem Entwurf einer Berufungsbegründung eingegangen.

II.

1. Der Klägerin ist die beantragte Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren zu versagen; denn die beabsichtigte Berufung der Klägerin hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Rechtsverfolgung der Klägerin erscheint als mutwillig. Eine Prozesspartei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, erhält gem. § 114 Satz 1 ZPO nur dann Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Beides ist hier nicht der Fall.

2. Durch das Urteil vom 15. Juli 2008 hat der Einzelrichter den Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Erfüllung des testamentarischen Vermächtnisses vom 30. Juli 1965 mit zutreffender Begründung abgelehnt. Durch das der Klägerin aufgrund des notariellen Testaments vom 30. Juli 1965 wirksam zugewendeten Vermächtnis war die Klägerin gem. § 2174 BGB zwar berechtigt, vom Beklagten als dem mit dem Vermächtnis beschwerten Erben die Leistung der vermachten Gegenstände, hier der beiden Grundstücke, zu fordern. Aber der Richter hat im Ergebnis rechtlich zutreffend festgestellt, dass der Beklagte nach § 222 Abs. 1 BGB a. F. (im Urteil wird der in der Rechtsfolge gleichlautende § 214 Abs. 1 BGB n. F. zitiert) berechtigt ist, die Leistung wegen Vollendung der Verjährung zu verweigern.

3. Ergänzend ist zur Rechtslage auszuführen, dass zur Lösung des vorliegenden Falles das Recht der DDR anzuwenden ist.

4. Nach Art. 220 Abs. 1 EGBGB bleibt auf vor dem 1. September 1986 abgeschlossene Vorgänge das bisherige Internationale Privatrecht anwendbar. Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 25. Juli 1986 zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vertraten Rechtsprechung und Lehre überwiegend die Auffassung, dass im innerdeutschen Kollisionsrecht die Grundsätze der Art. 7 ff. EGBGB a. F. mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden seien, dass statt an die Staatsangehörigkeit an den gewöhnlichen Aufenthalt der Person, auf die sich der Rechtsvorgang bezog, anzuknüpfen sei (vgl. Palandt/Lauterbach, BGB, 30. Aufl. 1971, Vorbemerkung vor § 7 EGBGB Anmerkung 14 c). Durch den Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 21. Dezember 1972 (BGBl. II 1973, Seite 421) hat sich daran nichts geändert. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 25. Juli 1986 zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts am 1. September 1986 ist das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch neu gefasst worden. Das Internationale Privatrecht ist durch die Art. 3 ff. EGBGB geregelt worden. Der Gesetzgeber hat allerdings seinerzeit bei der Neufassung des deutschen Kollisionsrechts auf Bestimmungen verzichtet, die das anzuwendende Recht für innerdeutsche Sachverhalte regelten. Vielmehr hat es der Gesetzgeber der Praxis überlassen, die bisher entwickelten Lösungen in entsprechender Anwendung der Grundsätze des Internationalen Privatrechtes auch bei der Beurteilung deutsch-deutscher Kollisionsrechtsfragen fortzuführen. Da der Erblasser am 5. November 1967 verstorben ist, hat sich der Erbfall vor dem 1. September 1986 ereignet. Auf diesen Vorgang bleibt also nach Art. 220 Abs. 1 EGBGB das bisherige Internationale Privatrecht entsprechend anwendbar.

5. Die Streitfrage, ob nach den Artikeln 24 und 25 EGBGB a. F. und dem daraus hergeleiteten allgemeinen Grundsatz in Erbrechtsfällen an das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes, die Staatsangehörigkeit oder die effektive Staatsangehörigkeit des Erblassers anzuknüpfen war, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn in jedem Fall führt die Anwendung immer zum selben Ergebnis, nämlich zur Anwendung des Erbrechts der DDR. Der Erblasser war ausweislich der Verhandlung vor dem Staatlichen Notariat am 30. Juli 1965 Bürger der DDR, er hielt sich in der DDR, nämlich in K. auf. Dieser Aufenthaltsort war auch sein letzter Wohnsitz.

6. Am 1. Januar 1976 ist in der DDR das Gesetz über die Anwendung des Rechtes auf internationale zivil-, familien- und arbeitsrechtliche Beziehungen sowie auf internationale Wirtschaftsverträge - Rechtanwendungsgesetz - vom 5. Dezember 1975 (GBl. I Nr. 46 Seite 748) in Kraft getreten. Das Rechtsanwendungsgesetz ist also nach dem hier zu beurteilenden Erbfall in Kraft getreten. Ob oder welche zeitlichen Auswirkungen die Änderung einer "ausländischen" Kollisionsregelung hat, ist nicht nach dem bundesdeutschen intertemporalen Recht, sondern nach dem ausländischen Recht zu entscheiden. Dieser Grundsatz ist in innerdeutschen Fällen entsprechend anzuwenden. Es kommt für die Entscheidung der Frage also darauf an, welches internationale Privatrecht der DDR intertemporal Anwendung findet, ob also das Rechtsanwendungsgesetz nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts der DDR nur für die seit dem Inkrafttreten des Rechtsanwendungsgesetz eingetretenen Erbfälle oder ob es rückwirkend anwendbar sein will. Nach § 8 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik bestimmt sich die Regelung erbrechtlicher Verhältnisse nach dem vor Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches der DDR geltenden Recht, wenn der Erbfall vor diesem Zeitpunkt eingetreten ist. Diese Norm bezieht sich zwar unmittelbar nur auf das materielle Erbrecht. Nach ihrem Sinn und Zweck ist sie jedoch auch auf die erbrechtlichen Kollisionsnormen entsprechend anzuwenden. Da sowohl das Rechtsanwendungsgesetz als auch das ZGB der DDR am 1. Januar 1976 in Kraft getreten sind (vgl. § 1 EGZGB der DDR und § 29 Rechtsanwendungsgesetz) findet das Rechtsanwendungsgesetz auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Hier ist also mangels Rückverweisung das Erbrecht der DDR anzuwenden.

7. Am 5. November 1967, also dem Todestag des Erblasers, galt in der DDR das Erbrecht des 5. Buches des BGB. Diese Bestimmungen sind vom DDR-Gesetzgeber insoweit anerkannt worden, als sie nicht den Grundsätzen der DDR-Verfassung widersprachen. Das Ministerium der Justiz der DDR hat in den Jahren 1956 und 1962 Textausgaben des BGB herausgegeben. In diesen Ausgaben sind als "gegenstandslos" oder "aufgehoben" folgende Bestimmungen genannt worden: Im 5. Buch des BGB die §§ 1933, 1936 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, 1962, 2008, 2054, 2077 Abs. 1 Satz 2, 2117 Satz 2, 2331 sowie Teile des § 2335 und einige Bestimmungen des Testamentsgesetzes. Die Bestimmungen des BGB über das Vermächtnis nach den §§ 2147 ff. BGB haben also in der DDR bis zum 31. Dezember 1975 unverändert fortgegolten.

8. Das durch das Vermächtnis dem Bedachten gegen den Beschwerten gem. § 2174 BGB verschaffte Forderungsrecht, der Vermächtnisanspruch, verjährt nach den allgemeinen Bestimmungen in §§ 194, 195 BGB a. F. nach 30 Jahren (vgl. Palandt/Keidel, BGB, 30. Aufl. 1971, § 2174 Anmerkung 2 b dd; vgl. auch Palandt/Edenhofer, BGB, 61. Aufl. 2002, § 2174 Rn. 1). Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Anfall des Vermächtnisses; denn die Verjährung beginnt nach § 198 Satz 1 BGB mit der Entstehung des Anspruchs. Die Forderung des Vermächtnisnehmers entsteht gem. § 2176 BGB mit dem Erbfall (Anfall des Vermächtnisses). Der Anfall des Vermächtnisses erfolgt also wie der Anfall der Erbschaft unmittelbar mit dem Tod des Erblassers. Die Forderung des Vermächtnisnehmers wird mit dem Erbfall existent (vgl. Palandt/Edenhofer, aaO, § 2176 Rn. 1). Der regelmäßige Verjährungsbeginn nach §§ 198, 2176 BGB a. F. hängt jedoch nicht davon ab, dass der Berechtigte vom Bestehen des Anspruches Kenntnis hat oder haben konnte (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl. 2002, § 198 Rn. 2).

9. Demnach hat der Einzelrichter im Urteil vom 15. Juli 2008 rechtlich einwandfrei ausgeführt, dass der Anfall des Vermächtnisses mit dem Erbfall am 5. November 1967 eingetreten ist. Mit dem 5. November 1997 war die Verjährung vollendet, weil die 30jährige Verjährungsfrist abgelaufen war. Die verjährungsrechtlichen Neuregelungen in Art. 229 § 6 EGBGB beanspruchen keine Rückwirkung. Es bleibt bei dem Grundsatz, dass auf die vor dem 1. Januar 2002 bereits verjährten Ansprüche ausschließlich das BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung anzuwenden ist.

10. Es ist mit der in dem Urteil vom 15. Juli 2008 vertretenen Auffassung davon auszugehen, dass die Verjährung des Vermächtnisanspruches nicht deshalb gehemmt war, weil die Klägerin ihre Ansprüche in der DDR nicht hätte geltend machen können. Davon kann unter den gegebenen Umständen und nach dem vorgetragenen Sachverhalt keine Rede sein. Aber selbst wenn die Klägerin aus irgend welchen bislang nicht vorgetragenen politischen Motiven gehindert gewesen sein sollte, ihren Vermächtnisanspruch in der DDR geltend zu machen, wäre sie nach dem Wirksamwerden des Beitrittes ab 3. Oktober 1990 ohne Weiteres in der Lage gewesen, die ihr durch das notarielle Testament vermachten Gegenstände gem. § 2174 BGB zu fordern.

Ende der Entscheidung

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