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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 12.09.2001
Aktenzeichen: 6 U 229/00
Rechtsgebiete: ZPO, GesO


Vorschriften:

ZPO § 711
ZPO § 713
ZPO § 269
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 270 Abs. 3
ZPO § 261 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 269 Abs. 3 Satz 3
ZPO § 546 Abs. 2 Satz 1
GesO § 10 Abs. 2
GesO § 10 Abs. 1 Nr. 1
GesO § 10 Abs. 1 Nr. 2
Die prozessuale Erledigung der Hauptsache kann auch schon dann eintreten, wenn das den Klageanspruch materiell-rechtlich erledigende Ereignis zwischen Anhängigkeit der Klage und Rechtshängigkeit der Streitsache eintritt ("weiter Erledigungsbegriff").

Diese Auffassung stützt der Senat auch auf den durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I Seite 1887) geänderten § 269 ZPO. § 269 ZPO Abs. 3 Satz 3 ZPO lautet: Ist der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und wird die Klage daraufhin unverzüglich zurückgenommen, so bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 U 229/00 OLG Naumburg

verkündet am: 12.09.2001

In dem Rechtsstreit

wegen Feststellung der Erledigung

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Harbou, die Richterin am Oberlandesgericht Joost und den Richter am Oberlandesgericht Rüge auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 8. November 2000 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichtes Magdeburg - 5 O 3046/99 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer des Beklagten übersteigt DM 60.000,00 nicht.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Das Landgericht hat die - auf Feststellung der Erledigung des Rechtsstreites geänderte - Klage zu Unrecht abgewiesen. Es hat übersehen, dass durch den Rückabtretungsvertrag der Parteien vom 13. März 2000 der Klageanspruch auf Rückabtretung erledigt worden ist, obwohl die Streitsache noch nicht rechtshängig geworden war.

1. Zutreffend hat das Landgericht indes erkannt, dass die Rechtshängigkeit im Streitfall erst mit Zustellung der Klage am 4. Juli 2000 eingetreten ist. Die direkte oder analoge Anwendung des § 270 Abs. 3 ZPO scheidet aus. Nach dieser Vorschrift tritt die Wirkung der Zustellung bereits mit der Einreichung der Klage ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt und durch die Zustellung eine Frist gewahrt oder die Verjährung unterbrochen werden soll. Die Wirkung der Zustellung ist nach § 261 Abs. 1 ZPO die Rechtshängigkeit der Streitsache. Die Norm betrifft mithin die materiell-rechtlichen Wirkungen der Rechtshängigkeit (§ 262 ZPO), soweit hierdurch die Verjährung unterbrochen oder Fristen gewahrt werden sollen. Fristen im Sinne des § 270 Abs. 3 ZPO sind alle materiellen oder prozessualen Fristen, insbesondere Ausschluss- und Notfristen, deren Ablauf durch Klageerhebung unterbrochen wird (etwa Verjährungs-, Klage- oder Anfechtungsfristen nach dem Anfechtungsgesetz siehe Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 270 Rn 12). Die Norm will dem Kläger das Verzögerungsrisiko der außerhalb seiner Einflusssphäre liegenden Amtszustellung abnehmen. § 270 Abs. 3 ZPO gilt deshalb nicht für Fristen, für deren Einhaltung nicht die Klage, sondern der Zugang einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung (§ 130 BGB) entscheidend ist (Greger aaO). Im Streitfall bewirkte § 270 Abs. 3 ZPO lediglich die Wahrung der Anfechtungsfrist des § 10 Abs. 2 GesO, die nur durch Klageerhebung geschehen kann (vgl. unten Ziffer 3. a).

Die Vorschrift betrifft also nur die fristwahrenden oder verjährungsunterbrechenden Wirkungen der Rechtshängigkeit, nicht die Rechtshängigkeit selbst als Wirkung der Zustellung. Diese tritt gesetzlich mit der Zustellung ein, Fristen sind davon hinsichtlich der Erledigung des Rechtsstreites nicht betroffen. Für die vom Kläger reklamierte analoge Anwendung der Vorschrift ist deshalb schon im Ansatz kein Raum.

2. Der Rechtsstreit ist indes in der Hauptsache durch die Rückabtretung des Beklagten vom 13. März 2000, vom Kläger genehmigt am 21. Juni 2000, erledigt worden, weil die Klage bereits anhängig war. Der Rechtshängigkeit der Streitsache bedurfte es dafür nicht.

a) Das Landgericht hat mit der herrschenden Meinung (vgl. die Nachweise bei Vollkommer in Zöller, ZPO, 22. Aufl., § 91 a Rn. 40) angenommen, eine Erledigung des Rechtsstreites könne nicht vor Rechtshängigkeit der Klage eintreten. Im Fall der Erledigung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit bleibe nur die Klagerücknahme oder die Umstellung der Klage auf Zahlung der Verfahrenskosten.

b) Der Senat teilt diese Ansicht nicht. Vielmehr kann entsprechend der von Vollkommer in Zöller, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 91a Rn. 41 und 42 überzeugend dargestellten und begründeten Gegenansicht die prozessuale Erledigung der Hauptsache auch schon dann eintreten, wenn das den Klageanspruch materiell-rechtlich erledigende Ereignis zwischen Anhängigkeit der Klage und Rechtshängigkeit der Streitsache eintritt ("weiter Erledigungsbegriff"). Die Anhängigkeit der Klage bei Gericht erfolgt durch Klageeinreichung, während die Rechtshängigkeit der Streitsache die Klage bei Gericht durch Zustellung der eingereichten Klageschrift an den Beklagten bewirkt wird (§ 261 Abs. 1 ZPO; vgl. zum Ganzen in Zöller/Greger, a.a.O., § 253 Rn. 4). Das Kammergericht hat mit überzeugender Begründung die materielle Kostenerstattungspflicht des Beklagten in Fällen dieser Art "aus vordringlichen Gründen der Prozessökonomie" bejaht (siehe KG in OLGZ 1980, 241, 242-243). Auch in der Literatur ist schon vor geraumer Zeit die im Vordringen begriffene Auffassung mit diesem Argument unterstützt worden (vgl. Jürgen Blomeyer NJW 1982, 2750, 2753). In der neueren Rechtsprechung wird es fortgeführt (vgl. OLG Hamm FamRZ 1993, 1343, 1344). Diesen Argumenten entspricht auch der durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I Seite 1887) geänderte § 269 ZPO. In § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO heißt es:

"Ist der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und wird die Klage daraufhin unverzüglich zurückgenommen, so bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen."

Der weite Erledigungsbegriff berücksichtigt, dass der Kläger mit Klageeinreichung und Kostenvorauszahlung das ihm Zumutbare getan hat, um die die Rechtshängigkeit des Verfahrens auslösende Zustellung der Klageschrift zu bewirken. Er hat keinen weiteren Einfluss auf Art und Zeitpunkt der vom Amts wegen (§ 270 Abs. 1 ZPO) und unverzüglich (§ 271 Abs. 1 ZPO) vorzunehmenden Zustellung der Klageschrift an den Beklagten. Der Zustellungszeitpunkt hängt aus seiner Sicht gewissermaßen vom Zufall ab. Verzögerungen kann er nicht wirksam entgegentreten, obwohl sie sich nach der herrschenden Meinung für ihn nachteilig auswirken können.

c) Das Bedürfnis, dieser Gefahr vorzubeugen, verdeutlicht der vorliegende Rechtsstreit. Hier hatte sich die Zustellung der Klageschrift seit der Kostenvorauszahlung des Klägers am 26. November 1999 um mehr als sieben Monate verzögert, ohne dass dafür ein für den Kläger nachvollziehbarer Grund bestand. Andererseits konnte der Kläger die spätere Erfüllung des Beklagten nicht mehr bei der Disposition über die Klageeinreichung berücksichtigen. Die kostenrechtlichen Wirkungen der Klageeinreichung waren nun einmal eingetreten. Dass ihm als Gläubiger dieser von ihm nicht zu vertretende Umstand gegenüber dem säumigen Schuldner zum Nachteil gereichen soll, ist nicht einzusehen.

3. Die Rückabtretungserklärung des Beklagten vom 13. März 2000 hat den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, weil sie - nach Genehmigung des Klägers am 21. Juni 2000 - die ursprünglich begründete Klage auf Rückabtretung durch Erfüllung (§ 362 BGB) gegenstandslos machte. Der Kläger hätte mit seiner Klage ohne die freiwillige Rückabtretung des Beklagten obsiegt, weil ihm nach der Anfechtungserklärung des anfechtbaren Kauf- und Abtretungsvertrages des Beklagten und der Gemeinschuldnerin vom 22. September 1997 ein Rückgewähranspruch zustand, der inhaltlich auf Rückabtretung der Geschäftsanteile ging.

a) Der Kläger hat die Anfechtung der Erklärung der Gemeinschuldnerin zur Abtretung des Geschäftsanteils an der P. GmbH (künftig: P.) vom 22. September 1997 form- und fristgerecht und deshalb wirksam erklärt. Sie ist in der Klageschrift ausgesprochen und damit - wie nötig - durch Anfechtungsklage vorgenommen worden. Die Anfechtungsfrist des § 10 Abs. 2 GesO von einem Jahr seit Eröffnung der Gesamtvollstreckung (hier 20. November 1997) ist gewahrt worden, nachdem der Kläger am 10. November 1999 die Klage bei Gericht eingereicht und sogleich nach Vorschussanforderung des Gerichtes vom 11. November 1999 am 18. November 1999 den angeforderten Gebührenvorschuss überwiesen hatt, der dem Konto des Klägers am 26. November 1999 lastgeschrieben wurde. Damit hat der Kläger das ihm Zumutbare zur rechtzeitigen Bewirkung der Zustellung getan. Die Zustellung ist deshalb - bezogen auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Anfechtungsfrist (20. November 1999) noch "demnächst" im Sinne des § 270 Abs. 3 ZPO erfolgt, was gemäß dieser Vorschrift die Wahrung der Anfechtungsfrist bewirkte (vgl. BGHR DDR-GesO § 10 Abs. 2, Fristwahrung 1).

b) [1] Die Erklärung der späteren Gemeinschuldnerin vom 22. September 1997 war bereits gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 GesO anfechtbar. Nach dieser Vorschrift kann der Verwalter Rechtshandlungen der Gemeinschuldnerin anfechten, wenn sie in der Absicht vorgenommen wurden, die Gläubiger zu benachteiligen und dem Dritten (hier dem Beklagten) diese Absicht bekannt war. Die Gemeinschuldnerin hat dem Beklagten, einem der Gesellschafter und Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin, am 22. September 1997, zwei Monate vor Eröffnung der Gesamtvollstreckung und wenige Tage vor Antragstellung durch die Gesellschaftsgläubigerin R. GmbH & Co. KG am 30. September 1997, 1/4 ihrer Beteiligung an der P. zum Kaufpreis von DM 12.500,00 übertragen, ohne dafür zum Kaufzeitpunkt oder danach einen Gegenwert zu erhalten. Auf den Kaufpreis hat der Beklagte nichts gezahlt. Den Bestand von fälligen Zinsforderungen gegen die Gemeinschuldnerin in dieser Höhe als vertraglich vorgesehenen Verrechnungsgegenstand mit dem Kaufpreis hat der Beklagte nicht behauptet. Zu diesem Zeitpunkt war die Gemeinschuldnerin, wie der Kläger unbestritten vorträgt, bereits weitgehend zahlungsunfähig. Die in solcher Situation ohne Kaufpreiseinnahme vorgenommene Abtretung des Geschäftsanteils an der P. bedeutete eine Rechtshandlung mit inkongruenter Deckung, das heißt, der Vermögensentäußerung der Gemeinschuldnerin stand keine adäquate Vermögenszufuhr gegenüber, wodurch das den Gläubigern zur Begleichung ihrer Forderungen zur Verfügung stehende Gesellschaftsvermögen unmittelbar geschädigt wurde und die Gläubiger benachteiligt wurden, deren Forderungen durch den Verwalter nur zu einer Quote von 3,21 % befriedigt werden konnten.

Eine solche inkongruente Deckung, die die Gemeinschuldnerin dem Beklagten gewährte, ist Indiz für die Gläubigerbenachteiligungsabsicht der Gemeinschuldnerin gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 GesO (st. Rspr.: BGHR DDR-GesO § 10 Abs. 1 Nr. 1, Benachteiligungsabsicht 3, 4 und 5, 7 und 8; BGH, ZIP 1997, 513). Entlastende Umstände enthält der Tatsachenvortrag des Beklagten nicht. Seine Kenntnis dieser Benachteiligungsabsicht folgt unmittelbar aus seiner Stellung als Gesellschafter-Geschäftsführer, in der er für die Gemeinschuldnerin die angefochtene Erklärung abgegeben hat (vgl. Notarvertrag, GA 12)

[2] Diese Rechtshandlung der Gemeinschuldnerin war auch nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 GesO anfechtbar. Nach dieser Vorschrift sind Rechtshandlungen der Gemeinschuldnerin anfechtbar, wenn durch sie im letzten Jahr vor der Eröffnung der Gesamtvollstreckung zum Nachteil der Gläubiger entgeltliche Leistungen an der Gemeinschuldnerin nahe stehende Personen erbracht worden sind, sofern diese nicht beweisen, dass ihnen die Absicht der Benachteiligung nicht bekannt war. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Beklagte stand der Gemeinschuldnerin als ihr Gesellschafter und Geschäftsführer so nahe wie es nur geht. Die Benachteiligung der Gläubiger durch die Abtretung des Geschäftsanteils der Gemeinschuldnerin an der P. an den Beklagten ist unter Nr. [1] ausgeführt worden. Entlastende Umstände sind nicht vorgebracht.

[3] Der Beklagte hat den auf § 10 Abs. 1 Nrn. 1 uns 2 GesO gestützten Rückgewähranspruch des Beklagten durch die freiwillige Rückabtretung auch gewissermaßen anerkannt.

c) Die erfolgreiche Anfechtung verschaffte dem Kläger einen Rückgewähranspruch der durch die angefochtene Rechtshandlung dem Beklagten zugeflossenen Leistung, die inhaltlich auf Rückabtretung des Geschäftsanteils an den Kläger zur Masse gerichtet war. Diesen Anspruch hat der Beklagte erfüllt. Damit hat er dem bis dahin berechtigten Klagebegehren die Grundlage entzogen und den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Das war auf den geänderten Antrag des Klägers festzustellen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO; die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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