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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 19.09.2001
Aktenzeichen: 8 Wx 18/01
Rechtsgebiete: BGB, FGG, ZPO


Vorschriften:

BGB §§ 1896 ff.
BGB § 1906
FGG § 15 Abs. 1
FGG § 68 Abs. 1
FGG § 70 e Abs. 1
FGG § 67 Abs. 1 Nr. 2
FGG § 68 Abs. 1 Satz 1
FGG § 68 g Abs. 5 Satz 3
ZPO §§ 358 ff.
ZPO § 411 Abs. 3
ZPO § 404 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 404 Abs. 1 Satz 3
Grundsätzlich ist der Betroffene vor Bestellung eines Betreuers persönlich zu hören. Die Anhörung in einem sogen. Folgeverfahren ersetzt nicht diese notwendige Anhörung.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

8 Wx 18/01 OLG Naumburg

In dem Betreuungsverfahren

Tenor:

Auf die - weitere - Beschwerde des Verfahrenspflegers der Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Dessau vom 12. Juli 2001 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Beschwerdewert beträgt DM 5.000,--.

Gründe:

I.

1. Mit Beschluss des Amtsgerichts - Vormundschaftsgerichts - Köthen vom 24. März 2000 wurde der am 08. Juli 1964 geborenen Betroffenen ein Betreuer bestellt (§ 1897 BGB; Bl. 9 d.A.). Zuvor hatte das Amtsgericht ein schriftliches nervenärztliches Gutachten eingeholt, das der Betroffenen eine paranoid halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis bescheinigt hat.

Mit weiterem Beschluss vom 05. April 2000 wurde der Aufgabenkreis des Betreuers auf die Entgegennahme und das Öffnen der Post erstreckt (Bl. 21 d.A.).

Die Betroffene wurde jeweils nicht angehört. Auch ein Verfahrenspfleger wurde ihr nicht bestellt. Außerdem wurden die Beschlüsse der Betroffenen nicht bekannt gemacht, weil die Post zurückging, da der Briefkasten der Betroffenen nicht geleert worden ist (Bl. 20, 21, 22a, 24 d.A.).

2. Mit Beschluss vom 09. Juni 2000 erteilte das Amtsgericht die Genehmigung zur Kündigung und Auflösung der Zweitwohnung der Betroffenen in Berlin (§ 1907 BGB; Bl. 29 d.A.).

Mit weiterem Beschluss vom 28. September 2000 wurde die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses für drei Monate genehmigt (§ 1906 Abs. 1 Nrn. 1, 2 BGB; Bl. 34 f. d.A.). Gleichzeitig wurde ihr ein Verfahrenspfleger bestellt (Bl. 33 d.A.). Zuvor hatte das Amtsgericht eine schriftliche Stellungnahme eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie eingeholt und - erstmals - die Betroffene angehört. Dagegen wurde der - erst am 28. September 2000 bestellte - Verfahrenspfleger nicht gehört (Bl. 39 f. d.A.).

Die verspätet eingelegte sofortige Beschwerde der Betroffenen (Bl. 101 f. d.A.) verwarf das Landgericht - ohne Anhörung der Beteiligten - mit Beschluss vom 22. November 2000 als unzulässig (Bl. 104 ff. d.A.).

Anschließend verlängerte das Amtsgericht mit Beschluss vom 07. Dezember 2000 die Genehmigung der Unterbringung auf ein Jahr, beginnend mit dem 28. September 2000 (Bl. 124 d.A.). Zuvor hatte das Amtsgericht eine schriftliche Stellungnahme von Ärzten eines Fachkrankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie eingeholt. Die Anhörung der Betroffenen unterblieb, weil eine der Sachverständigen, die das schriftliche Gutachten erstattet hatten, wissen ließ, eine Anhörung gefährde den Behandlungserfolg (Bl. 123 R, 128 d.A.). Auch ein Verfahrenspfleger wurde nicht bestellt.

Die sofortige Beschwerde der Betroffenen wies das Landgericht - nachdem es am 17. Januar 2001 die Betroffene, den im Vorverfahren bestellten Verfahrenspfleger und eine Fachärztin des Fachkrankenhauses angehört hatte (Bl. 152 f. d.A.), die ein ergänzendes schriftliches Gutachten erstattet hatte (Bl. 147 ff. d.A.) - mit Beschluss vom 22. Februar 2001 als unbegründet zurück (Bl. 163 ff. d.A.). Der Betreuer hatte zuvor auf seine Anhörung verzichtet (Bl. 162 d.A.).

3. Unter dem 28. März 2001 legte der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen gegen die Bestellung des Betreuers Beschwerde ein (Bl. 173 d.A.). Mit Beschluss vom 16. Mai 2001 bestellte das Landgericht den Verfahrensbevollmächtigten zum Verfahrenpfleger der Betroffenen (Bl. 179 f. d.A.) und wies seine Beschwerde - nach Gewährung rechtlichen Gehörs (Bl. 182 R d.A.) - auf Grund eines ergänzenden schriftlichen Gutachtens von Ärzten des Fachkrankenhauses (Bl. 183 f. d.A.) mit Beschluss vom 12. Juli 2001 als unbegründet zurück, weil die Voraussetzungen für die Betreuerbestellung (§ 1896 BGB) noch vorlägen (Bl. 188 ff. d.A.). Die Betroffene wurde unter Bezugnahme auf § 69 g Abs. 5 Satz 3 FGG nicht gehört.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Verfahrenspfleger mit der weiteren Beschwerde, mit der er auf ein Schreiben der Betroffenen verweist, in dem diese die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt (Bl. 206 ff. d.A.).

II.

1. Das Rechtsmittel des Verfahrenspflegers (§ 67 Abs. 1, 2 FGG) gegen die Entscheidung des Landgerichts (§ 19 Abs. 2, § 69 g Abs. 1 FGG) ist als - weitere - Beschwerde zulässig (§ 27 Abs. 1 Satz 1, § 28 Abs. 1 FGG) und begründet, da das Beschwerdegericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht verfahrensfehlerfrei ermittelt hat (§ 12 FGG):

a) Die Betroffene wendet sich gegen die Bestellung des Betreuers, die mit Beschluss des Amtsgerichts vom 24. März 2000 erfolgt ist (§§ 1896 ff. BGB). Das betreffende Verfahren hat einen anderen Gegenstand als die Verfahren, in denen die Unterbringung der Betroffenen genehmigt (Beschluss vom 28. September 2000) und die Genehmigung verlängert worden ist (Beschluss vom 17. Dezember 2000; § 1906 BGB). Es ist mit jenen Verfahren nicht identisch.

b) In dem vorliegenden Verfahren, in dem es um die Betreuerbestellung geht, hat das Amtsgericht die Betroffene in verfahrensfehlerhafter Weise nicht persönlich angehört (§ 68 Abs. 1 FGG). Außerdem hat es nicht geprüft, ob der Betroffenen für dieses Verfahren ein Pfleger zu bestellen (§ 67 Abs. 1 Nr. 2 FGG) und dem Verfahrenspfleger - als gesetzlichem Vertreter der Betroffenen (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1996, 1372 f.) - rechtliches Gehör zu gewähren ist (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Amtsgericht hat die Betroffene lediglich in dem Folgeverfahren, in dem es um die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen ging (Beschluss vom 28. September 2000), gehört. Auch in jenem Verfahren wurde das rechtliche Gehör des Verfahrenspfleger allerdings nicht gewahrt, da der Pfleger erst bestellt wurde, als die Unterbringung der Betroffenen genehmigt worden ist (Beschlüsse vom 28. September 2000).

Das Landgericht hat die Bestellung des Verfahrenspflegers im vorliegenden Verfahren, das die Betreuerbestellung zum Gegenstand hat, zwar mit Beschluss vom 16. Mai 2001 nachgeholt und dem Pfleger auch rechtliches Gehör gewährt. Dies machte die persönliche Anhörung der Betroffenen aber nicht überflüssig, weil die Voraussetzungen, unter denen von einer Anhörung des Betroffenen abgesehen werden darf, im vorliegenden Fall nicht gegeben sind:

aa) Wird ein Verfahrenspfleger bestellt, darf von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen werden, wenn bei der Anhörung - nach einem ärztlichen Gutachten - erhebliche gesundheitliche Nachteile für den Betroffenen zu erwarten sind oder der Betroffene - nach dem unmittelbaren Eindruck des Gerichts - nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun (§ 67 Abs. 1 Nr. 1, § 68 Abs. 2 Nrn. 1, 2 FGG). Letzteres ist nicht ersichtlich. Und eine ärztliche Stellungnahme, nach der eine Anhörung der Betroffenen zu einer Gefährdung ihrer Gesundheit führt, wurde nicht im vorliegenden Verfahren, in dem es um die Betreuerbestellung geht, sondern nur in dem Folgeverfahren eingeholt, in dem die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen verlängert worden ist (Beschluss vom 07. Dezember 2000).

bb) Im übrigen kann von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen (§ 68 Abs. 1 Satz 1 FGG) abgesehen werden, wenn die Anhörung bereits im ersten Rechtszug durchgeführt worden ist und von ihrer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (§ 68 g Abs. 5 Satz 3 FGG). Auf diese Ausnahmebestimmung bezieht sich das Landgericht zu Unrecht. Die Anhörung der Betroffenen durch das Amtsgericht wurde nämlich nicht im vorliegenden Verfahren, in dem es um die Betreuerbestellung geht, sondern in dem Folgeverfahren durchgeführt, in dem es um die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen ging (Beschluss vom 28. September 2000). D.h., die Anhörung wurde nicht im ersten Rechtszug des vorliegenden Verfahrens durchgeführt.

cc) Die Betroffene hat auf ihr rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) auch nicht verzichtet (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler/Kayser, FGG, 14. Aufl., § 12 Rdn. 134 m.w.N.).

Hätte das Amtsgericht die Betroffene vor der Bestellung des Betreuers persönlich angehört und ihr den im vorliegenden Verfahren erlassenen Beschluss vom 24. März 2000 auch persönlich bekannt gemacht (§ 69 a Abs. 1 FGG) oder hätte das Landgericht die Anhörung im vorliegenden Verfahren wenigstens nachgeholt, hätte die Betroffene die Folgen überschauen können, die mit einem Verzicht auf das rechtliche Gehör verbunden sind. Nach Lage der Dinge kommt der Betroffenen auf rechtliches Gehör aber nicht aus dem Grunde in Betracht, weil sie sich in den Folgeverfahren, in denen es um die Genehmigung ihrer Unterbringung und die Verlängerung der Genehmigung ging, gegen die Bestellung des Betreuers nicht gewehrt hat (vgl. Keidel/Kuntze/ Winkler, a.a.O.).

Im vorliegenden Verfahren ist die persönliche Anhörung der Betroffenen fehlerhaft nicht erfolgt, und der Betroffenen wurde weder der Beschluss des Amtsgerichts vom 24. März 2000, mit dem der Betreuer bestellt wurde, noch der Beschluss vom 05. April 2000, mit dem sein Aufgabenkreis erweitert worden ist, bekannt gemacht, weil die Post ungeöffnet an das Amtsgericht zurückging.

Auch dem Protokoll über die Anhörung der Betroffenen in dem Folgeverfahren, die dem amtsgerichtlichen Beschluss vom 28. September 2000 zu Grunde liegt, lässt sich nicht entnehmen, dass die Betroffene von der Betreuerbestellung erfahren hat (Bl. 39 f. d.A.). Aus dem Beschluss, der der Betroffenen am 02. Oktober 2000 zugestellt wurde (Bl. 44 d.A.), sowie aus den weiteren ihr zugestellten Beschlüssen ist nämlich nur der Name des Betreuers ersichtlich.

Deshalb hat die Betroffene mit Schreiben vom Oktober 2000 - beim Amtsgericht Spandau - angefragt, ob es "in der Bundesrepublik Deutschland" ein Betreuungsverfahren gibt (Bl. 114 d.A.). Erst in einem Gespräch vom 15. November 2000 wurde ihr von dem Betreuer eröffnet, dass ihre Unterbringung auf seine Veranlassung zurückgeht (§ 1906 BGB). Zu diesem Zeitpunkt hatte sie - nach Auskunft des Betreuers - schon den Bezug zur Realität verloren und war der Meinung, dass von ihrer Mutter untergebracht worden ist (Bl. 159 d.A.). Daran hat sich bis zur Anhörung der Betroffenen durch das Landgericht in dem Folgeverfahren, in dem es um die Genehmigung der Unterbringung ging, nichts geändert. Noch während dieser Anhörung vom 17. Januar 2001, bei der der Betreuer nicht anwesend war, hat die Betroffene gemeint, dass sie von ihrer Mutter in die Klinik gebracht worden ist (Bl. 153 d.A.).

Ein ausdrücklicher oder konkludenter Verzicht auf rechtliches Gehör setzt voraus, dass der Betroffene die Folgen seines Verzichts zu überschauen in der Lage ist (Keidel/Kuntze/Winkler/Kayser, a.a.O., m.w.N.). Dafür besteht hier aus den genannten Gründen kein Anhaltspunkt.

2. Ergänzend weist der Senat auf folgendes hin:

a) In Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Beweiserhebung durch Sachverständige zu beachten (§ 15 Abs. 1 FGG). Danach muss das Gericht einen bestimmten Sachverständigen - und nicht etwa ein Krankenhaus, wie mit der Verfügung des Landgerichts Bl. 181 R d.A. geschehen - mit der Erstattung des Gutachtens beauftragen (§ 404 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dazu ist der Erlass eines entsprechenden Beweisbeschlusses (§§ 358 ff. ZPO) oder einer - im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zulässigen - Beweisanordnung notwendig (Keidel/Kuntze/Winkler/Schmidt, a.a.O., § 15 Rdn. 8). In Verfahren wie dem vorliegenden kommt als Sachverständiger in der Regel nur ein Arzt für Psychiatrie oder ein Arzt mit Erfahrungen auf diesem Gebiet in Betracht (§ 70 e Abs. 1 FGG).

b) Hält das Gericht die mündliche Erläuterung eines schriftlichen Gutachtens für notwendig (§ 411 Abs. 3 ZPO), will es seine Entscheidung ersichtlich nicht nur auf das - seiner Ansicht nach unvollständige - schriftliche Gutachten stützen. Vielmehr soll erst die mündliche Ergänzung des schriftlichen Gutachtens die - vollständige - Begutachtung ergeben (BGH, MDR 1978, 829, 830). Unter dieser Voraussetzung hat das Gericht den Sachverständigen, der das schriftliche Gutachten erstattet hat, mit der mündlichen Erläuterung des schriftlichen Gutachtens zu beauftragen. Bei der Ladung eines anderen Sachverständigen muss dessen Ernennung an Stelle des ursprünglich bestellten Sachverständigen (§ 404 Abs. 1 Satz 3 ZPO) und eine vollständig neue Begutachtung erfolgen. Dabei ist nicht nur dem Betroffenen, sondern auch seinem Verfahrenspfleger rechtliches Gehör zu gewähren.

3. Ob die Voraussetzungen für die Betreuerbestellung (§ 1896 BGB) letztendlich vorliegen, hat der Senat nicht zu prüfen. Die weitere Beschwerde ist ihrem Wesen nach eine Rechtsbeschwerde (§ 27 FGG), sodass die Beurteilung des Tatrichters nur daraufhin überprüft werden kann, ob er einen unbestimmten Rechtsbegriff verkannt hat, von ungenügenden oder verfahrenswidrig zu Stande gekommenen Feststellungen ausgegangen ist, wesentliche Umstände außer Acht gelassen oder gegen Denkgesetze verstoßen hat (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler/Kahl, a.a.O., § 27 Rdn. 42). Mit Rücksicht darauf war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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