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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 27.03.2001
Aktenzeichen: 9 U 211/00
Rechtsgebiete: BGB, BRAGO, ZPO


Vorschriften:

BGB § 535 S. 2
BGB § 138
BGB § 138 Abs. 2
BGB § 138 Abs. 1
BGB § 537 Abs. 1
BGB § 537
BGB § 286 Abs. 1
BGB § 254
BGB § 812
BGB § 812 Abs. 1 Alt. 1
BGB § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1
BGB § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2
BRAGO § 43
BRAGO § 43 Abs. 2
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 103 ff
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
ZPO § 546 Abs. 2
Leitsatz:

Bei gewerblicher Miete steht dem Mieter bei nicht fristgemäßer Abrechnung der Betriebskosten auch dann kein Anspruch auf Rückzahlung von geleisteten Vorauszahlungen zu, wenn der Mietvertrag beendet wurde.

OLG Naumburg, Urt vom 27.03.2001, 9 U 211/00; vorgehend LG Magdeburg, Urt vom 11.10.2000, 8 O 673/00


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 U 211/00 OLG Naumburg 8 O 673/00 LG Magdeburg

verkündet am: 27.03.2001

gez. Heidinger, JAnge als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

...

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Klier, des Richters am Oberlandesgericht Dr. Tiemann und des Richters am Landgericht Dr. Otparlik auf die mündliche Verhandlung vom 27.03.2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das am 11.10.2000 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg - 8 O 673/00 - wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Kläger übersteigt 60.000.- DM nicht.

Von der Darstellung des

Tatbestandes

wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg:

1. Die Widerklage (Bl. 55) ist zulässig:

Nach erfolgter Klagerücknahme wird eine bereits vorher rechtshängig gewordene Widerklage nicht hinfällig, da die Rechtshängigkeit der Hauptklage nur für die Erhebung, nicht aber für die Durchführung der Widerklage Voraussetzung ist (Münchener Kommentar-Luke, ZPO, 2. Aufl., § 269, Rn. 38; Stein-Jonas-Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 269, Rn. 51; Zöller-Greger, ZPO, 22. Aufl., § 269, Rn. 17; jeweils m.w.N.).

2. Die Widerklage ist mindestens in der Höhe, in der die Kläger vom Landgericht verurteilt worden sind, auch begründet:

a) Dem Beklagten steht der mit der Widerklage geltend gemachte Mietzinsanspruch zu (§ 535 S. 2 BGB):

aa) Der Beklagte hat den rückständigen Mietzins unter Zugrundelegung eines (Netto-) Mietzinses von 2.800.- DM bis August 1997 (Bl. 58 I) zutreffend mit 35.050.- DM errechnet (Bl. 57-60 I). Demgegenüber ist die Berechnung der Kläger, wonach diese 950.- DM überzahlt haben (Bl. 14-20 I, 123-130 I) fehlerhaft, da die Kläger von August 1994 bis einschließlich August 1997 nicht 2.200.- DM brutto, sondern 2.800.- DM netto schuldeten. Zwar haben die Parteien im Mietvertrag vom 30.07.1992 vereinbart, dass die Miete (2.800.- DM plus 200.- DM Nebenkostenvorauszahlung) bis zum Neubau der Toilettenanlage und der Renovierung der Küche auf 2.200.- DM reduziert sein sollte (Bl. 66 I). Gleichwohl kann die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob die Küche und die Toilette bereits im Frühjahr 1994 oder niemals vertragsgemäß fertiggestellt worden sind (vgl. Bl. 57, 133 f, 185 I) dahingestellt bleiben. Es ist nämlich anerkannt, dass in einer hinsichtlich der Miethöhe von der vertraglichen Regelung abweichenden Vertragspraxis eine konkludente Vertragsänderung liegen kann, wenn sich die dem Ursprungsvertrag widersprechende Übung über einen längeren Zeitraum erstreckt und vom Einverständnis beider Parteien getragen ist (vgl. Barthelemess, Wohnraumkündigungsschutzgesetz, Miethöhegesetz, 5. Aufl., § 2 MHG, Rn. 123; Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., II, Rn. 805; jeweils m.w.N.). Der Senat hat zwar bereits mehrfach entschieden, dass hierfür regelmäßig ein Zeitraum von weniger als zwei Jahren nicht ausreicht (OLG Naumburg, Urt. v. 19.12.2000 - 9 U 132/00 - sowie Urt. v. 16.01.2001 - 9 U 168/00 -). Vorliegend haben die Kläger ausweislich ihrer eigenen Aufstellung (Bl. 14-17 I) jedoch von August 1994 bis August 1997, d.h. drei Jahre lang monatlich 3.000.- DM entrichtet. Für die Folgezeit haben sich die Parteien darüber geeinigt, den (Brutto-) Mietzins von 3.000.- DM auf 2.750.- DM zu senken (Bl. 16, 29 I). Dies setzt voraus, dass sie für die Zeit davor von einem (Brutto-) Mietzins i.H.v. 3.000.- DM und nicht i.H.v. 2.200.- DM ausgegangen sind. Soweit die Kläger vortragen, sie hätten die 3.000.- DM unter dem Vorbehalt späterer Verrechnung oder ggf. Rückzahlung als Vorauszahlung geleistet (Bl. 131, 186 I), ist dies nicht hinreichend dargetan, geschweige denn unter Beweis gestellt. Bei dieser Sachlage ist von einer konkludenten Einigung der Parteien über einen Mietzins i.H.v. 2.800.- DM netto = 3.000.- DM brutto im Zeitraum August 1994 bis einschließlich August 1997 auszugehen.

bb) Der Mietvertrag ist nicht gem. § 138 BGB nichtig. Hierfür fehlt es bereits an einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Bei einem gewerblichen Mietverhältnis ist ein solches erst gegeben, wenn der vereinbarte den ortsüblichen Mietzins um knapp 100 % übersteigt (vgl. BGH, DWW 2000, 20, 22). Die Kläger tragen jedoch - unter Vorlage eines Privatgutachtens (Bl. 44 II) - selbst lediglich eine Überschreitung um knapp 60 % vor (Bl. 135, 187 I). Im Übrigen sind weder die subjektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB (vgl. hierzu Jauernig, BGB, 9. Aufl., § 138, Rn. 23 m.w.N.) noch die Voraussetzungen für ein wucherähnliches Geschäft i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB dargetan. Aus einem um annähernd 100 % überhöhten Mietzins kann nur bei privaten Mietern auf eine verwerfliche Gesinnung des Vermieters geschlossen werden (vgl. BGH, DWW 2000, 20, 22; ZIP 1997, 931, 932; OLG Stuttgart, NJW-RR 1993, 654 f). Bei einem Kaufmann oder Freiberufler greift diese Vermutung nicht ein; vielmehr muss dieser die zur Bejahung der Sittenwidrigkeit erforderlichen, über das auffällige Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung hinausgehenden besonderen Umstände darlegen und beweisen (vgl. BGH, NJW 1991, 1810, 1811; NJW 1995, 1019, 1022; OLG Nürnberg, WM 1996, 497, 500). Daran fehlt es hier. Die Kläger räumen ein, bereits vor Abschluss des Mietvertrages, und zwar bereits kurz nach der Wende, als Gastwirte tätig gewesen zu sein (Bl. 30 II). Bis zum Mietvertragsschluss (30.07.1992) hatten sie daher ausreichend Gelegenheit, sich Geschäftserfahrung anzueignen.

cc) Der Mietzins ist nicht wegen der durch die Bauarbeiten verursachten Zugangsbeschränkungen um 50 % gemindert (§ 537 Abs. 1 BGB): Zwar können tatsächliche Zustände, die mit der Mietsache zusammenhängen, einen Fehler i.S.d. § 537 BGB darstellen, wenn sie die Tauglichkeit der Mietsache unmittelbar beeinträchtigen. Betrifft der Mietvertrag ein Ladenlokal, kann der ungehinderte Zutritt des Publikums zu dem Geschäft für die Gebrauchstauglichkeit unmittelbar bestimmend sein (vgl. BGH, NJW 1981, 2405). Bei Behinderung durch Bauarbeiten ist dies allenfalls dann anzunehmen, wenn sie lange andauern und den Zugang erheblich erschweren (vgl. OLG Köln, NJW 1972, 1814 f, für einen mehrjährigen U-Bahn-Bau sowie OLG Dresden, NJW-RR 1999, 448 f, für eine langjährige Baustelle vor einem "Top-Standort" in zentraler Innenstadtlage; siehe auch OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 1236; Palandt-Weidenkaff, BGB, 60. Aufl., § 537, Rn. 17 b und Wolf/Eckert, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 7. Aufl., Rn. 236, die eine Haftung des Vermieters in solchen Fällen völlig ablehnen). Die Kläger haben selbst vorgetragen, dass die durch die Straßenbauarbeiten verursachten Sperrungen und Umleitungen fünf Monate andauerten (Bl. 188 I). Dies stellt zwar eine deutliche, aber noch keine schwerwiegende Beeinträchtigung im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung dar.

b) Der Beklagte kann von den Klägern als Verzugsschaden (§ 286 Abs. 1 BGB) die geltend gemachten Vergleichskosten i.H.v. 1.278,90 DM sowie die Kündigungskosten i.H.v. 1.059,91 DM verlangen: Entgegen der Auffassung der Kläger (Bl. 136 I) muss er sich insoweit nicht auf das Kostenfestsetzungsverfahren (§ 103 ff ZPO) verweisen lassen. Aufwendungen, die vor Beginn eines Prozesses gemacht werden, können zwar nach Erlass einer Kostenentscheidung aus Gründen den Prozesswirtschaftlichkeit in das Festsetzungsverfahren einbezogen werden, soweit sie der Vorbereitung eines konkreten bevorstehenden Rechtsstreits gedient haben. Das schließt aber nicht aus, dass diese Kosten, deren Entstehungsgrund nicht der Rechtsstreit selbst ist, auch Gegenstand eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs sein können. Für dessen Geltendmachung besteht ein Rechtschutzinteresse, wenn die Aufwendungen der Abwendung des Rechtsstreits dienen sollten (vgl. BGH, WM 1987, 247, 248 f). Dies ist hinsichtlich der Vergleichskosten der Fall. Die Kosten der Kündigung betreffen einen anderen Streitgegenstand und können bereits deshalb nicht im anhängigen Rechtsstreit und - da es zu einer Kündigungsklage nicht gekommen ist - auch in keinem anderen Rechtsstreit bei der Kostenfestsetzung berücksichtigt werden.

c) Die 950,30 DM Mahnkosten hat das Landgericht zu Recht unberücksichtigt gelassen, wobei offenbleiben kann, ob sich dies aus § 254 BGB ergibt (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 29. Aufl., § 43 BRAGO, Rn. 35) oder ob hier die Prozessgebühr gem. § 43 Abs. 2 BRAGO direkt auf die Mahnbescheidsgebühr anzurechnen ist (vgl. OLG München, MDR 1991, 359).

d) aa) Ob die Kläger einen aufrechenbaren Anspruch auf Rückzahlung der Betriebskosten 1994 und 1995 haben, kann auf Grund des diesbezüglichen Anerkenntnisses des Beklagten (Bl. 19 II) dahingestellt bleiben. Die Betriebskosten 1996-1998 hat der Beklagte ordnungsgemäß abgerechnet, sodass insoweit dem Beklagten noch eine Nachzahlung i.H.v. 279,88 DM zusteht (Bl. 61, 91-93 I).

bb) Die Kläger haben keinen aufrechenbaren Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Betriebskostenvorauszahlungen 1999, die der Beklagte trotz der zum 01.01.2001 eingetretenen Abrechnungsreife (vgl. hierzu Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., III A Rn. 46; Sternel, Mietrecht aktuell, 3. Aufl., Rn. 806) bislang (vgl. Bl. 20 II) noch nicht abgerechnet hat.

In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob der Mieter dann, wenn der Vermieter die Betriebskosten nicht fristgemäß abrechnet, diese wieder zurückverlangen kann:

Ein diesbezüglicher Anspruch wird teilweise ohne jede Begründung bejaht (vgl. LG Lüneburg, WuM 1992, 380; LG Gießen, WuM 1995, 442; AG Oberhausen, WuM 1993, 68), teilweise aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (vgl. LG München II, WuM 1991, 158; LG Hamburg, WuM 1997, 180 f; Schmid, WuM 1997, 158, 159) bzw. einer positiven Vertragsverletzung hergeleitet (vgl. LG Stade, WuM 1995, 34 f; zust. Geldmacher, DWW 1995, 105, der a.a.O., 106 f allerdings auch PVV oder § 812 BGB für möglich hält) und teilweise auf § 812 BGB gestützt (vgl. LG Essen, WuM 1992, 200; AG Stuttgart, WuM 1990, 159).

Anderer Ansicht nach scheidet ein derartiger Anspruch jedenfalls bei fortdauerndem Mietverhältnis aus (vgl. OLG Hamm, WuM 1998, 476 ff). Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung auch für den Fall eines beendeten Mietverhältnisses an: Die teilweise befürwortete ergänzende Vertragsauslegung widerspräche dem erklärten Parteiwillen, wonach die anteiligen Nebenkosten auf den Mieter umgelegt werden dürfen. Ein Anspruch aus positiver Vertragsverletzung scheidet aus, weil das Unterlassen der Abrechnung weder für die Zahlung der Vorschüsse noch für einen Schaden in Höhe der Vorschüsse ursächlich ist. Da die Vorauszahlungen ihren rechtlichen Grund im Mietvertrag haben, der rechtliche Grund wegen der unterlassenen Abrechnung nicht entfällt und letztere nicht als der mit den Vorauszahlungen des Mieters bezweckte Erfolg angesehen werden kann, kommen auch keine Bereicherungsansprüche aus § 812 Abs. 1 Alt. 1 BGB, § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB oder § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB in Betracht. Dieses Ergebnis ist nicht unbillig, denn dem Mieter steht mit dem Recht aus § 273 BGB, die laufenden Vorauszahlungen bis zur Abrechnung des vergangenen Zeitraums einzustellen, ein Druckmittel zur Verfügung, das ihn hinreichend vor der Gefahr schützt, einen eventuellen Erstattungsanspruch aus der Abrechnung nicht mehr durchsetzen zu können (vgl. OLG Hamm, WuM 1998, 477 f; zust. Schmidt-Futterer-Langeberg, Mietrecht, 7. Aufl., § 546, Rn. 202). Bei beendetem Mietverhältnis scheidet ein Einbehalt der laufenden Vorauszahlung zwar aus. Dem Mieter - der für die Nichtgeltendmachung seines Zurückbehaltungsrechts selbst verantwortlich ist - bleibt jedoch immer noch die Möglichkeit, auf Erteilung der Abrechnung zu klagen und seinen Anspruch nach rechtskräftiger Verurteilung des Vermieters im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen (Schmidt-Futterer-Langenberg a.a.O.).

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Beschwer hat der Senat gem. § 546 Abs. 2 ZPO festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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