Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 04.08.2009
Aktenzeichen: 1 Ws 398/09 H
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121 Abs. 1
Werden in einem frühen Ermittlungsstadium Anhaltspunkte bekannt, die auf die Notwendigkeit einer Schuldfähigkeitsbegutachtung hindeuten, kann es veranlasst sein, die Beauftragung des Sachverständigen so lange zurück zu stellen, bis die weiteren Ermittlungen Anknüpfungstatsachen in einem ausreichendem Umfang erbracht haben.

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Beschuldigte seine Täterschaft bestreitet und nicht zu erwarten ist, dass der Sachverständige mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, tragfähige Erkenntnisse über den Tatablauf, die Tatvorgeschichte und das Verhalten des Täters vor, während und nach der Tat gewinnen kann.

Eine dadurch entstehende Verlängerung der Untersuchungshaft ist nach § 121 Abs. 1 StPO durch die besondere Schwierigkeit der Ermittlungen gerechtfertigt.


1 Ws 398/09 H

Nürnberg, den 4. August 2009

In dem Strafverfahren

wegen Mordes

hier: Haftprüfung nach §§ 121,122 StPO

erlässt der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Die Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschuldigten L wird angeordnet.

II. Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

I.

Der Angeschuldigte C befindet sich seit dem 8.2.2009 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts N vom selben Tage ununterbrochen in Untersuchungshaft. Er gilt als dringend verdächtig, am 6.2.2009 seine Bekannte M D aus Eifersucht mit einem Messerstich in den Nacken getötet und sich dadurch eines Mordes aus niedrigen Beweggründen schuldig gemacht zu haben. Nach den §§ 121, 122 StPO hat das Oberlandesgericht Nürnberg jetzt über die Fortdauer der Untersuchungshaft zu entscheiden. Staatsanwaltschaft und Gericht halten den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft für erforderlich.

II.

Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist anzuordnen, weil der dringende Tatverdacht und der Haftgrund fortbestehen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht einem weiteren Vollzug der Untersuchungshaft nicht entgegen. Das Beschleunigungsgebot wurde beachtet. Hierzu im Einzelnen:

1. Der seine Täterschaft bestreitende Beschuldigte ist der im Haftbefehl aufgeführten Tat dringend verdächtig. Die rechtsmedizinische Auswertung der gesicherten Spuren hat ergeben, dass sich an der von ihm am Tattag getragenen Hose im Bereich des linken vorderen Hosenbeins und im Bereich der rechten Gesäßtasche Blutantragungen befanden, die der Getöteten zuzuordnen sind (Molekulargenetisches Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg vom 2.4.2009, Seiten 4 und 12). Ausweislich der Feststellungen im Sektionsprotokoll wies das Tatopfer nur eine nach außen blutende Verletzung auf. Dabei handelte es um die todbringende Stichwunde (Sektionsprotokoll des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg vom 11.2.2009, Seiten 14 und 15). Zudem konnte DNA-haltiges Material der Getöteten an Fingernagelenden des Beschuldigten und DNA-haltiges Material des Beschuldigten an Fingernagelenden der Getöteten gesichert werden (Molekulargenetisches Gutachten der Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg vom 2.4.2009, Seiten 8 und 9). Bei der Auswertung von Antragungen an verschiedenen Orten in der Wohnung des Tatopfers wurde nur DNA-Material aufgefunden, das entweder von dem Tatopfer selbst oder dem Beschuldigten stammte. DNA-Material einer dritten Person war nicht feststellbar (Molekulargenetisches Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg vom 2.4.2009, Seite 11 und Molekulargenetisches Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg vom 4.5.2009, Seite 3). Eine Auswertung der gesicherten Schuhspuren durch das Bayerische Landeskriminalamt am 1.4.2009 hat ebenfalls keinen Hinweis auf die Anwesenheit von dritten Personen am Tatort ergeben, sehr wohl aber zum Nachweis von Schuhspuren des Beschuldigten geführt. Die Verständigung der Polizei geht auf eine Erstinformation des Beschuldigten zurück. Auch haben die Ermittlungen ergeben, dass es in der Vergangenheit zu häufigen Nachstellungen des Beschuldigten und tätlichen Übergriffen auf die Getötete kam. Danach sind sowohl die Täterschaft des Beschuldigten, als auch das vom Amtsgericht angenommene Tatmotiv in einer die Annahme eines dringenden Verdachts rechtfertigenden Dichte belegt. Hemmungslose Eifersucht als Ausdruck eines personalen Besitzanspruches ist ein als niedriger Beweggrund im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB einzustufendes Tatmotiv (Schneider, in: MK-StGB § 211 Rn. 90; Fischer, StGB 56. Aufl. § 211 Rn. 23).

2. Bei dem Beschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Bei dem derzeitigen Sachstand muss er damit rechnen, dass er wegen der ihm zur Last gelegten Tat möglicherweise zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wird. Dem von dieser Straferwartung ausgehende Fluchtanreiz stehen keine hinreichend bindenden Lebensumstände gegenüber. Der ledige Beschuldigte ist ... Staatsangehöriger und hat zuletzt den Beruf eines Kraftfahrers ausgeübt. Seine Mutter und seine Schwestern leben noch in ... Eine Gewähr dafür, dass er sich, auf freiem Fuß belassen, den Strafverfolgungsbehörden bis zur Einleitung einer möglichen Strafvollstreckung zur Verfügung halten würde, ist unter diesen Umständen nicht gegeben.

3. Die Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschuldigten ist auch verhältnismäßig (§§ 120 Abs. 1 Satz 1, 121 Abs. 1 StPO).

a) Angesichts der erheblichen Fluchtgefahr kann der Zweck der Untersuchungshaft nur durch ihren weiteren Vollzug erreicht werden; weniger einschneidende Maßnahmen (§ 116 StPO) reichen nicht aus. Auch steht die bisherige Dauer der Untersuchungshaft von sechs Monaten erkennbar nicht außer Verhältnis zur Höhe der Strafe, die der Beschuldigte bei einer Verurteilung zu erwarten hat.

b) Die Aufrechterhaltung de Untersuchungshaft ist schließlich auch nach § 121 Abs. 1 StPO gerechtfertigt, weil der besondere Umfang der Ermittlungen ein Urteil noch nicht zugelassen hat und das Verfahren unter Beachtung des bei Haftsachen geltenden Grundsatzes der Beschleunigung geführt worden ist.

Im Laufe des Ermittlungsverfahrens wurden von den Ermittlungsbehörden insgesamt 89 Zeugen teilweise mehrfach vernommen, wobei es insbesondere darum ging den Aufenthalt des Beschuldigten am Tattag und die Beziehung zwischen ihm und dem Tatopfer aufzuklären. Die Auswertung der gesicherten Spuren hat eine Mehrzahl von Gutachten erforderlich gemacht. Das letzte Gutachten wurde den Ermittlungsbehörden am 14.5.2009 vorgelegt. Der staatsanwaltschaftliche Sachbearbeiter hat die Ermittlungsakten noch vor Abschluss der polizeilichen Endauswertung des komplexen Ermittlungsergebnisses am 25.6.2009 zur weiteren Bearbeitung übernommen und am 2.7.2009 eine psychiatrische Untersuchung des Beschuldigten angeordnet. Diese Vorgehensweise war sachgerecht. Die hierdurch ausgelöste Zeitverzögerung ist im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO durch den besonderen Umfang der Ermittlungen gerechtfertigt.

Die Tatsache, dass die Ermittlungsbehörden ausweislich eines Aktenvermerks der Kriminalpolizei S vom 26.2.2009 schon seit dem 16.2.2009 Kenntnis davon hatten, dass der Beschuldigte im Jahr 2006 mehrfach im Bezirkskrankenhaus A psychiatrisch behandelt werden musste und dort auch in der geschlossenen Abteilung untergebracht war, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Werden den Ermittlungsbehörden bereits in einem frühen Ermittlungsstadium Umstände bekannt, die eine Begutachtung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten nahelegen, zwingt dies nicht dazu, sofort ein solches Gutachten in Auftrag zu geben. Schuldfähigkeitsgutachten haben den Zweck, Staatsanwaltschaft und Gericht bei der Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Täters zu unterstützen. Dazu stellt der Sachverständige seine speziellen Kenntnisse bei der Auswertung und Beurteilung des vorhandenen Ermittlungsergebnisses zur Verfügung. Außerdem trägt er durch eigene Erhebungen zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage bei (vgl. Dölling, in: Kröber/Dölling/Sass, Handbuch der forensischen Psychiatrie Bd. 1 S. 410 f.). Bezugspunkt ist dabei immer die konkrete Tat (vgl. BGH NJW 1983, 350; NStZ-RR 2007, 105, 106; NStZ-RR 2008, 39; Boetticher et alt. NStZ 2005, 57, 58). Soll die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Beschuldigten geklärt werden, der dringend verdächtig ist, seine frühere Intimpartnerin aus Eifersucht getötet zu haben, wird regelmäßig das Vorliegen eines Affektdelikts zu erörtern sein. Dabei kommt neben anderen Umständen vor allem dem konkreten Tatablauf und der speziellen Tatvorgeschichte eine besondere symptomatische Bedeutung zu (vgl. Nedopil, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 195 ff.; Rasch/Konrad, Forensische Psychiatrie 3. Aufl. S. 270 ff.). Werden eine psychopathologische Disposition oder Persönlichkeitsanomalien festgestellt, ist deren Auswirkung auf die Steuerungsfähigkeit im Tatzeitpunkt zu erläutern. Auch hierzu ist eine detaillierte Analyse der Tatumstände, des Verhaltens des Täters vor, während und nach der Tat, sowie seiner Beziehung zu dem Tatopfer erforderlich (Boetticher et alt. NStZ 2005, 57, 61). Leugnet der Beschuldigte seine Täterschaft, steht nicht zu erwarten, dass der Sachverständige bei seinen Untersuchungen eigene belastbare Erkenntnisse über den Tatablauf und die relevante Tatvorgeschichte gewinnen kann. In diesen Fällen ist es daher sachgerecht, zunächst die Täter-Opfer-Beziehung durch eine umfassende Einvernahme aller greifbaren Kontaktpersonen auszuleuchten und möglichst viele phänomengebundene Beschreibungen des Verhaltens des Täters vor, während und nach der Tat beizubringen. Auch ist es erforderlich, vorab den Tatablauf unter Zuhilfenahme kriminaltechnischer und rechtsmedizinischer Mittel soweit als möglich aufzuklären. Erst danach besteht eine hinreichende Gewähr dafür, dass Anknüpfungstatsachen in einem ausreichenden Umfang zur Verfügung stehen und tragfähige sachverständige Aussagen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Täters getroffen werden können.

Die Staatsanwaltschaft hat diesen Vorgaben Rechnung getragen und den Sachverständigen erst mit der Begutachtung beauftragt, nachdem sie alle erreichbaren Erkenntnisse über die Beziehung zwischen dem die Tat leugnenden Beschuldigten und dem Tatopfer, sein Verhalten vor der Tat und den Tatablauf gesammelt hatte.

Da davon auszugehen ist, dass die Staatsanwaltschaft um eine zügige Erstattung des von ihr in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens besorgt sein wird (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2001, 60), ist mit einem dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden weiteren Verfahrensfortgang zu rechnen.

III.

Die Übertragung der Haftprüfung beruht auf § 122 Abs. 2 Satz 3 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück