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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 29.08.2005
Aktenzeichen: 10 UF 395/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1601
BGB § 1610
BGB § 1615 l
Jedenfalls die Kosten für den halbtägigen Besuch des Kindergartens stellen keinen Mehrbedarf des Kindes dar; sie sind von den Tabellensätzen der Düsseldorfer Tabelle umfaßt.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

Aktenzeichen: 10 UF 395/05

Verkündet am 29. August 2005

In der Familiensache

hat der 10. Zivilsenat und Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kleinknecht und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Söllner und Müller aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. August 2005

für Recht erkannt

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Hersbruck vom 16.3.2005, Az. 2 F 819/04, wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Beschluß:

1. Der Streitwert für die 1. Instanz wird in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Hersbruck vom 16.3.2005 wie folgt festgesetzt: bis zur Klageerweiterung gemäß Schriftsatz vom 12.10.2004 auf 1.131,-- EUR (87,-- EUR + 12 x 87,-- EUR); ab diesem Zeitpunkt auf 1.175,-- EUR (87,-- EUR + 87,--EUR + 11x 91,-- EUR).

2. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.175,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Beklagte ist der nichteheliche Vater der am 21.8.2001 geborenen Klägerin. Er ist verheiratet und hat noch drei eheliche Kinder.

Mit Jugendamtsurkunde vom 19.9.2001 hat er sich verpflichtet, der Klägerin ab Geburt Unterhalt in Höhe von 100% des Regelbetrages nach der Regelbetragsverordnung zu zahlen. Seine (zweite) Abänderungsklage, mit der er im Hinblick auf eine behauptete eingeschränkte Leitungsfähigkeit eine Herabsetzung des Unterhalts auf 42,18% erreichen wollte, ist durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Hersbruck vom 15.12.2004, Az. 2 F 888/04, abgewiesen worden. Ein Rechtsmittel hiergegen ist nicht eingelegt worden.

Im vorliegenden Verfahren macht die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung eines durch die ganztägige Betreuung im Kindergarten bedingten Mehrbedarfes (ohne Essensgeld) für die Zeit ab Juli 2004 geltend.

Mit der am 2 5.8.2004 eingereichten Klage hat sie zunächst neben einem Rückstand von 87,-- EUR ab 1.9.2004 laufende Zahlungen von monatlich 87,-- EUR gefordert. Mit Schriftsatz vom 12.10.2004 hat sie die Forderungen für die Zeit ab Oktober 2 004 auf 91,-- EUR im Monat erhöht.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, daß Kindergartenkosten bei Zahlung des Mindestunterhalts in Höhe von 100% des Regelbetrages nicht im Tabellenbetrag enthalten seien; sie seien vielmehr Unterhaltsmehrbedarf des Kindes. Bei ihrem Kindergartenbesuch würde nicht im Vordergrund stehen, daß ihre Mutter wegen der Berufstätigkeit auf die ganztägige Betreuung angewiesen sei, sondern es würden pädagogische Gründe überwiegen.

Die Klägerin hat auch darauf verwiesen, daß eine nichteheliche Mutter wegen der zeitlichen Befristung des Unterhaltsanspruchs nach § 1615 1 BGB die Kindergartenkosten gegenüber dem Vater des Kindes - anders als eine Ehefrau in vergleichbarer Lage - als berufsbedingte Aufwendungen geltend machen könne.

Die Klägerin hat weiter behauptet, der Beklagte sei zur Zahlung des verlangten Mehrbedarfs leistungsfähig.

Nach Meinung des Beklagten sind die durch den - typischen und vorhersehbaren - Besuch eines Kindergartens entstehenden Kosten in den Unterhaltstabellen enthalten. Wenn überhaupt, könne nur der Beitrag für einen Halbtagesplatz als zusätzlicher Bedarf angesetzt werden.

Im übrigen hat sich der Beklagte auf fehlende Leistungsfähigkeit berufen.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Hersbruck hat mit Endurteil vom 16.3.2005 die Klage abgewiesen.

Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe dieses Urteils wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Die Klägerin hat hiergegen - nach Bewilligung von Prozeßkostenhilfe - Berufung eingelegt und diese begründet.

Mit Beschluß des Senates vom 8.8.2005 ist ihr gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt worden.

Die Klägerin verfolgt ihr Klagebegehren weiter.

Sie beantragt, den Beklagten in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsmehrbedarfs von 91,-- EUR an sie ab 1.10.2004 sowie eines Rückstandes von 174,-- EUR zu verurteilen.

Der Beklagte bleibt bei seinem bisherigen Vortrag und beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Klägerin steht ein über den titulierten Unterhalt hinausgehender Anspruch auf Zahlung weiteren Unterhalts in Höhe der durch den Kindergartenbesuch entstehenden Kosten nicht zu.

Der Kindergartenbeitrag stellt keinen vom Beklagten zu tragenden Mehrbedarf dar.

1. Der halbtägige Besuch des Kindergartens ist heutzutage die Regel. Bei dem hierfür zu entrichtenden Beitrag handelt es sich somit um Kosten, die üblicherweise bei Kindern ab dem 3. Lebensjahr anfallen.

Diese Kosten werden durch die Sätze der nach den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland maßgeblichen Düsseldorfer Tabelle gedeckt, bei denen es sich um Pauschalen handelt, mit denen die durchschnittlichen, über einen längeren Zeitraum anfallenden Lebenshaltungskosten des Kindes der betreffenden Altersstufe zu begleichen sind.

Jedenfalls im Tabellenbetrag der Gruppe 6 der Düsseldorfer Tabelle, bei dem das Existenzminimum des Kindes als gesichert anzusehen ist, ist der Aufwand für den "üblichen" Kindergartenbesuch enthalten. An dieser bereits in seiner Entscheidung vom 27.10.2003 - 10 UF 2204/03 - (abgedruckt in FamRZ 2004, 1063) vertretenen Auffassung hält der Senat fest (vgl. auch OLG Stuttgart FamRZ 2004, 1129).

In den niedrigeren Gruppen ist gemäß § 1612 b Abs. 5 BGB der Kindergeldanteil des Barunterhaltspflichtigen, der im Bedarfsfall dazu zu dienen hat, Lücken beim Kindesunterhalt zu schließen, entsprechend heranzuziehen, so daß das Kind faktisch über den gleichen Betrag wie in Gruppe 6 verfügt.

Der barunterhaltspflichtige Elternteil ist daher nicht verpflichtet, neben dem Tabellenunterhalt für die "normalen" Kosten der Erziehung und Betreuung eines Kindes im Kindergarten aufzukommen.

Gegen die Auffassung, daß die Kosten für einen Halbtagesplatz im Kindergarten von den Tabellensätzen der Düsseldorfer Tabelle umfaßt sind, sprechen auch nicht, wie die Klägerin meint, die Regelsätze bei der Sozialhilfe. Abgesehen davon können aus Sozialhilfesätzen keine zwingenden Schlüsse für den zivilrechtlichen Unterhaltsbedarf gezogen werden, zumal die jeweiligen Altersstaffelungen nicht übereinstimmen.

Der Eckregelsatz nach der Regelsatzverordnung zu § 22 BSHG hat im streitgegenständlichen Zeitraum von Juli bis Dezember 2004 in Bayern für ein Kind bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres beim Zusammenleben mit einem Alleinerziehenden 158,-- EUR betragen (vgl. Zusammenstellung in FamRZ 2003, 1250 zum Stand 1.7.2003; die Sätze sind über den 1.7.2004 hinaus unverändert geblieben). Hinzu kamen, neben einmaligen Leistungen, die Kosten für Unterkunft und Heizung, welche in den Sätzen der Düsseldorfer Tabelle mit einem Anteil von ca. 20% enthalten sind. Zählt man diesen in der Gruppe 6 und der 1. Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle mit ca. 54,-- EUR zu veranschlagenden Wohnkostenanteil, um eine Vergleichbarkeit zu erreichen, zum bezeichneten Eckregelsatz hinzu, ergibt sich ein Betrag von 212,-- EUR, der deutlich unter dem Tabellenwert der Gruppe 6 für ein Kind der 1. Altersstufe (269,-- EUR) liegt.

Seit Januar 2005 gelten erhöhte Eckregelsätze. Bei einem Landesregelsatz in Bayern von 341,-- EUR (vgl. § 2 AVSV) beträgt der Regelsatz für ein Kind bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 RSV nunmehr rund 205,-- EUR (60% von 341,-- EUR). Unter Berücksichtigung der Kosten für Wohnung und Heizung (bis Juni 2005: 54,--EUR, ab Juli 2005: 55,-- EUR) errechnet sich ein Betrag, der den jeweiligen Tabellenwert der Gruppe 6 für ein Kind der 1. Altersstufe (269,-- EUR bzw. ab 1.7.2005 276,-- EUR) weiterhin unterschreitet. Hierbei ist ferner zu sehen, daß in dem jetzigen Eckregelsatz auch eine Pauschale für früher gesondert erbrachte Leistungen (mit Ausnahme der Kosten für Unterkunft und Heizung) enthalten ist, welche unterhaltsrechtlich zum Teil als von dem Tabellenunterhalt nicht umfaßter Sonderbedarf eingestuft werden.

2. Die über den "üblichen" Kindergartenbeitrag hinausgehenden Kosten für den ganztägigen Besuch eines Kindergartens können zwar Mehrbedarf des Kindes ein. Dies ist allerdings nicht regelmäßig, sondern nur dann der Fall, wenn besondere in der Person des Kindes liegende pädagogische Gründe - welche sich nicht nur darin erschöpfen dürfen, daß sich ein Kindergartenbesuch im Allgemeinen als erzieherisch nützlich und sinnvoll darstellt - vorliegen. Solche Gründe sind nicht konkret vorgetragen und auch nicht ersichtlich.

Im vorliegenden Fall besteht kein Zweifel, daß die Klägerin von ihrer Mutter in deren eigenem Interesse in einen Ganztageskindergarten gegeben wird, um einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. In einem solchen Fall stellen sich die diesbezüglichen Kosten als Erwerbsaufwand der Mutter dar.

Wäre die Mutter der Klägerin unterhaltsberechtigt, wären diese berufsbedingten Aufwendungen bei der Ermittlung der Höhe ihres Unterhaltsanspruchs zu berücksichtigen. Wegen der zeitlichen Befristung nach § 1615 1 BGB kommt allerdings, nachdem diese Norm nicht für verfassungswidrig erklärt worden ist, ein Unterhaltsanspruch der Mutter der Klägerin gegen den Beklagten offenkundig dem Grunde nach nicht in Betracht. Diese faktische Ungleichbehandlung gegenüber einer ehelichen Mutter, die Trennungsunterhalt bzw. nachehelichen Unterhalt beanspruchen kann, rechtfertigt es jedoch aus dogmatischen Gründen nicht, Aufwendungen der Mutter, die diese in Ermangelung eines Unterhaltsrechtsverhältnisses nicht geltend machen kann, als Mehrbedarf des Kindes zu deklarieren. Es wäre vielmehr Sache des Gesetzgebers, eine Verbesserung für die nichteheliche Mutter im Rahmen der (geplanten) Änderung des § 1615 1 BGB herbeizuführen.

Nach allem vermag die Klägerin wegen der Kindergartenkosten gegenüber dem Beklagten keinen Mehrbedarf anzusetzen.

Fragen der Leistungsfähigkeit des Beklagten und einer etwaigen Beteiligungsquote der Mutter der Klägerin können unerörtert bleiben.

Die Berufung der Klägerin war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision wird zugelassen, da die Frage, ob Kindergartenkosten einen Mehrbedarf des Kindes darstellen, höchstrichterlich nicht geklärt ist und über das vorliegende Verfahren hinaus für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung ist.

Ende der Entscheidung

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