Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 06.03.2002
Aktenzeichen: 12 U 3891/01
Rechtsgebiete: CMR, EuGVÜ, EuGVVO


Vorschriften:

CMR Art. 31 Abs. 2
EuGVÜ Art. 21 Abs. 2
EuGVVO Art. 33 Abs. 1
EuGVVO Art. 66 Abs. 2
Einer Schadensersatzklage aus einem Beförderungsvertrag in einem Vertragsstaat der CMR steht das Prozeßhindernis anderweitiger Rechtshängigkeit entgegen, wenn zwischen denselben Parteien bei einem zuständigen Gericht eines anderen Vertragsstaates bereits eine negative Feststellungsklage wegen derselben Streitsache rechtshängig ist und in beiden Staaten die EuGVÜ in Kraft getreten war.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

12 U 3891/01

In Sachen

wegen Schadensersatzes

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Grimm und die Richter am Oberlandesgericht Kammerer und Schulze-Weckert aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 06.03.02

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Ansbach vom 10. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 4.500,00 EUR abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, ein Versicherungsunternehmen, verlangt von der in den ansässigen Beklagten aus übergegangenem Recht Schadensersatz aus einem Transportauftrag.

Die Klägerin hat behauptet, ihre Versicherungsnehmerin, die Firma habe die Beklagte mit der Durchführung eines Transportes von im Landgerichtsbezirk nach beauftragt. Die Sendung von 40 Paletten Kosmetikartikeln mit einem Gewicht von 22.438 kg im Wert von 82.078,59 DM sei am 27.08.1999 bei der Absenderin, der Firma im Auftrage der Beklagten von einer Firma aus abgeholt worden, die dabei als Unterfrachtführer der Beklagten gehandelt habe. Der ausführende Frachtführer habe den ordnungsgemäßen Erhalt der Ware bestätigt. Die Ladung sei bei der Empfängerin nicht angekommen. Mach ihrer Information soll der beladene Lastzug in der Nacht vom 28. auf den 29.08.1999 gestohlen und am 30.08.1999 leer aufgefunden worden sein. Die Klägerin habe ihrer Versicherungsnehmerin 62.003,60 DM Schadensersatz geleistet.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 62.003,60 DM nebst 5 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Die Beklagte hat sich nicht zur Sache eingelassen, sondern die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Ansbach gerügt.

Es ist unstreitig, daß wegen des streitgegenständlichen Anspruchs seit Dezember 1999 in Belgien zwischen den Parteien eine negative Feststellungsklage rechtshängig ist.

Mit Urteil vom 10.10.2001 hat das Landgericht Ansbach die Klage abgewiesen. Es hat seine internationale Zuständigkeit als Gericht am Ort der Übernahme des Gutes nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 b CMR für nicht begründet angesehen, da sich die Beklagte nicht zur Sache eingelassen hat. Nach Art. 57 Abs. 2 a S. 2, Art. 20 EuGVÜ habe das Gericht in diesem Fall von Amts wegen zu prüfen, ob ein internationaler Gerichtsstand nach dem EuGVÜ begründet sei. Dies sei aber nicht der Fall. Auf die Entscheidungsgründe des Ersturteils wird Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen die Rechtsauffassung des Erstgerichts. Sie nimmt dabei Bezug auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 25.06.2001 (Transportrecht 2001, 397). Nach diesem Urteil gehen die Zuständigkeitsvorschriften in einem Spezialabkommen auch dann vor, wenn der Beklagte säumig ist oder sich nicht zur Sache einläßt.

Die Klägerin beantragt:

I. Das erstinstanzuliche Urteil des LG Ansbach vom 10.10.2001 - 2 O 463/00 - wird aufgehoben.

II. Die Berufungsbeklagte wird verurteilt, an die Klägerin und Berufungsklägerin 31.701,94 EURO nebst 5 % Zinsen seit Klagezustellung zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Sie läßt sich zur Sache weiterhin nicht ein, sondern verteidigt das Ersturteil und meint, dass auch das in Belgien anhängige Verfahren eine Sachentscheidung hier verbiete:

Auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze im Berufungsverfahren wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Ihrer Klage steht das Prozeßhindernis der ausländischen Rechtshängigkeit entgegen.

1. Auf die vom Erstgericht entschiedene und in der obergerichtlichen Rechtsprechung strittige Frage, ob ein Gericht unter Hinweis auf Art. 20 EuGVÜ i.V.m. Art. 57 Abs. 2 EuGVÜ seine nach der CMR gegebene Zuständigkeit ablehnen kann, wenn der Beklagte säumig ist oder sich nicht auf das Verfahren einläßt (OLG Hamm Transportrecht 2001, 397; OLG Dresden Transportrecht 1999, 62; OLG München Transportrecht 2001, 399), kommt es im vorliegenden Fall nicht an. Allerdings hält der Senat die Auffassung des OLG Hamm für überzeugend, daß die Rangfolge der spezielleren Zuständigkeit nach dem Sonderabkommen gegenüber der allgemeinen Zuständigkeit nach Art. 2 ff. EuGVÜ auch im Falle der Säumnis oder Nichteinlassung des Beklagten gilt, weil sich die nach Art. 20 EuGVÜ gebotene Zuständigkeitsprüfung auch auf die Zuständigkeitsvorschriften des Spezialübereinkommens erstreckt.

2) Der Klage steht aber das Prozeßhindernis anderweitiger Rechtshängigkeit entgegen, Art. 31 Abs. 2 CMR, Art. 21 Abs. 2 EuGVÜ.

a) Die seit Dezember 1999 in Belgien anhängige negative Feststellungsklage betrifft unstreitig denselben Streitgegenstand. Die Zuständigkeit jenes Gerichts (Art. 31 Abs. 1 b CMR, Ort der Ablieferung) ist unbestritten. Eine Aussetzung nach Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ ist nicht geboten.

b) Auch die in Belgien anhängige negative Feststellungsklage entfaltet hinsichtlich einer später erhobenen Leistungsklage, die denselben Streitgegenstand betrifft, die Sperrwirkung des Art. 31 Abs. 2 CMR (Koller, Transportrecht, 4. Aufl., Art. 31 CMR Rn. 8). Zwar sind die Einreden von Rechtshängigkeit und Rechtskraft ausgeschlossen, wenn die (zu erwartende) ausländische Entscheidung im Inland nicht vollstreckt werden kann, sei es gemäß Art. 31 Abs. 3 CMR, sei es nach anderen, vollstreckungsfreundlicheren Bestimmungen. Prima facie wären danach die Rechtshängigkeits- und Rechtskrafteinrede wirkungslos, wenn im Ausland eine negative Feststellungsklage erhoben wurde, denn abgesehen von der Kostenentscheidung kommt dem Feststellungsurteil keine Vollstreckbarkeit zu. Dieses Ergebnis widerspräche aber dem Zweck der Vorschrift, die der Prozeßökonomie und dem Ansehen der Justiz dient, das durch widersprechende Entscheidungen verschiedener Staaten Schaden nehmen würde. Die Einschränkung der Einrede der anderweitigen Rechtshängigkeit durch Art. 31 Abs. 2 letzter HS CMR muß deshalb so verstanden werden, daß die Vollstreckbarkeit des Urteils gerade an den Vorschriften des Zweitstaates (Vollstreckungsstaates) scheitert (MÜKO-Basedow CMR Art. 31 Rdnr. 27 f). Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Entscheidung des belgischen Gerichts wird in Deutschland anerkannt, ohne daß es eines besonderen Verfahrens bedarf, Art. 33 I, 66 II EuGVVO.

c) Bei diesem Verständnis der Einschränkung der Einrede anderweitiger Rechtshängigkeit steht der Senat in Überstimmung mit dem Urteil des englischen Court of Appeal in Sachen vom 23.01.2001, Case No: 2000/2567, Lloyd's Rep. 2001, 490. Es ist im übrigen für den Geltungsbereich des EuGVÜ anerkannt, daß der negativen Feststellungsklage Vorrang vor einer später erhobenen Leistungsklage gebührt, BGH NJW 97, 870; EuGH JZ 1995, 616.

3. Die Revision war nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen. Zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes erforderlich. Das Oberlandesgericht Köln hat in einem Urteil vom 01.07.1999, Az.: 9 U 147/98, die Auffassung vertreten, daß eine im Ausland anhängige negative Feststellungsklage mangels vollstreckbaren Inhalts gemäß Art. 31 Abs. 2 CMR einer Leistungsklage nicht entgegen stehe. Von dieser Entscheidung, die durch Nichtannahmebeschluß des Bundesgerichtshofes vom 10.02.2000 (Az. I ZR 169/99) rechtskräftig geworden ist, weicht der Senat ab.

4) Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück