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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 07.05.2003
Aktenzeichen: 13 U 615/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 531
Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind im Berufungsverfahren unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO grundsätzlich zuzulassen, wenn der neue Sachvortrag unstreitig ist und seine Berücksichtigung eine Sachentscheidung ohne weitere Beweisaufnahme ermöglicht.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

13 U 615/03

Verkündet am 7.5.2003

In Sachen

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Walther und die Richter am Oberlandesgericht Steckler und Huprich aufgrund, der mündlichen Verhandlung vom 7.5.2003

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14.01.2003 wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluß:

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 6.146,28 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

1) Der Klägerin fehlt die Aktivlegitimation.

Es kommt in diesem Zusammenhang darauf an, ob die A V AG ihr die streitgegenständliche Forderung rückabgetreten hat. Der Anspruch war dieser AG im Rahmen eines Factoringvertrages übertragen worden. Von einer Rückabtretung kann der Senat aber nicht ausgehen.

a) Die Rückzession war in erster Instanz von der Beklagten bestritten worden. Der Vortrag der Klägerin zur Rückzession war unsubstantiiert; über einen unschlüssigen Vortrag brauchte auch kein Beweis erhoben zu werden. Jedenfalls im Hinblick auf das Bestreiten der Beklagten hätte die Klägerin darlegen müssen, wann, an wen und in welcher Form die Rückzession erfolgt sein soll. Dazu schwieg sie sich aus. Ein Vortrag insoweit wäre umso erforderlicher gewesen, als sie sich zum "Beweis" der Rückabtretung auf die "Erklärung der P-Factoring vom 26.09.02" (Bl. 4 d.A.) bezog. Das in bezug genommene Schreiben weist indes nur aus, daß die "Forderung zur Rückzedierung vorgemerkt" wurde oder "zur Verrechnung" ansteht; zugleich bat das Factoring-Unternehmen um Einzahlung eines Betrages von 4.917,02 Euro auf sein näher bezeichnetes "Postbank-Konto". Dabei handelte es sich anscheinend um den Betrag, den die A V -AG für den Erwerb der streitgegenständlichen Forderung an die Klägerin oder deren Ehemann gezahlt hatte. Es lag auch aus der Sicht der Klägerin auf der Hand, daß die Beklagte in Kenntnis des ihr erst wenige Tage vor dem Termin am 17.12.2002 mit Schriftsatz der Klägerin vom 11.12.2002 zugänglich gemachten Schreibens des Factors vom 26.09.2002 und unter Bezugnahme auf dessen Inhalt die Rückabtretung mit ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 30.12.2002 weiterhin bestreiten würde. Wie notwendig ein substantiierter Vortrag gewesen wäre, belegt das von der Klägerin mit der Berufungsbegründung vom 24.03.2003 vorgelegte Schreiben der Firma A-Factoring vom 30.12.2002, mit dem Herrn M bestätigt wurde, daß die "Forderung an Sie rückzediert wurde" und daß aufgrund der Zahlung vom 7.10.2002 "sämtliche Rechte an obiger Rechnung" wieder in sein "Eigentum" übergingen. Das bedeutet, daß bei Abfassung der Klageschrift vom 2.10.2002 eine Rückabtretung in keinem Falle erfolgt sein konnte. Die Klägerin verstieß gegen die ihr obliegende Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO), als sie gleichwohl in diesem Schriftsatz behauptete, die Forderung sei rückabgetreten worden (Bl. 4 d.A.).

b) Der Vortrag der Klägerin zur Rückabtretung in der Berufungsbegründung ist zwar nunmehr substantiiert, weil die Klägerin sich den Inhalt des mit der Berufungsbegründung vorgelegten Schreibens der Firma A-Factoring vom 30.12.2002 an die Firma S M zu eigen macht; denn danach sind aufgrund der Zahlung des Herrn M vom 07.10.2002 "sämtliche Rechte an obiger Rechnung" wieder in "Ihr Eigentum" übergegangen. Die Rückzession muß deshalb in der Zeit vom 07.10.2002 bis 30.12.2002 erfolgt sein. Weil der Vortrag nunmehr substantiiert ist, ist er aber auch neu. Weil er neu ist, steht seiner Zulassung § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO entgegen, wonach neue Angriffsmittel nur zuzulassen sind, wenn sie im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne daß dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht. Bereits bloße Nachlässigkeit steht der Berücksichtigung neuen Vorbringens entgegen. Mithin bewirkt schon eine leicht fahrlässige Verletzung der Prozeßförderungspflicht den Ausschluß neuen Tatsachenvorbringens. Die Partei hat alle ihr bekannten, für den Rechtsstreit relevanten Tatsachen und/oder Beweismittel bereits erstinstanzlich anzugeben (Gehrlein MDR 2003, 421, 428). Die Klägerin hat ihre Prozeßförderungspflicht unzweifelhaft schuldhaft verletzt, weil sie sich zu den näheren Umständen der Rückzession trotz des Bestreitens der Beklagten ausschwieg, obgleich das von ihr zum Nachweis der bereits erfolgten Rückabtretung vorgelegte Schreiben der A V AG vom 26.09.2002 geradezu das Gegenteil ergab.

Zwar zieht die Beklagte die Rückabtretung nicht mehr in Zweifel, weshalb der entsprechende Tatsachenvortrag der Klägerin nunmehr unstreitig ist. Die Berücksichtigung neuen, unstreitig gebliebenen Vorbringens im Berufungsverfahren ist auch grundsätzlich geboten und damit regelmäßig zulässig. Die bis 31.12.2001 geltenden Präklusionsvorschriften erfassen nur streitiges und daher beweisbedürftiges Vorbringen, weshalb unstreitig gewordenes Vorbringen auch nicht dem § 528 Abs. 3 ZPO a. F. unterfiel (BGHZ 76, 133, 141 = NJW 1980, 945, 947 = LM § 528 ZPO Nr. 14 mit Anmerkung Girisch). Der Gesetzgeber bezweckte mit der genannten Bestimmung eine Konzentration des Prozeßstoffes auf die erste Instanz und die weitgehende Entlastung der zweiten Instanz von Tatsachenfeststellungen. Weil die Vorschrift die Begrenzung solcher Angriffs- und Verteidigungsmittel vorsah, die im Berufungsverfahren noch feststellungsbedürftig sind, konnte sie sich nicht auf unstreitig gewordene Tatsachen beziehen (BVerfG NJW 1981, 271). Der Wortlaut des § 531 ZPO n. F. schließt genauso wenig wie derjenige des § 528 Abs. 3 ZPO a. F. aus, daß der Norm unstreitiges Vorbringen nicht unterfällt (Gehrlein MDR 2003, 421, 428), wenn mit dessen Berücksichtigung keine Verfahrensverzögerung verbunden ist (vgl. MünchKomm ZPO/Aktualisierungsband - Rimmelspacher, § 531 RdNr. 14, 33; Zöller-Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 531 RdNr. 10; Musielak-Ball, ZPO, 3. Aufl., § 531 RdNr. 10; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 531 RdNr. 3; anderer Ansicht: OLG Nürnberg, Urteil vom 16.10.2002, Az.: 4 U 1404/02, Seite 6, 8; Siegburg, BauR 2003, 291, 292). Die letztgenannte Voraussetzung folgt bereits aus der neuen Funktion der Berufung als Instrument der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung. Nach dem ZPO-Reformgesetz ist nämlich die zweite Instanz nicht mehr wie bisher eine grundsätzlich volle Tatsacheninstanz. Die Berufung soll nunmehr in erster Linie die Kontrolle und Korrektur gerichtlicher Fehler ermöglichen, womit die Obliegenheit der Parteien einhergeht, den entscheidungserheblichen Sachverhalt nach Möglichkeit bereits im ersten Rechtszug vorzutragen, also möglichst intensiv zur gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung beizutragen (OLG Oldenburg NJW 2002, 3556, 3557; Rimmelspacher JURA 2002, 11, 12). Mithin ist die Zulassung unbestrittenen Tatsachenvortrags mit dem Zweck des Novenrechts nur vereinbar, wenn die Entscheidung nur von ihm abhängt. Das gleiche gilt, wenn das Berufungsgericht unabhängig von den neuen Tatsachen ohnehin Beweis erheben muß. Würde indes ausschließlich die Berücksichtigung neuer Tatsachenbehauptungen eine Beweisaufnahme erfordern, ist der Vortrag nicht zuzulassen, auch wenn er unstreitig ist, weil sonst zusätzliche Tatsachenfeststellungen in die zweite Instanz verlagert würden, die schon in erster Instanz hätten getroffen werden können (Crückeberg MDR 2003, 10, 11). Die Berücksichtigung der Rückzession würde eine sofortige Entscheidung nicht ermöglichen, vielmehr eine umfassende Beweisaufnahme auslösen. Es wäre vor allem Beweis darüber zu erheben, ob die Prozeßparteien den mit dem Datum vom 10.01.2002 versehenen Vertrag über Marketingberatung nur zum Schein abschlossen. Ferner ist eine Beweiserhebung dazu beantragt, ob der streitgegenständliche Vertrag auf eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung angelegt war und ob das Kündigungsschreiben bereits am 15.05.2002 Herrn L M vom Geschäftsführer der Beklagten übergeben wurde.

2. Hilfsweise stützt die Klägerin erstmals im Berufungsverfahren den Zahlungsantrag auf die Behauptung, ihr Ehemann habe ihr Ansprüche gegen die Beklagte abgetreten. Darin liegt eine als Klageänderung gemäß § 263 ZPO zu behandelnde objektive eventuelle Klagenhäufung, weil die Klägerin nunmehr einen neuen Entstehungsgrund des Anspruchs geltend macht. Diese Klageänderung ist nach § 533 ZPO nicht zulässig. Zum einen hat die Beklagte in sie nicht eingewilligt. Zum anderen kann der Hilfsanspruch nicht auf Tatsachen gestützt werden, die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrundezulegen hat. Die Entscheidung über den Hauptanspruch hängt vielmehr ausschließlich von der Rückzession seitens des Factors an die Klägerin ab.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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