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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 20.06.2008
Aktenzeichen: 13 W 882/08
Rechtsgebiete: RVG, VV-RVG


Vorschriften:

RVG § 44
RVG § 2 Abs. 2 Satz 1
VV-RVG Nr. 2503
VV-RVG Nr. § 7001
VV-RVG Nr. § 7002
Die Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV-RVG) des Beratungshilfeanwalts bemisst sich nach der für die Beratungshilfe anfallenden Festgebühr (Nr. 2503 VV-RVG), nicht nach der (fiktiven) Gebühr, die ihm als Wahlanwalt zustehen würde.
Oberlandesgericht Nürnberg

Az.: 13 W 882/08

In Sachen

wegen Beratungshilfe

hier: Beschwerde gegen die Erinnerungsentscheidungen des Amtsgerichts Erlangen vom 5. und 11. Oktober 2007 hinsichtlich der Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse vom 19. und 20. September 2007, Gz. 60 UR II 2065/06, 60 UR II 45/07, 60 UR II 673/07 und 60 UR II 674/07

erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg -13. Zivilsenat- durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Steckler, Richterin am Oberlandesgericht Graf und Richter am Oberlandesgericht Dr. Herz am 20. Juni 2008 folgenden

Beschluss:

Tenor:

Die weitere Beschwerde der Vertreter der Antragsteller gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21. April 2008 (Az. 19 T 9967/07) wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Rechtsfrage, ob bei der Festsetzung der Auslagenpauschale im Rahmen der anwaltschaftlichen Beratungshilfe der prozentuale Pauschsatz für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gemäß Nr. 7002 VV-RVG aus den tatsächlich angefallenen Gebühren (im vorliegenden Fall aus der Geschäftsgebühr der Nr. 2503 VV-RVG) oder aus den hypothetischen Wahlanwaltsgebühren zu berechnen ist.

Die Beschwerdeführer beantragten, für ihre Tätigkeit in mehreren, in der Beschwerdeinstanz mit Beschluss vom 21. April 2008 verbundenen Beratungshilfeangelegenheiten jeweils eine Geschäftsgebühr in Höhe von 70,00 EUR sowie eine Auslagenpauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen in Höhe von 20,00 EUR, jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer, festzusetzen. Mit Beschlüssen vom 19. September 2007 (Az. 60 UR II 2065/06 und 60 UR II 45/07) und vom 20. September 2007 (Az. 60 UR II 673/07 und 60 UR II 674/07) setzte die Rechtspflegerin am Amtsgericht Erlangen die Auslagenpauschale jeweils auf 14,00 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer fest und lehnte die beantragte weitergehende Festsetzung dieser Pauschale ab. Auf die Erinnerungen und Beschwerden der Vertreter der Antragstellerin bestätigten sowohl das Amtsgericht Erlangen als auch das Landgericht Nürnberg-Fürth (mit dem angefochtenen Beschluss) jeweils die getroffenen Festsetzungen. Hiergegen wenden sich die Beschwerdeführer mit der vom Landgericht zugelassenen weiteren Beschwerde.

II.

1. Die weitere Beschwerde der Vertreter der Antragsteller gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21. April 2008 ist gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 6 RVG unabhängig vom Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig, da sie vom Landgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage zugelassen worden ist.

2. In der Sache ist die weitere Beschwerde unbegründet. Der Pauschsatz von 20% "der Gebühren" in Nr. 7002 VV-RVG bezieht sich auf die im jeweiligen Verfahren konkret entstandenen Gebühren, in einem Beratungshilfeverfahren, in dem die Geschäftsgebühr der Nr. 2503 VV-RVG angefallen ist, also auf die Festgebühr von 70,00 EUR, nicht jedoch auf eine hypothetische Wahlanwaltsgebühr.

In Rechtsprechung und Literatur wird die Frage der Bezugsgröße des Pauschsatzes der Nr. 7002 VV-RVG uneinheitlich beantwortet:

a) Mit Beschluss vom 7. November 2006 (Az. 5 W 1943/06, OLGR Nürnberg 2007, 191-192 = JurBüro 2007, 209-210) hatte sich der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg den Stimmen in der Literatur angeschlossen, welche die Zugrundelegung einer Normalgebühr, also der hypothetischen Gebühr eines Wahlverteidigers, befürworten (vgl. Baumgärtel/Föller/Hergenröder, Kommentar zum RVG, 9. Aufl., Anm. 7 zu 7002 VV-RVG; Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl., Rn. 8 zu Nr. 7001, 7002 VV-RVG; Mock AGS 06, 26).

Diese Auslegung von Nr. 7002 VV-RVG stützt sich im Wesentlichen auf den Wegfall einer § 133 Satz 2 BRAGO entsprechenden Vorschrift im RVG. Daraus sei der Schluss zu ziehen, dass sich die Berechnung der Post- und Telekommunikationspauschale - abweichend vom früheren Rechtszustand - an der Normalgebühr orientieren müsse. Auch erscheine es nicht angemessen, bei den Auslagen des Rechtsanwalts danach zu unterscheiden, ob er in einem "normalen" Verfahren tätig werde oder im Beratungshilfeverfahren.

b) Die gegenteilige Auffassung, wonach sich die Auslagenpauschale der Nr. 7002 VV-RVG aus den im konkreten Verfahren tatsächlich angefallenen Gebühren berechnet, wird in Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Beschluss vom 10. Oktober 2006, Az. 10 W 90/06, RVGreport 2007, 467), des Oberlandesgerichts Bamberg (Beschluss vom 29. August 2007, Az. 4 W 74/07, JurBüro 2007, 645) sowie in Teilen der Literatur vertreten (vgl. Gerold/Schmidt/ v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG 17. Aufl. Rn. 34 zu Nr. 7001/7002 VV-RVG; Gebauer/Schneider, RVG 2. Aufl. Rn. 13 vor Nr. 2601 VV-RVG, Rn. 45 zu Nr. 7001, 7002 VV-RVG; Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, Rn. 184; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, RVG 9. Aufl. VV Teil 7, Rn. 15; Bischof/Jungbauer/Podlech-Trappmann, RVG-Kompaktkommentar 2004 Seite 698; Schneider, MDR 2004, 494; Hansens JurBüro 2007, 401).

Begründet wird diese Rechtsauffassung im Wesentlichen damit, die Formulierung in Nr. 7002 VV-RVG "20% der Gebühren" anstelle von "fünfzehn vom Hundert der gesetzlichen Gebühren" in § 26 Satz 2 BRAGO spreche für eine Anbindung an die im konkreten Fall angefallenen Gebühren. Auch werde dadurch der Aufwand vermieden, der mit einer Bestimmung der hypothetischen Wahlanwaltsgebühren verbunden sei. Im Übrigen bleibe es dem in der Beratungshilfe tätigen Rechtsanwalt unbenommen, seine konkret angefallenen Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7001 VV-RVG in voller Höhe geltend zu machen.

c) Der Senat folgt - wie bereits das Amtsgericht Erlangen und das Landgericht Nürnberg-Fürth - der letztgenannten Auslegung von Nr. 7002 VV-RVG. Der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er an der im Beschluss vom 7. November 2006 vertretenen Rechtsansicht nicht mehr festhalte. Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat mitgeteilt, dass er sich in einem weiteren dort anhängigen Beschwerdeverfahren (Az. 4 W 743/08) ebenfalls der Auffassung anschließen möchte, die Auslagenpauschale sei aus der konkret angefallenen Gebühr zu berechnen.

Der Anwalt, der im Wege der Beratungshilfe tätig wird, hat Anspruch auf Erstattung der Festgebühren, die in Nrn. 2501ff. VV-RVG bestimmt sind. Dafür, dass die pauschale Anknüpfung des Gesetzgebers in Nr. 7002 VV-RVG an die "Gebühren" eine andere Bezugsgröße haben solle, als eben jene tatsächlich entstandenen Festgebühren, liefert weder der Wortlaut der Nrn. 2501ff VV-RVG noch jener der Nrn. 7001, 7002 VV-RVG oder der Vorbemerkung 7 einen Hinweis.

Auch ein Vergleich der genannten Kostentatbestände mit den Regelungen der §§ 26, 133 BRAGO zwingt nicht zu der Annahme, der Gesetzgeber habe die Koppelung der Post- und Telekommunikationspauschale an die tatsächlich im jeweiligen Verfahren entstandenen Gebühren für den Fall der Beratungshilfe aufgeben wollen. Da § 26 Satz 2 BRAGO für die Berechnung des Auslagenpauschsatzes ganz allgemein auf die "gesetzlichen Gebühren" abstellte, war in den speziellen Vorschriften zu den Gebühren der Beratungshilfe in § 133 Satz 2 BRAGO der klarstellende Hinweis erforderlich, dass sich bei der Beratungshilfe der Pauschsatz des § 26 BRAGO nach den Gebühren des § 132 BRAGO bemessen sollte. Nach dem ausdrücklich formulierten Willen des Gesetzgebers sollte also unter Geltung der BRAGO im Beratungshilfeverfahren die Auslagenpauschale des § 26 BRAGO an die tatsächlich angefallenen Festgebühren gekoppelt werden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz diese Koppelung aufheben wollte, sind weder im Gesetzgebungsverfahren noch in der Fassung des RVG und des hierzu ergangenen Vergütungsverzeichnisses zu Tage getreten. Einer ausdrücklichen Normierung der Koppelung an die konkret entstandenen Festgebühren bedurfte es im RVG nicht mehr, da Nr. 7002 VV-RVG nicht mehr allgemein auf die "gesetzlichen Gebühren" abstellt (wie § 26 Satz 2 BRAGO), sondern die Pauschale "20% der Gebühren" beträgt. Dass damit die Anknüpfung an die tatsächlich angefallenen Festgebühren in der Beratungshilfe nicht aufgehoben werden sollte, ergibt sich auch aus den Erläuterungen zum Entwurf des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes (BT-Drucksache 15/1971, Seite 232 zu Nrn. 7001 und 7002 VV-RVG), wonach die Auslagentatbestände "inhaltlich die Regelung des § 26 BRAGO" (bei Anhebung des Prozentsatzes und des Höchstbetrages) übernehmen. Eine Entkoppelung von den tatsächlich angefallenen Gebühren und damit eine Inhaltsänderung war nach dem so formulierten Willen des Gesetzgebers nicht beabsichtigt.

In den Erläuterungen zum Entwurf des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes (BT-Drucksache 15/1971, Seite 1) ist das Ziel des Gesetzgebers formuliert, durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz das Kostenrecht "transparenter und einfacher" zu gestalten. Diese gesetzgeberische Zielsetzung der Vereinfachung des Kostenrechts würde durch die von den Beschwerdeführern bevorzugte Auslegung, wonach sich die Auslagenpauschale nach den hypothetischen Wahlanwaltsgebühren bemessen soll, in das Gegenteil verkehrt. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle wäre in diesem Fall bei Berechnung der Auslagenpauschale gezwungen, die hypothetischen Wahlanwaltsgebühren zu ermitteln. Da eine bindende richterliche Festsetzung des Wertes der anwaltlichen Tätigkeit (§ 32 Abs. 1 RVG) fehlt und auch über § 33 RVG nicht zu erreichen ist, müsste der Urkundsbeamte selbst nach Gewährung des rechtlichen Gehörs in einem ersten Schritt den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit bestimmen und sodann in einem zweiten Schritt die Bemessungsfaktoren des § 14 RVG abwägen. Gegen die Festsetzung nach § 55 Abs. 4 RVG wäre die Möglichkeit der Erinnerung und Beschwerde nach § 56 RVG auch mit der Begründung eröffnet, der hypothetische Streitwert sei unzutreffend ermittelt.

Angesichts der Tatsache, dass die Auslagenpauschale der Nr. 7002 VV-RVG auf "höchstens 20,00 EUR" limitiert ist und eine niedrigere Pauschale - die ohnehin nur in den Fällen der Nrn. 2501 bis 2503 VV-RVG in Betracht kommt - etwa im letztgenannten Fall 14,00 EUR beträgt, kann auch im Hinblick auf die begrenzten Ressourcen der Justiz dem gesetzgeberischen Ziel der Vereinfachung des Kostenrechts in der zur Entscheidung stehenden Frage nur durch eine Anbindung der Auslagenpauschale an die tatsächlich entstandenen Gebühren Rechnung getragen werden.

Nachdem selbst die Gebühren für die Beratungshilfe aus Vereinfachungsgründen vom Gesetzgeber als streitwertunabhängige Festgebühren ausgestaltet wurden, ist kein Grund dafür ersichtlich, die Pauschale zur Abgeltung von Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, die grundsätzlich unabhängig von der Höhe des Gegenstandswertes anfallen, von der Höhe der hypothetischen Wahlanwaltsgebühren und damit vom Gegenstandswert abhängig zu machen.

Der Anwalt wird damit auch in keiner Weise benachteiligt. Denn für den Fall, dass dem Anwalt in einer Beratungshilfeangelegenheit tatsächlich höhere Auslagen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen entstanden sind als 20% der Gebühr aus Nr. 2503 VV-RVG, bleibt es ihm nach Nr. 7001 VV-RVG unbenommen, diese konkreten Auslagen in voller Höhe abzurechnen. Soweit höhere Kosten als die Pauschale jedoch nicht angefallen sind, entspricht es auch nicht dem Sinn der Gebührenregelungen des RVG für die Beratungshilfe, ein über die Nrn. 2501 bis 2503 VV-RVG hinausgehendes Honorar zu begründen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 u.3 RVG).

Ende der Entscheidung

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